7.16 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Mir hat von der >>>> Villa Concordia geträumt, Bamberg wirft einen Seelenschatten, ein helles, aber leeres Licht voraus; es war ein Schachteltraum, ich trat in das Studio vom Kiesweg her, auf dem kein Kies mehr lag; ich weiß auch nicht mehr, wie dort hingekommen, denn kurz zuvor saß ich in einem engen Wagen, den ich nicht selbst fuhr, auf dem engen Parkplatz zwischen Bergen: Imbißkioske waren dort an die Felsen gedrängt; wahrscheinlich gab es eine Seilbahnstation, und ich war hergebracht worden, um auf jemanden zu warten, jemanden abzuholen vielleicht; man hatte mich über verschlungenste Autobahnkreuze hier hergefahren. War eine Liebessehnsucht im Spiel? was mich hinauszutreten verlockte, so daß ich – wahrscheinlich – irgend eine Tür nahm, die im Berg war, im Berg sein mußte, und ich stand, und wußte es sofort, in einem der Bamberger Studios. Mir fällt auf, es gab keinen Fluß mehr. Ich erkannte das Studio, ich lauschte, es war Nacht. Niemand hier drinnen, ich ging hindurch, öffnete die Eingangstür, die bei diesen Studios hinten liegt, trat auf den Verbingunggang, der zwischen den Studios und der vermauerten Bergwand zum Schloß entlangführt, da sagte mir jemand: Studio 1 und 8 und ichweißnichtmehr sind frei; „dein“ Studio 7 ist bewohnt. Was ich wußte, weil Ulrich Holbein da jetzt einzieht, übermorgen; wir werden uns treffen. Vorher aber wachte ich auf. Es war sieben Uhr, seit fünf habe ich mit dem Aufstehen gekämpft, weil ich doch die Kritik zum >>>> Lohengrin weiterschreiben will, die ich gestern nacht nicht mehr zu Ende brachte; gegen 24 Uhr gab ich auf. Es ist aber, weiß ich, etwas an dieser Musik, das in einen hineingeht, in einen hineinstürzt und einen auskleidet, wenn nicht schon ganz zu Anfang die Abwehr funktioniert wie bei Vegetariern ein Ekel gegen Fleisch. Es ist so viel Fleisch an dieser Musik! Daß sie das zugleich ständig verleugnet, weshalb sie so irrsinnig ideologisch ist, ist ein ganz typisches Wagner-Problem: sie lügt, was sie in Wirklichkeit i s t, mit quasi-religiöser Erlösungs- (das ist: Reinheits-)dogmatik hinweg; deshalb, genau deshalb, war sie für die Nazis so handhabbar biegsam; was sie derart wirken läßt indes, ist ganz etwas anderes, und viele haben das gespürt: Th. Mann, Ernst Bloch, selbst Adorno, noch über und gegen den Hitlerfaschismus hinaus. Der kluge Aufsatz Wolf Rosenbergs für Dieter Schnebel, im Programmbuch, legt den Finger darauf: „… im Tristan steckt nicht nur, wie Thomas Mann feststellte, mehr Novalis als Schopenhauer, sondern auch mehr Baudelaire als Novalis. Die Nacht- und Todessehnsucht bei Wagner läßt die deutsch-romantische Idee hinter sich und kommt dem Erotizismus jener literarischen Bewegung nahe, die von Baudelaire ihren Ausgang nahm und ihren Hohepunkt erst um die Jahrhundertwende erreichte.“ Einem speziellen Symbolismus also, der „Sinnlichismus“ ist und den i c h beerbt habe, eigentlich – – -: d a s wirkt. – Aber jetzt schreib ich schon unversehens meine Kritik weiter; falls Sie diese Sätze nachher in ihr wiederfinden, sehen Sie mir das Redundanzlein bitte nach.
Um halb elf muß ich hier weg für ein Kurzes und Kleidungspakete für die Zwillingskindlern abholen; eine Bamberger Freundin hat sie einem Freund mitgegeben, der sie in einer Galerie in Mitte deponiert hat. Die müssen abgeholt werden. Dann muß ich in einen Waschsalon, damit ich für Bamberg Klamotten habe. Abends ist bereits mein Junge wieder hier, und morgen früh reisen wir los.
11.44 Uhr:
Die Kritik ist fertig und >>>> steht in Der Dschungel auch schon drin. Sofort danach los, um meinen Jungen abzuholen, der beim Tragen der Pakete helfen sollte (Kinderkleidung für die Zwillinge); was er tat. Meine mir für immer verlorenen Zwillingskindlein wiedergesehen, die jetzt Kleinkinder sind und sowas von entzückend und auf mich zurannten, mich umärmelten und lachten; mir schnürte es das Herz, obwohl ich zugleich glücklich war für den Moment. Auch die Frau wiedergesehen, ich vermied es, sie anzusehen, das hatte etwas deutlich Undominantes, zu mir nicht Passendes; aber wenn ich sie sehe, und ich sah sie ja, geht die Liebe sofort wieder auf, ein unendliches jemandemVerfallenSein in alle Ewigkeit. Ich hatte schon recht damals, nach der ersten Trennung, jedes Wiedersehen zu vermeiden, und ich habe damit jetzt, nach der zweiten Trennung, abermals recht. Wenn ich immer wieder schreibe, nur die Trennung von den Zwillingskindlein sei es, was weiterschmerze, so stimmt das nur, solange ich diese Frau nicht sehe. Seh ich sie nicht, komm ich mit der Trennung – anders als mit der von den Kindern – gut klar; seh ich sie aber, liegt mir mein Leben in Tausenden Trümmern vor den Füßen und sagt deutlich: Vergeblich, es ist alles vergeblich. Was mir seelisch mit dieser Frau geschah und geschieht, ist dem ganz ähnlich, was Romulus, dem Vater, in >>>> „Unter der Sonne Australiens“ geschieht; ich habe den Film neulich nacht auf DVD gesehen, und er ging mir näher als dem Kritiker, auf den ich hier verlinkt habe. Empfundene „Ereignislosigkeit“ hängt davon ab, was man erlebt hat und lebt.
14.29 Uhr:
[Sophia Gubaidulina, Sieben Worte für Violoncello, Akkordeon und Streicher.]
Schon wieder irrsinnig tief geschlafen, über Mittag eine Stunde, und dabei geträumt; was, weiß ich nicht mehr, nur: daß. Es ist eigenwillig, welches Schlafbedürfnis ich zur Zeit offenbar habe, und vor allem, daß ich ihm so nachgebe. Espresso, schwer gezuckert.
Prunier hat mir geschrieben; aber dem 22. wird er für eine Woche in Berlin sein; dann lernen sich der Autor und sein Übersetzer endlich kennen, nach so vielen Jahren. Zwar häng ich dann >>>> in meiner Filips-Produktion für den WDR“, aber so viel Zeit muß und wird allemal sein.
Mein Junge ist zum Spielen ins schöne Wetter hinaus. Ich selber werde es nicht mehr schaffen, in den Waschsalon zu gehen. Die Klamotten müssen s o reichen, nehm ich halt nur Jeans mit & Co.