Umräum- und Ausmist-Chaos. Arbeitsjournal. Montag, der 22. Juni 2009.

15.57 Uhr:
[Mitten im Chaos.]

Ich miste aus, räume um, ordne die Bücher neu zu; rund 500 Bücher sind schon weg, wahrscheinlich kommen n o c h 500 Bücher weg; bei manchen gibt’s einen kurzen Stich, aber wenn ich auf Distanz gehe, weiß ich, ich lese sie eh nicht mehr. Bücher mit persönlichen Zueignungen tun besonders weh. Egal. Ich lege ein neues Board an, nur für die Lyrik; es ist spannend, was ich alles längst habe, aber nicht mehr wußte, daß ich’s habe. Einstweilen sortiere ich aus der Lyrik nur das aus, was schon auf den ersten Blick Müll ist; sehr wahrscheinlich werde ich nach späterer Durchsicht auch g u t e Sachen aussortieren und weggeben: wenn sie mir nicht nah sind, etwa alle konkreten Dichter. Jandl etwa mag ich nicht lesen, er ist mir unangenehm. Dafür gefiel mir eben Jannis Ritsos wieder sehr.
Den ganzen Ibsen geb ich weg, sehr alte Ausgabe, wunderschön eingebunden; aber wozu steht er hier rum? Schiller werde ich weggeben, Goethe dalassen; auch Wieland bleibt. Karl May bleibt, schon wegen Dir später mal, eventuell, weiß man ja nicht. Thomas Mann bleibt, der ganze Heinrich Mann kommt weg. Paul Nizon: weg. Bodo Kirchhoff: weg. Krausser bleibt selbstverständlich, aber Dagmar Leupold, mit der ich befreundet war: weg. Piwitt bleibt, Genazino: weg. Jelinek bleibt, dafür häute ich mich von Verena Stefan. Pirandello bekommt nun fast eine ganze eigene Board-Reihe Lobo Antunes: bleibt. Insgesamt kann ich sagen: fast alle Südamerikaner bleiben. John Updike: weg. Dafür bleibt John Barth; auch Steinbeck behalte ich. Chesterton bleibt, klar, Wolfgang Held bleibt, Gustav Herling bleibt; bei Hegel bin ich mir unsicher: werde ich ihn je wieder lesen? Maupassant bleibt, und auch die Liebesgeschichte um Creezy von Félicien Marceau, die mich 1970 derart begeistert hat, daß ich mir die frz. Gallimard-Ausgabe besorgt habe. Weg kommt der komplette Böll, dafür bleibt Lem, weg kommt Martin Walser, Christa Wolf, na sowieso, der ganze VS-Scheiß kommt weg; von Marx bleibt nur der Kern: Kapital 1-3 und Das Elend der Philosophie; Engels kommt restlos weg; dafür bleiben Kropotkin, Landauer, Mühsam, jeweils komplett. Die Mao-Bibel bleibt, man weiß ja nie. Der ganze Laurence Sterne bleibt, Jules Verne bleibt (auch wenn mir die, so gutgemeint heruntergemenschelt auch immer, rassistischen Vorurteile im Kapitän Grant allmählich auf die Nerven gehen; ich muß dauernd meinem Jungen, dem ich das Buch abends vorlese, erklären: „Das sind Vorurteile, die man damals hatte; Jules Verne meint das gut, aber er war ja nie da in Australien, er hat da abgeschrieben und das Abgeschriebene dann menschlich umformuliert… falsch bleibt es aber dennoch.“ Okay, der ganze Poe bleibt natürlich hier, Landolfi bleibt, Claudio Magris bleibt, Christa Reinig bleibt, aber was soll ich mit Stefan Schütz? Statt dessen hebe ich doch lieber Hermann Stahls fulminantes Pfauenrad auf. Günter Steffens bleibt, aber – Paul Wühr? Mal ehrlich… Wellershoff: absolut weg, am liebsten risse ich auch seine Einführungen zu Gottfried Benn aus den Büchern, am liebsten striche ich das „herausgegeben von Dieter Wellershoff“ auf den Titeln mit schwarzem Filzer aus. Günter Grass: komplett weg. Ich finde ihn nicht schlecht, aber noch einmal lesen? Nee. Dafür bleibt William Gibson, dafür bleibt Philip K. Dick, dafür bleiben Gaddis und deLillo. Asimov bleibt, bei Arthur C. Clarke zweifle ich. Lem bleibt, Niebelschütz bleibt, Uwe Nettelbeck bleibt, und zwar mitsamt der Repblik – doch Slotterdijk? Hm. Theweleit laß ich einstweilen hier. Leo Perutz bleibt, Meyrinck bleibt, Schopenhauer bleibt, aber brauche ich Doris Lessing noch? Die Schriften Richard Wagners laß ich hier, aber nur, weil ich so eine handliche Ausgabe im Miniaturdruck habe. Nabokov bleibt, Freud bleibt, eigentlich sollte man die beiden direkt nebeneinander stellen, damit sie sich ärgern. Ist Herbert Marcuse Geschichte? Horkheimer jedenfalls kommt weg, Adorno bleibt: schon wegen seines Prosastils. Jean Paul bleibt, aber Gottfried Keller? Gut, seine Gedichte laß ich hier. Aragon, ich schrieb’s schon neulich, bleibt, Proust entsorge ich. Daudet kommt weg, Diderot und Voltaire bleiben. Dann die vielen Lexika…. außer den mythologischen, die man im Netz nicht einsehen kann, können die anderen eigentlich weg.
Eine Grundfrage erheben die zahllosen Anthologien, in denen ich selbst mit Texten vertreten bin: will ich die wirklich aufheben? Es sind mehr als zwei Meter Boardlänge…
Ich vergaß: Hermann Melville bleibt. Komplett. Moby Dick hab ich übrigens in vier Ausgaben plus der englischen; eine davon hab ich eben auf den Stapel, der für Dich ist, gepackt. Auch Michael Roes lasse ich hier. Widerwillig, ich geb’s zu, aber er ist wirklich gut.[P.S.: Döblin bleibt. Von Hermann Hesse bleiben Der Steppenwolf und alle Gedichte; der Rest: weg; was soll ich mit Knechten, auch wenn sie Joseph heißen – wenn man doch Josephs und seine Brüder hat?]

