Shankars neue Produktion ist von dem leider nicht frei, allzu sehr wirft sie mit den Speckseiten nach dem Applaus. Unterdessen, nachdem ich zuvor >>>> Hélène Grimaud mit Schiller gehört habe, kommt es mir so vor, als hätten die großen Schallplattenfirmen ihren Künstlern geradezu die Direktive erteilt, unbedingt an den Mainstream zu denken. Dabei, seit >>>> meiner ersten Begegnung mit ihr, schätze ich diese Musikerin. Doch schützt das nicht vor Kritik.
Vieles auf dieser Platte ist banal rhetorisch. Sie bedient Erwartungen, formt nicht, geschweige daß sie transzendierte. Dazu fehlt allerdings auch die gerade östlichen Dynamiken, um etwa an >>>> Imrat Khan zu denken, nötige Zeit. Wo uns im klassischen Raga die Wiederholungsmuster allein durch die Dauer – bei in der Töneharmonik meist versetzten, bzw. um oft Nuancen verschobenen Phrasierungen – in intensiv meditative Zustände versetzen, bleibt die Wiederholung hier Wiederholung, also banal. Daß nicht selten arabische Sehnsuchtsklänge in die indischen Harmonien übergehen, mit denen sie ohnedies verwandt sind, führt in Shankars Land of Gold nicht wirklich zum Aufhorchen, erst recht dann nicht, wenn sie sich in europäischen Standards aufheben oder der umgekehrte Weg gegangen wird: so im vierten Stück, „Dissolving Boundaries“, dessen Reiz sich in einer untergelegten Stimmencollage erschöpft, als liefe im Hintergrund ein Radio mit. Dazu gibt der programmierte elektronische Beat den Stücken oft etwas Kindliches, als stampfte ein Mädel oder Bub dauernd mit dem Fuß auf. Entsprechend sind die Melodien nicht selten kinderliebhaft, bzw. erinnern an adoleszenten Folk, zum Beispiel das der CD den Titel gebende, von Alev Lenz zu sehr gefälligem Cello gesungene Lied, über das Shankars Sitar weniger improvisiert, als daß sie bestärkend etwas kommentiert, das schon als Text allzu bequem ist. Alles ist wie für unentwickelte Ohren geschrieben, denen das scheinbar Fremde vertraut-regressiv verpackt werden muß. Es wird quasi nichts vom Hörer erwartet, die Musiker betten sich in Gefälligkeit – auch im dritten, „rappigen“ Stück, „Jump in“, das schließlich nur noch nervt. – Doch keine Frage: Hätte man sich Zeit gelassen, um die musiksynkretistischen Ansätze, die mir ausgesprochen zusagen, sich musikalisch entwickeln zu lassen und sie auch mal ausbrechen und überborden lassen, es wären zwar weniger CD-Tracks geworden, vielleicht nur zwei oder drei. Die aber hätten in etwas wie musikalische Erleuchtung führen können, statt im pop-ästhetisch behaupteten Ineinander klebenzubleiben.
Politisch betrachtet ist die Nähe damit vertan, die avisiert werden sollte. Kunst, schrieb Benn, sei das Gegenteil von gut gemeint: Shankars Ethnopop macht den Ausdruck von Solidarität zu einer gut zu verscherbelnden Ware. Genau dies ist ärgerlich, zumal sie‘s ganz sicher nicht wollte, sondern, ecco Benn, nur „gutgemeint“ hat. Zu gut vielleicht, für Kunst.
So wird denn auch Pavana Reddys an sich ausdrucksstarkes Gedicht „Remain the Sea“ – ruhig und dunkel von Venessa Redgrave gesprochen – harmonisch, ja harmonisierend verkitscht, anfangs sogar so, wie man im deutschen Schlager der Fünfziger orientalische Nächte unterlegte (jedenfalls, was man dafür hielt), und der dann chaconneähnlich drunterlaufende, ohnedies beschwörungshafte Chor („Hara Ring/Hara Rung/Hara Ring Rung Hung“) vom Herzschlag des Synthesizers schlichtweg verdoppelt, was das ohnedies schon allzu Rhetorische noch unangenehm verstärkt – ein Umstand, den ebenfalls Zeit aufgehoben hätte, hätte man nämlich dem Muster erlaubt, zum Mantra zu werden. Es ergänzen sich die kulturell verschiedenen Zeitbewußtseine hier eben nicht, sondern das westliche Diktat der Knappheit, das Zeit als begrenzten Wertstoff sieht, nimmt der östlichen Kontemplation den Atem, kürzt sie quasi weg und verkleistert diese Kastration als Wohlklang für alle. Übrig bleibt ein allerdings umso (ein)gängigeres – „für alle“ halt – Behauptetes, und das Muster, pattern, wird zum Klischee –
– … wäre dann nicht eben d o c h ein Ausbruch:
„Den Rubikon überschreiten“, bezeichnenderweise, heißt das durchaus rhapsodische (von ῥαψῳδία) Stück. Es überschreitet ihn und geht also ein Risiko ein. Genau dies hebt es aus dem sonstigen Gefälligkeitsbrei heraus und steht damit, viel mehr als das Titellied, für das, was Shankar „eigentlich“ bewirken wollte. Man sollte es, es ist die Nummer 8, unbedingt sehr laut hören, damit sich seine Dynamik entfalten kann.
