Unterm Pflaster glimmt das Feuer (3). Im Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 6. April 2013.

Notate >>>> nach Dieter Richter:
Während andere europäische Metropolen längst den Übergang von der Moderne zur Postmoderne zelebrierten, stelle sich für Neapel die Frage, ob diese Stadt überhaupt schon in der Modernität angekommen sei. Und ob nicht ihr besonderer Reiz gerade in dem Vorläufigen, Vor-Modernen bestehe. Dazu Pasolinis Liebeserklärung an die unangepaßte Rückständigkeit der Gennaro-Satdt, der „letzten plebejischen Metropole“ in Europa, in der selbst Unordnung, Schmutz und Verbrechen noch den Character menschlicher Würde trügen. Auch Walter Benjamins und Ernst Blochs Kategorie der „Porosität“ sei doch nichts anderes als der Entwurf eines urbanistischen und geistigen Gegenmodells zu den Entfremdungserscheinungen der Moderne.
In romantischer Perspektive erhalte sich der alte Gegensatz von Norden und Süden, was im kritischen Bewußtsein der Autoren der Frankfurter Schule zum Ernwurf einer antikapitalistischen Utopie städtischen Lebens werde, der implizit auf Strukturen der Vormoderne zurückgreife. So hätten sich auch bedeutende Architekten der europäischen Moderne (Josef Hoffmann, Le Corbusier) von der „Simplizität“ und „Schmucklosigkeit“ der mediterranen Architektur am Golf inspirieren lassen und Futurismus, Kubismus und Kunstgewerbe dort die „die einfachen Formen“ der neuen Ästhetik gefunden. So werde Neapel im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu einem Inspirationsort der entstehenden Moderne – und dies, im Gegensatz zu Metropolen wie Paris oder Berlin, gerade dadurch, daß traditionelle, vormoderne Strategien in den Prozeß der Entstehung der Moderne hineinwirkten.

9.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Auber, La Muette de Portici.]
Erst um halb acht Uhr auf, gleich an die Neapelnotate, über denen ich noch immer sitze. Dazu die „Masaniello“-Oper Aubers. Na-jà-Musik; glaub nicht, daß ich sie verwenden werde – anders als Carissimis Jephte; allerdings den in Hans Werner Henzes Bearbeitung, kombiniert mit einer alten neapolitanischen Kanzone. Mal sehn.
Es ist ganz enorm, wie gegenwärtig es einem Gelesenes macht, wenn man Unterstreichungen abschreibt. Immer wieder die Erfahrung, wie gut das alte Auswendiglernen nach wie vor funktioniert. Allerdings werde ich nun nie wieder so unvoreingenommen durch Napel flanieren können, wie ich das gewöhnt war. Doch das habe ich ja zur Genüge jahrelang so getan, flirtend; jetzt gebe ich unserer Beziehung, Partenopes und meiner, ein Fundament. Es wird einer guten literarisch-akustischen Form bedürfen, dennoch die Unmittelbarkeit zu erhalten, die ich meine Hörer mitspüren lassen möchte.

>>>> Neapel-Hörstück 4
Neapel-Hörstück 2 <<<<

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