Arbeitsjournal. Sonntag, der 30. August 2009.

9.06 Uhr:
Mit Korrekturen bis fast zwei Uhr nachts >>>> die Tristan-Kritik geschrieben, dann bis 8 Uhr heut früh durchgeschlafen, latte macchiato zubereitet, sofort an den Schreibtisch und den Bettelbrief an Vattenfalls zuendeentworfen; er muß jetzt dringend raus, aber erst will ein Freund ihn noch sehen. Also als Kopie per Mail versendet. Dann schriftlich von meinem Rücktrittsrecht wegen eines Angebotes von t-mobile Gebrauch gemacht, auf das ich seiner Attraktivität halber am Telefon einging; ich kann mir aber, wie gering sie auch seien, derzeit absolut keine Zusatzkosten mehr erlauben. Selbst die Mietzahlung wird wieder heikel, ich warte auf nächste Woche wegen der Frankfurtmainer Lesung, außerdem wird ein Honorar für einen kleinen Essay fällig. Also: schieben, schieben, schieben und – Geld pumpen, was völlig unrichtig nach einem Brunnen klingt, den ich eben nicht habe. >>>> Gestern abend war das insofern wieder mal nicht ohne Lebens-Ironie: Da stolzier ich durch die Reihen der Very Important Persons mit meinem blauen Bändel von BMW ums Handgelenk, nehme Sekt hier, Sushi da, schau vom Balkonchen aufs WSDV hinunter, sitz direkt in der vierten Reihe absolut Mitte neben einem Herrn, der eine nicht geringe öffentliche Rolle spielt, plauder mit ihm über die Oper – und weiß zugleich nicht, woher wieder die Butter nehmen. Das hat tatsächlich Witz. >>>> Eigner hat das schon mal so formuliert: den Spagat, den wir da täglich vollzögen, müsse man schon irgendwie aushalten können. Jetzt müssen Sie sich nur noch dazu vorstellen, daß ich heute einen Bettelbrief schreibe, wegen der Stromversorgung, um mir die Wohnung zu erhalten, und morgen spazier ich munter zu einem Essen, zu dem mich die Finnische Botschaft eingeladen hat. Übermorgen guckt dann wahrscheinlich wieder mal ein Gerichtsvollzieher vorbei, um mir Hallo zu sagen, und ich erzähl ihm ein bisserl was von meinen derzeitigen Problemen, die Arbeitsdisziplin irgendwie wieder herzustellen, für die ich mal berüchtigt war und es derzeit nur noch aus Gründen >>>> des Einschliffs bin; tatsächlich glühe ich geradezu vor Antriebsschwäche. Nicht mal von „burn out“ könnte ich berechtigt schreiben, denn ich brenne ja, nur l a ß ich’s brennen, verbrennen, anstatt die Energie auch zu nutzen. Dazu kommen dann Nachrichten wie die meiner schönen Agentin, >>>> dielmann, wegen der Lesung am nächsten Sonnabend, melde sich nicht: gebe es Plakate, seien wenigstens die Bücher da? Usw. Auch da hab ich unentschlossen aufgegeben, lustlos eher als unentschlossen, die letzten beiden Bücher sind in die Luft gepufft, da, aber nicht da, wie Faten Morganens. Dazu liegt der irre Brocken ANDERSWELT III hier und wartet auf die Letzte Hand; es gibt aber keinen, der das Riesenbuch will; dazu liegen die BAMBERGER ELEGIEN hier und warten auf die Zweite Letzte Hand; aber da will zwar jemand das Buch, nämlich dielmann, aber es ihm zu geben, wäre gleich die nächste Publizismus-Flatulenz. Ich muß dringend einen Veröffentlichungsmodus finden, und zwar jenseits Der Dschungel, aber um die Ideen, >>>> die ich ja habe, auch umzusetzen, hab ich wieder nicht den Antrieb. Die mir derzeit verlorene Disziplin hatte immerhin den Vorteil, in ihrer Starre trotzig zu sein und fast jedes Realitätsprinzip zu unterhobeln. Dieses von mir schon als Jugendlicher formulierte „Prinzip Trotz“ muß in seinen produktiven Rang zurückgehoben werden, das ist mir völlig klar; aber ich bin halt d o c h 54 und nicht mehr 17; da ist, ohne daß ich deshalb deprimiert wäre, nicht so arg viel Grund mehr für Hoffnung. Es kostet Energie, nicht die Erbärmlichkeit der Situation zu beklagen, sondern ihr einen Witz abzuspüren, der einen aufrecht und vital hält, potent sozusagen; nur, wenn ich dann unterm Strich nix arbeite, bekommt die Potenz etwas Hohles. Ausflüchte wie „ich habe doch schon viel geleistet“ sind wenig hilfreich, sie schwächen nur hinzu.

Heute nachmittag, wenn mein Bub mag, geh ich wieder >>>> auf den Bebelplatz. Tschaikowskis Fünfte war meine Lieblingssinfonie, als ich fünfzehn war.

21.17 Uhr:Nun normalisiert sich wieder die Zeit; mein Bub ist auf dem Vulkanlager eingeschlafen, morgen beginnt seine Gymnasialzeit. Wie weit, kinderentwicklungsgeschichtlich, liegt >>>> das jetzt zurück! (Kindheitsentwicklungsgeschichtlich? – Jedenfalls ist es >>>> ein ganzer Strang in ARGO, ein tragender sogar.)

Gut. Der Nachmittag. Erst mal der Mittag: Treffen mit Eisenhauer, der mir >>>> sein neues Buch mitbrachte, eine, scheint mir, gewagte Novelle. Schon sein unterdessen vergriffenes >>>> „Im Eis“ hatte ich gerne besprochen und habe nachher einige heftige Diskussionen dieses Buches wegen geführt. Also Treffen mit Eisenhauer, er lud mich wieder zum Essen ein (Zander auf Zuchini-Kartoffel-Gemüse, dazu eine Weinschorle); wir unterhielten uns über kleine miese Käfer & Gegenwartsliteratur – was ein unausschöpfliches Thema ist, das wir schon deshalb auf eine Stunde begrenzten und weil ich meinen Jungen abholen wollte, um mit ihm Barenboims Tschaikowski auf dem Bebelplatz zu hören. Was wir taten. Ich hatte die aufblasbare Isomatte mitgebracht, die uns nicht nur auf der Neapeltour begleitet hat, sondern die den Boden des Vulkanlagers weichmacht. Dann wieder, bis halb neun, Die Kinder des Kapitäns Grant, vorher legte ich, ohne was zu sagen, noch Tschaikowskis Fünfte unter Bertini auf; Du erkanntest das Stück sofort. Die letzten beiden Sätze wolltest Du zum Einschlafen hören und schafftest fünf Minuten, dann warst Du schon im Traum. Ich meinerseits lese nun den >>>> Unendlichen Spaß weiter, wobei mir die Lust daran auf dem Bebelplatz ein wenig verging, weil mich Kiffer echt nicht interessieren und schon gar nicht die absurden Abwehrbewegungen, mit denen sie aus dem Aussteigen aussteigen. Ich zitier mal, es ist nicht unwitzig, aber in der Wiederholung dann doch öde: „Er würde sich durch Maßlosigkeit kurieren“ – und der gleiche Mechanismus dort: „Noch nie hatte der die Ankunft einer Frau, die er nicht sehen wollte, so sehr herbeigesehnt“ (weil sie ihm den Stoff bringt); beides S. 35/36. Ich weiß einfach nicht, was ich mit einer solchen Lebenswelt anfangen soll. Während meines Zivildiensts hatte ich so viel mit Junkies zu tun, daß es mein Leben lang reicht. (Ich ertrage, auch wenn ich selber gern was trinke, auch Betrunkene nur schwer; so viel zur erlaubten Droge Alkohol. Ich ertrage es weder, wenn ich selbst, noch wenn andere ihr Gesicht verlieren. Ist mir selbstverständlich auch schon passiert, aber es quält nachhaltig. Weshalb soll ich darüber dann auch noch lesen?) – Eigentlich sollte ich das dort auf dem Blog schreiben. Na gut, ich zitiere es einfach.

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