Arbeitsjournal. Freitag, der 7. März 2008. Mit Carl Johannes Verbeen, der wikipedia und der Frage, was denn damit gemeint ist, daß man “rechts” sei.

5.05 Uhr:
[Arbeitswohnung. Hindemith, Zweites Streichquartett.]
Ich hatte gestern abend auf >>>> das einfach keine Lust mehr und hab mich deshalb >>>> damit beschäftigt. So überzeugend, wie getan wurde, ist der zweite Film nicht. Aber vielleicht hat mich etwas anderes, das eben mit >>>> dem zusammenhängt, auch nicht recht aufmerksam sein lassen. Da braut sich nämlich seitlich dieser auch nicht ganz neuen Meinung, daß ich „ein Rechter“ sei (das belegt ja für einige schon mein Geburtsname), etwas Zweites zusammen: Nachmittags ging hier eine Email von >>>> Vigoleis.de ein, ich möchte doch endlich die schon seit zwei Jahren versprochene „Verbeen-CD“ schicken. Abgesehen davon, daß ich mich immer wieder mal frage, was „die Linke“ eigentlich meint, wenn sie jemanden „rechts“ nennt; da lauern ja ganze Begriffs-Inhalts-Komplexe, die sich hoffentlich nicht letzten Endes darauf reduzieren lassen, daß man eben nicht „links“ sei, egal… abgesehen davon habe ich jetzt also ein Problem. Denn ganz zweifellos ist Verbeen so, wie er jetzt dasteht, meine Erfindung; daraus habe ich wirklich nie einen Hehl gemacht; jedenfalls hat er mit jenem Verbeen, von dem, wie ich erzählte, >>>> Thelen erzählt, allenfalls die Körperfülle gemein und das eine und andere bizarre bio- und bibliografische Datum; unterm Strich aber ist er meine Figur und unterscheidet sich darin, eine literarische Figur zu sein, weder von Sherlock Holmes noch von Napoleon Bonaparte noch von, übrigens, >>>> B. Traven. Mit dem wäre dann mal eine Erfndung gemeint, die mir auch politisch nahesteht. Ich schließe meinen FREITAG-Text ja nicht von ungefähr mit einer Erzählung über >>>> Erich Mühsam. Da müßten die Herzen doch hüpfen vor Erkenntnis! Indes, man erkennt nur, was man kennt (oder erkennen will; das gilt auch für „die Linke“). Wer sich >>>> Verbeens Lebenslauf einmal gut durchliest, wer seine Publikationsliste durchschaut und wer auch nur einigermaßen ahnt, was im Literaturbetrieb los ist, der wird ihn sofort einzuschätzen wissen nach Gehalt und vor allem Funktion. Immerhin ist der literarische Text, aus dem das Hörstück geformt worden ist, >>>> öffentlich ganz einfach zugänglich; das kostet nicht mal Geld. Die Lektüre macht zum Beispiel Verbeens „riesigen Siegelring“ nahezu unmittelbar zu einer Reaktion; er wird Teil eines Lehrstücks darüber, >>>> worauf es offenbar ankommt; man kriegt sogar ein autobiografisches Foto dazu. Dabei hat die Sache einen regelrecht komischen Beigeschmack, weil der Verbeen-Artikel seit nahezu zwei Jahren in der wikipedia steht und kein Aas doch wirklich weiß, wer ihn nicht schon alles als Quelle benutzt hat. Und abgesehen davon kommt mir Verbeen wie eines dieser Kunstwerke vor, die >>>> Naegeli an öffentliche Gebäude sprayte und ihn über lange Zeit zu einem fast ebenso lange anonym bleibenden und schließlich angeklagten Halb-Kriminellen stempelten, dem im Verbeen-„Fall“ der Vorwurf entspricht, daß man >>>> ein Faker, ja sogar >>>> ein „Fälscher“ sei. Worauf >>>> bereits parallalie früh hingewiesen hatte, gibt es immerhin auch >>>> Kozma Prutkov, neben den in der Diskussion schon sowieso immer genannten >>>> Pilz und >>>> Bach. Auch die hatten, und haben sie noch, eine Funktion. Auf die Qualität eines vermeintlichen Fakes – daß und ob er nämlich >>>> Fiktion ist -, wird aber gar nicht geschaut. Sondern die Argumentation ähnelt frappant der zu Naegeli: Hier habe jemand (der übrigens nicht einmal ich selbst war) die sauberen