III, 369 – Auch ein Karfreitag

Kann man es als sinnvoll ansehen, an einem Tag, den man Karfreitag nennt, der trocken anfing, um dann jetzt im Dunkeln schon in einen Regen überzugehen, dem ich mich nicht mehr aussetzen muß, sich so etwas anzusehen wie Simon Rattle’s Matthäus- oder Johannes-Evangelium oder gar Pasolinis “Vangelo secondo Matteo”? Schwer zu entscheiden, wer nun radikaler sich diesem Thema genähert hat. Sicher, ich würde für Pasolini optieren, dennoch sind beide darauf aus, einem die Hände ins Haar fahren zu lassen. Nein, ich werde es nicht tun, nicht, weil es sinnlos oder sinnvoll wäre, sondern weil ein Kunstwerk, das eines ist, keine Verabredung braucht mit dem Kalender. Auch wenn das, was ich schreibe, eine solche ist. Ich tue mir “lediglich” den Klang an. Des einen Evangeliums. Höre mithin Bach. Ohne zu sehen.

Vielleicht habe ich es schon geschrieben… nein, nicht vielleicht, ich habe es schon geschrieben vor elf Jahren unter dem Titel “Heidnische Altertümer”, woran ich eher denke, wenn die Kalendervorschrift Karfreitag anzeigt, nämlich eher Gründonnerstag. man lese einfach nach.

Nun ist es aber so, daß man dennoch Leiden ausgesetzt ist an so einem Karfreitag. Denn man will ja doch immer das Wort umsetzen, das man sich am Tag davor tatsächlich schon gegeben und am Vormittag auch schon weithin sichtbar fürs innere Aug’ ans Denk-mal!-Kreuz genagelt. Das Projekt hatte im Entwurf durchaus Methode.

In die Stadt der Pharisäer war ich ja schon lang eingeritten, sie sahen alle aus wie ich. Irgendwie verboten. Nichts von phantastischen Hüten à la Piero della Francesca, dem er, Pasolini, im Vangelo ja sehr verpflichtet ist. Nur das Konstatieren des mir selbst ausgestellten Freibriefs, was Haar- und Bartwuchs betrifft. Und so kam halt dieser Plan. Heißt: ich bügel erstmal um des frischen Outfits willen, denn mit den schon lang’ am Leib getragenen Klamotten mocht’ ich mich beim Friseur nicht zeigen, selbst wenn wir uns nunmehr schon lange kennen. Vorsorglich sollte der Bart schon eigenhändig abgesäbelt werden. Man will ja nicht erscheinen wie einer, der grad von einem jahrelangen Inselaufenthalt mit einem Kontakt zu einer Außenwelt zurückgekehrt, deren Erscheinung eher die Vorstellung davon ist, wie sie aussehen könnte, wenn man in ihr sich ihrer gewiß wäre, und sie umgekehrt sich meiner. Und so geht Tabernakel an Tabernakel vorüber, ohne daß sich weder das eine noch das andere bewegt.

Da klopfte es an der Tür.
S., der Sohn der Ukrainer, war von der Mutter geschickt: Vater sei nicht da, sie müßten nach unten mit viel Gepäck, und ob ich nicht…
Das brachte alles durcheinander.
Jetzt gleich?
Er hmte.
In zehn Minuten also. Ihn zur Musikschule bringen. Das “Gepäck” für die Verabredung danach, Schwimmhalle in der Provinzhauptstadt. Sie würden mit dem Bus fahren. Dummerweise sagte ich, was eigentlich ich vorgehabt. – Ob, wenn ich dann nachher doch noch wieder runterfahre, ich nicht am Busbahnhof erscheinen könne, dann könnten die Taschen im Auto bleiben, und sie brauchten sie nicht von der Musikschule zum Busbahnhof zu schleppen. So fünf nach vier dort die erbetene “Verabredung”.
Es war mittlerweile fünf nach drei, als ich sie runterfuhr. Und hatte eigentlich viertel vor vier beim Friseur sein wollen. Danach wär’s wohl problematisch geworden wegen vorösterlichem Zulauf. Alle wollen wieder auferstehen. In die Richtung ging auch ihre Bemerkung, obwohl sie darauf hinaus wollte, daß es ihr eher darum ging, zu erreichen, was sie wollte. “Man ist immer zu gut zu den Frauen” (Queneau).

Jesus, mein Eselsrücken, aber zweimal aus dem Stadttor hinaus statt durch es hinein. Lief aber aufs selbe hinaus. Auf den Friseur hatte ich mittlerweile schon verzichtet. Dienstag also. Allerdings lag noch eine Gasflasche an, Benzin und Supermarché, und vor alledem Bargeld aus dem Geldautomaten. Aber die Bankpharisäer wollten nicht, daß er funktioniert. “Im Moment nicht verfügbar”. Mit meinen zehn Euro konnte ich allerdings nichts ausrichten. Zumindest die Gasflasche brauchte 25 Euro Bargeld. Und so war ich zwei Stunden unterwegs gewesen bzw. auf dem Quivive und ließ am Ende den lieben Gott einen lieben Gott sein und sagte der schnöden Welt adieu, ohne auch nur irgendwas erledigt zu haben. Bloß die Ukrainerin hatte erhalten, was sie erhalten. So ging noch kurz meinen letzten Zehn-Euro-Schein gegen zwei Schachteln Zigaretten einlösen. Restgeld: ein Euro zwanzig.

Und weil wie wir oben gehöret, die Seele den Leib figuriret nach dem Bilde, was sie im Gehirne vom Leibe, oder einigen Gliedern des Leibes, oder von gewissen Werken hat, so sie mit den Gliedern tut; so tut alsdenn ein Mensch würklich, und würkt mit dem Leibe nach dem Bilde, welches er im Gehirn hat, woferne der Verstand, und die Vernunft nicht die Würkungen der Imagination hemmet.
Adam Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, 1738

Wahrscheinlich ist mir morgen wieder alles egal. Obwohl ich ja nun morgen nicht jesus-like in der Felsengruft liegen kann, wie ich eigentlich vorhatte (à la: alles erledigt) sondern wieder alles von vorn anleiern muß. Einen Lichtblick gibt’s allerdings: ich werde erfahren, wie’s bei Enderby in ‘Enderby Outside’ weitergeht, dieser höchstmerkwürdigen Person, der unleicht ein Vergessen beschieden sein wird.

III, 369 – enderbeing

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