5.34 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bin seit fünf hier, es ist fett warm von dem Ofen; gestern hat es fette Flocken geschneit, dazu setzte ein Gewitter ein, dann hagelte es, dann schneite es wieder. So gefällt mir das, in dieser Fettheit der Phänomene. Und so rauche ich den ersten Cigarillo und habe meinen latte macchiato neben mir, während mir klarwird, daß ich für das >>>> Zagrosek-Portrait, das ich für die Sonntagszeitung schreiben mag und soll, nunmehr ganz anders vorgehen muß. Zwar übertrug ich gestern, bis zum Frühstück, fünf Stunden lang mein auf DAT mitgezeichnetes Gespräch mit dem Dirigenten, bin aber weit weit von jedem Fertigwerden entfernt – zu weit, um die Transkription jetzt noch pedantisch voranzutreiben: Ich will mein Portrait am Dienstag abend abgegeben haben, um mich ab Mittwoch noch einmal auf >>>> die erste Poetik-Vorlesung konzentrieren zu können und auch für etwaige Lektoratsrückfragen der Redaktion zur Verfügung zu stehen; ab Donnerstag ist dafür nämlich keine Zeit mehr. Also werde ich jetzt mein Gespräch am Stück vom DAT nur abhören und mir dabei unverbundene Notizen machen, die ich dann in das Portrait einarbeite. Das Interview selbst, komplett, werd ich dann ans >>>> Opernnetz geben oder, sollte denen das zu lang sein, in voller Länge in Die Dschungel einstellen.
Es war „Dienst am Baby“ nötig gestern; zumal bekam ich vom Konzerthaus noch für die Liebste >>>> Gluck-Karten, so daß auch sie sich die Aufführung, die ja als zweite bereits die letzte war, anhören und, ein seltenes Mal von der ständigen Sorge um die Zwillinge befreit, einen Abend lang musikalisch Luft holen konnte. Die beiden waren sehr unruhig dann, so ging mein Vorhaben, am Abend weiterzuarbeiten, schnell in die Knie. Ich muß jetzt heute morgen aufholen, das sonntägliche Familienfrühstück werd ich sausen lassen, da ich nachmittags mit meinem Sohn >>>> Algot Storm, eine neue Musiktheater-Produktion für Kinder, besuchen werde, über die dann ebenfalls noch zu schreiben ist.
Es scheint mir, übrigens, offensichtlich zu sein, daß es zwischen >>>> dem und >>>> dem einen Zusammenhang gibt. Es geht darum, offene Löcher politisch abzudichten; meine >>>> hier formulierte Position versteht sich insofern radikal als künstlerische A b w e h r.
11.16 Uhr:
Ah, Klasse!: Das gesamte >>>> Gespräch vom DAT-Band abgetippt. Jetzt kann ich mit dem Portrait-Artikel beginnen; es muß nur noch ein wenig an „Eckdaten“ recherchiert werden. Wahrscheinlich werd ich den Text morgen über den ganzen Tag schreiben, um ihn am Dienstag früh ins Reine zu bringen und am späten Nachmittag in die Redaktion zu mailen.
Bin hochzufrieden, auch wenn die andere, „eigentliche“, Arbeit liegenblieb. Zur Belohnung jetzt, während ich herumlese und Notate mache, auch das Gesprächsskript, um es ständig bei mir zu haben, ausdrucke – zur Belohnung jetzt — : Musik.
Sowas um eins radle ich heim. Und rasieren und duschen will ich mich. Und einen Anzug anziehen. Draußen ist der Schnee erstmals liegengeblieben.
[Mein >>>> Verleger Dielmann ist wieder verschüttgegangen; vor vier Tagen sollte als Buch die MEERE-Lizenzsausgabe erschienen sein. Nichts zu hören. Ich fasse mich in Stoik.]
23.54 Uhr:
[Am Terrarium. Nach >>>>d e m.]
Ich kann kaum tippen, soviel Wein ist in mir jetzt. Ich versuch’s dennoch. Es hängt mit >>>> dieser Diskussion auf verzwickte Weise zusammen.
Ich habe eine starke Tendenz, aus läppischen Situationen existentielle zu machen; was andere als nebensächlich ansehen, drehe ich oft – real – zu Katastrophen hoch, im Supermarkt, bei einer Drogerie, im normalen Umgang. Nachdem ich den Film nach Varga Llosa gesehen habe, weiß ich, warum, und weiß auch, daß das ganz direkt mit der Geschichte meiner Herkunft zu tun hat. Ich lasse es nicht zu, daß sich etwas einschleift. Das seltsame Ergebnis meiner Filmbetrachtung heute abend ist, daß ich zu 100 Prozent weiß: Mit wäre nicht passiert, was Cabral passierte, der seine Tochter dem Diktator gab – gegen sein eigenes Inneres, gegen seine ganze Liebe, gegen alles, was er als wahr verspürte. Wenn ich mir vorstelle, ein schwuler Diktator hätte es sexuell auf meinen Sohn abgesehen und lockte mich damit, nicht umgebracht zu werden, wenn ich ihn ihm gäbe… es ist absolut gewiß, daß ich s o reagieren würde: den Diktator angreifen, auch auf die Gefahr meines Todes und auch auf die Gefahr des Todes meines Sohnes, meiner Frau, wessen immer hin. Es gäbe keinen Zipfel einer Übereinkunft.
Vielleicht kann man sagen: Ich trainiere auf den Ernstfall. Auch (und vielleicht gerade) in einer Demokratie. Die einen ja eher aufweicht als abhärtet.
Das beschäftigt mich gerade, über jede Datenerfassung, die ich eh lächerlich finde, hinaus. Es gibt keine Übereinkunft zwischen einem Status quo und mir. Es gibt keine Harmonie mit mir. Und zwar: Deshalb.
Pardon, ich bin betrunken, aber dieser Gewißheit mußte ich Ausdruck verleihen.