Die Dschungel bibliografieren. deutsches literatur archiv marbach. Auf eine Anfrage. Mit einer nachträglichen poetologischen Bemerkung zu Genese und Phänomenologie Der Dschungel.

Sehr geehrter Herr Laube,

Ihre Anfrage ging gestern bei mir ein. Selbstverständlich freue ich mich über Ihr Anliegen, zumal Die Dschungel seit etwa zwei Jahren immer wieder Gegenstand akademischer Überlegungen geworden sind und oft auch bereits zitiert werden. Da ist eine Bibliografierung fast notwendig.

Ein paar Hinweise/Fragen habe ich allerdings.
Als wichtigstes: Viele der Kommentare, aber auch ein paar direkte Einträge, vor allem in der >>>> Rubrik TAGEBUCH stammen nicht von mir; einige Beiträge wiederum andernorts, die mit anderem Namen als meinem gezeichnet sind, stammen durchaus von mir: das geschieht im Interesse meiner poetologischen Konzeption einer >>>> bricolage, sagen wir einfachheitshalber: Vermischung von Realität und Fiktion (die das genannte literarwissenschaftliche Interesse gerade bindet). Ich möchte nicht gerne aufdecken, welche literarischen Figuren fiktiv sind, welche nicht; übrigens auch nicht im Interesse meiner Die Dschungel mitschreiben Autoren, die ja ganz bewußt anonym bleiben; einige davon haben ebenfalls längst ihrerseits aus ihrer Realperson fiktive Dschungel-Personen abgespalten.* So etwas ist in Der Dschungel literarisches Prinzip. Das hat nun aber auch Folgen für die urheberrechtliche Behandlung durch >>>> Ihr Literaturinstitut. Von meiner Seite aus besteht da überhaupt kein Bedenken und sicher auch keines von Seiten meiner Mitautoren. Nur kann ich deren Zustimmung nicht einholen, weil sonst die Pseudonyme eröffnet würden. Wie halten wir es also damit?
Ein Ähnliches gilt für die Kommentare anderer, die ja ganz oft Plattform für meine weiteren Überlegungen geworden sind und immer wieder neu werden: ohne sie sind einige Passagen der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens überhaupt nicht denkbar. Die meisten dieser Kommentatoren kenne ich aber nur als das Anonym, das sie sich für die Kommentare gewählt haben.

Hier liegen, glaube ich, Probleme, die einer auch rechtlichen Lösung bedürfen. Einstweilen würde ich das “italienisch” regeln: So lange niemand richtig schimpft, läßt man es laufen. Ich möchte Sie nur auf diese Problemlage aufmerksam gemacht haben, obwohl darüber wahrscheinlich längst heftig >>>> in Ihrem Haus diskutiert worden ist.

Eine letzte Frage noch, was die öffentliche Zugänglichmachung betrifft: Wie halten Sie es da mit den Meldungen an die VG Wort? Gerade in meinem Fall, der ich wenigstens die Hälfte meiner Arbeitszeit auf Die Dschungel verwende und bei dem es absehbar ist, daß die Netzpublikation eine noch immer weitere, zunehmend gewichtige Rolle im Autorendasein spielt und eines Tages vielleicht die noch einzige spielen wird, ist hier eine Regelung nötig, die auch die existentielle Seite meiner poetischen Existenz mit in Betracht zieht.

Diese Fragen eben an Sie, bevor ich am Montag meine Einverständniserklärung unterzeichnen und an Sie hinausgeben werde. Sie zu stellen, ist nötig, da Die Dschungel sich von den meisten Weblogs insofern unterscheiden, als sie eben nicht nur ein Publikationsorgan im Netz sind (das man sich ebenso als Printmedium vorstellen könnte), sondern eines, das eine Netz-Ästhetik als formende Grundlage hat, sozusagen Netz selber i s t – dadurch aber, gemessen an der normativ identifizierenden Urheberrechtsgesetzgebung, notwendigerweise in die genannten Konflikte gerät. Das Netz hebt Normationen auf. Dieser Spur folgen Die Dschungel seit ihrem Beginn.

Mit besten Grüßen aus Berlin:
ANH
>>>> Herbst & Deters Fiktionäre

[*) Das Verfahren ist freilich direkt aus >>>> den Romanen
in Die Dschungel übertragen, hier aber dann mit aktiver Realitätskraft
aufgeladen worden, weil, was ein Buch notwendigerweise als Fiktion erzählt,
hier de facto g e s c h i e h t; und Leser können das Geschehen unmittelbar
miterleben, ohne einhalten zu können, sondern es passiert vor ihren Augen.
Literatur in Der Dschungel – die in den Romanen eben immer “nur” Roman ist –
wird zu einer Lebensform. – Man kann sagen, daß meine Romanästhetik
in Der Dschungel wirklich wird.
Poetologie.
Kybernetischer Realismus.
]

10 thoughts on “Die Dschungel bibliografieren. deutsches literatur archiv marbach. Auf eine Anfrage. Mit einer nachträglichen poetologischen Bemerkung zu Genese und Phänomenologie Der Dschungel.

