Arbeitsjournal. Montag, der 15. Juni 2009.

8.23 Uhr:
[Arbeitswohnung. Die Füße im Wasser. Zweiter latte macchiato.]
Ich brauch mal ne längere Einheit Körperpflege, fange zu verlottern an. Merke: Kranksein verlottert einen. Also werde ich nachher Anzug tragen oder etwas ganz in Weiß; das Wetter läßt es zu. Auch die Wohnung verlottert, zumal Du, Junior, täglich Schaufeln voll Sand in den Schuhen mit reinträgst. Manchmal vermisse ich >>>> meine „Perle“ Elisabeth sehr. Aber ich konnte sie wirklich nicht mehr bezahlen. Egal. Traurig, aber egal.
Bereits in der Schule gewesen, abermals Bücher hingebracht: für Eure Buchprojektwoche, zum Buchflohmarkt; ich miste wirklich aus. Viele Bücher werde ich eh nicht mehr oder nicht wieder lesen, ich konzentriere mich, schnurre mich zusammen auf das, was mir wirklich wert ist. Daß ich manches dazwischenstehen habe, ist reine Ideologie, was soll ich mit Pleschinskis „Brabant“, was soll ich mit Rita Mae Brown, mit Richard Ford, geschweige John Irving? Weg. Wahrscheinlich bleibt, wenn ich „streng“ bin, nicht mehr als eine handvoll Bücher zurück: Joyce, Burgess, Nabokov, Gaddis, Pynchon, Powys, Céline, Kipling, Borges, Cortázar, Poe, Eigner, Dieckmann (>>>> Guantánamo), Krausser, Fritz, Döblin, Doderer, Benn, Th. Mann, Musil, Niebelschütz, Jahnn, Kafka, Heine, Kraus, Goethe, Kleist, Jean Paul… na ja, ein paar sind’s s c h o n noch. Unsicher bin ich bei den Freunden bzw. befreundeten Kollegen, vor allem, wenn ich ein paar ihrer Bücher mag, aber nicht alle. Was tu ich mit denen, die ich nicht mag? Ich hab so eine Idee von Vollständigkeit… Mist.
Muß auch noch zum Arzt nachher, die Fäden zu ziehen, ziehen zu lassen, hab aber keine Lust, weil die Zeit drängt. Ich möchte heute gerne das letzte Kapitel des New-York-Romans einstellen, muß aber vor allem noch, vor Mittwoch, ans >>>> virtuelle Seminar. Ob mein Lehrauftrag verlängert wird, übrigens, steht grad mal wieder in den Sternen: Sparmaßnahmen gefährden ihn. Wir werden sehen.
Sò, Fußpflege. Ist bei mir wie bei Frauen die Haarwäsche: d e r Stimmungsaufheller an sich. Wenn die Füße gepflegt sind.

8 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 15. Juni 2009.

  1. der einzige Franzose Céline ist der einzige französischschreibende Autor. Und Aragon, Breton, Char, Proust.?..und früher: Rousseau, Chateaubriand, Hugo, Baudelaire, Nerval, Rimbaud, Mallarmé… und früher: Montaigne würde ich auch retten !

    1. @Prunier, auflachend: Pilze und Madeleines. Es waren doch nur Beispiele; Aragon habe ich tatsächlich einfach vergessen, obwohl ich keinem anderen Schriftsteller so viel verdanke wie ihm. Baudelaire, ja, Breton weniger, dafür Rimbaud selbstverständlich. An Proust bin ich allerdings nie herangegangen; die wenigen Versuche, ihn zu lesen, gaben mir nichts; vielleicht brauche ich’s einfach “griffiger”, nicht so viel Gaze. Seine Prosa kam mir vor (aber das ist der ungerechte erste und allenfalls zweite Eindruck) wie mit dem Weichzeichner fotografiert. Ich vergaß übrigens, vor allem, Hofmannthal: auf Prousts Madeleines reagiere ich mit den Pilzen Lord Chandos’.

    2. die kleinen hellen des lord chandos und die reitergeschichte. jaja. aber die epiphanie, die epiphanie, wo bleibt dann die? oh, ich glaube ihnen ja nicht, sie sitzen in den konzertsälen und lauschen dem ungriffigen sehr hinterher und verflüchtigten so manches ich in u-bahnschächten beim kanaligator, nein?

  2. Proust contra Hofmansthal ? Die Madeleine ist nichts im Vergleich der 3000 Seiten des Werks. Manchmal habe ich mich gefragt: warum hast so viel Interesse an Comtessen und Duchessen, die so rar geworden sind, und zu der Zeit bereits eine Sache für Snobisten war? Als Proust seine „Recherche“ veröffentlichen wollte, war die Reaktion auch negativ. Er musste die Herausgabe zahlen. Erst nach dem Weltkrieg nahm ihn Grasset und später Gallimard auf. Man entdeckte nach und nach, dass seine Comtessen und Duchessen Puppen waren, die die Nichtigkeit der Existenz zur Geltung brachten. Es geht mir zuweilen auch so wie Sie es spüren… was geht mich das alles an? Ich nehme das Buch wieder, und bin wiederum in den Bann gezogen. Magie der Musik würde ich sagen.
    Die Pilze in Lord Chandos’ Brief. Ich zitiere für die interessierten Leser des Blogs: „Ich fand es innerlich unmöglich, über die Angelegenheiten des Hofes, die Vorkommnisse im Parlament oder was Sie sonst wollen ein Urteil herauszubringen. Und dies nicht etwa aus Rücksichten irgendwelcher Art, denn Sie kennen meinen bis zur Leichtferigkeit gehenden Freimut: sondern die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäss bedienen muss, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.“
    Ihre Gegenüberstellung finde ich witzig, aber sie entspricht genau dem, was Proust auch meinte. Die Apokalypse im letzten Buch der „Recherche“ ist wie eine erweiterte Bebilderung der letzten Seiten von Chandos’Brief (besonders die Wiederaufnahme von Livius’ Beschreibung).

  3. @Antunes Ja ja, Claude Simon hatte ich ebenfalls in der Liste… aber wir haben hier neulich von ihm gesprochen… Sie haben Recht. Diese Prosa ist wahnsinnig schön und was ich faszinierend finde: es passiert gar nichts, oder fast nichts. Ich soll mir also Antunes lesen … nach dem, was Sie hier von ihm sagen.

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