Der Steuererklärung (2015) Vierter Tag. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 28. Juli 2016. Darinnen, vor Schubert, wieder der Zeitstrom.


[Arbeitswohnung, 6.25 Uhr
Mozart, Konzert für zwei Klaviere Es-Dur, KV 365 (Familie Casadeus)]

Nun nur noch den Mantelbogen und die anderen Formulare (Anlage S, Anlage K usw.) ausfüllen:


Auch damit wär ich wohl schon gestern fertiggeworden, hätt ich nicht mittags den Termin bei meiner Fußpflegerin gehabt und danach zum Finanzamt radeln und dort vorsprechen müssen, um die Formulare für die USt-Erklärung zu bekommen; seit 2011 ist eigentlich die elektronische Abgabe verpflichtend. Doch mit den Elster-Programmen habe ich mir, ich schrieb‘s, glaub ich, schon, einmal mein gesamtes Computersystem zerschossen. So stellte ich‘s der freundlichen Angestellten auch dar, nachdem ich immerhin nicht länger als zwanzig Minuten hatte warten müssen.
Sie sah meine Argumente ein und ließ mich handschriftlich einen „Härte“-Antrag formulieren, den nun kein Aas lesen kann, der aber trotzdem erst den Eingangsstempel und dann, gültig auch für die Folgejahre, die Genehmigung bekam. Und ich | bekam die Formulare. Damit dann, voller – Freundin, glauben Sie mir! – Glücksschübe wieder hierher.
Vorher eine knappe halbe Stunde Skype zwischen der griechischen Insel und hier; die Contessa hatte gewhatsupt: ‚einfach, weil es Spaß macht‘. Solch einer Begründung läßt sich‘s nicht entziehen; zumindest Ammaliatori werden da schwach.

Gegen halb 21 Uhr machte ich Schluß und legte mit geradezu ästhetischer Befriedigung die Tagesarbeit so auf den Mitteltisch, wie Sie‘s eingangs oben sehen – damit sie, diese Befriedigung, sich morgens gleich nach dem Aufstehen neuerlich einstelle. Das ist geschehen. Deshalb auch die kleine Causerie nun, ein erzählendes Wippen über der strengen Arbeitsvornahme. Wozu der erste Latte macchiato sowie die Rückkehr zu Mozart: „Ur“alte Vinylplatten aus meinen Jugendjahren. Als ich meine Mutter bisweilen beklaute (mit einer Pinzette in die verschlossene Kasse „fingern“, eher eine Cassette, gehämmert grünes Stahlblech), um den Grundstock meiner Musiksammlung zu legen. Das führte wenig später zu meinem Rauswurf, das und meine Sauferei damals. Nachts der Schlüssel in der Wohnungstür und die Fenster zugebunden, weil ich einen Trick heraushatte, sie durch ein ganz bestimmtes Auseinanderdrücken der Holzrahmen aufzukriegen, dabei halb an der Hauswand hängend, außen, nur lose den Fußballen auf einen Vorsprung gestützt. Man mußte einen bestimmten Winkel finden, und es ging nur mit einem eher meinem Instinkt als dem bewußten Können verdankten Druck. Aber dann ging‘s halt nicht mehr, wegen der Schnüre, die innen die Schließen umschlossen. Meine Mutter muß wirklich verzweifelt gewesen sein. Wo ich dann jeweils schlief, weiß ich heute gar nicht mehr. Mein jüngerer Bruder, in dieser Zeit, hatte sich einer Rockergruppe angeschlossen, mit der er Fahrradketten schwang.
Arme Frau. Nein, das ist nicht ironisch.
So kam ich zu meinem Vater, dessen Ring ich seit vorgestern wieder trage. Unseren Ring, den Volker Weidermann mal >>>> einen „gigantischen“ Siegelring“ genannt hat, öffentlich in der FAS. – Der um die vierhundert Jahre alte Topas ist mir vor vierfünf Jahren herausgebrochen; seither lag der Ring bei einer Juwelierin, die sachverständig meinte, er sei nicht mehr zu fassen; ich solle einen neuen schneiden lassen. Was für mich nicht nur zu teuer gewesen wäre, sondern ich hätte, wäre ich drauf eingegangen, das, worauf es mir ankommt, quasi verraten: einen Gegenstand aus dem Zeitstrom zu wahren, der je vom Vater auf seinen ältesten Sohn übergeht (oder, gibt es eine solche, seine älteste Tochter und von ihr dann wieder auf ihr ältestes Kind). Jedenfalls hatte ich den Eindruck, es komme der Juwelierin darauf an, ihren – in hier stark doppeltem Sinn – Schnitt zu machen, und nicht auf mein Bedürfnis.
Endlich bekam ich die Ringteile zurück und brachte sie zu einem jungen Goldschmied gleich um die Ecke in der Stargarder. Er nahm vierzig Euro für die Arbeit, verstand mich sofort; sein eigener Vater lag im Sterben. Nun trage ich das Erbstück wieder. Den anderen Ring, mit der Triskele, macht er mir für den kleinen Finger der Rechten enger. Für die Erbhand gilt die Linke. Auf beiden Ringfingern ein Bedeutungsring gehört sich nicht.
Gekümmert um das Stück, jetzt endlich, habe ich mich wegen meines Sohnes. Anders als damals ich, weiß er, daß er ihn bekommen wird. „Aber das hat“, sagte er gestern, als wir beisammen unsern Caffè nahmen, „noch viele Jahre Zeit.“ Doch schon, als er noch sechs gewesen ist, hat er mich gefragt: „Eines Tages bekomme ich ihn, oder?“, und zwar im selben Tonfall, in dem er, als wir gemeinsam die >>>> Villa San Michele betraten, gesagt hat: „Papa, hier hat eine Fee gewohnt.“ Und dann stand er lange neben dem Sphinx und sah auf das Meer. Wenn Sie dem Link, meine Liebste, folgen, können Sie es sehen.

