Das Ungeheuer Muse (10). ERSTE ZWISCHENERZÄHLUNG: Berichtigung und die Puppe. Orpheus & Eurydike. Konzerthaus Berlin.

Ein bißchen sauer kam >>>> Ernst-Burghard Hilse, Flötist des Orchesters und Vertreter des Orchestervorstands, auf mich zu, verbindlich sauer, möcht ich das nennen… „Das ist Unfug, was du >>>> da geschrieben (11.16 Uhr) hast. Wir haben in der DDR v i e l Neue Musik gespielt, mehr wahrscheinlich als ihr in Westdeutschland. Also das ist wirklich ein Vorurteil, und auch, daß wir Vorbehalte hätten. Es gibt nur furchtbar viel s c h l e c h t e Neue Musik, und wir brauchen es, daß man uns befeuert. D a v o n wachsen wir. Außerdem, wirklich, Alban!: Křenek i s t doch gar keine Neue Musik.” Womit er völlig recht hat; das Stück ist noch keine neunzig Jahre alt. Dennoch wird es, wie ja auch Schönberg, Berg, geschweige Webern, nach wie vor von zumindest einem Großteil des Publikums wie Neue Musik empfunden.

Jetzt aber, Leserin, endlich >>>> zur Puppe. Alma Mahler, die sich einen „männlichen” Liebhaber wünschte, einen Helden, könnte man in aller Vorsicht sagen (Frau Mahler, wiewohl mit Gustav Mahler verheiratet, war auch von Antisemitismus durchaus nicht frei – großzügig sah man’s ihr nach, der Liebhaberin nach, als die sie Muse war) – …Frau Mahler jedenfalls schickte Oskar Kokoschka in den Krieg, damit er sich „beweise”. Er tat’s und „versagte”. Da nahm ihn die Geliebte nicht mehr an. Er wurde schier wahnsinnig davon; überdies litt er seit je unter Eifersuchtsrasereien, durchaus auch auf Frau Mahlers Ehemann. Anna Mahler, Alma und Gustav Mahlers Tochter, behielt davon zeit ihres Lebens ein Trauma. Als nun allzu deutlich war, daß er die Geliebte verloren habe, ließ sich Kokoschka eine körpergroße Puppe anfertigen, die Alma Mahler so ähnlich wie nur möglich war. Diese Puppe kleidete und entkleidete er, er kaufte ihr Dessous, er mietete Droschken, die sie tags durch Wien kutschierten, es war seine >>>> Venus von Ille. Dann, am Ende eines Gelages, das durchaus als Orgie habe bezeichnet werden können, köpfte er die Puppe im Beisein seiner Freunde: Orpheus, im Stück, bringt Euyrdike um. (Noch bei der Uraufführung von Křeneks Oper habe Kokoschka, wird erzählt, allezeit geweint… über ein Jahrzehnt nach dem Bruch. Und sehr zu recht fragte ein Musiker vorgestern: Was ist das denn gewesen mit dieser Alma Mahler? Zagrosek: „Man nannte sie die Musikvereinshure.” Das aber kann es wohl kaum erklären, daß sie bis ins hohe Alter so einflußreich auf viele Größen ihrer Zeit war; noch Leonard Bernstein hing an ihrem Rock. Sie sei, las ich an anderer Stelle, schon früh eine meisterinnenhafte Fellationistin gewesen. Nun ja, wer wollte es wagen, das einer Frau, die Frau i s t, streitig zu machen?)

Nun aber die Pikanz der Gegenwart. Karsten Wiegand fand einen Puppenbauer in Wien, der die Kokoschkapuppe nachgestalten sollte; das wollte der auch gerne tun. Aber er verlangte für die Puppe, daß sie eine Begleitperson bekäme, um sie zu schützen, vielleicht auch, um sie abends zu entkleiden, vielleicht, um ihr zur Nacht vorzulesen, ihr beizuwohnen, möchte ich denken, sie morgens anzukleiden, ihr das Haar zu richten und ihre Reise nach Berlin zu beschützen, wo diese Begleitperson dann, mit oder ohne Puppe, hätte ein gutes Hotel gehabt und Tagegeld und sowieso ein Honorar… An sich, finde ich, hätte man darauf eingehen müssen; es wäre ja der Schauspieler, der sich nun der Puppe – einer anderswo gefertigten – annimmt, eingespart gewesen. Und Kokoschka hätte eine Ehrenbezeugung erhalten, die kaum ironischer vorstellbar ist.

(Daß mir Kokoschka/Křeneks Orpheus so nah ist, hat >>>> einen deutlichen Grund. Ja auch bei mir sitzt eine Puppe auf dem Ofen, nur daß ich ihre Geste genieße, die Arroganz, mit der sie abweist.)

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4 thoughts on “Das Ungeheuer Muse (10). ERSTE ZWISCHENERZÄHLUNG: Berichtigung und die Puppe. Orpheus & Eurydike. Konzerthaus Berlin.

  1. bei Ingo Schulze ist es ein bild, ein foto von der Muse, das er immer wegwerfen möchte, aber dann tut er es doch nicht. Schließlich zerreist er es, aber dann hebt er eine Hälfte auf, nur noch ihren Mund, aber dann ärgert er sich, dass er nur den Teil des Fotos mit dem Mund aufgehoben hat…aber er weiß nicht, warum er sich ausgerechnet darüber ärgert.

    1. @biker (3). Da Sie so für Schulzes Roman kämpfen, was mir allmählich sehr sympathisch wird – ich mag Leidenschaften: vielleicht legen Sie einen Link auf das Buch direkt; es kommt nicht selten vor, daß Dschungel-Leser dann bestellen. – Nein, das ist keine Ironie jetzt: Sie insistieren; das gefällt mir. (Wahrscheinlich fange selbst ich noch an, es zu lesen.)

    2. ich wollte vor allem auch hierauf verlinken, weil sie gestern sagten, er würde immer nur gefallen wollen…hier zum Beispiel stellt er einige unbequeme Forderungen auf, ebenfalls kaitalismuskritisch: Auch er sagt, dass Literatur nicht käuflich sein darf.
      http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/265/314165/text/
      Ich denke, damit wäre ihr verdacht, dass er immer nur nach dem Mund redet, vom Tisch.

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