Arbeitsjournal. Donnerstag, der 19. Juni 2008.

5.10 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
„De facto“, schrieb mir jemand über nacht, „ist das doch völlig unvergleichbar.“ Ich mag nicht in die Einzelheiten gehen, zumal es sich nicht mehr nachvollziehen läßt, >>>> wie ich eben sah. Überhaupt war ja einiges los, wenn der Herr tanzen ist und die Mäuse auf den Tischen und so weiter – ich bitte wirklich, jetzt „Herr“ nicht gleich wieder mißzuverstehen, das ist aus einer reinen Sprichwortfrage verwendet… aber was denn? jetzt geh ich durch meine eigene Dschungel schon auf Zehenspitzen – – …aber im Ernst, es ging um einen Akademismus-Vorwurf, den ich hier gestern abbekam, aber nun weder mehr nachlesen noch nachvollziehen kann. Der Link jedenfalls, den mir H. in ihrem Brief mitschickte, war leer. Statt dessen hat sich da jetzt ein „Mannmensch“ gemeldet, der, wie Ein Betroffener schreibt, Noten vergebe… du meiner tempores Güte, oh mores! Der neue Akademie-Preisträger heißt übrigen Josef Winkler, und das ist ohne Spott bemerkt. Nein. Sondern: Gute Wahl.
War einmal wieder in der Oper, na ja, schreiben werde ich nicht darüber, es war ohnedies Repertoire mit gelide manine. Durch die warme Berliner Nacht geradelt, in der Bar den Cocktail genommen, und in irgendwas reingefaßt, wovon ich jetzt ganz gelbe Fingerspitzen habe. Und das geht nicht ab. Ich hoffe wieder einmal auf die Zeit. Dafür steh ich jetzt in der Heidelberger Uni – Akademismus – bei den Privatdozenten unter „Lehrpersonal“, was auch eine neue Erfahrung ist. Und den obengenannten Vorwurf nun selbstverständlich stützt. Das ist immer so: Kaum hat man ein neues Plateau erreicht, ist jemand da, drauf herumzusprengchen. Man m u ß dann einfach weiter… und n o c h höher… schon aus Selbstschutz, damit man nicht mit in die Luft fliegt. Einen weiteren Vorwurf konnte man aus dem gelöschten Beitrag, auf den ich ja auch schon reagiert hatte, lesen: Vielschreiberei statt Qualitätsdichtung. Das mit der Vielschreiberei ist ein gängiger Vorwurf in Deutschland, der immer ganz auf seinen Goethe vergißt, und auf Schiller, und auf Döblin, und auf Arno Schmidt, und auf Wieland, und auf Marianne Fritz… ja du meine Güte, wer mir da alles einfällt, die und der einfach nur gearbeitet und sich nicht in die Inspirationen gefläzt hat, auf daß sie kämen…
Hier liegen sowieso lauter neue Paralipomena rum. Man kann die aber nicht einfach einstellen, sondern muß auf den richtigen Zeitpunkt warten. Es geht um einen Rhythmus. „Urwaldtrommeln rufen“ hieß eines meiner Jungenbücher, das war die Zeit von „Tiere sehen dich an“. Das zu rezensierende Buch ist immer noch zu lesen. DER ENGEL ORDNUNGEN (Kühlmann hat extreme Vorbehalte gegen diesen Buchtitel) ist weiter durchzugehen und zu revidieren. Die BAMBERGER ELEGIEN sind ab der Mitte der zweiten Elegie weiter neuzufassen. Ich habe an Eleonore Büning geschrieben, die neue Musikredakteurin an der Frankfurter Sonntagszeitung ist, und einen Artikel übers Berliner Musikfest der Festspiele angeboten, weil man dort in Serie Stockhausen spielt; aber habe – „natürlich“ bin ich zu schreiben versucht – noch keine Antwort. Ich kriege vielleicht auch keine. Mein Instinkt, mein Instinkt… Und im Hintergrund – eine permanente Strahlung – der Big Bang von >>>> ARGO.