Das Stück dauert nicht grundlos mehr als doppelt so lange wie jedes andre dieser Platte. Es hebt mit einem perkussiv untersetzten, mandolinenartig flirrenden Vorspiel an, das in die Vorstellung des Themas führt, über welches Sitar und Klavier meditativ improvisieren, immer mit ein bißchen Glöckchenklimpern der >>>> Ghungroo, bevor besonders die >>>> Pakhawaj den Rhythmus anzutreiben beginnt, wohinein, nachdem sich das Stück immer leiser werdend, ja morendo, gedreht hat, so plötzlich wie lebenfordernd die >>>> Shenaj bläst – und zwar, das ergreift unmittelbar, wie eine heftig rufende menschliche Stimme. Dazu versetzen sich die Rhythmen gegenläufig, selbst das sogenannte Beat Programming wirkt hier an tatsächlich großer Musik mit, die sich die Zeit nun endlich auch nimmt, die sie braucht. Dann erliegt der Ausbruch, sinkt verebbend in die Stimmung des Vorspiels zurück. Was in den erlösenden, weichen Gestus des neunten Stückes leitet, des zweiten guten der CD:
„Say your prayers“ ist ein leiser instrumentaler, mit zurückhaltend und darum elegant gutturalem Baß unterlegter G e s a n g – einer, dem die angestrebte Vereinigung, und ohne jedes Auftrumpfen, nun auch gelingt: Der Rubikon ist überschritten. Selbst die Glöckchen vermitteln kitschlose Schönheit und, ja, Wahrheit. Wie gerne, ach!, ich ich die CD damit hätte mögen aufhören hören!
Aber die dahingetändelte Ohrwurmigkeit der Nummer 10 – programmatisch „Reunion“ geheißen – wirkt nun geradezu, unbeabsichtigterweise freilich, höhnisch, wenn sie nach einer durchaus noch nachvollziehbaren Rückkehr in den klassischen Sitargestus vermittels jazzstandardisierter Klavierphräs‘chen zum banalen Tanzsatz wird, der ein bißchen nach irischer Volksmusik klingt, aber sich in seinen Wiederholungen und den draufgesetzten Glocken plus noch obendrein lächerlichem Gänsechor geradezu werbeverkitscht – mir fiel was wie „Vernell“ ein oder irgend ein sonstiges musikalisch an die Hausfrau zu bringendes Weichspülungsmittel. Daß allerdings dieser letzte Track wie mittendrin wegbricht, als hätte er seine Verlogenheit plötzlich erkannt und schlüge sich erschrocken selbst auf den Mund, hat Wahrheit dann aber d o c h: daß Erlösung nämlich nicht ist. Bau dir kein bleibendes Haus. Also sitzen wir schließlich unbefriedigt, ja ernüchtert da. Manchmal erkennt auch der Mainstream sich selbst.
Anoushka Shankar
>>>> LAND OF GOLD
Max Baillie: Violine und Viola | Caroline Dale: Cello | Arif Durvesh: Tabla | Mitch Jones: Klavier | Akram Khan: Ghungroo | Larry Grenadier: Baß | Anoushka Shankar: Sitar | Sanjeev Shankar: Shehnaj | Pirashanna Tevarajah: Ghatam, Kanjira, Pakhawaj, Miradangram, Moorsing
Matt Robertson, Manu Delago, Blaqstarr: Perkussion, Hang, Beat Programming
M.I.A, Alef Lenz, Venessa Redgrave: Gesang und Rezitation
Corzano e Paterno Choir
Vokalcollage: Chris Kemsley
Der Trailer zur CD: