Hinausgeschnitten. Das KeinArbeitsjournal des Dienstags, dem 12. Juli 2016.


[„Arbeits“wohnung, 6.19 Uhr]

Was soll ich hier schreiben?
Wozu?

Seit Tagen prokle ich an Béart XIX; die Idee, die ich hatte, die mich kurz füllte, zerfällt. Ich krieg‘s nicht hin, nichts hin.
Die Fliegen nerven. Dazu paßt, wenn man es in eine Art Gutes umdreht, >>>> Lampes Aufzeichnung von gestern abend recht gut. Aber es führt bei mir nicht dazu, daß ich mich, wie offenbar seine Gästin, kundig zu machen versuche. Statt dessen trieb mich heute früh zwischen fünf und halb sechs eine der nervenden Fliegen aus dem Bett, in das ich mich gestern bereits um halb elf geflüchtet, in dem ich mich verkrochen hatte.
Ich habe ein Insektenspray vorgekramt, stelle es links vor mich auf den Schreibtisch. Die Küche biegt sich unter Fruchtfliegenschwärmen, was mir bis eben kaum was ausgemacht hat. Solln sie doch, dachte ich. Erst diese Stubenfliegen, die mich ständig anfliegen, sich auf meine Arme setzen, meinen Hinterkopf, mir mich juckend nicht erlauben weiterzuverharren, wie ich in diesen Tagen verharre, zwingen mich in die Bewegung.
Es funktioniert nichts außer >>>> dem Sport. Aber nachts wieder, zu den Hunderten Filmen, die ich eskapistisch gucke, stopfe ich unsägliches Süßigkeitszeug in mich rein, auch wenn ich genau weiß, daß sowas den Erfolg des Sports quasi durchstreicht und mich am kommenden Morgen deshalb neu frustrieren wird.
Wieder keine Lust auf Musik. Manchmal versuche ich, mich zu erinnern, wie es war, wenn mein innerer und äußerer Raum von den Klängen erfüllt war, wieviel Kraft ich daraus bezog, wieviel Ideen auch und wieviel Energie davon in meine Arbeiten ging. Jetzt, da ich denke, daß sie, diese Arbeit, sinnlos war und es bleiben wird, ist es auch die Musik geworden, für mich, nicht für sie selbst, nicht für die anderen Menschen, das weiß ich durchaus zu unterscheiden. Meine Liebe zu ihr ist, quasi, theoretisch geworden: etwas, das sich nur noch über die Anstrengung der Abstraktion herstellen läßt. Daß ich sie >>>> nicht mehr direkt fühle, ist wahrscheinlich der unerbittlichste Ausdruck meines Fremd- und Abgeschnittenseins, und seinerseits dieses ist mit ein Ausdruck meiner ökonomischen Angst. Ich hatte sie so scharf noch nie, obwohl ich in meinem Leben doch schon oft in harter finanzieller Bedrängnis war. Aber immer habe ich früher geglaubt, es werde sich ändern. Und tatsächlich gab es ja auch immer plötzliche Drehungen.
Ich war von dem, was ich tat, überzeugt, von dem, was ich schrieb, wie ich schrieb; gegen die vielen Zweifel stand immer eine innere Gewißheit. Man kann von einem Sendungsbewußtsein sprechen. Das ist dahin.
Als ich mich vorhin an den Schreibtisch setzte, dachte ich: Eigentlich müßtest Du jetzt weinen, den ganzen Tag lang weinen. Aber ich dachte es eben nur, auch dies war abstrakt, eine Vorstellung, die mit einem Ich zu tun hat, das aus mir herausgeschnitten ist: ein Scherenschnitt-Ich, von dem ich nur den Rahmen des Restpapiers fühle; den Scherenschnitt selbst sehe ich an, nicht anders als man ein Objekt ansieht, das nicht mal Tiefe hat. Ich selbst aber bin der Papierrahmen – o h n e das, was er rahmte.

