III, 344 – “in der geschlenzten Zeit”

Es ist nie ein guter Moment, wenn man aufgrund einer Fehlleistung sich als Slapstick entpuppt. Das war gestern Abend. Wahrscheinlich war ich froh, den heute morgen abzuliefernden Text zuendegebracht zu haben. Es muß so um halb sieben gewesen sein. Hatte auch auf den Film verzichten müssen, den der Kinoclub als Erstaufführung im Beisein des Regisseurs zeigte. Es ging um Migranten, und die ganze Wochenendserie überhaupt über Outlander. Zum ersten stieß ich auf dieses Wort bei Sylvia Plath in der Form des Adjektivs ‘outlandish’. Aber sonntags beginnen die Filme um 18 Uhr. Und so kurz nach einer Arbeit ist allemal ein Buffer notwendig, ein Leerraum, ein Ichraum, dem alles fremd, was irgend als Ich sich gebärdet, selbst das eigene.
Und da stand ich am Küchentisch, ließ die Flamme aus dem Feuerzeug schießen, ohne daß zwischen meinen Lippen etwas gewesen wäre, das sich hätte anzünden lassen.
Die Vorwegnahme eines Seienden, das der Gedanke auf der Autobahn links überholt hatte, um freie Fahrt sich zu gewinnen.
Ebenso freie Fahrt versuchte sich heute zu verschaffen der Kurier, der die ‘Obstdiebin’ von Handke bei sich hatte. Er bimmelte einmal an: ob ich nicht vors Stadttor kommen könne, das Päckchen entgegenzunehmen, er sei in Zeitnot, und schlug vor, es in der Bar Chicco d’oro zu hinterlegen. Ich willigte schließlich ein. Er schien tatsächlich Problemchen zu haben, und am Nachmittag wäre ich sowieso zum Weinkeller gefahren.
O, die kalte klare Luft, als ich dort war bei diesem außerhalb und recht aussichtsvoll gelegenen Weinkeller: ein scharf in den Horizont gestochener Terminillo, leicht eingepudert von erstem Schnee. Und blätterlose Gerippe fast schon die Reben.
Dann rief er, der Kurier, noch einmal an. Resigniert meldete er, er müsse nun doch in die Oberstadt. Zehn Minuten später klopfte er und bedankte sich für meine prompte Wegbeschreibung. Ein stämmiger ernster junger Mann, der mir tatsächlich auch noch erklären wollte, warum er in diese Zeitnot geraten sei. Und hörte tatsächlich nur mit einem ‘halben Ohr’ hin, was nicht mehr als ein Viertelohr, während das Dreiviertelohr denkt: ok, tschüß, ich muß auch weitermachen.
Als Mittagsobstdieb tauchte dann auch Kinoclub-Chef Fulvio auf. Dem war ich begegnet am Samstag. Ich kam von der Post, wo ich an die 200 Euro gelassen für Telefon, Gas und Hofstrom. Wieder einmal begleitete ihn S. Er lud mich zu einem Caffè ein. Stellte nebenbei die Frage, ob ich nicht einen Gasofen übrig hätte. Erst sagte ich nein, aber dann fiel mir der Gasofen von M., dem Vormieter, ein, der verstaubt in meinem Schlafzimmer steht bzw nunmehr stand. Den kam er heute abholen.
Erstmals war sie, S., auf mich zugekommen, als sie den Platz vorm Pianeta Verde zusammen mit Fulvio überquerte, und ich drinnen saß, in diesem Bioladen. Die beiden waren stehengeblieben auf dem Platz und schauten auf die Leute und auf mich, die wir hinter den beleuchteten Scheiben saßen. Fulvio winkte.
Bis ich hinausging. Da kam die S. gleich auf mich zu und stellte sich vor.
Seitdem fällt sie mir auf, die ihre Kleinwüchsigkeit dadurch auszugleichen scheint, daß sie eine enorme schwarze Haarfülle hat.
Nun, ich hatte dort im Bioladen gesessen, weil ein Märchennachmittag mit Tee angesagt war. Solche Sachen, man glaubt sonst nicht an sowas. Tatsächlich saß da eine mit schlohweißen Haaren und erzählte ein Märchen. Zu dieser Märchentante paßte, daß ihr ein Zahn fehlte. Eigentlich war ich nur deshalb dort, um mir hinterher erklären zu lassen, warum sie nun ausgerechnet “Genji” heiße, der ja doch der Name eines japanischen Prinzen sei in dem berühmten, wahrscheinlich ältesten psychologischen Roman von Murasaki in einer ähnlich an ‘hortus conclusus’ gemahnenden Hof-Geschichte mit den ganz besonderen Ritualen wie etwa im ‘Traum der roten Kammer’, aber eben anders. Aber es war eben doch sehr jungianisch ausgerichtet das Gespräch im Nachhinein. Und irgendwie bin ich nicht mehr ausrichtungsfähig.
Es sei, sagte sie, ihr richtiger Name. Eine Japanerin habe einmal angefangen zu lachen, als sie ihren Namen genannt.
Nächsten Sonntag soll die nächste Märchenstunde stattfinden. Ob ich hingehen werde, weiß ich noch nicht. Es bedeutete: in Gesellschaft eines fast zur Gänze aus älteren Frauen bestehenden Publikums zu sein. Was eher eine empirische Feststellung ist. Ich könnte ja auch nach Wien fliegen, was ich wahrscheinlich nicht tun werde. Es liegt das Eine in der Hand meiner Ausflüchte und das Andere daran, daß ich mir dort tatsächlich mal ein Bein ausgerissen.
Seide hat seine Zeit. Und Wolle beginnt, ihr Recht zu behaupten.
Oder darüber nachdenken, wie ich es hinbekomme, den Gedanken weiterzuentwickeln, den ich neulich notierte, und der aus den Worten “in der geschlenzten Zeit” besteht.
[Ich hatte vorgestern etwas ganz Anderes zu schreiben begonnen, weil passiert war, wovor man sich hüten sollte: andere Text in sich eindringen zu lassen als die eigenen, sofern sie nicht als Stolpersteine taugen, mit denen sich Obst stehlen läßt, das an Bäumen hängt, die im eigenen Dorfe stehen.]