  1. “…. aber auch ein paar direkte Einträge” Lieber ANH,
    das sollten sie korrigieren. Seit dem 14 August 2006 schrieben oder schreiben Paul, Bruno, Terpsichore und montgelas im Tagebuch. Es verging in dem Zeitraum bis zu Bruno Lampes vorläufigen Ausscheidens am 4.10. 2007 kein Tag, an dem kein Eintrag war. Da ist die Formulierung “…. aber auch ein paar direkte Einträge” , was die Menge anbetrifft, einfach unzutreffend. Bruno Lampe, montgelas, Terpsichore und Paul Reichenbach sind Avatare realexistierender Personen. Und ich kann mir vorstellen, dass die etwas flapsig hingeworfene Bemerkung von den paar direkten Einträgen den TB-Schreibern nicht gefällt, weil sie der Realität nicht gerecht wird.

    In alter Verbundenheit
    Herzliche Grüße
    Ihr
    Lutz Hesse

    1. Lieber Herr Hesse, sehen Sie meine Formulierung bitte als von strategischer Natur an; es sollte uns die Vorstellung eine diebische Freude bereiten, wie sich nun in Marbach und andernorts, einfach, weil das dumme Urheberrecht das so will, ein ganzer Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Exegese begibt. Zugleich haben Die Dschungel per heute alleine von mir an die 12000 Originalbeiträge seit Entstehen (ich halte die Zahl bewußt ungefähr, um keine rechnerischen Anhaltspunkte zu geben, die jeder Computer aufs leichteste entschlüsselt, hat man ihn einmal recht programmiert); in diesen an die 12000 Beiträgen, es könnten auch nur 10000 sein – eine Dunkelziffer von 2000 macht dann schon zu schaffen, *lacht -, sind noch gar nicht diejenigen mitgerechnet, die in dem Vorgänger bei freecity erschienen waren, von dem wiederum das Marbacher Archiv – wahrscheinlich noch – gar nichts weiß; im Gegensatz zur Uni Innsbruck, von wo ich bereits gebeten wurde, diese alten Beiträge gelegentlich nachzureichen…
      Es lag mir also in meinem >>>> Brief an das Literaturarchiv wirklich fern, die Tagebuchschreiber als fernerliefen zu behandeln; im Gegenteil möchte ich >>>> das Chorische Tagebuch noch sehr ausweiten, nur daß sich bislang eben nicht sehr viele getraut haben, sich da einzugeben, oder sie zogen es vor, einen eigenen Blog zu gründen. Was ich wiederum verstehen kann.
      Darüber hinaus geht es mir aber auch um den Schutz vor allem Deters’ und Daniellos. Gerade letzterer hat eine Position. Seine Vernetzung mit Der Dschungel ließe die heikel werden, vor allem, weil er ja seit Jahrzehnten, kann man sagen, eine literarische Figur ist, die zudem immer mal wieder in ebenfalls heiklen Zusammenhängen in der Realität auftritt, sich mit realen Leuten trifft usw. in wiederum settings, von denen er sicher nicht mag, daß seine Auftraggeber davon erfahren; überdies ist nicht alles, was er tut, legal. Es ist mir über die Jahre gelungen, beide Personen zu rein literarischen Figuren zu machen, – selbst daß ich das hier so schreibe, wird meine Leser und vor allem Kritiker ganz besonders annehmen lassen, es handele sich um Figuren und n u r um solche. Nicht anders wird das mit Reichenbach und Lampe sein; zumindest bei dem erstgenannten bin ich mir nicht sicher, wer hinter ihm steckt. Ich will es auch gar nicht wissen, weil es sonst einen Focus der Entschlüsselbarkeit gäbe; da halt’ ich’s lieber informationsdienstlich mit einem tatsächlichen Weißichnicht. Was >>>> L. anbelangt (sind S i e L.?), hat die Sache einen besonders heiklen Aspekt. Ich will unbedingt vermeiden, daß etwas Ähnliches geschieht wie im Falle >>>> terpsichores. Soweit ich erfuhr, stellte sie ihre wunderschönen Texte hier nicht mehr ein, weil sie den Eindruck hatte, es könne ihre Anonymität nicht garantiert werden. U m sie zu garantieren, ist es – unabhängig von fiktionaler und/oder realer Wahrheit – absolut nötig, daß bei jedem Beitrag, der in Der Dschungel erscheint, die Vermutung besteht, es könne auch gut i c h ihn geschrieben haben – in der Matrix eines Verwirrspieles, für den mir ein wahrscheinlich mit Gründen anonym gebliebener >>>> “Webwatcher”, der freilich auch ich selbst gewesen sein könnte, >>>> in einer Wikipedia-Diskussion schon einmal das wundervolle Ehren-Wort “der Fälscher Herbst” angeheftet hat.
      Ihr
      ANH
      >>>> Herbst und Deters Fiktionäre.