Wände der Wikipedia beschmutzt und recht eigentlich ein Eigentumsdelikt begangen, vor allem an etwas, das den Begriff des (hier geistigen) Eigentums ganz bewußt und ganz zurecht sehr locker handhabt. Daß da also in der Wikipedia ein Kunstwerk entstanden ist und daß die Wikipedia die Leinwand dieses Kunstwerks war, geht in die Köpfe so wenig hinein wie so viele Jahre über Naegelis Kunst in die Köpfe des Zürcher Bürgertums. Es sind ein paar wenige, die’s allmählich begreifen und dann drüber schreiben, aber das liest erst mal kaum wer. Doch führen Auseinandersetzungen wie >>>> diese und >>>> jene schließlich irgendwann d o c h dazu, daß man über Verbeen eine schützende Holzverdeckung anbringen und ihn für „erhaltenswert“ erklären wird. Und schließlich, wer weiß es, werden seine Bücher so viele Jahre nach seinem Tod doch noch Bekanntheit und einen angemessenen Absatz finden. Wenn man Verbeen als eine Figur versteht, deren Aufgabe es ist klarzustellen, nach welchen Gesetzen und Umgängen Künstler zu Lebzeiten immer noch verschwiegen werden – nach welchen moralischen Kriterien unabhängig vom eigentlichen Werkgehalt und vor allem ihrer Form -, dann erst kommt man der Bewegungsgesetzlichkeit solcher Figuren sehr viel näher.
NUR: Wie soll ich das jetzt http://Vigoleis.de erklären? Ein Hörstück ist ein Kunst-Stück; tatsächliche Dokumentation schadet ihm; weshalb ich ja die entsprechenden Stellen aus den Thelen-Interviewbändern nicht einfach hinausgeschnitten, bzw. kopiert habe und dann ausstrahlen, sondern sie schriftlich vorgefaßt und von einem wundervollen Sprecher (>>>> Christoph Hagin) habe sozusagen nachsprechen lassen. Wenn http://Vigoleis.de jetzt anfängt, Original und Fiktion zu vergleichen und daraus Ansprüche abzuleiten, dann gnade mir Polyhymnia! Also das grummelt warnend in mir rum. Andererseits sollte man dann vielleicht >>>> Lieberknecht, der jetzt angefangen hat, >>>> die Diskussion auf einen zivilisierten Ton herunterzuschrauben, ebenfalls eine CD-Kopie zukommen lassen; dann hat er auf jeden Fall viel zu lachen und wird wahrscheinlich auch begreifen, worum es eigentlich, also aus meiner Künstlerperspektive, geht. Und wer weiß, vielleicht wahrt e r dann Verbeens literarische Rechte gegenüber http://Vigoleis.de. Denn daß >>>> da – übrigens nicht n u r, sondern es gab nach der Verbeen-Sendung auch bei der >>>> ZVAB Verbeen-Angebote (auch das >>>> belegt parallalie; ich meine, man kann bei der ZVAB ja mal nachfragen) – ein reales Buch aufgetaucht ist, war mir selbst eine Überraschung. Ich nehme an, daß von Amsterdam aus L. seine Hände im Spiel hatte, der für den Thelen-Nachlaß ja nicht ganz unbedeutend ist. Nun wollte ich meinerseits nie die Probe auf die Fiktion machen, sondern die Angelegenheit unangerührt lassen, einfach weil mich interessierte und immer noch interessiert, welches Eigenleben Verbeen nach der Ausstrahlung meines Hörstücks beginnen würde. Daß er nun fast zwei Jahre nachher in Form einer Löschdiskussion derart, ja: aufersteht, freut mich eigentlich. Denn es ist ja doch ein Jammer, daß man in monatelanger Arbeit eine literarische lebenspralle Figur schafft, nur dafür, daß sie nach anderthalb Stunden, weil allein für anderthalb Stunden in den Äther verstrahlt, für alle Zeiten wieder verschwinden wird. Jetzt erst erweist sie sich, auf diese paradox intervenierte Weise, als tatsächlich lebendig. Wer von uns allen kann also wissen, welche Spuren er fortan n o c h hinterlassen oder überhaupt erst in den Sand der Literaturgeschichte hineintreten wird? Man muß sie jetzt nur sichten und wahren. Und das – sollte ich nicht allein tun.