schweift kein dunkel
mehr ins hinein
an waldes saum
in himmels haus
taumelt nicht und
das auge sinkt
dem apfel zu
die schale kippt
vom messer weg

3 thoughts on “III, 344 – “in der geschlenzten Zeit”

  1. “Buffer”@Lampe. Tatsächlich? Oder doch, trotz des, subtrahieren wir “e” und “r” (immerhin die beiden im Deutschen meistverwendeten Buchstaben), leicht anrüchigen Assoziationsraums, “Puffer” (den einst die Eisenbahnen brauchten).

    In Wien könnten wir uns allerdings treffen: Am Donnerstag abend hat Helmut Schulzes und mein >>>> Arco & Joyce Verlag>/a> dort eine Präsentation, bei der anwesend zu sein ich gebeten wurde, indessen sich Schulze derselben (das Wort stimmt in diesem Fall) Versteckflucht bedient, die auch bei Ihnen sich hochkultiviert hat.

    Wie auch immer, erst einmal, heute, Triester Grüße.
    ANH

    1. sagen wir (dürfen wir ja: wir sagen) mal: das harte p war mir unsympathisch, so wählte ich das weiche b, das so abwegig auch nicht war, wenngleich eher einem bluff als einem puff sich nähernd oder einem prellbock für lokomotiven. grad jetzt beim nachdenken darüber kommt mir aber die erkenntnis daß diese ganzen bilabialitäten (bilabilitäten (bilaterale labi(a)litäten)) so wie die bäume waren, die einen den wald bzw. das naheliegende “uffa!” nicht sehen ließen, ein sonst eigentlich sehr spontaner ausdruck, wenn einem etwa im deutschen ein “mist verdammter” einfiele oder sonst etwas in der richtung.
      versteckflucht? finden Sie? ich denke eher an etwas wie trägheitsanheimgebung in einer recht fusselig physikalischen sinngebungssackgasse, was indes der singgebung keinen abpruch tut.
      gruß in Ihre triestiner (!) gefilde
      BL

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