Heute abend und morgen und übermorgen >>>> Oper. Ich wollte drüber schreiben. Nun habe ich den Gedanken, abzusagen, nicht hinzugehen – so, wie ich schon am vergangenen Freitag ein Freundestreffen absagte, weil ich nicht gewußt hätte, was da sagen. Noch spreche ich mit der Löwin, wurde ihr aber gestern eine schwere Last; sie brach das Gespräch in Facetime ab, mußte sich auf eine Arbeit konzentrieren, ging dann weg, um sich zu erholen. Mit nicht so eng Vertrauten halte ich eine verstellt-lächelnde Kommunikation aufrecht, an der obersten Oberfläche.

Wozu, also, schreibe ich das auf? Es hat einen Grund, daß ich in den letzten Tagen so schwieg. Stell ich es ein, wird es dazu führen, daß ich wieder angegriffen werde. Ich habe nicht mehr die Kraft, auch nicht den Willen, damit umzugehen, auch nicht mehr, mich dauernd zu „verteidigen“. Nahe auch der Gedanke, das Projekt Der Dschungel insgesamt aufzugeben, sein Scheitern zu erklären, seines und meines Werks insgesamt, durch Stummsein und -bleiben. Kann aber sein, daß auch dies nur wieder ein Flirt ist, wenn auch ein letzter möglicherweise, letztes Kokettieren meiner Eitelkeitsreste. Zugleich weiß ich, daß, käme jetzt ein Etwas daher, um mir zu sagen, hier hast du Geld für ein Jahr, geh und finde Ruhe – daß ich dann aus diesem neuerlichen Tief herauskommen würde.
So lange ich am Sport festhalte, werde ich keine Psychopharmaka nehmen, die ich sicherheitshalber in der Medikamentenschublade weggesperrt habe. Allerdings trinke ich wieder zu viel, viel zu viel. Immerhin nur abends.
Mir fehlt, daß ich glühe, so sehr.
Und auch dieses, daß ich‘s dennoch in Der Dschungel schreibe, wider mein „besseres“, ein böses ist es, Wissen, wird mir zum Nachteil gereichen. Wie nahezu alles, was ich öffentlich tat.

ANH

P.S.: Hab mich bei zwei Ghostwriter-Agenturen beworben.
P.P.S.: Die Béart-Texte. Ständig die Frage, wie war es, als du noch so sehr geglaubt hast. Auch sie, diese Frage, sagt, es ist vorbei. Ich komme mit dem Zyklus nicht weiter, weil er mir mein Abgetrenntsein notwendigerweise für jeden Vers bewußt machen muß. Meine gesamte Perspektive, poetisch wie personal, hat sich verschoben. Jetzt, mit einundsechzig, begreife ich und spür sie am eigenen Leib, worüber so viele Autor:inn:en geklagt haben: diese Angst vor dem weißen Papier. Ich hatte sie nie, immer schrieb ich aus dem Überschuß meiner Lebenslust und -freude. Es sperrt sich in mir, zum poetischen Movens die Klage zu machen, anstelle zu feiern, daß ich bin, sein durfte.
Die Löwin verwies auf einen >>>> Tagebucheintrag Farah Days, demzufolge uns das eigene innere Kind die Energien bewahre. Bei mir ist es nicht so. Im Gegenteil. Ich wurde erst, als ich von ihm wegkam. Nun bin ich in es zurück: genauso hilflos wieder, aber ohne die phantastischen Welten, die es damals um sich herumbaute, in denen es Schutz fand und den Willen, sie wirklich werden zu lassen. Diese „Wirklichkeiten“, aus denen mein Ich, eben der Dichter, wurde, erweisen sich jetzt als genau die Schimären, als die man sie dem Kind damals vorhielt: „Lerne, dich anzupassen. Du mußt dich in die Gesellschaft einfügen. Nur wer mit dem Strom schwimmt, kommt auch ans Ziel.“ Ich höre die Sätze bis heute. Keine fünfzehn Jahre zuvor war die Anpassung eines fastganzen Volkes in den Trümmern zusammengebrochen, auf einem Leichenberg von Millionen.


8 thoughts on “Hinausgeschnitten. Das KeinArbeitsjournal des Dienstags, dem 12. Juli 2016.

