[Arbeitswohnung. Britten, Peter Grimes.]
Erlebte – was emphatisch gemeint ist – Musiken höre ich meist noch einzwei, manchmal sogar drei Tage „nach“. Jetzt g e h t das auch wieder, nach Stand des Typoskriptes. Bis neun Uhr werde ich dran weiterarbeiten, dann mich zum Aufbruch ins ARD-Hauptstadtstudio fertigmachen, wo um elf Kavita Chohan und Gerald Schaale zum Einsprechen ihrer Partien erscheinen werden; auch ich werde meine Parts da einsprechen und mir dann alles auf den Stick schieben lassen, damit diese Töne als „sauberes“ Rückgrat für das ansonsten aus „schmutzigen“ Tönen bestehende Hörstück hier bei mir zur Verfügung stehen. Abends kommt dann Frau Frankenberg, um ihrerseits Texte einzusprechen, aber diese eben bereits wieder als O-Töne.
Die Produktion selbst, also das Anlegen der ersten Montage, wird, wie geplant, morgen früh beginnen. Noch bin ich mir über die Musiken unklar, die und ob ich überhaupt welche verwenden will. Diese Entscheidung muß ich mir „erhören“, allein der Sinnlichkeit der Anschauung meines Ohres folgend. Da ich ihm das Primat gebe, wird auch mein Typoskript allenfalls Leitlinie sein.
Latte macchiato, erste Morgenpfeife.
Hoch um zehn vor fünf, nachdem ich um halb eins im Bett lag. Mein gewohnter Rhythmus pendelt sich wieder ein, jetzt, wo ein Arbeitsvorhaben sein Ziel weiß und vor allem das meiste Material da ist. Was mir definitiv schwerfällt, ist, zwischen verschiedenen Arbeitsvorhaben hin- und herzupendeln, von denen eines einen, aus welchen Gründen auch immer, „Hänger“ hat.
Völlig problemlos erteilte mir gestern >>>> Marcus Lieberenz die Genehmigung, für >>>> die Peter-Grimes-Kritik seine Fotografien zu verwenden. Auch diese Kritik jetzt wird von >>>> Faust-Kultur übernommen; ich kann mir gut vorstellen, daß auch sie dann wieder als Perlentaucher auftauchen wird. Meine Präsenz als Musikschriftsteller festigt sich mehr und mehr; ich nenne den nur ungern einen „Kritiker“; es wäre letztlich falsch, weil es so eng mit meiner anderen Literatur zusammenhängt, auf die, hoffe ich immer, die – gut: relative – Bekanntheit meiner Rezensionen zurückstrahlen wird. Dabei ist es logischerweise ein Hemmnis, daß mein Interesse nahezu ausschließlich der E-Musik gilt; es schränkt den Interessentenkreis ein, vor allem auch auf Leute, denen meine poetischen Texte, sagen wir, unheimlich sind. Mit welchem Gefühl sie ja nicht unrecht haben. Und diejenigen, die an den Unterhaltungsmusiken hängen, rieche ich, ebenfalls mit Recht, zu sehr nach etwas Elitärem, von dem sie aus mehr oder minder politischen Gründen meinen, daß es überwunden sei oder noch überwunden werden müsse. Gegen das stehe ich an. Kunst ist, wie Sexualität, kein (Paglia:) „Spaziergang im Grünen“. Mit dieser meiner Haltung hängt selbstverständlich auch meine Position bei der >>>> hier so stark diskutierten Frage zusammen, ob man Bücher nachträglich säubern dürfe, und wenn es noch so sehr „nur“ Kinderbücher sind. In den gleichen Nexus sind meine unpopulären Einlassungen zum Urheberrecht gewoben.
Gut, noch drei Stunden Typoskriptarbeit jetzt. Noch einmal den ganzen Grimes dazu hören.
>>>> Schlinkert sagte gestern Eindrucksvolles, da saßen wir in seiner Küche: Er tue nichts anderes mehr, als an seinem Roman zu arbeiten, den er noch vor seinem Fünfzigsten fertighaben wolle. „Ich habe mich dazu entschieden, jetzt muß ich das Risiko tragen. Und ich will und werde es tragen.“ Ganz unabhängig von den objektiven Problemen, in die einen das lebensökonomischen wirft. Überzeugt sein, von einer Arbeit, die eben auch Sendung ist, überzeugt sein. Es ist einfach toll, daß es solche Menschen g i b t, denen der übliche Pragmatismus nicht der erste Wert ist, sondern das, wofür sie glühen. Daß es eben etwas gibt, wofür Menschen glühen. Ich sehe das, übrigens, genau so bei denen, die jetzt mit Leidenschaft für die nachträgliche Veränderung von Büchern sind; denn auch sie treibt eine persönliche Überzeugung, für die sie einstehen wollen und einstehen. Dazu gehören ganz zweifelsfrei >>>> Melusine und >>>> Iris in den Blütenblättern. Ich verlinke selbstverständlich auch, wenn ich sie achte, Gegner. Letztlich sind sie mir lieber als Leute, die aus Bequemlichkeit, sagen wir: innerer Kommodität, mit der sie ihre Meinung haben, meiner Meinung sind.
Guten Morgen.
10.10 Uhr:
Das Typoskript ist fertig, und alle Parts sind ausgedruckt. Also los jetzt zur ARD. Dort noch die Skripte für Sprecher und Toningenieur/in kopieren, vielleicht noch einen Cigarillo vor der Tür rauchen, und dann: beginnen.
15.46 Uhr:
Vom Studio zurück. Wen die Aufnahmearbeit interessiert, >>>> dort habe ich von ihr erzählt.
Jetzt unbedingt eine Stunde schlafen, bin ja seit vor fünf Uhr auf. Danach die Skype-Tonaufnahme mit >>>> Parallalie. Auch davon werde ich im Beitrag zum Ersten Produktionstag noch erzählen; aber danach, selbstverständlich. Nun lassen Sie mich bitte etwas schlafen.
18.05 Uhr:
Sehr komisch: >>>> der Dichter auf dem Kopf (um 17.50 Uhr im Link).
Der Vorwurf des Elitären … … würde nicht gemacht, wenn die Leute noch wüssten, wovon sie reden. Das lateinische Verbum „eligere“ bedeutet immerhin, dass man seinen Acker verbessere, indem man Steine und Unkraut daraus entferne. Eine nicht nur höchst mühsame sondern auch wichtige Arbeit. Dass Sie sie auf sich nehmen, sollte gelobt werden. PHG
Aber, lieber Gogolin, wenn die Wörter mitsamt ihren Ursprüngen gereinigt werden, wird nun diese Bedeutung ü b e r h a u p t nicht mehr bekannt sein,
Indessen, des Lobes war ich ohnedies nie eine besondere Person. Auch insofern bleibe ich, wie Hofmannsthal die >>>> Arabella einst versprechen ließ, der ich bin, nur daß s i e sagte: „die“.
Die Leute … … lesen halt keine Klassiker mehr. Schade, sie könnten so viel lernen.
Nun gut, diesen Krieg werden wir nicht gewinnen.
PHG