Heimreisejournal. Sonntag, der 19. April 2009. Bamberg und Berlin.

7.28 Uhr:
[Bamberg. Unterm Michaelisberg.]
Man sieht ihn nicht, den Berg, noch gar St. Michael, das ich so beeindruckend finde. Nebel, viel Nebel, vor einer halben Stunde war es waschküchenweiß vor dem Balkon. Fast alle schlafen noch, für uns Alte wurde es spät, sowas drei Uhr, bevor wir schliefen, die Kinder schliefen früher. Eins von ihnen huschte grad zur Toilette, ich sitz am Küchentisch, tippend, mich an Moralhauffen freuend, löslichen Kaffee nippend und schluckend und was mir an Partizipien heut früh sonst noch so alles einfallen will. Um 12.16 Uhr geht unser Zug zurück, quasi der einzig durchgehende, bei allen anderen brauchten wir mehr als sechs Stunden bis Berlin, so nur – m i t S-Bahn – knappe fünf.
Vielleicht meld ich mich noch mal aus dem Zug. Nachts dann bei Αναδυομένη. >>>> Hauff wird’s besonders süffig machen.

7.47 Uhr:
>>>> Cellini ist zurück, las ich gerade. Was sie erzählt, ist s c h o n seltsam, also wie sie aussehe. Vielleicht finden sich Ärzte unter unseren Lesern?

So, alles wach. Ich koch mal, für alle, den Morgenkakao.

12.36 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin.]So, wir sitzen.
Das war dann noch ein schöner Vormittag. Wasserspiele am Schloß Seehof, die Kinder werfen Steine ins Wasser. Schwäne ziehen ihre Kreise, das Wetter wurde nach frühmorgens geradezu herrlich. Weite fürstbischöfliche Sicht. Momentlang eine Vision: Wie man sich erging im Garten, der ein barocker Park ist, aber auch ein pleasure ground, die schöne Landschaftsarchitektin mir zur Seite. Dann schon die nächste Vision:Dämmeriges Lehmhaus oder doch eine Kate, Kehrseite des Reichtums, der sich ganz wie die Armut im Recht dünkt. So sehen wir aus dem Elend in Hollywood-Luxus, aber schon in den Wohlstand der deutschen Existenz„grenze“, die kaum das Wort Existenz noch k e n n t. Also g a n z anders; diadorim wird einiges von den Favelas zu berichten wissen. Unser Recht, der Reichen, gegen das Recht der Armen aus dem Sudan. Zum Beispiel. Was Politik ist. A u c h zum Beispiel. Zwischen den übermannshohen glattgeschnittenen Hecken, die Seitenlängen von mindestens zwanzig Metern haben, gehen im politischen Gespräch die Kirchendiplomaten.

18.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Zurück. Geruhsame ICE-Fahrt, trotz Ferienendes war der Zug so gut wie leer. Den >>>> Flavian Kurth ausgelesen, ein bißchen deus-ex-machina-artiger, in der Tat, Schluß, zu artig, diese Art Spontanbekehrung, angetriggert witzig in Anlehnung ans Nero-Feuer, nur viel kleiner und ohne Gesang: zu klein für die Massivität der zwei Drittel des Buches einnehmenden Darstellungen aus der (harten) Pornoindustrie. Aus denen aber wieder ein besonderer Reiz entstand, indem sie von einem erzählt werden, der in einigen Philosophemen durchaus zuhaus ist. Manchmal auch zuviel Houellebecq in diesem lapidar-nihilistischen Ton. Vielleicht werd ich noch eigens drüber schreiben. Jetzt aber nicht mehr. Hab noch eine halbe Stunde mit meinem Buben Cello geübt, dann selbst noch etwas geübt; nun bist Du zu Deiner Mama und Deinen Geschwistern hinüber, etwas traurig, weil die Bamberger Ferien vorbeisind. Ich selbst radle in einer halben Stunde zu Αναδυομένη an den Pflanzenort hinüber, die schon angekündigt hat, gegessen werde erst danach. Ich muß freilich noch meine >>>> Filips-Unterlagen zusammenstellen; werde wohl morgen von Αναδυομένη aus direkt ins Hauptstadtstudio fahren, wo von 10 bis 12 Uhr aufgenommen werden wird: des Leibse(e)ligen Erster Produktionstag.

3 thoughts on “Heimreisejournal. Sonntag, der 19. April 2009. Bamberg und Berlin.

  1. bamberg scheint wirklich schön zu sein, und vergangene pracht, nicht nur in bamberg, ist heut vielen zugänglich. aber, bitte, was soll ich aus favelas berichten? lebe ich in einer? nein. glück gehabt. ich gehe keine armut besichtigen, ich höre zu, ich lese zeitung, ich sehe, was ich von aussen beurteilen kann. das ist nicht wenig, aber, ob es reicht?
    paraguay wirbt um auswanderer. viele deutsche hier. fragen sie sich, warum. brasilien erklärte deutschland den krieg. das haben nicht alle länder getan.
    die größte gated community ist europa, darum fehlen hoher zaun und security im straßenbild noch weitgehend. darf man auch nicht vergessen.

  2. Warum nie ein wort zu den „kirchendiplomaten“ hinter den gestutzten Hecken?
    Ich wüßte gern Ihre meinung zu deren Politik, z. B. in bezug auf die favelas etc.

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