Youn Sun Nah macht weiter ODER Von dem schönen Kommerz.


Ja, ich bin enttäuscht, fast ein bißchen verärgert. Dabei wird der Anlaß, die neue, bei ACT erschienene CD She moves on die allermeisten Hörer:innen erfreuen. Also lassen Sie sich von mir bitte nicht abhalten, sie zu erstehen und gerne auch zu mögen:

Nah She oves on ACT


Die Stücke sind gefällig, sie lassen sich gut als Hintergrundpolsterung grauer Alltage einsetzen; das gilt sogar für Jimi Hendrix‛ Drifting, worin die ungemein wandlungsfähige Stimme dieser doch tatsächlich Ausnahmesängerin zu einer gehallten Art Gänsechor wird, der über der hier angemessenerweise eGitarre Marc Ribots schwebt – eines der wenigen Stücke dieser Platte, das kurzzeitig aus dem klebrigen Wohlklang herausbricht; gleichsam röchelnd verendet es hier: für mich ein angemessener Ausdruck von Wahrheit. Denn sogar diese Nummer, ein komplett unrebellischer, gleichsam gesäuberter Hendrix, muß sich fast Verrat nennen lassen.
Konsequenterweise, immer dem Weichspülen folgend, schließt sich ein als Lullyby dargebotenes Traditional an: Black is the Color of My True Love‛s Hair. Ich selber erwartete, nein v e r l a n g e auch bei so etwas – wenn ich von Musik spreche – zumindest Entgrenzung à la Mahalia Jackson und nicht eine vorgebliche Leidenschaft, die in Wahrheit ständig im – kann man „bürgerlich” heute noch sagen? – ich sage es: bürgerlichen Kalkül des Erträglichen kleingehalten wird. Unterm Strich ist diese CD schlichtweg übersüßt. Nichts gegen Kitsch, aber hier schielt er nicht auf Radikalität des Gefühls (die eigentliche Stärke, die Kitsch und wirklich nur er hat: da nämlich liegt seine Wahrheit) und will Verschmelzung und Entgrenzung, sondern allein auf die Kasse.
Dabei wären die Möglichkeiten gerade für Youn Sun Nah unabsehbar gewesen: Sie hat ja sogar die Fähigkeit der grandiosen Imitation – zu spüren am schlagendsten in Joni Mitchells The Dawntreader, worin wir einen Moment die typische Intonation der berühmten Folksängerin vernehmen, gleichsam sie selbst singen hören. Oder sie, Youn Sun Nah, hätte die Stücke, und zwar jedes einzelne, kraft ihrer Kunst erst zitieren, dann nach allen Regeln der Modulation dekonstruieren können, sie etwa in ihre Grundakkorde auflösen, um diese dann frei zu improvisieren und sie vielleicht danach für unsere Herzen auch wieder zu heilen. Sie hätte schmettern, jubilieren, bisweilen auch schreien können, uns wirklich bewegen können, so daß wir von Stück zu Stück sprachloser gewesen wären und schließlich vielleicht sogar erschüttert dagesessen hätten. Doch bis auf die wenigen kurzen Ausnahmen, für die ich oben Beispiele nannte, erzeugen selbst die Instrumente nichts als einen Klangteppich, den Flokati zu nennen ich einfach nicht umhin kann; und weil er der Gefälligkeit noch immer nicht reicht, klingeln an manchen der vom vielen Drüberlaufen längst verfilzten Zipfel Glöckchen. Dazu das grausliche Wummern in Rube Blooms Fools Rush. Ja selbst die sogenannten Eigen„kompositionen” – etwa Traveller gleich zu Anfang, geschweige der versetzt walzerhafte Blues „Too Late” – ist von bei mir nur Kopfschütteln und leichten Ekel auslösendem Rückgriff auf eine UMusik-„Ästhetik”, die schon vor zwanzig Jahren nichts als falsch nostalgisch war – falsch weil wir uns gar nicht in eigene Vergangenheiten rückversetzen, sondern in solche, die wir über die Medien als Musikgeschichte vermittelt bekommen haben.
Ich nenne so etwas ein Unglück, den meisten Hörer:innen allerdings wird es zu ersetzbarem Glück werden. Auf eine ähnliche Karte haben ja schon >>>> Anoushka Shankar und >>>> Hélène Grimaud erfolgreich gesetzt. Lassen Sie mich diese kleine Rezension deshalb s o enden: She moves on ist eine wundervolle CD für alle meine musikalischen Gegnerinnen und Gegner. Genießen Sie sie.

ANH
Zweiter Advent 2017

Youn Sun Nah
She moves on

Youn Sun Nah – Vocals, Kalimba | Jamie Soft – Piano, Hammond Organ,
Fender & Wurlitzer | Brad Jones – Acoustic Bass |
Dan Rieser – Drums | Marc Ribot – Electric & Acoustic Guitar
The ACT Company | ACT 9037-2
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