20.56 Uhr:
Müll, Müll, Müll: hätt ich bloß nicht mit dieser Bücher-UmräumeAufräumeWegräumerei angefangen; jetzt sitze ich in der Sauce, kein Vor, kein Zurück…ah! Nur manchmal gibt es einen plötzlichen Befreiungsschlag, z.B. Charles Bukowsky… ganz ganz furchtbar, weg weg weg!!!! Warum um alles in der Welt habe ich diesen Scheiß aufgehoben???????
Ich flüchte in >>>> die Bar und besauf mich. Sò. (Wenigstens habe ich inmitten des Büchermülls, von dem ich träumen werde, daß er über mir zusammenbricht, um mich zu ersticken, anderthalb Stunden Cello geübt.)

15 thoughts on “Umräum- und Ausmist-Chaos. Arbeitsjournal. Montag, der 22. Juni 2009.

  1. misty Melville also, lieber Alban, bleibt. Fine und fine aber für Horkheimer ist es aus.
    Lobo Antunes, sehr gut, den lasen und den lassen wir, wartend auf die Bamberger Elegien, die Ihren.
    Ein Zwischendurchkommentar, immerhin, nach Zeiten, langen.

  2. der text war weg Glecihfalls und nicht minder. Die Tage Neuer Musik hätten ein paar Ohrem mehr verdient gehabt, gerade auch misericordiaseits. Außer White ohne Black niemand zugegen. Hmm, da war ich wohl gerade zwischen Paradies und Leipzig, im ICEle, oder bereits dorten. Bennewitz. Also two weeks ago, I mean.
    Lyrik nehm ich im übrigen gern; qouth the rven freilich haben wir schon, und kommt auch nicht weg, udn was hat Poe nochmal zur melanchoie geschrieben? John Betjeman kann weg, nicht aber John Berryman. Pound, die Cantos, lassen wir, Eliot sowieso. Rainer Brambach??? Kurt Marti?
    Wie kommen Sie mit dem Cello voran?
    Kunze hat da ein Gedicht drüber, über yo-Yo Ma.
    Freilich, da gibt es andere, als Ma, als Kunze.

    Mahlerische, die Dritte, Grüße, einstweilen

  3. täk tiss von leuchten

    wenn du haben verloren den selbst dich vertrauenen als einen
    schreibenen; wenn du haben verloren den vertrauenenen in den eigenen
    kreativitäten; wenn du haben verloren den methoden, den techniken
    zu richten den lebendigen und den toten; wenn du haben verloren
    den zusammensetzen von worten zu satzen; wenn du haben verloren
    den worten überhaupten, sämtlichen worten, du haben
    nicht ein einzigen worten mehr: dann du vielleicht
    werden anfangen leuchten, zeigen in nachten den pfaden
    denen hyänenen, du fosforeszierenenen aasen!

    ernst jandl

    1. draußen die vögelen zwitscheren, haben kein einzigen worten,
      gleich werden anfangen dämmeren, zeigen den vögelen den tagen
      worinnen mir ein bettenen

      oh, der jandl, verzweiflung ist ein aasen. verneigenen.
      und, nein, wer glaubt denn, ich hätte alles, was ich will, wer kann denn das von sich behaupten, ich hab ja nicht mal den willen, den ich will.
      ich muss gehen in betten.

    2. @jandl & diadorim. Ich werfe ja nicht etwas weg, bzw. gebe es weg, weil es schlecht wäre. Ich gebe weg, was ich nicht mehr lesen werde; ob das schlecht oder gut ist, spielt keine Rolle. Jandl ist ganz sicher gut, aber er kommt nicht an mich ran. Das betrifft auch Oskar Pastior, den ich ästhetisch hoch achte und auch persönlich sehr gemocht habe. Dennoch gebe ich die Bücher weg. Nicht meins.

    3. hat anadyomene jandl gerettetettetettet?
      und ist nicht all das, was man hoch achtet auch unser?
      man muss darum ja nicht so dichten wollen oder können. ich kann auch nicht wie jandl dichten, aber man lernt doch bei kaum einem anderen so viel über den verzweifelten chandos in uns, in heiter verzweifelt.
      auf den schreck mach ich mir noch ein käsebrot. puh, der kaffee ist heut stark. teufelszeug.

    4. @diadorim. Hat sie nicht, aber er war auch schon weg. Dafür hat gestern nacht der Profi Bölls Katharina Blum gerettet, m i r gerettet; ich war von dem Buch einmal tief beeindruckt und bin es eigentlich noch immer; wahrscheinlich lese ich’s auch noch mal. Grassens Katz & Maus bleibt auch hier, ebenfalls aufgrund der mirinsGewissenredenden Intervention des Profis. Vielleicht auch, weil ich des Old Fashions wegen ziemlich schnell außer Gefecht gesetzt war.

    5. hät ich aber tun solln… lichtung
      manche meinen
      lechts und rinks
      kann man nicht velwechsern
      werch ein illtum!

      wer mich heute fahradfahrender weise begleitete weiss das!

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