[Arbeitswohnung. >>>> Hans Werner Henze, >>>> Gogo no Eiko (Das verratene Meer).]
Auffällig, daß der Sprechgesangsklang des ins Japanische rückübersetzten Librettos in meinen Ohren nach einer slawischen Sprache klingt:
Um eins ins Bett, um Viertel vor fünf auf. Latte macchiato, Morgenpfeife.
Mein Junge ist ein zentraler Bezugspunkt meines Schriftstellerlebens, ist das, seit es ihn gibt, eigentlich immer gewesen – höchst überraschend für mich selbst, der ich alle Jahre vorher auf ein Kind nie fokussieren, ja eigene Kinder gar nie wollte. Das änderte sich unvermittelt. Damit ging eine Veränderung auch des Charakters einher, auch des literarischen Charakters, also desjenigen meiner Arbeit – wobei ebenfalls auffällig ist, daß ich bereits in Thetis, als an ein eigenes Kind noch gar nicht zu denken gewesen war, eben ein Kind zu einem Zentrum der Erzählung gemacht habe; Seltsamkeiten flossen ein, von denen ich da noch gar nichts wissen konnte: etwa, daß die rechte Brust mittropft, wenn die linke stillt, so sehr, daß eine Schale daruntergestellt werden muß. Schließlich, selbst aus den Augen des Kindes zu sehen: zum zweiten Mal zum ersten Mal eine Wiese zu sehen, zum Beispiel. Darüber habe ich später mehrfach geschrieben.
Es kommt zu einer Verschmelzung der Blicke: Unablösbarkeit.
Hieraus ergeben sich Grundfragen der Arbeit. Ich verstehe selbstverständlich >>>> den Einwand dieses Kommentators, ich verstehe ihn sogar gut, habe indessen eine andere Grundhaltung, Grundsicht; genau deshalb lassen sich Diskussionen führen. Ich werde ihm auf seinen letzten Vorwurf gleich noch antworten, aber hier schon mal vorweg: Man sehe das bitte wie bei einem Maler, der selbstverständlich, wenn er Vater ist, auch sein Kind zeichnen und malen wird. Künstler reagieren auf das, was sie umgibt, und geben dem einen künstlerischen Ausdruck; im Netz ist dieser ein notwendigerweise, mehr oder minder, unmittelbarer. Dazu gehört auch >>>> dieser ganze Komplex: Das Leben als einen Roman begreifen. Es geht ja doch auch um die Reflektion zur Entstehung eines Werkes; das ist problematisch insofern, als sie nur dann von Bedeutung ist, wenn auch das Werk von allgemeiner Bedeutung ist, bzw. werden wird. Wird es das nicht, wird nur Eitelkeit gesehen werden; wenn aber doch, kann es zu entscheidenden Erkenntnissen über die künstlerische Produktivität kommen. Es ist ein Risiko, und es ist mir bewußt. Aber ich kneife nicht. (Aber auch eine politische Einschätzung spielt eine Rolle: welche Funktion man dem Privaten gibt und ob man überhaupt glaubt, daß es so etwas – als scharf Markierendes – gebe; ob sich nicht, wiederum, gerade in ihm das Gesellschaftliche spiegle: Lausche man nach innen, dann höre man das Außen, schrieb Ernst Bloch. Die sogenannte Diskretion ist auch ein Machtinstrument.)
Jetzt schläft er noch, mein Junge. Um sechs möchte er geweckt werden, bekommt dann wie immer seinen Morgenkakao und sein Tschaikowski b-moll. Er hat es sich angewöhnt, vor dem Aufstehn noch eine halbe Stunde zu lesen, hängt tief in John Green, nunmehr >>>> Eine wie Alaska.
6.15 Uhr:
[Tschaikowski, b-moll (Richter, Karajan, selbstverständlich).]
[Henze, Gogo no Eiko (ff).]
