Arbeitsjournal. Sonntag, der 20. Januar 2008.

5 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Morgenzigarette und latte macchiato. Hier sieht’s aus wie nach überstürzter Abfahrt, ja Flucht, aber ich kann mich nicht drum kümmern, weil ich, nachdem ich gestern einfach nur die Seele hängenließ und gar nichts mehr tat, sofort an die >>>> Volltext-Rezension und vor allem die BAMBERGER ELEGIEN gehen muß, die bis Anfang Februar… nein: bis zum 1. Februar… abzugeben sind. Das sind jetzt elf Tage, so daß ich jeden Tag strikt eine Elegie und etwas von der je weiteren werde überarbeiten müssen, um pünktlich zu sein. Und der Aufmacher für die Zeitung der >>>> Komischen Oper und ihre Bohème-Premiere ist zu schreiben, ebenfalls bis zum 1. Februar. (Ich wechsle mal auf Peife, denn ich will nicht, daß immer mal Asche auf den neuen Laptop fällt)… – Einige Post lag trotz ausgehängter Bitte, sie vorn im Geschäft abzugeben, im Briefkasten, zwei Päckchen lagen bei Nachbarn, darunter eines, das >>>> E.A.Richters neuen Gedichtband >>>> Obachter enthielt. Schöne ruhige, ein wenig brüchige Verse zuweilen, ich las gestern nachmittag schon hinein.
In mir Tod. Es gibt so viele schreckliche Ereignisse, unausweichliche Ereignisse, solche, auf deren Boden knöcheltief die Hilflosigkeit steht, und man muß hindurchwaten – nicht die meine, ich hab ja immer nur Finanzprobleme, aber bei den Freunden, bei Verwandten… daß ich, seit ich vor einer Woche auf diese Reise ging, ständig über dieses eine Gedicht nachdenke, das davon reden soll. Aber eben völlig inkonkret, wortlos, immer wieder fliegt mir zwar eine Zeile davon zu, nur eine, oder eine Gebilde von dreivier Wörtern, aber meist hab ich dann grad nichts zum Schreiben zur Hand und denk mir, das notierst du später; dann aber hat sich’s bereits vergessen und ist auch nicht wiederherzuholen, sondern hat sich verflogen, verpustet. Der Freund, dessen pubertierender, abgerutschter Sohn nun in der Klinik ist, nach einem Gerichtsbeschluß, und der dort randaliert hat bis hin zu einem Polizeieinsatz in der Klinik, den man aber nicht dabehalten wird, weil er sich jeder Untersuchung verweigert, den man hinausgeben, in ein betreutes Wohnen verbringen wird, bei dem er sich den Grad der Betreuung noch selbst aussuchen kann, so daß es g a r keine Betreuung mehr geben und er seinen Eltern entgleiten wird, auf der Straße landen mit allem, was daranhängt, bei einem der gerade vierzehn ist und schon im Alkohol hängt und wohl in Drogen, und er geht nicht mehr zur Schule, hängt dann nur noch mit den quasi-Punks rum, wie bei uns hier, vor Kaiser’s, mit Hunden und Plastebechern für das erbetteltes Kleingeld. Der andere, der ältere, Freund, der nach über zwanzigjähriger Trockenheit wieder im schweren Alkoholismus angekommen ist und nur noch schwer schwankte am Freitag, in der Nacht, und der dann einfach umfiel wie ein Sack, sich die Brille zerbrach, überm linken Auge die Platzwunde; gemeinsam schleppten wir ihn hinab, schleppten ihn ins Auto, schleppten ihn daheim hinauf, und als ich ihn aufrichtete, aufzurichten versuchte, und er saß endlich, und er sah mich und sagte: „Ich möchte nur noch sterben.“ Was blieb, als normativ zu sagen, zu bestimmen: „Das ist noch nicht nicht die Zeit“? Die Freundin dann, deren Lebensgefährte nach einem Gehirnschlag sich zwar leidlich erholt hat, aber sich zu infantilisieren beginnt, ein 60jähriger Mann mit den albernen Freundlichkeiten kleiner Kinder, ihrer Gestik, ihrem flachen Verständnis von Ulk. Und diese bemerkenswerte, starke Frau muß realisieren, keinen Mann mehr zu haben, sondern ein Kleinkind, das versorgt werden muß… Schließlich meine Mutter, eine starke, starre, unbedingte Frau, hilflos zurückgeworfen nun in der Krankheit, das Gesicht von seltsamer Schärfe, als wüchsen die Knochen des Gesichts und würden rein kubisch, doch scharf… und sie wimmert, wenn man sie anrührt… und daß auf mich da eine Entscheidung zukommen wird, wenn nicht ein Wunder geschieht. Daß ich werde sagen müssen, es ist nun genug, weil sie es selbst nicht mehr sagen kann vor lauter Opiaten. Diese Zeilen aus der Neunten Elegie:

(Droht uns nicht sie, eine unstolze Art der Vernichtung?
daß wir die Krieger, die aufrecht ˇfallen, beneiden
müßten, und sabbern nicht über die Jahre? so ehrlos
Pflegern in Obhut gegeben, die’s besser nicht können,
weil sie die eigene Zukunft mit ansehen müssen;
sieht da nicht jeder ˇirgendwann weg, um sich selbst
und um die Seinen zu schützen, die fordern den Vorrang
rechtens… und fühllos, scheint’s, muß man verwalten, den eignen
Kindern verpflichtet – dem Leben, das wird und nicht geht.
Tiere, die sterben wolln, ziehn sich zurück wie Indianer;
uns ist’s verboten; wir kommen, die weggehn, ins Heim.)

Will ich, daß jemand mit ansieht, ˇwie sich mein Leben so ausscheißt?
der mir das Arschloch ˇwischt, seine Ärmel bespritzt und die Handschuh,
falbgelbe dünne aus Plastik, von Senilitätsexkrementen
schmierig, und nicht als ein Mann gehen, der sich gewehrt hat? – (- / -)


Nun ist man damit s o konfrontiert. Das geht alles durch mich durch, nicht laut, sondern wie aus den Fußsohlen unter der Haut hinauf bis an die Brust angespannt. Und dennoch immer „Ja!“ rufen, weiter, „ja, ich will dieses Leben!“ N i c h t sich in die Lebensverneigung beugen. Das braucht eine seltsame Härte, geradezu gehämmert vor Liebe (denn ich muß nur meine Kinder anschaun und weiß: Da ist ein anderes Recht).

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 20. Januar 2008.

  1. es gibt „falb“ (ein fahles gelb) und es gibt „gelb“, „falbgelb“ gibt es nicht und klingt auch noch schlecht.

    1. @Dominativ & Ulrike N. Danke. Es läßt sich auch „gut“ ändern. Wobei nicht j e d e r Pleonasmus unnötig ist, sondern es pleonastische Formulierungen gibt, die mit nicht angeschlagenen Obertönen klingen. In diesem Fall haben Sie allerdings recht.

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