Mit unerträglicher Heftigkeit erlebte ich noch einmal (so erscheint es mir wenigstens) alles, was, angefangen mit einem ähnlichen Kuß, je zwischen uns gewesen war; und ich sagte (an-stelle unseres billigen, förmlichen „Du“ jenes seltsam volle und bedeutungsschwere „Sie“ verwend, zu dem der Weltumsegler in jeder Hinsicht bereichert zurückkehrt): „Schauen Sie — was wäre, wenn ich Sie lieb[t]e?“
Frühling in Fialta, 104
So, → mit diesem Sie, hat auch Die Dschungel einmal begonnen und es nicht nur bei → Sola-Ngozi so strikt wie netzunüblich durchgehalten. Bis heute. Das war bereits damals auf einen poetischen Hof angelegt — als Corona um jede Aussage und doch leuchtend aus ihr auch heraus (oder sie dunkel beschattend), denn
bis man mich erschießt, werde ich darauf beharren, daß Kunst, sobald sie mit Politik in Berührung gebracht wird, unvermeidlich auf das Niveau beliebigen ideologischen Plunders herabsinkt,
Frühling in Fialta, 100,
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
was für die „Correctness“ genauso gilt, die in vielen, wenn vielleicht auch nicht allen Bereichen des täglichen Leben notwendig ist, in aber der Kunst nichts zu suchen hat, und sucht sie dort dennoch, dann um sie zu bändigen, an die ideologischen Leinen zu nehmen oder gar völlig wegzusperren als etwas, das sich der funktionalen Moral, also dem Zugriff solcher entzieht, die sie nicht verstehen oder verstehen nicht wollen, oder sie ahnen etwas in ihr, das sich dem Untertanengeist ebenso entzieht wie Mose I, 1,28.
Wohin es geführt hat, dieses Sichunteranmachen (:ein bezeichnender Doppelsinn) und über die Fische und Vögel zu herrschen, das wissen wir ja nun.
Als die Götter noch irdische Gestalt anzunehmen pflegten, als sie, angetan mit veilchenfarbenen Gewändern, mit muskulösen Füßen in noch staubfreien Sandalen bescheidentlich, aber kraftvoll den Erdboden betraten und Feldarbeitern oder Berghirten erschienen, tat das ihrer Göttlichkeit nicht den mindesten Abbruch; im Gegenteil war der sie umwehende Charme der Menschlichkeit eine höchst sprechende Bestätigung ihrer himmlichen Natur. Doch wenn ein beschränkter, ungehobelter, ungebildeter Mann — auf den ersten Blick ein drittklassiger Fanatiker und in Wahrheit ein sturer, brutaler und finsterer Pavenü voller krankhaften Ehrgeizes —[,] wenn ein solcher Mann sich als Gott verkleidet, möchte man die Götter um Verzeihung bitten.
Tyrannenvernichtung, 123
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Bereits Ernst Bloch wies darauf hin, wie viel Hitlers Wahn aus der Johannesapokalypse übernommen hatte — das monotheistische „Prinzip“ sowieso, wie das der unbedingten Gefolgschaft überhaupt, das den Dissenz in Diktaturen mit dem Tod oder der Verbannung bestraft und in sogenannten Demokratien mit wenigstens sozialer Stigmatisierung. Nach wie vor ist schauderhaft, daß GOttes Verlangen – als Zeichen seiner, dieses böse Wort, „Treue“ –, Isaak habe seinen Sohn zu opfern, und daß er’s im Moment, da jener es tun will, ihm erläßt, als ein Zeichen besonderer Güte galt und gilt – anstelle dem brutalen Patriarchen so hart vors Schienbein zu treten, daß es ihm bricht.
Ich kann ruhig zugeben, daß ich selber einmal den flüchtigen Eindruck hatte, er sei fähig zum Mitleid; erst später wurde mir dessen wahre Schattierung klar. Leuten, die billige Paradoxa mögen, ist schon vor langem die Sentimentalität der Henker aufgefallen; und tatsächlich ist vor Fleischerläden der Bürgersteig immer feucht.
Tyrannenvernichtung, 135
Dies gleich zu Anfang meiner, nun jà, Besprechung des zweiten Bandes der Erzählungen Nabokovs, die mit den letzten noch auf Russisch geschriebenen beginnen und danach sämtliche folgenden englischsprachigen umfassen. Ganz wie in >>>> Wölfinnen finden sich darinnen diesmal auch entschieden längere Prosaarbeiten, die teils abgebrochene Romanprojekte sind. Wie >>>> dort will ich auch hier ich auf drei oder vier von ihnen gesondert eingehen; ebenfalls wie dort soll dieser erste Beitrag zu Band II der Erzählungen einen kommentierten Gesamteindruck der Schönheiten und der nabokovschen Raffinesse vermitteln, die sein Werk derart zeitlos heraushebt.