    2. Postskriptum aus der Ferne. Natürlich verläuft eine solche Entwicklung nicht in Sprüngen. Manchmal vertut sich die Natur und erzeugt unhaltbare Wesen, und dann muss alles wieder in den Eimer. Natürlich dauert es eine unendliche Zeit, bis die Natur den richtigen Griff in den Müllkasten getan, bis so ein Geschöpf den richtigen Reifezustand erlangt hat! Für diese Entwicklung muss man mit Jahrmillionen nur so um sich werfen.

      Aus: >>>Werner Krauss „ Der Fälscher“ . Herausgegeben von Ruth-Eva-Schultze-Seitz, Tübingen 1984.

      PPS. H kann unmöglich L. sein, weil Deters L ins TB lancierte. Und Deters und H bisher , so weit ich weiß, sich noch nie begegnet sind.

  2. Was die paar läppischen Einträge von Jethro betrifft, da machen Sie sich urheberrechtlich keine Sorgen. Bin mit allem einverstanden, was in Ihrem Sinne ist.

    Jethro

    1. @ Jetro. Urheberrecht. Der poetischen Imagination eines Avatars ist das Recht, also auch ein Urheberrecht, ziemlich gleichgültig, sie interessiert sich nur für die Wirkung des Rechts. Die Kunst ist der fiktive Ort, wo eine solche Wirkung mit ästhetischem Gewinn beobachtet werden kann. Sie ist der Nichtort, an dem alle Orte gemimt werden, sie ist eine fiktive Zeit, in der alle Epochen gleichzeitig sind. (E.Lenk. Die unbewußte Gesellschaft, München 1983, Batterien 19, S.27) Und, ergänze ich, sie präsentiert uns, neben ihren Objektimaginationen ,auch außerhalb realer Gesellschaften, wirklicher Romane etc., in den virtuellen Lebenswelten der Netzerzählungen ein fiktives Personal, das sich der gerade gültigen Moral aufs Schärfste, und damit allen Recht-Gläubigen, phantasievoll widersetzt

    2. Das Material kann in Marbach ruhig kalt gehalten werden, interpretiere ich,
      Das ist auch meine Meinung. Hauptsache “un Personnage de fiction“ bleibt heiß !

  3. Die Wirklichkeit, die Archive und die Realität. Zur nach-postmodernen Romanästhetik. Das Leben als einen Roman betrachten (7). An Renate Giacomuzzi, Universität Innsbruck: “Nochmal zu Marbach und daß nun Marbach ein Teil meiner Romane wird.” Liebe Renate,

    nochmal wegen Marbach. Ich hab meinen Brief dahin >>>> hier in Die Dschungel gestellt; es gab auch schon gehörige Diskussion. Wobei mir, >>> in Zusammenhang mit dem, der Gedanke nicht aus dem Kopf geht, daß auf einer strukturellen Ebene auch die Archivierungsansätze dazu dienen sollen, aus den Dschungeln des Netzes ingesamt ein vom funktional-rechtlichen Zugriff umgegrabenes Ackerland zu machen, aus dem schließlich, wie im Münsterland, Wasserhähne aus der Erde schauen. Hiergegen steht freilich der Satz eines meiner Freunde: “Es gibt kein besseres Versteck als die Datenschwemme.” In der Tat, je größer und je gefüllter die Scheuer, um so weniger lassen sich Stecknadeln finden. Der Angelegenheit entspricht wohl auch das Verhältnis von geordnetem (normiertem) und wildem Denken.

