Schein fällt ins Café. 26.06. 2008. Paul Reichenbach musste zahlen.

Randale und fremdenfeindliche Ausschreitungen haben in Dresden und Chemnitz die fröhlichen Jubelfeiern nach dem 3:2-EM-Erfolg der deutschen Fußball-Elf gegen die Türkei überschattet. In Dresden griff eine Gruppe Jugendlicher drei Döner-Buden angegriffen und verletzte zwei Türken. In Chemnitz gingen gewaltbereite Fußballfans nach dem Abpfiff auf die Polizei los. Auch in Leipzig kam es zu Schlägereien.

Diese Meldungen haben mir heute den Tag verhagelt. Eigentlich hatte ich vor zu erzählen wie ich beinahe, Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, im Prager Café >>>Slavia, unweit der Oper, – >>> gestern, an einem beliebten Ort, und in einem anderen Zusammenhang erwähnte ich schon einmal das Slavia, – als ich mit B.H beim Kaffee saß, wir tranken böhmischen Kaffee, natürlich, das versteht sich von selbst, aus dem Glas -, also wie ich beinahe >>>>Dr. Schein kennen gelernt hätte. Immer wenn ich mit B.H. im Café saß, gleich in welchem, ob im Arco, wo früher Werfel, Kafka und Rilke die aktuellen Sportmeldungen lasen oder im Union, wo sich die böhmische Boheme vor dem ersten großen Krieg traf, wurden wir bedient, als sei mein Freund B. der englische König und ich sein Kammerdiener. Wir trafen uns selten. Mitunter feierten wir auch gemeinsam.

Die Kellner schwirrten dann nur so, wie auch an diesem Nachmittag, um uns herum. Freie Plätze, B.H. war ein berühmter Mann, wurden sofort von aufmerksamen jungen Herren besetzt, allesamt Bluejeansträger, noch in den fünfziger Jahren hätte man sie, die scheinbar desinteressiert in Windbeuteln löffelten, an Schlapphüten und hochgestellten Mantelkragen erkennen können. Ich war gerade dabei meinem Caféfreund zu erzählen, dass ich einen Tag vorher auf der Kleinen Seite unfreiwillig Ohrenzeuge eines Gespräches gewesen war, bei dem es um den Mageninhalt des toten Oberst Redl gegangen sei, als ein relativ junger Mann, offenbar DDR-Bürger, man sah es am Hemd, das Slavia betrat: In der einen Hand vier prall gefüllte Plastetüten und in der anderen ein ziemlich großes Tretauto Marke “Moskwitsch”; und kurz nachdem er die Schwelle überschritten hatte, die Tür pendelte noch ein wenig nach, schlug er, als wolle er den Teppich messen, voll längs auf den Boden. Dass er dabei Halt suchend unser Tischtuch und in der Folge des Geschehens die Kaffeegläser incl. Satz herunter riss, wäre eigentlich nicht der Erwähnung wert, wenn sich nicht über die Hose meines Gesprächspartners ein Teil des Kaffeerestes ergossen hätte. B. fluchte ein „Ave Maria fick dich“, drückte mir 2 Kronen in die Hand, sprang auf, nickte hastig ein Shledanou und verschwand. Wir sollten uns nie wieder im Leben begegnen, aber das konnten damals weder er noch ich wissen. Nicht wissen konnte ich auch, dass es sich bei dem Gestürzten möglicherweise um den späteren Schein handelte; davon erfuhr ich erst gestern. Der Hingeschlagene, das bekam ich beim Zahlen mit, rappelte sich etwas verstört wieder auf, bat, hilflos in die Runde blickend, um Verzeihung und nahm dann nichtsahnend ausgerechnet an einem jener Tische Platz, an dem einer dieser Bluejeansträger scheinbar eifrig die „ Rude Pravo“ studierte.

>>>>“Nur zum Kaffeetrinken kam freilich niemand ins Kaffeehaus. Der Kaffee war dort stadtbekannt schlecht. Die zwei Kronen, die man dafür auf den Tisch legte, waren eher das Entrée: im Winter, um in der Wärme zu sitzen, im Sommer für den dichten Qualm. Doch das heimelige Milieu und die freundschaftliche Atmosphäre waren immer einen Besuch wert.” (Jaroslav Seifert)

4 thoughts on “Schein fällt ins Café. 26.06. 2008. Paul Reichenbach musste zahlen.

  1. So wie Sie unser Beinahzusammentreffen beschreiben, erhält es retrospektiv eine geradezu schicksalhafte Bedeutung. Dass ich unwillentlich Ihren Freund B.H. – zumindest leibhaftig – ‘für immer’ aus Ihrem Leben vertrieben habe, tut mir sehr leid, aber wahrscheinlich stand das bereits in dem von mir auf seine Hose applizierten Kaffeesatz unumstößlich festgeschrieben. Ich war damals in der Tat ob des Geschehens ziemlich verlegen und habe mich aus diesem Gefühl heraus auch gleich an den erstbesten Tisch gesetzt, um nicht länger als nötig Zielscheibe der belustigten Kaffeehausbesucherblicke zu sein. Gewundert habe ich mich allerdings darüber, dass der Herr, an dessen Tisch ich Platz nahm, weder meinen Gruß erwiderte, noch mich überhaupt eines Blickes würdigte…Er war wohl zu beschäftigt damit, durch ein etwa 10-Hellerstück großes Loch, welches sich – fein ausgestanzt – im ‘o’ des Schriftzugs ‘Rudé právo‘ befand, die Gäste des Kaffeehauses ins Auge zu fassen. Nachdem ich schließlich jene Erholung, zu deren Zweck ich das Slavia letztlich aufgesucht hatte, naheliegenderweise nicht hatte finden können, ließ ich sogar meinen ‘Böhmischen Kaffesatz’ ungelesen in der Tasse zurück, um mich in das am Wenzelsplatz gelegene Hotel Evropa zu begeben, welches edle Etablissement mir damals unbilligerweise als Absteige diente. Als wären mir jedoch der Unbillen nicht genug widerfahren, blieb mir auch noch der Eintritt ins Hotel verwehrt. Aufgrund von Dreharbeiten war der komplette Eingangsbereich hermetisch abgeriegelt: Wenn meine Erinnerung mich nicht um Jahre trügt, drehte István Szabó eben dort eine Szene für seinen Film ‘Oberst Redl’… Ich selbst war allerdings dem Durchdrehen nahe – nicht allein, dass die Lasten (wir erinnern uns) mich bedrückten, drückte auch der im Slavia verdrückte Kaffee mittlerweile stark auf meine Blase… Da ich aber meine Ladung nicht einfach auf der Straße lassen wollte, um mich einer anderen zu entledigen, wuchs der Druck – ich erinnere mich genau – ins schier Unermessliche….
    Aber wie heißt es so schön : “Gibt es Übel, die kein Gut begleitet, so sehen wir in der Erinnerung jeder überstandenen Not eine ähnliche Schwester der Freude” (Börne)

    Lieber Herr Reichenbach, ich danke Ihnen jedenfalls sehr dafür, dass Sie mich an meine Erinnerungen erinnern!

    1. Danke.

      Unter dem Zelt der Sprache kann Schweres, Drückendes heiter werden, und das Heitere an Tiefe gewinnen. Humor ist ein großer Ernst von Innen, schrieb einmal mein Freund montgelas und hat damit nicht ganz unrecht. Die Erinnerung, vorläufige Summe des Seins, entledigt sich bleierner Schleier im Lächeln, Schmunzeln und im schallendem Gelächter. Auf das Hotel “Evropa” und Redls Magen, versprochen, komme ich noch einmal zurück.

    2. Das Fortgesetzte liegt mir unmittelbar am Herzen und insofern erwarte ich die Fortsetzung dieses ‘Strangs’ mit Freude. Was mir daran besonders gefällt: es scheint keinen ‘Schwarzumtausch’ zu geben und somit bleiben die Währungen wie selbstverständlich frei konvertierbar 🙂
      Ich bin vor allem als Marburger Student eher in Prag als in Frankfurt/M. zu Hause gewesen, eine Tatsache, die mir – ob meines plötzlichen Reichtums dort – immer so eine Art schlechten Gewissens eingebracht hat – nach dem Konsum….

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