  1. { 10.7.:
    Krafttraining Beine-Bauch-Rücken, ca. 400 kCal
    Warmlaufen 10min Stepper, Auslaufen 15min Band, 309 kCal

    73,1 kg
    Körperfett 16,2

    11.7.
    2h03min Brustschwimmen, ca. 1320 kCal

    73,1 kg
    Körperfett 16,2

    12.7.:
    Krafttraining Oberkörper, ca. 400 kCal
    10min Anwärmen Stepper, 15min Auslaufen Band, 313 kCal
    Radwege (mit Oper abends) 620 kCal

    73,7 kg
    Körperfett 16,4%
    }

  2. Warum kein Spenden-Button? Weil ohnehin aussichtslos? Oder eher eine Sache des Stolzes? Ich würde zahlen. Bitte die Dschungel nicht aufgeben! Wobei das wahrscheinlich keine Frage des Geldes ist. In meiner inzwischen 813-seitigen Zitatesammlung tauchen die Dschungel 65 mal auf. Es wäre ein herber Verlust!

    1. @Klaus. Eher weil aussichtslos. Um Spenden zu bitten, imgrunde frei bezifferbare Bezahlung für Arbeit, habe ich >>>> auf der fiktionären Website einige Jahre lang versucht, ohne irgendein Ergebnis, obwohl dort im >>>> Textebereich sehr viele Arbeiten frei herunterladbar zur Verfügung gestellt sind. Davon wird bis heute ein enormer Gebrauch gemacht, insbesondere von Universitäten.
      Was Die Dschungel direkt angeht, so hat es vor allem zwei Leser:innen gegeben (und gibt es noch), die bisweilen im Umschlag einen Schein herschicken, je nach ihren Möglichkeiten. Ich habe davon teils glücklich in den Arbeitsjournalen immer mal wieder erzählt. Sieht man sich die Zugriffszahlen insgesamt an, sind diese Sendungen aber extrem wenig. Ich denke auch, daß, im Netz etwas zu bezahlen, imgrunde gegen die Netz-Usancen verstößt; es funktioniert nur bei ohnedies schon mächtigen Teilnehmern, etwa der FAZ, der Süddeutschen und ähnlichen Unternehmen.

  3. Lieber Alban,
    wenig von dem was du schreibst ist mir fremd.
    Anders, aber doch vertraut.
    Fühl dich umarmt.

    1. @ Ana Viola … ‘ eine Bratschistin’, dachte ich gerade. Die ich, ihres letzten Satzes wegen und auch der Anrede halber, zu kennen scheine, ohne daß ich wissen kann, wer sie ist.

      Dieses ist eines der Momente, die die oft so umstrittene anonyme Kommentarfunktion sehr reizvoll macht.

      [Kleine Theorie des Literarischen Bloggens 157
      Siehe meine Bemerkung >>>> dort.]
    2. Lieber Alban,

      Namen fallen auch mir des öfteren durch das Gedächtnissieb.

      Viola spielte ich nie, nur Violine und die schlecht.
      Das Cello würde wohl eher zu mir passen.

      Meinen Namen gaben mir meine Eltern, da sie zu dem Zeitpunkt einen starken Hang zur Farbe Lila hatten und nachdem sich meine Mutter mit Ana Katharina nicht durchsetzen konnte. (Was sie nicht davon abhielt mich so zu nennen, wenn sie ihren Ermahnungen Nachdruck verleihen wollte).

      Danke dir für das schöne Kompliment vor einiger Zeit: “ungemein schön und lebendig”.

      Einen guten Nachmittag für dich.

    3. Liebe Ana, von den Namen ist mir der erste mitnichten durch das Gedächtnissieb gefallen, und den zweiten wußte ich schlichtweg nicht. Aber in Der Dschungel werden als Kommentator:inn:ennamen vor allem Pseudonyme, bzw. “Nicks” verwendet. Daß jemand ihren/seinen tatsächlichen verwendet, ist extrem selten.
      In jedem Fall: Danke.

      (Zum Rosa: Lustig, daß Eltern diesen Hang haben; mir ist er nur vom Zwillingsmädchen bekannt – ein Graus: >>>> Prinzessin Lillifee. Ging allerdings recht schnell vorüber, die Göttinen waren uns gnädig..)

      Das Kompliment entsprach der Realität.

      A.

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