Arbeits-, Genesungs- und Jubelsjournal: Sonnabend, der 5. Juni 2010. Mit Hamsuns Pan und Charles Villiers Stanford. Und Creezy… oh Creezy!

9.31 Uhr:
[Arbeitswohnung. Stanford, Irish Symphony.]
Nach heller, strahlendster Musik ist mir, nach weitester! Bei einem solchen Tag!
War bereits bei der Ärztin, sie sollte noch mal checken. Jaja, gibt’s, Ärzte, die auch sonnabends geöffnet haben, und d i e s e, bei der ich vor zwei Tagen wie ein lethargischer Mops, der sich um sich selbst rollte, saß, ist so freundlich wie der Tag und wie die Ärztin, die mich zu ihr überwies, schön. „Es ist gut, wenn die Chemie stimmt”, sagte sie, als sie mir zum Abschied die Hand gab. Klar, ist die Krankheit noch nicht weg, aber ich kann sprechen, ich bin wieder munter und voll Taten-, vor allem Lebensdrang, und zu der schönen Ärztin, jaja, s e h r schön, gehe ich, wenn die nächste Zeit, wenn >>>> Gurre vorüber ist, wenn ich in Heidelberg und Paris gewesen bin und entweder vor oder nach der Italienreise. Die ich noch nicht buchen kann, weil noch das Geld fehlt. Macht aber ja nix, wenn ich erst im August fahre, macht a u c h nix, wenn ich mich noch umentscheide und das allerbeste Lastminute-Angebot für meinen Buben und mich nehme, das zu ergattern ist. Es macht überhaupt wenig, denn die „Dinge” gehen voran: gefreut, enorm gefreut hat mich >>>> dies dort. Ich werde dazu später noch etwas schreiben, dem Herrn Dr. No. Jetzt will ich nur eben von meiner Fast-Genesung künden, damit die Freunde, die ich unter Ihnen habe, aufatmen können, und die Gegner sich zerknirschen: der Herbst ist wieder da, und fast schon hat seine allerliebste Jahreszeit begonnen:: der Sommer. Er hat sogar, der Sommerherbst, seine indischen Riemensandalen hervorgeholt, um nacktfasten Fußes zu gehen. Hat den Bart gestutzt, das Haupthaar gestutzt, sich an den nötigen Stellen poliert und trinkt eben seinen Latte macchiato aus und raucht seine Pfeife, bevor er sich mit einem Rucksack voll Ansteckungswäsche in den Waschsalon begibt, wo sicher ein paar Stunden vergehen werden, die er sich mit der Wiederlektüre von Félicien Marceaus CREEZY versüßen will – einem Roman, den ich bereits um 1975 gelesen und seither nie vergessen habe, da war ich zwanzig, damals, stimmt; und wenn ein solches Buch einem derart in der Erinnerung bleibt – es ist die Erinnerung einer Aura -, daß man sich später sogar die frz. Originalausgabe besorgte, ohne sie aber eigentlich lesen zu können, dann ist dies ein Wiederlesen sicher wert. Im übrigen – alles beiseiteschiebend, was mir Verpflichtung – zog ich gestern morgen Knut Hamsuns Roman „Pan” aus der Bibliothek und las das grandiose, bezwingende Buch, unterbrochen nur von Erschöpfungsphasen des Schlafes, in einem Rutsch bis in die Nacht – d u r c h. Ich möchte gerne später auch dazu schreiben, gesondert schreiben.
Und jetzt hört man, wie sehr Stanford von Brahms beeinflußt ist, von der brahmsschen Sinfonik, ganz erstaunlich deutlich, vierter Satz der Sinfonie. Also, so weit mal d a s. Immodium ist zu besorgen für morgen, wegen einer etwas, sagen wir heiklen, aber sehr normalen Penicillin-Nebenwirkung, die auf einer Autofahrt von Berlin nach Gütersloh, die ja einige Zeit währt, zu Unglück würde oder zu sogar Unglücken führte, von denen meine helle Laune absieht, sie Ihnen auszumalen. Zumal: sie sind ja einfach zu vermeiden.
Vielleicht setz ich mich heute auch mal wieder an mein Cello. Einfach so. Vor Glück. Nein, meine Entscheidung ist n i c h t aufgehoben. Wie die Löwin gestern sagte: „Du bist nicht der Mann, dir deine Entscheidungen von deinem Körper unterlaufen zu lassen.” Und dann sage mir einmal jemand, weshalb Journalisten eigentlich nicht mehr recherchieren können; zumindest denken einige nicht mehr, was man doch mindestens erwarten könnte, wenn sie schon nicht lesen oder alles, was sie an Informationen haben, letztlich aus Der Dschungel oder dem Hörensagen ziehen. Da war zum Beispiel die Frage, wie das denn zusammengehe, daß ein Mann, der so sehr auf das Internet konzentriert sei wie ich, ausgerechnet eine U n d i n e schreibe; sie bezog sich immer wieder auf Dvořáks Rusalka, was ich auffällig fand, de la Motte Fouqué schien sie gar nicht zu kennen, und welche bestimmende Rolle Andersens Kleine Meerjungfrau für das Werk sowohl Nabokovs wie Th. Manns gehabt, auch nicht. Und abermals dieser Unfug, ich sei n a c h meiner Börsenzeit Schriftsteller geworden. Leute, guckt euch doch mal die Lebensdaten an, bevor ihr losschwätzt, es ist doch wirklich alles öffentlich.
Jetzt die letzte Bakterienwäsche innen Rucksack stopfen und ab – ins Licht, Leute… ins Licht!

13.11 Uhr:
[Licht.]Alle Wäsche gewaschen, was ein angenehmer, geradezu meditativer Vorgang heute vormittag war. Jetzt

[Stanford, Songs of the Sea.]

ist sie auch schon eingeordnet und der Rucksack frei für die Bücher, die ich morgen >>>> dorthin mitnehmen will. Ich bin voller Vorfreude, ganz skepsislos. Das liegt auch an meiner Wiederbegegnung mit Creezy. Wie seltsam auch! Der Profi begegnet nach 20 Jahren einer alten Liebe wieder, und alles ist noch da, und ich begegne Creezy wieder, die mich stärker beeinflußt hat, als ich das wußte. Ich las und las heute morgen, ich möchte von dem Buch gar nicht mehr lassen. Brachte ich, so daß es dermaßen auf mich wirkte, diese Anima schon mit, und sie erfüllte sich damals, vielleicht zum ersten Mal,oder hat sie sich mit diesem Buch in mich erst hineingesenkt; selbst MEERE wäre ohne Creezy, imgrunde, nicht möglich; oder ist es eine Mischung aus beidem und hatte sich durch Überlagerung derart verstärkt? Das beschäftigt mich. Wobei ich jetzt mal wieder etwas liegen sollte, etwas schlafen sollte; auch wenn es mir so gut geht, daß man das „prima” nennen kann, ist der Motor dafür doch das Penicillin, aus dem ich mir heute morgen, für Creezy, ein Peniscillin erwortspielt habe. Ich muß aufpassen, mich jetzt nicht zu überhypomanen; auch wenn ich seit gestern morgen ohne Schmerzmittel bin, sind die Lymphdrüsen doch nach wie vor heftig geschwollen, und es tut weh, wenn ich dagegendrücke. Muß man nicht, dagegendrücken, aber trotzdem.
Zu Hamsun und Pan dann später.

13.47 Uhr:
Obst! Ich brauche Obst. Viel. Ganze Massen. Orgien von Obst, mit Obst, in Obst… [*lacht].

5 thoughts on “Arbeits-, Genesungs- und Jubelsjournal: Sonnabend, der 5. Juni 2010. Mit Hamsuns Pan und Charles Villiers Stanford. Und Creezy… oh Creezy!

  1. Schön, das zu lesen. Der um sich selbst gerollte Mops hat mich am Morgen schon laut lachen lassen… Ich wäre gerne nach G. gekommen zur Premiere, muss leider selbst spielen. Es sind fast 3 Stunden Fahrzeit bis Gütersloh und ist dies nun mal nicht zu schaffen mit meinem Oldtimer von Auto. Aber ich schreib per Mail zu dem Probenausschnitt und zu einer Idee, die mir kam..

    Toi toi toi !
    Terpsichore

  2. Ihre Mandelentzündung erinnert mich an die letzte Nacht von Stefan George. Er habe als junger Mann bereits einmal unter solch Fieber gelitten, hauchte er seinen Getreuen zu, aber am nächsten Morgen wäre es fort gewesen wie ein böser Traum. Meine Mandelentzündung im März erledigte sich durch Gabe von Antibiotika bereits nach zwei Tagen weitestgehend. Durch Sie weiß ich nun jedoch, was ich in zehn Jahren zu befürchten habe. Mit solch Beispielen kriege ich vielleicht jenen Denkfehler tot, dem meine Mitmenschen beim Betrachten vergangener Urlaubsbilder regelmäßig unterliegen: Der Strand wird auch während des nächsten, übernächsten, überübernächsten Urlaubs noch wundervoll sein. Da lebensplanen meine Mitmenschen richtig. Nur entgeht ihrer Aufmerksamkeit völlig, dass sie selbst dann “im Arsch” sind. Ich kann also nur jedem raten, sich an immergrünen Meisterwerken zu versuchen, statt die Genussschiene zu fahren.

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