Dieses hell in diesen hellen Morgen. Auch wenn es angemessen wäre, nun nicht Mozart zu hören (unterdessen KV 449), sondern Christoph Prégardiens Schubert: Lieder von Abschied und Reise, Ludwigsburger Schloßfestspiele 1996, Radio-Mitschnitt. Eines davon habe ich tatsächlich, in einer Collage aus Natur- und Kunstton, für das Hörstück verwendet und bin bis heute auf das Ergebnis stolz – beseelt stolz. Und selig, wann immer ich es wiederhöre.

Guten Morgen, lichte Welt! (Allüberall und ewig blauen licht die Fernen: Mahler/Bethge, Das Lied von der Erde.)


Bruno Lampe derweil | dürfte >>>> bereits auf der Strecke sein.

***

… und: f  e  r  t  i  g!


(Kann weder noch mag ich mich eines leichten Triumphgefühles entheben). Nun nur noch, aber erst morgen, die ausgefüllten Bögen kopieren und in die Finanzamtsmappe heften; die Erklärung selbst wird mit sämtlichen Belegen am Montag früh zum Amt geradelt werden.

[11.24 Uhr
Schubert/Prégardien, diesmal im Kölner Sendesaal des WDRs]


Jetzt mich rasieren, kultivieren, ab zum Sport. Und ab nachmittags | da werde ich wieder Literat sein.

5 thoughts on “Der Steuererklärung (2015) Vierter Tag. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 28. Juli 2016. Darinnen, vor Schubert, wieder der Zeitstrom.

  1. Ich auch, ich auch fast fertig mit Steuer, jetzt nur noch alles Einelstern und dann ab dafür. Es war tatsächlich auch weniger schlimm, als gedacht, Spaß macht es dennoch nicht, nie. Zudem habe ich mich bis heute gescheut, Arbeitsessen abzusetzen, weil ich nicht weiß, wie es geht, ich eh nicht so viele habe, hin und wieder aber eben doch, nun ja. Ich muss vermutlich nachzahlen, letztes Jahr lief es ganz gut, dieses Jahr hingegen ist es mehr als nur mau, und ich wäre eigentlich auch froh, wenn es eine Pauschale gäbe für Werbungskosten bei Autor*innen, dit janze aufbewahren von Quittungen mit Minibeträgen und das Zusammenrechnen jedes Mal, ist doch Kappes, kann man nicht sagen, 10% Werbungskosten sind pauschal drin, alles, was drüber liegt, dann nachweisen, dann ginge es doch wesentlich einfacher.

  2. aber auch ganz arg schöner Verleser:

    “(…) Die Erklärung selbst wird mit sämtlichen Belegen am Montag früh zum Amt geadelt werden.”

    (wünsche einen entspannten Abend aus der Auguststraße)

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