    Zur Ortsangabe der Dschungel-Redaktion: Ich habe das so eingerichtet, >>>> weil es mir darum ging und eigentlich immer noch geht, daß die Deutsche Bibliothek in Frankfurt bibliografiert; für Berlin ist aber Leipzig zuständig, und von dort ist >>>> von Anfang an heftig geblockt worden; in Frankfurt sah das eine Zeit lang anders aus. De facto hat sich in dieser Hinsicht aber nun auch dort bis heute nichts getan. Das wiederum liegt an etwas, das der Gesetzgeber übersah: nämlich an den Kommentaren und daran, daß j e d e r Beitrag über sie quasi unendlich fortschreibbar ist; hinzu kommen die urheberrechtlichen Fragen: wem ist was zuzuordnen…gerade in Der Dschungel spielt das eine bedeutende Rolle, da die einzelnen – und immer wieder neue – Teilnehmer ja auch unter Pseudonymen schreiben; wer hier der Autor von was ist, dürfte allenfalls über eine stilvergleichende Exegese herauszubekommen sein. Die Arbeit, die so etwas macht, ist unabsehbar und gehört zu dem, was mein Freund mit dem Versteck in der Datenschwemme meinte. Man muß dabei bedenken, daß sich die pseudonymen Schreiber für die Beiträge ihrer Pseudonyme auch in Stilvarianten üben: Es gibt keine bessere Art, die Rollenprosa zu trainieren. Aus der Sicht normativer Gesetzgeber ist das selbstverständlich zersetzend; das soll es auch sein. Einstweilen gehen die Deutsche Bücherei in Leipzig wie die Deutsche Bibliothek in Frankfurtmain deshalb dazu über, erst einmal zu ignorieren. Das wird sich aber nicht durchhalten lassen, wenn Plattformen wie Die Dschungel zur Zitatgrundlage werden, wenn sich also etwa Universitäten und aus ihren Zusammenhängen entstehende Print-Publikationen immer wieder auf Die Dschungel und andere, strukturell ähnlich organisierte Publikationen beziehen. Du kannst Dir vorstellen, was das für die Vorstellung von Objektivität bedeutete, wenn in, sagen wir Habilitationsschriften, mit Argumenten umgegangen wird, die von literarischen Figuren stammen. Das hat ja den Witz einer kriminalwissenschaftlichen Abhandlung zur Methodik, die Sherlock Holmes als Ausweis heranzieht. Spannend und erhellend ist dabei, daß, so etwas zu tun, in der Sache durchaus berechtigt sein kann. Realitätskraft der Fiktionen. Ein Großteil meiner Poetik seit zwanzig Jahren arbeitet an und in diesem Wirkungsfeld.

    Du fragst noch wegen des Altblogs. Davon hat Marbach, meines Wissens, noch gar keine Ahnung. Und ich werd dem Archiv das auch nicht stecken, sondern darauf soll man dort von selber kommen – wie ja auch Ihr darauf von selber gekommen seid. Dann, aber nur dann, bin ich bereit, auch die alten Beiträge zur Archivierung und literarwissenschaftlichen Forschung freizugeben. Zu meinem Verfahren – man kann sagen: zu meiner erkenntnistheoretischen Strategie – gehört auch, daß ich hier darüber frank und frei schreiben kann; es müßte, bei der Masse der Dschungel-Beiträge, schon mit einem irren Zufall zugehen, wenn jemand ausgerechnet das findet, was er gerade auf seiner Spurensuche braucht. Begibt er sich aber auf Spurensuche, wird er zum Scout durch eine Dschungel, die genau davon zunehmend wirklicher wird.

    Ich muß wohl kaum besonders betonen, daß es ein eigener Teil der selbstreferentiellen, bzw. autopoeietischen Strategie Der Dschungel wie meiner Romane ist, über die gleichzeitige Veröffentlichung dieses Briefes in Der Dschungel überhaupt erst oder m i t herzustellen, was ich thesenhaft den Konnex der wirkenden Realität nenne. Die gleiche ästhetische Funktion hat es nämlich, wenn ich in meinen Romanen immer wieder real existierende Personen auftreten lasse und mit erfundenen mische. Ich tat das bereits sehr früh, 1983, in DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS, und habe es im WOLPERTINGER bis in die Verstellung der zugleich kenntlichen und auch kenntlich benannten Personen getrieben, seien sie nun Personen des Öffentlichen Lebens (etwa Gerard Depardieu, der dort mit Arnold Schwarzenegger und Dolph Lundgren gekreuzt wird), seien es solche meines privaten Umkreises. In ANDERSWELT setzt sich das bis in die Versteigerung einer Romanrolle bei ebay fort. Ich glaube, d a bist Du die erste gewesen, den Zusammenhang mit der Ästhetik zu erkennen. Auch hier fand eine Vermischung statt: des Versuches, meine objektiv existente (reale) finanzielle Not zu mildern, mit zugleich der Erfüllung (Realwerdung) eines poetologischen Vorhabens. Eines ist in meiner Poetologie n i e ohne das andere zu haben; das betrifft eben auch meine reale Existenz.

    [Poetologie.
    Kybernetischer Realismus.]

    >>>> Das Leben als Roman 8
    Das Leben als Roman (5) <<<<

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .