Charts. Argo. Anderswelt. (95). Jetzt der Pop.

[Zur Erholung zwischendurch: Stefan Wolpe, Erste Sinfonie.]

Was ausgerechnet Die Dschungel derzeit tun, hat einen ziemlich perversen Witz: Sie hören sich im Internet durch die Charts, weil das Eingangskapitel von “Skamander” im SILBERSTEIN spielt und also musikalische Untermalung braucht. Im Text führt das zu mitunter komischen Konstellationen (weil zumal die Songtexte oft derart schlecht und, wenn es gut geht, unbeholfen sind); aber sich das Zeug anzuhören, hat etwas von ständigen Ohrfeigen. Unfaßbar, welch schlechte Musik es gibt, Rosenstolz etwa. Das Bedürfnis der Menschen nach banalstem Kitsch muß enorm groß sein. Man kann ihnen das sicherlich nicht verübeln; es fragt sich aber, woher dieser ausgeprägte akustische Masochismus rührt.
Interessant ist dabei übrigens, daß nahezu jede Stimme elektronisch verändert, zumindest aufgemotzt ist. Als genügte das Menschliche, das sich ja durch Gesangsausbildung verfeinern und strahlend kultivieren läßt, nicht mehr. Der Prozeß ist ein anderer als der in elektronischer Musik, auch Techno würde ich (wenn auch ungern) ausnehmen; in diesen Fällen wird ja bewußt affirmiert. Aber im Pop stellt die elektronische Verfremdung den Vorschein von Echtheit her; es soll natürlich klingen, was höchste Manipulation ist. Das muß den Fans eigentlich bekannt sein. So daß sich nur der Schluß ergibt, daß sie drum bitten, auf diese Weise betrogen zu werden. Von der Primitivität der gesamten Richtung einmal ganz abgesehen. (Rock, Punk etc. war noch als begriffsloses Aufbegehren zu begreifen,als musikalischer, wenn auch nicht künstlerischer Ausdruck von Wut. Pop hingegen ist die Musik des in alles ergebenen Konsumenten.)

Das müßte irgendwie in den SILBERSTEIN-Kapiteln deutlich werden.

Zum Beispiel das hier:

Berlin city girls
Wir rocken den Scheiß, jeder weiß unser Style ist heiß
Berlin city girls
man sind wir smooth, something you can´t touch
und wir sorgen dafür dass ihr klatscht

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6 thoughts on “Charts. Argo. Anderswelt. (95). Jetzt der Pop.

  1. Und es soll dann also PopPop sein? Und nicht etwa nur die paar wenigen, etwas besseren Singsang-Stücke, wie z.B. das zumindest doch ganz nett eingängige “Die perfekte Welle” (das zumindest durch sein Radioverbot etwas gewonnen hat); oder die schlagerhaft-schönen Nylon mit “Liebesleid”:

    Dein Kuss hat mir den Frühling gebracht, denk an Dich bei Tag und bei Nacht, denk an Dich, an Dich immerzu, all meinen Träumen bist nur Du. Und gehst Du eines Tages von mir, geht auch meine Sehnsucht mit Dir. Herbstwind wird die Blätter verwehn, unsere Liebe wird bestehn.
    Ich fühle mehr und mehr, dass ich nur Dir gehör, dass ich Dir ganz verfall, dass ich von allen Dich nur begehr. Ich höre Dein helles Lachen und mir wird ums Herz so weh, sag mir was soll ich machen, dass ich vor Sehnsucht nicht vergeh.

    …das ursprünglich mal von den Comedian Harmonists gesungen wurde, oder die über jedes Maß hinaus gelobten 2raumwohnung mit dem NDW-gestählten “Zentralmassiv”:

    ich kann nicht ertragen
    wie die dinge sind
    fass mich nicht an
    weil ich ein lebendes stromkabel bin

    ich bin zerschlagen
    hab mich zu sehr angestrengt
    kann nicht schlafen
    weil mein bett jede nacht
    feuer fängt

    das ist die reise durchs zentral massiv
    immer viel zu hoch
    immer viel zu tief
    auf dieser reise durch’s zentral massiv
    was du sehr gut kennst
    ist dir plötzlich fremd

    aber das soll es wohl alles nicht sein, sondern wirklich diese unsäglichen Popstars-Derivate?! Ich muss das noch mal nachlesen, ob ich das SILBERSTEIN dann wirklich noch besuchenswert finde.

    Was allerdings die aufgemotzten Stimmen angeht, so würde ich da nicht zu viel hineingeheimsen: Natürlich wäre das schön, wenn jedes dieser Popsternchen eine Stimme hätte, der man mit einer Gesangsausbildung weiterhelfen könnte. Aber hier scheint mir weniger musikalische Konzeption (die künstliche Herstellung größtmöglicher Natürlichkeit ist ja beinah schon ein kulturelles Großkonzept) als ein gnadenloser (eingebildeter oder realer?!) Marktdruck: Da hat doch keiner mehr Zeit, eine Stimme zu entwickeln oder ein Instrument zu lernen, die Leute tauchen doch auf um gleich wieder weg vom Fenster zu sein, da lohnt sich keine Investition und wenn man es als Hintergrund in der Kneipe, als mp3 beim Joggen oder als Klingelton hört, dann interessiert sich doch auch keiner für die Kunstfertigkeit.

    Als eifriger Popstars-Gucker(weitere erschreckende Bekenntnisse…) schaut man da ja auch in Abgründe: Da denken die Kids, sie würden jetzt mal richtig rangenommen und sie geben jetzt alles, nur weil sie mal 2 Wochen am Stück an etwas arbeiten und am Ende kommen sie dann als fertige Popstars aus der Fabrik: Die Vortsellung, dass man an seiner Stimme ein Leben lang arbeiten könnte, ohne auch nur annähernd Perfektion zu erreichen, ist einem industriellen Prozess zutiefst fremd – das ist das Reich des Gut-Genug…

    PS: Auch Freddie Mercury hat auf Innuendo seinen schwindenden Kräften im Studio nachgeholfen und eine seltsame, zerbrechliche Form gefunden – ich denke, es gibt auch erfolgreiche BEispiele dieses Konzepts der künstlichen Natürlichkeit (ohja, und selbst dem großen FM ist sowas schrecklich schiefgegangen, wenn er nicht mit Brian May an den Reglern im Studio stand, sondern sich selbst versucht hat…)

    1. Das sind hilfreiche Hinweise. Ich guck mal, ob ich die von Ihnen genannten Stücke irgendwie hören kann. Es geht mir hier nicht um Denunziation, eigentlich sowieso nie, sondern um eine Grundstimmung. Wenn mich da etwas überzeugen könnte, was aus dem Zeug herausfällt, das ich nun seit knapp zwei Tagen über Charts etc. aufstöbere, um so besser. Es wäre mir sehr lieb, nicht nachher immer so müde sein zu müssen. Und dem Text würde es sicher auch helfen, blitzte auch unter Gegnern etwas auf, für das sich weiteres Hinhören lohnt.

      P.S.: Meine Recherche hat mit dem realen SILBERSTEIN wenig zu tun, da in den Anderswelt-Romanen das Lokal ständigen Wandlungen unterliegt; es ist ein Passepartout, in den sich die Geschehnisse und Figuren, die ebenfalls wandelbar sind, für die Knotenpunkte der Erzählung hineinpassen. Es kann ganz gut sein, daß mir der Einfall kommt, es werde ein Stück aus Schönbergs “Pierrot Lunaire” da gespielt – ohne daß ich das gesondert und besonders ausweisen würde.

    2. In einer besseren Welt… … würde ich ja jetzt anbieten, “ich mach mal ein Tape”, was in dieser Welt inzwischen aber höchst illegal ist: Nützlich ist aber vielleicht auch die Heimatmelodie auf: http://www.dasding.de/sendungen/heimatmelodie/playlist.html , in der einmal in der Woche drei Stunden lang(also z.B. heute von 16-19Uhr) Musik aus deutschen Landen gespielt wird. Davon ist vieles schlecht aber auch einiges wirklich gut, und es macht ein bisschen Hoffnung, weil es dann doch nicht ganz so schlimm ist, wie es einem die hotfms und radio enerjs und und hitradio antennes dieses Landes es einem suggerieren wollen…

    3. “ich mach mal ein Tape” i s t nicht illegal, sofern a) nicht direkt digital kopiert und b) nicht damit gehandelt wird. Urheberrechtlich hat jeder, der einen Recorder besitzt, das Kopierrecht zum privaten Gebrauch mitgekauft; aus dem Kaufpreis wird nämlich jeweils ein Betrag z.B. an die GEMA abgeführt. Aber wie auch immer: Danke.
      (Und damit wir uns nicht mißverstehen: Es gibt auch unendlich viel Müll in dem, was allgemein “Klassik” genannt ist.)

  2. ich trank auf dem dachgarten des hotels in mirhleft eine flasche rotwein aus meknes, als der
    dorfirre auftauchte und durst hatte. nach einem
    glas redete er plötzlich wie hitler. so täuschend
    echt war seine intonation, dass ich glaubte, ihn
    selbst zu hören: er hatte die reden dieses irren
    auswendig gelernt. aber es war nicht heraus zu
    bekommen, ob er sie verstand. deutsch sprach er
    kein einziges wort. aber sein englisch war gut.
    er hatte sie alle gesehen: Hendrix, Morrison,
    Page und alle parties mitgemacht. damals war er
    verrückt geworden.

    unten am strand war ein verwaschenes
    peace-zeichen an einem felsen. und eine hütte,
    vor der eine trommel stand. kein mensch weit und
    breit. ich fing an zu trommeln. die tür der hütte
    ging auf und ein junger mann stand da, nackt.
    rieb sich die augen – und lächelte. it´s so
    absurd, he said, I hardly noticed You. das
    quasierotische verhältnis zwischen volk und
    führer. der führer fühlt sich von seinem volk
    betrogen und will – der irrationalen logik der
    liebe folgend – das volk und sich selber
    auslöschen.

    in einem gartenlokal in benghazi kostete das bier
    das zehnfache als sonst. ich fragte den kellner,
    warum.
    look around , Sir, he said: an den tischen,
    hinter den exakt gestutzten lorbeerhecken saßen
    männer und unterhielten sich mit
    schwergewichtigen marrokanischen prostituierten.

    ein toter, an den strand gespülter, babydelphin
    auf rhodos sah aus wie ein wesen vor seiner
    erschaffung: im augenblick seines entwurfs
    unendlich langsam explodierend. thoughtless baby.
    I know I´ve got to say good by, baby, good by.
    You´re my sweetheart, good by. You´re my sweetest
    good by. You know I´m gonna love so bad. but I
    don´t care.

    there are sounds and visions I can´t forget: the
    shade of an airplane on the soft abundant sands
    of the desert, the early morning song of a hindu
    in calcutta, too beautiful to remember, that
    broke my spine. the informal way You wiped me off
    the shiny surface of Your remembrance. I seem to
    want everything that You do.

    Let me love, my Lord, before I dy. Let love make
    me immortal. I hardly noticed You.

    “How many a generation we destroyed before them,
    who were more imposing in respect of gear and
    outward seeming !” Quran, Surah XIX, 74, english
    translation by Marmaduke Pickthall

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