Mit Träger Rauch geht es 1935 schon los:
Der Lärm eines Wagens schraubte sich hoch wie eine dünne Säule, auf die sich als Kapitell ein Hupen an der Kreuzung legte; oder es kam umgekehrt das Hupen zuerst, dem ein näher kommendes Knattern folgre, an dem das Schaudern der Türflügel nach besten Kräften teilnahm,
Träger Rauch, 10
(Dtsch.v. Jochen Neuberger),
was ebenso wie
die hellen Schlitze ihrer pelzigen Augen (Hervorh.v.mir, ANH)
Träger Rauch, 13
mehr als nur erwähnenswert ist. Die Erzählung ist aber auch poetologisch interessant, insofern Nabokov mit erneuten Selbstreferenzen arbeitet, etwa indem der Icherzähler dieser Jungpoetengeschichte die Bibliothek seines Vaters auch den Roman Защита Лужина eines gewissen Sirin enthalten läßt – jenes Pseudonyms „W. Sirin“, unter dem Nabokov in seiner Exilzeit meist publizierte (weshalb er es nicht mit Klarnamen tat, werde ich gewiß noch erfahren).
Allerdings, um solcherart Selbstrefenz von literaturwissenschaftlich falschen Bakterien oder der Naivetät zu desinfizieren, teilt Nabokov seinen Leserinnen und Lesern Jahrzehnte später mit, daß
Wer gerne biographischen Appetithappen nachjagt, gewarnt
sei und
mein Hauptvergnügen beim Abfassen neuer Sachen darin bestand, unbarmherzig Garnituren von Emigranten zu erfinden, die im Wesen, der Schichtzugehörigkeit, dem Aussehen und so weiter den Nabokovs absolut unähnlich waren. Die einzigen beiden Übereinstimmungen zwischen Autor und Held sind hier, daß beide russische Gedichte schrieben und daß ich irgendwann in einer ebenso tristen Berliner Wohnung wie er gewohnt hatte. Nur sehr schlechte Leser (oder vielleicht einige ungewöhnlich gute) werden mich dafür schelten, daß ich sie nicht in deren Wohnzimmer lasse.
Daß es sich bei solchen Aussagen zugleich abermals um ein poetisches Spiel handelt, habe ich → schon dort angedeutet, um eine Volte, die Fiktionales mit Realem amalgamiert – was übrigens nichts oder höchst wenig mit „alternativen Fakten“ zu tun hat, sondern erkenntnistheoretisch Schopenhauers Gedanken entspricht, wirklich sei, was wirke.
Aber muß ich denn eigens erklären, wie unentrinnbar mich Formulierungen wie
(…) ein kleiner Mückenschwarm war damit beschäftigt, über einer Mimose, die lustlos blühte und ihre Ärmel bis auf den Boden sinken ließ, die Luft zu stopfen [Hervorh.v. mir]
Frühling in Fialta, 79
becircen? Oder fünf Seiten vorher:
und mitten auf der Straße küßte sie mich dreimal mit mehr Mund als Gefühl,
ebda.,
um ganz von dem, im Irrealis wohlgemerkt, Vergleich zu schweigen
als wäre die Liebe einer Frau ein Quellwasser voll gesunder Salze, von dem sie jedermann auf den leisesten Wink bereitwilligst zu trinken gab.
ebda., 78
Achten Sie auf die „s“- und „st“-Folgen. Freilich hat auch
die vom Rhythmus hergestellte Verbindung zwischen Hymen und Tod
ebda., 78
an etwas Teil, für das ich selbst auf der ergebenste und liebevoll, wie unsere Zeit es kaum mehr zu (er)kennen scheint, nach wie vor schreibe – und umso beharrlicher, als irgend versucht werden muß, etwas von dieser alten, zugleich extrem präzisen Fülle in die pragmatische Moderne und ihr flaches Genderprimat hinüberzuretten: nicht gegen, sondern für „die“ Frauen, genauer: der erotischen Notwendigkeit einer Verklärung halber, die der nicht nur künstlerischen Projektion, die jede Liebe auch ist, die Hingabe bewahrt. Wobei sich mit umgetauschtem Possessivpronomen
ein Bleistift-X, das Symbol für das Analphabetentum seines Herzens
Tyrannenvernichtung, 135
im Nachhinein als prophetisch-böser Kommentar zum späten → #metoo lesen ließe. Nein, Scherz beiseite (es versteht ihn eh niemand) – doch lesen Sie, Freundin, wie Nabokov beschreibt, was nicht wenige wahrhaft Verliebte erleben dürften und wir auf jeden Fall erlebten (wobei es völlig wurscht ist, ob Mann und Frau, ob Frau und Frau, Mann und Mann, ja „Queer“ und „Queer“, selbst → Hirten könnte es mit ihren Lämmern so gehen):
Und was mir und ihr in der Zwischenzeit auch zustieß, es kam nie zu irgendwelchen Aussprachen zwischen uns, da wir in den Pausen unseres Schicksals niemals aneinander dachten, so daß sich bei jedem Wiedersehen das Tempo des Lebens auf der Stelle änderte, alle seine Atome neu kombiniert wurden und wir in ein anderes, leichteres Zeitmedium gerieten, dessen Maß nicht die langwierigen Trennungen, sondern die wenigen Begegnungen waren, aus denen auf diese Weise künstlich ein kurzes, vermeintlich leichtfertiges Leben entstand.
Ebda., 95
Dann wieder bringt dieser Prosadichter eine poetische Quadratur des Kreises fast aus dem Handgelenk, so scheint’s, zustande, eine bitterböse Satie , worin der
schlecht gebügelte Schatten des [Eisenbahn]Wagens (…) wie verrückt an der grasbewachsenen Böschung entlang[raste], wo Blumen zu Farbstreifen verschmolzen[,]
Wolke, Burg, See, 109
(Dtsch.v. Renate Gerhardt und Dieter E. Zimmer)
innig mit poetisch zarten, ja zärtlichen Momenten zu verbinden:
Eine ausgewachsene Wanze ist schauderhaft, aber es liegt eine gewisse Grazie in den Bewegungen eines seidigen Silberfischchens.
Ebda., 113
Enorm stark ist das auf die Tyrannenvernichtung folgende L i k, einerseits dessen Beginn auch der einer Erzählung des von Nabokov später sehr geschätzten → Borges sein könnte, aus der
angelnde Regisseure auch noch Jahre später etwas herausfischen können[,]
Lik, 162
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
und das andererseits in vergnüglichstem Blitzen des Autors boshaften Witz demonstriert:
(… ) es ist alles sehr zwingend und lebenswahr, jeder Dialog trägt das Warenzeichen einer respektablen Tradition, und es versteht sich von selbst, daß kein einziger Stoß von Talent den ordnungsgemäßen Gang der Handlung stört
zumal der
Apfel der Zwietracht (…) gewöhnlich eine frühe, saure Frucht [ist] und gekocht werden sollte.
Ebda., 163
Dabei wird abermals das Exilantenmilieu, doch ausnahmsweise nicht das Berliner, vielmehr das im seinerzeitigen Paris geradezu poetologisch in den Blick genommen:
Bei nicht mehr jungen Menschen, die nicht nur außerhalb ihrer Heimat, sondern auch außerhalb ihres eigenen Lebens gestrandet sind, entwickelt sich das Heimweh zu einem außerordentlich komplizierten Organ, das ununterbrochen in Tätigkeit ist und dessen Sekrete alles Verlorene kompensieren; oder aber es wird zu einem tödlichen Seelentumor, der das Atmen, das Schlafen und den Umgang mit unbekümmerten Ausländern schmerzhaft macht.
Ebda., 165/166
Wobei zwar der
Einsamkeit als einer Situation […] abgeholfen werden [kann], als Geistesverfassung jedoch […] eine unheilvolle Krankheit
Ebda., 170
sei, zumal
alle Verbesserungsmöglichkeiten, die Kunst und Eitelkeit ihm nahelegten (zwei Dinge, die oft zusammenfallen [Hervorh.v.mir]), bald gleichgültig wurden
Ebda., 170
und er, nämlich Lik, „mit unveränderter, geheimnisvoller Freude auf die Bühne“ eilt. Schon spannt sich da über ein nächtliches Meer
eine straffe Membran aus Mondschein […], dem ebenso straff gespannten Gefäß seines klopfenden Herzens verwandt, als trennte nichts es vom Himmel, von dem Geschlurre menschlicher Füße und dem unerträglichen Andringen der Musik aus einer nahen Bar.
Ebda.,172/173
Da muß es uns nicht wundernehmen, wenn er
sich plötzlich unsicher auf den Beinen [fühlte] und zu vornehm angezogen.
Ebda., 181
Die teils bittere, auf die leicht bizarre Annäherung eines Herrn namens Koldunow, mit dem auf der Pier ein bei aller auch schurkischen Verstellung ein existentielles Gespräch geführt wird — in dessen Folge Liks Uhr
weiter[tickte] und […] taktvoll [versuchte], ihn nicht anzusehen,
Ebda., 196
— nein! …. Die diese Erzählung beschließende Pointe verrate ich nicht, nur noch Liks hilfloses „C e sont les miens.“
Der folgende Museumsbesuch ist nicht ganz unähnlich meinem eigenen Blick auf diese Art Kunstmausoleen, bzw. Kolumbarien wie dem unterirdischen auf Père Lachaise., nur daß die Geschichte hier leider etwas wegkippt, als hätte Nabokov die Lust dran verloren oder ein zündender Schluß ihm einfach nicht einfallen wollen. Kommt vor, Wassilij Schischkow entschädigt uns gleich – eine durchaus autobiografisch fundierte Prosa; Nabokov erzählt den Hintergrund später auch selbst:
Um Ende 1939 die Eintönigkeit meines Lebens in Paris aufzulockern […], beschloß ich, dem berühmten Exilkritiker Georgij Adamowitsch (der mein Zeug regelmäßig verriß […]) einen harmlosen Streich zu spielen, indem ich in einer der beiden führenden Literaturzeitschriften ein Gedicht unter einem neuen Pseudonym veröffentlichte, um herauszufinden, was er […] zu diesem unerwartet aufgetauchten Auto zu sagen hätte. […].
[Es] wurde von Adamowitsch […] mit außergewöhnlicher Begeisterung gefeiert. […] Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Scherz weiterzutreiben, und veröffentlichte kurz [nachher]
Zit.n. Dieter E. Zimmer, Nachwort zu diesem Band, 600-602
die eben jetzt von mir ins Auge genommene Erzählung „eines Dichters, der in einem anderen aufgeht“. Darin finden sich formulierte Feinheiten von
einem geräumigen, bequemen Handschlag
und daß Schischkow
Mit ernstem Gesichtsausdruck und einem ähnlichen Ernst in der Stemmbewegung seiner Schultern […] den rostigen Widerstand der Drehtür [überwand],
Schischkow, 216
(Dtsch.v. Jochen Neuberger)
oder daß jemand
rein physiologisch gesehen, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben, über ein Geheimnis des Schreibens
Ebda., 219
verfüge, und derlei leise Grandiositäten ziemlich viel mehr.
Womit ich bereits bei einem der, noch in Russisch geschrieben, Zentralerzählungen dieses zweiten Bandes wäre, die erstens umfangreich genug, um auch → als gesondertes schmales Buch erschienen zu sein, und zweitens für Nabokows späteres, sogar sein berühmtestes, als früher, doch deutlicher Vorläufer gelten zu müssen, nämlich Der Bezauberer von 1939 (in manchen deutschsprachigen Ausgaben auch „Der Zauberer“).
Auf diesen aus verschiedenen Gründen — u.a. solchen, deren, sie zu gestalten, Wagnis ich → in Lolita vermißte — wesentlichen Text will ich im nächsten Teil meiner Betrachtungen dieses zweiten Erzählbandes genauso gesondert und ausführlich eingehen wie auf die letzten beiden auf Russisch verfaßten Erzählungen Utima Thule und Solus Rex in den darauf folgenden Betrachtungen. Hier sprengte es meinen ohnedies schon sehr langen Beitrag. Und da auf „sprengen“ sich „springen“ beinahe reimt (doch die Alliteration gleicht beinah das „beinahe“ aus), tun wir’s also ———
——— und springen nunmehr in die englischgeschriebenen Geschichten, einer Sprache, deren einer der, wie ich gestern → bei Eigner las, größten Stilisten der bei Einschiffung gen USA vierzigjährige Nichtmuttersprachler werden sollte. (Auch auf Eigners in dem verlinkten Band enthaltene „Nachstellung“ Lolita – Fleisch und Begriff möchte ich getrennt eingehen.)
E c c o :
Der Regieassistent blickt erst einmal zurück, auf Paris, deren rue Vaugirard gleich neben der Berliner Motzstraße, sozusagen, verläuft, was gar nicht seltsam ist, denn
das Unerwartete ist das Infrarot im Spektrum der Kunst.
Regieassistent, 401
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
So durfte denn Nabokov noch schreiben, daß sich eine Frau — von einem zwar ziemlich verwundeten, doch nach wie vor feschen und furchtlosen Reiter mit auf sein galoppierendes Pferd gezogen — „wild und wonniglich wehrt“, weil ein mißachtetes Nein halt doch zur schon erahnten Beglückung führen kann – „k a n n“: Ich bitte, genau auf meine Formulierung zu achten, und zwar immer.
Und wir hören von Organisationen,
die lediglich ein Sonnenuntergang hinter einem Friedhof
Ebda., 405
sind und deren künftiger Präsident der General Golubkow werden will, sowie von der Sängerin Slavska, deren
künstlerischer Geschmack […] gleich null [war], ihre Technik reiner Zufall, ihr allgemeiner Stil ein Graus; doch jene Leute, für die Musik und Gefühl eins sind oder die Lieder als Vehikel jener Stimmungen betrachten, unter denen sie in individueller Vergangenheit zum ersten Mal gehört wurden,
was heutzutage einen Großteil des Erfolges der Popmusik erklärt,
fanden in der gewaltigen Klangfülle ihrer Stimme wehmütigen Trost wie vaterländische Ermutigung.
Ebda.,412
Allerdings (um auf Golubkow zurückzukommen):
Wir werden uns nicht über den Abgrund seiner Gefühle beugen.
Ebda., 420
und zwar erst recht nicht in Gegenwart eines anderen Generals-im-Exil, der
halb von einem jener Korridorstühle herabgeglitten [war], die dazu verdammt sind, immer nur Gegenstände aufzunehmen und niemals Menschen,
obwohl er, General L.
zu jenen Menschen gehörte, welche [1]„welchem“ Wort ich das kürzere „die“ hier vorziehen würde der Meinung sind, daß ein Satz, solange er nur ein Satz ist, auch irgendetwas bedeuten wird.
Ebda., 421
Hübsch ist auch die Bemerkung, es habe die
französische Polizei in ihrer Behandlung möglicher Indizien eine sonderbare Lustlosigkeit an den Tag [gelegt], als nähme sie an, daß das Verschwinden russischer Generäle eine Art wunderlicher ortsüblicher Sitte war, ein orientaliches Phönomen, ein Auflösungsprozeß, der möglicherweise nicht vorkommen sollte, aber nicht zu verhindern war.
Ebda., 422
„Möglicherweise“… also bitte, wer da nicht lacht!
Und dann der im Juni 1943 erschienene, derart großartige Text … daß in Aleppo einst …, daß ich nicht umhin kann, Ihnen, Freundin, meine Begeisterung schon durch folgendes gewissermaßen Faksimile zum Ausdruck zu bringen:
Nicht nur, daß für den Erzähler wie in meiner eigenen Jugend Sherlock Holmes so bedeutsam war, daß er hier indirekt sogar einen kurzen Auftritt bekommt (welch Jammer, daß Nabokov → Jeremy Brett noch nicht kannte – oder kannte er ihn, borges’sch gedacht, vielleicht doch? –), erinnert er sich zwar nicht an die Zeiten,
– oder daß ich es so ausdrücke, erinnert mich vielmehr daran – als wir unsere ersten euterwarmen schäumenden Verse schrieben […].
Aleppo, 426
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer),
sondern auch die folgende Erklärung fesselt unmittelbar unser Interesse:
Obschon ich urkundliche Zeugnisse meiner Eheschließung vorweisen kann, bin ich heute sicher, daß meine Frau nie existiert hat.
Ebda., 426
Welch eine im erzählschachtechnischen Sinn wie auch für einen „Plot“ hinreißende Eröffnung! Deshalb muß ich wirklich einmal eine längere Passage zitieren:
So begannen wir unsere unglückseligen Flitterwochen. Zerdrückt und geschüttelt inmitten des apokalyptischen Exodus, warteten wir auf unfahrplanmäßige Züge, gingen wir durch die ausgedienten Kulissen abstrakter Städte, lebten wir in dem ständigen Zwielicht körperlicher Erschöpfung — solches war unsere Flucht: und je weiter sie uns führte, desto klarer wurde es, daß uns mehr als ein Schwachkopf mit Stiefeln und Koppelschloß und seiner Kollektion verschieden angetriebenen militärischen Trödelkrams vor sich her jagte – etwas, wofür er nur das Symbol war, etwas Ungeheuerliches und Unfaßbares, eine zeit- und gesichtslose Masse unvordenklichen Grauens, das selbst hier, im grünen Vakuum des Central Park[s], immer noch von hinten auf mich zukommt.
Ebda., 429
Welch ein phantastischer Ton ist da wieder!
Du mußt Dir die Szene vorstellen: den winzigen Garten mit seinen Kieswegen, der einsamen Zypresse und dem blauen Krug wie aus Tausendundeiner Nacht; die rissige Terrasse, wo der Vater der alten Dame mit einer Wolldecke auf den Knien vor sich hin döste, als er sein Gouverneursamt in Nowgorod aufgegeben hatte, um ein paar letzte Abende in Nizza zu verbringen; den blaßgrünen Himmel; einen Hauch von Vanille in der sinkenden Dämmerung; die Grillen, die ihren metallischen Triller hören ließen, der zwei Oktaven über dem eingestrichenen C liegt; und Anna Wladimirowna, deren hängende, faltige Wangen zuckten, als sie mir eine mütterliche, aber unverdiente Beleidigung an den Kopf warf.
Ebda., 429
Und dann, ein Jahr später bereits, Ein vergessener Dichter,
der nicht älter als achtzehn [war], als er seine bemerkenswerten Georgischen Nächte schrieb, ein lange, wildwucherndes „Traumepos“, das in einzelnen Passagen den Schleier seiner traditionellen orientalischen Szenerie zerreißt, um jenen himmlichen Luftzug zu erzeugen, der einen plötzlich genau zwischen den Schulterblättern die Wirkung wahrer Poesie spüren läßt.
Vergessener Dichter, 443
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Dessen Ruhm allerdings erst einmal posthum ist, wobei wir einen objektiven Wahrheitsgehalt des notwendigerweise nur kurzen, von Nabokov erzählten Abrisses dieser Biographie alleine (wenn wir’s denn wollen) unter Bemühung literarischer Lexika, bzw. des Netzes vornehmen können und dann schnell auch darin bestätigt werden, ein Vorbild Perows (also für Nabokovs Figur) könne D’Annunzio gewesen sei, der nicht nur ebenfalls (wie fast auch Rainald Goetz → mit dem Stirnschnitt) seinen Ruhm auf die Finte eines zu frühen Todes stützte, sondern auch er hing dem Orientalismus an, den er als Japonismus in Rom einführte.
Bei Perow geht dieser „Tod“ höchst witzig so:
Im Herbst 1849 stattete er seinem Vater einen Besuch ab, um Geld für eine Reise nach Spanien zu erbitten. Der Vater, ein Mann einfacher Reaktionen, gab ihm eine Ohrfeige; und ein paar Tage später ertrank der arme Junge beim Baden im benachbarten Fluß.
Wobei der Witz gerade in der unterschobenen Ursache-Wirkungskette wegen der Ohrfeige liegt.
Unter einer Birke entdecke man seine Kleidung und einen angebissenen Apfel; doch seine Leiche fand sich nie.
Vergessener Dichter, beides 445
Doch taucht dann, mit den Worten „Ich bin Perow“ als alter Mann wieder auf, und zwar zu einer offiziellen Beratungsgelegenheit, in der die Einzelheiten der Aufstellung eines zu seinen Ehren zu errichtenden Dichterdenkmals erörtert und beschlossen werden sollen. Unversehens sitzt da der zu Bedenkmalende-selbst mit auf der Bühne. Die nunmehr ausgelösten Reaktionen verpetz ich Ihnen nicht, auch weil Rußland „irgendwie“, wie Nabokov es formuliert, „im Laufe der folgenden zwanzig Jahre“, also unter der frühen Sowjetdiktatur „jeden Kontakt mit Petrows Dichtung“ verliert, indessen Zeit und Ebbe, danach, eine eigentümlich melancholische Geschichte ist und neuerlich, und diesmal dystopisch, Sciencefiction, worin aber nicht nur – vermittelt über die Großmutter des Erzählers – ein deutlicher Bezug zu Andersens Kleiner Meerjungfrau hergestellt wird, die Nabokov genau wie den von ihm beiläufig abgetanen Thomas Mann immer wieder beschäftigt hat — deutlich einer seiner, wahrscheinlich ihrer Nymphik wegen, Animae —, sondern es gibt auch stilistisch tolle Einfallsvolten wie etwa folgende:
(…) diese Muster und melodischen Figuren, für deren bewußte Analyse ganz allein die Zeit verantwortlich ist, brachten den drugstore irgendwie mit einer Welt in Beziehung, wo Menschen Metalle quälten und die Metalle sich revanchierten.
Zeit und Ebbe, 471
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Von Musen frei allerdings ist die Abrechnung mit dem US-amerikanischen Antisemitismus, bzw. sogar einer Leugung oder Verniedlichung der Shoa in dem bezeichnenderweise Genrebild 1945 genannten, im selben Jahr erschienenen Stück, das (auch) von einer jungen Russin in New York erzählt,
die von der Möglichkeit, für das gehalten zu werden, was sie sich unter einer Jüdin vorstellte, so beunruhigt war, daß sie regelmäßig ein Kreuz um den Hals trug, obwohl sie so wenig Frömmigkeit wie Geist besaß.
Genrebild, 481
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Daß Nabokov nebenbei seiner Abneigung gegen Deutsche zwar nicht die Peitsche, aber doch ein feines Gertchen in die Sprachhand nehmen läßt, ist nachvollziehbar und sogar, wenn man formulierend so wundervoll-fies damit zuzuschlagen versteht, geradezu erfreulich:
Ich habe mich oft gefragt, wie ein dünner Deutscher es immer fertigbringt, in einem Regenmantel so gesäßlastig auszusehen.
Genrebild, 481
Oder dieses „Alles ist Chiffre“ in dem sanften Zeichen und Symbole, indessen ich auf Erste Liebe erst eingehen möchte, wenn ich Erinnerung sprich gelesen haben werde, die, wie Eigner sie in seinem Aufsatz nennt, „Autobiografie in Romanform“, in die der hier als Erzählung abgedruckte Text sehr viel später, und erweitert, eingeflochten worden ist. Dennoch möchte ich wenigstens eine Stelle daraus zitieren, einfach weil sie derart grandios ist und Entzücken keinen Aufschub mag:
Die Abteiltür stand offen, und ich konnte das Gangfenster sehen, wo die Drähte – sechs dünne schwarze Drähte – ihr Bestes taten, um anzusteigen, um sich himmelwärts zu schwingen, den blitzartigen Schlägen zum Trotz, die ihnen ein Telegraphenmast nach dem anderen versetzte; doch gerade wenn alle sechs in einem triumphalen Aufschwung rührender Begeisterung im Begriff standen, den oberen Rand des Fensters zu erreichen, holte ein besonders tückischer Schlag sie auf ihre vormalige Tiefe herunter, und sie mußten von vorn anfangen.
Erste Liebe, 510
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Wer hätte dieses nicht schon einmal selbst gesehen, aber wer es jemals derart in Worte gefaßt? Selbst in die hypotaktische Bewegung dieses Satz scheint das Auf- und Wiedernieder(quasi)fließen dieser Drähte eingeströmt zu sein,
Wiederum Szenen aus dem Leben eines Doppelungeheuers ist der Beginn eines leider abgebrochenen Romans, der erst, nochmals „leider“, irgendwie abbricht, dennoch – aus der Sicht eines siamesischen Zwillingteils – poetische Perlenschnüre wie diese vom ranken Hals der Muse nimmt:
Er warf einen kurzen blauen Schatten auf den Boden, ich auch; doch zusätzlich zu diesem skizzenhaften, flachen und veränderlichen Begleiter, den er und ich der Sonne verdankten und der bei trübem Wetter verschwand, besaß ich noch einen anderen Schatten, eine handgreifliche Spiegelung meines körperlichen Ichs, die ich zu meiner Linken ständig bei mir führte, wohingegen mein Besucher die seine irgendwie verloren oder losgehakt oder zu Hause gelassen hatte. Lloyd und Floyd (das siamesische Zwillingspaar, Anm.ANH) waren vollständig und normal; er war weder das eine noch das andere.
Doppelungeheuer, 526
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Und dann Die Schwestern Vane!
Nabokov war sich über deren Bedeutung vollkommen klar und spricht in seinen Anmerkungen von einem „Trick, den man nur einmal in tausend Jahren belletristischer Prosa versuchen kann.“ (Wer denn behauptet zurecht, Dichter hätten bescheiden zu sein? Schon Holmes fand das Understatement unangemessen und eigentlich eine verklemmte Eitelkeit. Dennoch schränkt Nabokov selber ein, daß, ob der Trick auch funktioniere, eine ganz andere Frage sei.)
Der Erzählansatz, bzw. die Grundidee der Geschichte ist, wir ahnen es, verzwickt. Ich darf sie auch auf keinen Fall verraten, sondern habe Sie vielmehr, Geliebte, hier hineinzuverführen, wozu sich die dem wehen Sirenensang einer Erdgeistin ähnelnde Prosalockung um so mehr eignet,
als ich jenes sorgfältig gewellte dunkle Haar beobachtete, jenen kleinen, kleingeblümten Hut mit seinem hyalinen Schleier, wie er in jener Saison getragen wurde, und darunter ihr kleines Gesicht, das eine Hautkrankheit in ein kubistisches Narbenmuster aufgebrochen hatte; es war rührend von einem Höhensonnenteint verdeckt, welcher [„welcher“, hm: ANH] ihre Züge härter wirken ließ, deren Charme weiterhin darunter litt, daß sie alles angemalt hatte, was angemalt werden konnte, so daß das bleiche Zahnfleisch zwischen ihren kirschroten rissigen Lippen und die verdünnte blaue Tinte ihrer Augen unter schattierten Lidern die einzigen Öffnungen zu ihrer Schönheit waren.
Schwestern Vane, 543
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
So etwas benimmt uns ebenso total wie Dianas hochdiskrete, geradezu aristokratisch geschilderte Hinaufführung
in eine kühles kleines Schlafzimmer, nur um mir – als wäre ich die Polizei oder ein mitfühlender irischer Nachbar – zwei Tablettenfläschchen und das zerwühlte Bett zu zeigen, aus dem ein zarter, unwesentlicher Körper, den D. einschließlich seines letzten samtenen Details gekannt haben mußte, bereits entfernt worden war.
Ebda., 545
Des weiteren die Rede ist von den
fleischigen Voluten ihrer Nasenflügel
und davon, daß Diana „hübsch in ihrer Dunkelheit“ war und
eine nicht zu geschmacklose Mischung einigermaßen schicker heterogener Kleidungsstücke [trug] und […] eine sogenannte gute Figur hatte; aber alles an ihr war seltsam liederlich, in einer Weise, die ich dunkel mit linken Begeisterungen in der Politik und „progressiven“ Banalitäten in der Kunst in Zusammenhang brachte, obwohl sie in Wirklichkeit weder für das eine noch das andere etwas übrig hatte.
Ebda., beides 546
Dazu noch diese Frage!
Und was wäre [hier gehört, indirekte Rede, ein „sei“ hin: ANH] mit Gott? War es so, oder war es nicht so, daß Leute, die einen allmächtigen Diktator auf Erden empört ablehnen würden, sich auf einen im Himmel freuten?
Ebda., 550
Um von dem
Lapsus, der wie ein Lapislazuli aussah
Ebda., 553
auf keinen Fall zu schweigen. — Und wir kennen aus Anlaß von Parties auch d a s, aber nicht die daraus hier gezogene Folge, jedenfalls ist sie uns kaum bewußt:
Einer barbarischen, unhygienischen und ehebrecherischen Sitte gemäß wurden die innen noch warmen Mäntel der Gäste vom ruhigen, ziemlich kahlen Bob Wheeler in das Heiligtum eines reinlichen Schlafzimmers getragen und auf das Ehebett gehäuft.
Ebda., 556
Keine Frage, hier schimmert erneut die hochgesellschaftskritische Prosakunst des von Nabokov zurecht verehrten Aldous Huxley durch. Und ein formtechnisch ganz besonders pfiffiges Kabinettstück ist der letzte Absatz dieser bemerkenswerten Erzählung. Nämlich als ein Akrostichon, das aufgelöst
„Eiszapfen von Diana
Parkuhr von mir, Sybil“
Ebda., 563
ergibt. Worauf sich diese – Ihnen (noch?) kryptische Nachricht bezieht, auch das verrate ich nicht. Obwohl ich es oben schon angedeutet habe.
