Es ist mir einfach zu wenig Geld, das der Verlag mir für den → Zilts als Gothic Novel bietet, unehrenhaft zu wenig. Es gingen nun vier Briefe hin und her, schon in meinem ersten war ich unter die Summe gegangen, die ich mir eigentlich vorgestellt hatte, woraufhin der Verleger in seiner Antwort eine für mich eben inakzeptable anbot, der ich in meinem letzte, vorgestern geschrieben, einen noch immer sehr weit unter meinem ersten liegenden Vergleichsvorschlag machte, auf den ich bislang keine Antwort bekommen habe. Wird auch heute geschwiegen, werde ich morgen Pavlenko schreiben, er möge bitte noch nicht anfangen, Entwürfe zu zeichnen, oder, falls er schon welche habe, damit einstweilen aufhören; viele Ideen habe er, hatte er mir zuvor noch geschrieben, nämlich schon.
So dringend ich auch Geld b r a u c h e , darf „Not“ (angesichts der Ukraine eh ein lächerliches Wort für mein Leben) meine Entscheidungen ebensowenig diktieren wie die Freude an einer in Aussicht stehenden, bzw. in Aussicht gestandenen hochkünstlerisch graphischen Interpretation einer meiner phantastischsten Erzählungen wie also eben auch Ruhmsucht. Sich eine Handlung von finanzieller Enge aufnötigen zu lassen, ist auch eine Form des Korrumpiertseins. Und wenn eines nach meinem Tod absolut unumstößlich gewesen sein soll, dann, daß Alban Nikolai Herbst niemals, niemals, niemals korrupt gewesen ist. Es ist das einzige Erbe von Wert, das ich meinem Sohn werde hinterlassen können und hinterlassen will.
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[Arbeitswohnung, 10.28 Uhr
France Musique contemporaine:
Bruno Mantovani, D’une seule voix]
Dafür war gestern der Abend gut, der späte Abend sogar schön. Erst war mein Sohn hier und wir sprachen lange; auch er hatte ein neues Tattoo, und zwar nach einem Foto des der → Sonderausgabe meines Béartzyklus‘ beigelegten Stilettos von Cudeman; — sowie das Tattoo abgeheilt ist, werde ich es an meinem Sohn fotografieren und in Der Dschungel einstellen. Ich meine, mein knapp Dreiundzwanzigjähriger hat so die Béarts geehrt! Da muß der Vater stolz sein. |
Und wie raffiniert er’s getan hat! Über den Ellbogen hinwegtätowiert, so, daß sich die Klinge einklappt, winkelt er den Arm an, und wieder aus, sowie er ihn streckt.
Und dann habe ich mich ganz begeistert festgelesen, nämlich in Peter Giacomuzzis → Briefe an Mimi, einen, nun jà, Roman ..?, der eigentlich eine Collage aus den Liebesbriefen ist, die ein Mann einer schon in der Kindheit des Dichters alten Dame geschrieben hat, und Assoziationen dazu, poetischen Miszellen und Parallelführungen zur Gegenwart sowie zuweilen historischen Erläuterungen, etwa über Häuser, die es heute nicht mehr gibt, und der Situation, in der sich Südtirol vom Beginn der Dreißiger Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs befunden hat und was dies mit den Menschen machte, teils nach wie vor noch tut. Die oft dunklen Eigengedanken Giacomuzzis etwa zur digitalen Welt bestechen quasi gegen ihren Pessimismus in ihrem poetischen Ton:
die Dolomiten (…) sind der in fels gehauene ethnische konflikt.
Und mir besonders nah:
die welt sind meine sinne. alles andere ist religion.