Nach den mit meinem Jungen getätigten Ausflügen in die Spätromantik, auch Elgars Cellokonzert, sein liebstes, war wieder dran, zurück in die heimatlichen Gefilde der Neuen Musik. Schönes gemeinsames Frühstück, noch einmal Sohn-Vater-Gespräch, diesmal mit Bündnis‘charakter, also werd ich noch telefonieren müssen & wollen, um 16 Uhr wird der Bursche wieder hier sein. Bis dahin nichts als BuenosAires, hoff ich; und den Mittagsschlaf dann, klar, außerdem habe ich ja gestern eine Neustrukturierung des Arbeitsjournals angedacht, die der weiteren Vermischung dienen soll: eine noch enggeführtere Form ausprobieren. Vielleicht schiebe ich das aber doch auf die nächste Woche.
Hübsch ist, daß wir ein neues Ritual einführen wollen: die Erstbefeuerung des Kachelofens gemeinsam begehen; das Gefühl vermitteln, daß man sich auch für Wärme austauschen, auch von sich g e b e n muß: nichtentfremdet – was etwas anderes ist, als einfach eine Heizung anzudrehen. Man hat noch Kontakt zur Erde.
16.41 Uhr:
Zeit verloren nach dem Mittagsschlaf: Triebschub. Also paar Pronos geguckt, bevor ich zurück nach Buenos Aires fand – da dann auch gleich eine Stelle, die sich als >>>> Auszug gut eignet: Es läßt sich ganz gut sehen, in welcher Metamorphose Gegenwart als Zukunft erzählt wird. Wobei die „Zukünfte“ angeschnitten sind wie Bälle beim Tischtennis, auch Zufälligkeiten kommen ins Spiel: auf diese Weise wird die Ideenflut nicht begradigt. Allerdings muß man bei dieser Art zu schreiben verstärkt auf Konsistenz achten; es gibt kein Modul, auf das Verlaß wäre.
Jetzt ist gerade mein Junge wiedergekommen; wir arbeiten nun beide im selben Zimmer, er an den Hausaufgaben, ich an Argo. BuenosAires ist ziemlich reich an Sozialcouleurs, die ich nach Argo noch hinübertransportieren will. Morgen bereits werde ich die Neulektüre abgeschlossen haben. Das ist sicher.
(Lustig übrigens, vor allem auch bezeichnend gegen das gängige Vorurteil, daß die Löwin, wann immer ich erzähle, einen Porno gesehen zu haben, ihn auch gucken will und nach dem Link fragt. Ob jemand Lust an dieser Art Voyeurismus hat oder nicht, ist de facto nicht vom Geschlecht abhängig, sondern von der, sagen wir, Gier, und davon, ob wir sie zulassen oder vor uns selbst zensiert haben.)
17.32 Uhr:
Was mir beim Wiederlesen, jetzt vor allem von BuenosAires, klarwird, das ist, daß die Anderswelt-Romane in signifikant stärkerem Ausmaß als jedes meiner anderen Bücher politische Romane sind; auch bei >>>> dem da.ist das geradezu schlagend. Und überrascht mich jetzt, mehr als ein Jahrzehnt nach Erscheinen.
Der Junge sitzt am Cello und übt. Ich werde mal etwas einkaufen gehen, aber nur für kurz. 150 Seiten will ich heute auf jeden Fall gelesen haben, besser noch mehr. Dieses zweite Anderswelt-Buch ist, im Gegensatz zu Thetis, geradezu süffig, so schnell und organisch sind hier die Schnitte. Was allerdings daran liegt, daß die Wuchtigkeit des mythischen Ostens im Mittelteil der Trilogie allenfalls eine erinnerte Rolle spielt. Als übrige ist auch direkte Gegenwart getaktet.
Deters zwar ist Deters Wie kommen Sie, mein Lieber, auf diesen abseitigen Gedanken? Oder ist es eine rhetorische Behauptung, die Sie nur deshalb hingeschrieben haben, um sie im Nachsatz gleich modifizieren zu können? Tatsache ist, dass ich wahrscheinlich die am wenigsten irreale Person in Ihrem ganzen Umfeld bin. Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen das seinerzeit gesagt habe, dass ich, je mehr sie eine literarische Figur aus mir machen würden, um so ungefährdeter in meiner faktischen Realität walten könne, schlichtweg deshalb, weil nun niemand mehr auf mich achtet? Schließlich bin ich fiktiv – O:)
(Mosel-Eck, Münchener Straße, Frankfurt am Main, 1981.
Nach wie vor ein erbauliches Geschäft.)