[Dallapiccola, Piccolo Concerto per Muriel Couvreux.]

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 7. März 2008. Mit Carl Johannes Verbeen, der wikipedia und der Frage, was denn damit gemeint ist, daß man “rechts” sei.

  1. Mühsam Nee, Mühsam zitieren reicht nicht, um nicht als “Rechter” zu gelten. Carl Schmitt zitiert beispielsweise Lenin, und das reicht auch nicht.

    1. @Zehrer. Zugestanden, aber wenn Schmitt Lenin zitiert, so wegen einer unbestreitbaren Nähe beider staatsautoritären wie überhaupt autoritären Denkens; in genau diesen Zusammenhängen “kommt” Mühsam nicht so gut. Zum anderen beziehe ich mich in diesem weil unpublizierten, so lustigerweise um so deutlicher wirkenden Artikel vor allem auf Ernst Bloch, besonders “Erbschaft dieser Zeit”, sowie auf Adorno. Ein Rechter, der das täte, könnte nicht ganz bei Sinnen sein.

      Tatsache ist allerdings, daß ich, je älter ich werde, desto mehr konservative Positionen beziehe. Aber eine Konservative in dem von mir verstandenen Sinn hat mit einer “Rechten” deutlich weniger zu tun als mit der “Linken”, mit deren Idee einer jederzeit machbaren Emanzipierung es sich allerdings auch nicht konform gehen läßt. Man zieht hier Bindungen vor, die ich eben in der kulturellen Herkunft sehe.

    2. @albannikolaiherbst Daher ist das ganze “Rechts”-“Links”-Gerede (irgendjemand hat das mal “politische Gesässgeographie” genannt) .letztlich irrelevant und höchstens als vorübergehender metaphorischer Masstab noch von Interesse. Sozusagen bevor dann Inhalte diskutiert werden. Als Zuordnung zu einer Position taugt es nicht, weil es auch immer schon verkürzend und entstellend ist.

      Das Problem ist, dass diese Attribute nicht so standfesten Diskursteilnehmern immer noch als beliebte Krücke dienen (damit sind nicht Kommentatoren hier gemeint). Sie hüpfen gerne und bereit auf das sich ihnen so klaffend darbietende Schema, weil es ihnen die inhaltliche Auseinandersetzung entweder verkürzt oder erspart.

      M. E. erhellendes hierzu auch in “Anschwellender Bocksgesang” von Botho Strauß (aber das kennen Sie sicherlich).

    3. zum Anschwellenden Bocksgesang. Ja, und wir wissen beide, welch irrationale Reaktionen er hervorgerufen hat. Sie zeigten, daß hier Denktabus wirken, namentlich in der “Linken”, während die “Rechte” doch gerade erst wieder bemüht ist, solche Tabus in die Welt zu setzen. Wer meine Arbeit kennt, weiß, daß ich bislang noch auf jedes Tabu losgegangen bin – und da interessiert es mich nicht, ob es sich um religiöse, politische oder soziale handelt. Nicht einmal meine eigenen – die es gibt – sind da vor mir sicher.

  2. lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum das wusste schon Ernst Jandl. Selbst- und Fremdeinschätzung haben beide ihre Tücken. »Ich liebe Euch doch alle!!« (Erich Mielke) – Mit Bloch liegen wir in der richtigen Kurve und kommen auch über Lukacz, Marcuse, Marx und Engels unweigerlich zu Hegel. Damit ist Ihre (ANH): »These, daß es unter anderem deshalb nicht zu einer neuen Formierung der deutschen Linken kommen könne, weil sie gar keine kulturelle, also für den deutschen Sprachraum deutsche Identität habe,…« sehr zu hinterfragen. Romantik, Sturm und Drang nur kurz erwähnt.
    Weiter diskutiere ich erst, wenn in den Freitag-Artikel kenne. (Es sei denn, ich fühle mich vorher zu einer erneuten Reaktion provoziert.)

    1. @JakovK. Unbestreitbarkeiten und die Liebe. Daß meine These nicht hinterfragbar sei, würde ich nie bestreiten und mit Voltaire alles dafür tun, daß ein solches Bestreiten auch möglich ist und ausgetragen wird. Allerdings mußsie dann auch publiziert werden. Ich formuliere ja nicht zuletzt deshalb Thesen, die mitunter auch Reflexe von Gefühlen, Ahnungen, manchmal einfach auch nur ungewisser Meinungen sind, die ich mir schon deshalb nicht wegschlucke, weil ich um die Wi(e)derkehr des Verdrängten an unguten, weil unerwarteten und dann oft gar nicht mehr als solche erkannten Stellen weiß. Ich irre mich lieber einmal mit Feuer, als daß ich ausgekühlt Recht habe.

      Solche Meinungen haben auch mit Liebe zu tun, auch mit Leidenschaft, in meinem Fall mit einer zu “meiner” Kultur. Nur daß, wenn ich einen Menschen liebe, deswegen ein anderer, den ich nicht liebe, nicht weniger wert ist. Eine Liebe, die sich auf a l l e Menschen erstreckte, würde keinen Menschen mehr meinen.

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