Ein paar Beiträge sind zu beantworten. Im übrigen, damit das nicht mißverstanden wird, egal, mit welchen Argumenten und/oder Gesten ich reagiere: daß sich in Der Dschungel >>>> eine Art Frauenfraktion entwickelt, finde ich gut. Die Kontroversen finde ich gut. Und, weitgehend (die Einschränkung betrifft auch mich selber), den Stil finde ich gut.
Guten Morgen. Das war das Journalwort des Herausgebers zum Tage.

10.33 Uhr:
[Vom Terrarium zurück in der Arbeitswohung.]
Kinderdienst war zu versehen, so daß ich Am Terrarium zwei Stunden lang Cello üben konnte und darob s e h r zufrieden bin; kein Netz lenkte ab, keine Arbeit. Und die Kleinen sitzen vor dem Instrument und lachen dauernd… wahrscheinlich über meine Anfängereien und schief Töne („und so“). Übrigens hab ich, weil ich gestern erst gegen Viertel vor eins heimkam, mein normales Schlafpensum mal wieder unterboten: 3 ½ Stunden. Mittagsschlaf ist also obligat. Mehr als 4 ½ Stunden Schlaf täglich braucht aber wirklich kein Mensch, jedenfalls nicht, wenn es was vorhat, das Mensch.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 19. Juni 2008.

    1. @mohr. Hatte ich das angekündigt? Vergessen. Aber es war auch wirklich sehr privat, wenngleich die Schwarzwälder Presse drüber geschrieben hat; können Sie bei Google-Suche finden.
      Erstaunlich war die perfekte Vorbereitung, die meine Mutter in ihrer Strichfassung hinterlassen hat; ich habe nichts verändert, keine eigene Dramaturgie entwickelt, sondern quer durchs Buch von Anfang bis Ende nach den Strichen meiner Mutter gelesen. Und es waren exakt 2 x 45 Minuten Lesezeit. Ich hab nicht die geringste Ahnung, wie sie das hinbekommen hat. Möglicherweise hat sie vor dem schweren Ausbruch der Krankheit bereits mit der Stopuhr selbst vor/gelesen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß mein eigenes Lesetempo, der ich zum Hasten neige, sicherlich weniger kommod war als das ihre gewesen wäre. Aber es gab ja Suppe zwischendurch.
      Noch schöner ist dann die Geschichte, was nachher geschah. Drei Wanderinnen setzten sich zu den verbliebenen zwei Damen, einem hochgebildeten Leser, der allerdings immer höher besoffen wurde, und mir. Da waren wir schon bei diesem Leser daheim gewesen, 50 Meter entfernt, und hatten baff das erste überhaupt in Deutschland gedruckte Buch in der Hand gehalten, Sie lesen richtig, eines der Originale… neben Hunderten weiterer. Ein absoluter Schatz zwischen endmoränenartigen Schütten von Schnecken- und Muschelhäusern. Nein, ich erfinde das nicht. Stolz war ich Eitelgeck, als ich zwischen den Erstausgaben der mittelbaren und unmittelbaren Gegenwart (Döblin, Simplicissimus – die Zs. – usw.) auch den >>>> WOLPERTINGER sah. Von dem Ausflug zurückgekehrt, setzten sich die drei Wanderinnen zu uns, deren eine mich auf, ich darf sagen: aggressive Weise anbaggerte, indem sie auf meine Neigung zu nackten Füßen herumvoltigierte, dann meinte, daß ich ein Arschloch sei, mir dann durchs Gesicht strich mit der Hand usw. Also sagte ich: Ja, bin ich. Aber das stellte sie nicht sehr zufrieden. Irgendwann gingen die drei Damen, weil sie vor dem sehr anhänglich gewordenen Leser fliehen mußten, das war einzusehen, der sie unbedingt nachts um halb drei in seine originale Schneckensammlung entführen wollte, alle drei, oder nur zwei, oder nur eine. Es wäre freilich harmlos gewesen, da er zu dem Zeitpunkt auch keinen Gedanken mehr erigieren konnte. Dann erinnere ich mich noch an die Heißblütigkeit eines dunkelen Flures, und als ich erwachte, hatte ich ganz leichte Kopfschmerzen. So war das.

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