Nun bleibt mir nur noch Nabokovs Lanzelot-Erzählung, seine letzte, Lance, vom Februar 1952, geschrieben 1951 im höchst auratisch „Ithaca“ benannten Örtchen des Staates New York. Geradezu abenteuerlich beginnt sie so:
Der Name des Planeten, falls er schon einen erhalten hat, tut nichts zur Sache. In seiner günstigsten Opposition mag er von der Erde gerade so viele Meilen entfernt sein, wie Jahre zwischen dem letzten Freitag [also heute, dem 7. Februar 2020: ANH] und der Entstehung des Himalaya[s] liegen – ein Millionenfaches vom Durchschnittsalter der Lesers. Im teleskopischen Bereich der Phantasie, durch das Prisma der Tränen würden alle Besonderheiten […] nicht auffälliger erscheinen als jene tatsächlich existierender Planeten.
Schwestern Vane, 543
(Dtsch.v. Dieter E. Zimmer)
Dennoch, wiewohl immer wieder solche zumindest ansatzweise verfaßt, versichert der Erzähler „für die sogenannte ‚Science fiction‘ nur Verachtung und Ablehnung“ gehabt zu haben, weil sie
wie jene Keksmischungen [seien], deren Bestandteile nur in Form und Farbe verschieden sind; ihre raffinierten Hersteller verstricken damit den Konsumenten, dem das Wasser im Munde zusammenläuft, in eine verrückte Pawlow’che Welt, in der simple visuelle Variationen, die keine weiteren Kosten verursachen, den Geschmack beeinflussen und langsam ersetzen, so daß er alsbald den Weg aller Begabung und Wahrheit geht.
Lance, 543
Selbstverständlich ist dies nicht wirklich eine Kritik an der Sciencefiction, sondern an dem den meisten ihrer, sagen wir, Erzeugnisse zugrunde liegenden irrenden Realismus. In meinen → Heidelberger Vorlesungen habe ich dies eingehend ausgeführt. Deshalb sei es hier nur am Rand vermerkt. Viel wichtiger ist die mir bis dato unbekannte Tatsache, daß
In einem äußersten Zugeständnis an die Sittsamkeit der Zweifüßer […] Kentauren nicht einfach nur einen Lendenschurz [tragen]; sie tragen ihn nur um die Vorderbeine.
Lance, 567
Auch spielt Nabokov hier schon, acht Jahre vor → Ada, mit
einer fernen Zeit (die zufällig in der Zukunft liegt)[,]
Lance, 567,
weil nämlich
Begriffe wie „unzeitgemäß“, „anachronistisch“ und so weiter auf die Dauer die einzigen [sind], mit denen wir uns eine Fremdartigkeit vorstellen und ihr Ausruck verleihen können, die keine Forschung vorherzusehen vermag. Das Zukünftige ist nur die Umkehrung des Veralteten.[Hervorh.v.mir]
Lance, 571
Weiters:
Irdischer Raum liebt Verborgenheit. Das Äußerste, was er dem Auge bietet, ist ein Panorama. Der Horizont schließt sich vor dem sich entfernenden Reisenden wie eine in Zeitlupe bewegte Falltür.
Lance, 573
Und als wir in den Nachthimmel sehen, glauben wir uns unvermittelt bei Arno Schmidt (ich meine den Umschlag der Begeisterungen in einen Dialog — und, ja, es geht um … aber er sagt es ja selbst):
Ritter, die in jungen Jahren das Harfenspiel, die Falkenbeize und die Jagd erlernen; der Wald der Gefahren und die Burg der Schmerzen; Aldebaran, Beteigeuze – der Donner sarazenischer Schlachtrufe. Wunderbare Waffentaten, wunderbare Krieger funkeln in den furchtbaren Sternbildern über dem Balkon der Bokes; Herr Percard, der Schwarze Ritter, und Herr Perimones, der Rote Ritter, und Herr Pertelope, der Grüne Ritter, und Herr Persant, der Blaue Ritter, und jener barsche alte Herr Grummore Grummursum, der nordische Flüche vor sich hin murmelt. Der Feldstecher nützt wenig, die Karte ist ganz zerknittert und feucht, und „du hältst die Taschenlampe nicht richtig“ — dies zu Mrs. Boke.
Tief Luft holen. Noch einmal hinsehen.
Lance, 573
Weshalb dies alles? Weil
Tief im Geist des Menschen […] Sterben gleichbedeutend mit einem Verlassen der Erde [ist]. Ihrer Schwerkraft [zu] entrinnen heißt das Grab [zu] überwinden, und ein Mensch, der sich auf einem anderen Planeten wiederfindet, hat tatsächlich keine Möglichkeit, sich zu beweisen, daß er nicht tot ist — daß der naive alte Mythos sich nicht doch erfüllt hat.
Lance, 580
Welch ergreifenderes Ende könnte es geben für ein Buch – und welches, wie jetzt, um die poetische Besprechung eines Bandes erst einmal abzuschließen, der derartig viele denkerische wie stilistische, ja, Wunder enthält?
ANH
4. bis 7. Februar 2020
[Zuletzt bei Mozart, Così fan tutte
Philharmonia Orchestra, London
Herbert von Karajan
→ Aufn. v. 1954: in Mono, klar, aber derart hineißend „remastered“, daß einem schon beim ersten Klangdruck das Herz stillestehen will — und man denkt: So sterben, ja!]
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References
↑1 | „welchem“ Wort ich das kürzere „die“ hier vorziehen würde |
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