Bei Seite 114, etwa der Hälfte des solide eingebundenen Buches, hörte ich gegen 22.30 Uhr zu lesen dann auf. Tagsüber allerdings, bevor ich an den Triestbriefen weiterschrieb, nämlich bereits morgens, begann ich eine neue Serie, und zwar das Protokoll eines Medikamenten-, ich schreibe mal, —versuchs, den ich jetzt, in meinem seit (fast zu) langem wieder alkoholfreien Monat einigermaßen risikofrei starten konnte. Worum es genau geht, lesen Sie, Freundin, → dort. Nur der erste Beitrag dieser Serie wird auf der Dschungel-Hauptsite stehen, alle weiteren finden sich dann im → Krebstagebuch, werden aber miteinander eigens so verlinkt sein, daß Sie von dem ersten Text lässig zu den nächsten Beiträgen weiternavigieren können. Wenn Sie denn mögen. Jedenfalls ist mir momentan, nachdem ich nach draußen war, um mein italienisches Lindnerbrot zu besorgen, von dem PREGABALIN, ein wenig „taumelig“; das Wort trifft es ziemlich gut. Sowie ich aber sitze, schreibe und Musik dabei höre, wird der Kreislauf wieder linear. Was auch recht spannend ist. Machen wir uns bewußt, wie enorm chemische Mittel auf uns einwirken, doch ebenso, daß es ebenfalls chemische „Mittel“ sind, die uns ohnedies konstituieren, wird deutlich, wie chemisch determiniert wir insgesamt, also auch natürlicherseits sind — so daß wir gar nicht sagen können, was wirklich ist und was nicht. Womit wir sofort in der Konzeption meiner literarischen Ästhetik zurücksind und ganz besonders in der sich nun, gegen Ende der ersten Fassung, zuspitzenden „Botschaft“ der Briefe nach Triest.
An der ich gestern saß. Zwar nicht nach Anzahl der Seiten (momentan täglich neue etwa drei), doch in dieser Zuspitzung bin ich sehr gut weitergekommen, weiß allerdings nicht, ob ich den Übergang, wie er jetzt dasteht, so werde lassen können:
Magisches Denken, Geliebte,
30. August
David Ramirer, d o t s für Rahel (2017)so wird etwas Ähnliches bei Kindern genannt, ein Blütenblätterzupfen, wenn Du so möchtest: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Bis wir es wissen und hüpften über die Pflasterung, demn wenn wir es schafften, mit den Schuhen keine der Fugen zwischen den Steinen zu berühren, würden wir auch die Mathearbeit nicht verhaun oder es gibt hitzefrei. Doch ist dies ein Andres, magisch nämlich in der Tat. Ich habe vor der Flixbushaltestelle gestanden, das Foto beweist es, beweist es mir selbst, und möglicherweise oder sehr wahrscheinlich sind Du und ich tatsächlich im Revoltella schon gewesen, selbst dann, wenn ich noch gar nicht in Triest war. Die Carsomarer Venus hat zu sehr protestiert, die Lenz nach Deinem Leib gestaltet hat und vielleicht nach ihm nicht nur. Ach Amphitrite, die mir schon vor sechzehn Jahren vollendet für die Schönheit galt! Das Werk als Ausdrucksform des Lebens., des meinen anders nicht als Klingers. So falten wir die Wirklichkeit. Ach, tu da doch ein bißchen mit. Die Illusion sei das, schrieb Louis Aragon, Fleisch auf den Dingen. Fast sechzehn Stunden, ich erinnere mich, währte meine Busfahrt nach Triest. Sie ging über Prag, Klagenfurt und Ljubiljana. Die Sonne gleißte, als wir den Karst die Serpentinen in Deine Stadt hinabgefahren sind; ich hatte kaum vier Stunden und auch mehr nur gedöst als wirklich geschlafen und kam doch völlig ausgeruht an.
Doch das soll die Überarbeitung zur zweiten Fassung zeigen. Jetzt wird erstmal bis zum Ende weitergeschrieben.
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→ Briefe nach Triest 63
Bene, jetzt die tägliche Frühjstückscaprese, dann an die Briefe.
Ihr
ANH
[France Musique La Baroque:
Bach, Cantate BWV 201]