Brem also, Gelbes Messer. Eine Zeit lang hatte er zum Schutz des Thetissilbers unter Skamander gedient, hatte während der heißen Kampfphasen gegen die Schänder zu dessen Mudschaheddin gehört. Wie der war auch er ein Falludsche und stammte von der Odra. Ein guter Mann, umsichtig, grausam, nicht allzu waghalsig, ideal für die Gegend. Daß er selbst Ostler war, hatte ihm das Vertrauen seines Emirs gesichert, seinerzeit wurde er ständig in der Begleitung des Obersten gesehen, sofern man denn den Gestaltenwandler erkannte. Er unterhielt enge Kontakte in die Oststädte, in jede dritte Siedlung bis an die Karpaten heran. Sogar in die Frauenstädte reichten seine Kanäle. Als die Schänder in ihre Berge zurückgetrieben waren und sich die enge Verbindung mit dem Westen lockerte – ganze Söldner-Verbände fielen auseinander und ins Elend zurück, das scherte Pontarlier nicht -, da hatte er sich von dem westtreuen Skamander gelöst und lebte nun nahe Prag außerhalb jeder Siedlung in einem Wohnwagen, der mitten auf einem Trümmerfeld stand. Er hätte auch hinübergekonnt, nach Buenos Aires gekonnt, Skamander hatte ihm vom Präsidenten persönlich das Angebot unterbreitet, bei hohem Sold und freier Wohnung in dessen Schutzstaffel einzutreten. Aber er hatte Pontarlier die Absage erteilt. Er konnte es sich leisten. Es ging ihm also nicht um Geld, ist zu vermuten, aber um was es ihm ging, rätselhaft. Vielleicht lehnte er die Wahrheitsimpfung genauso ab wie die Schänder. Andererseits nahm er am AUFBAU OST nicht teil, blieb gegenüber den eigenen Landsleuten völlig distanziert. Die Söldnerzeit hatte ihn wohlhabend gemacht, sein Geld war im Westen angelegt, er konnte von den Renditen gut leben. Noch in Kampfzeiten hatte er einen EWGler bestellt und mit dem seine Vermögensverwaltung besprochen, Kranken- und Altersversorgung gesichert. Einmal die Woche erschien er in der Prager Hauptfiliale der Deutschen Bank, hob etwas Geld ab, tätigte seine Besorgungen, rumpelte in dem alten Armeejeep wieder davon. Er tat nichts als zu sitzen oder durch die Gegend zu wandern, wurde hier gesehen, da, traf seine Kontaktleute, trank ein Bier mit ihnen, wanderte zurück in Jeans rotkariertem Hemd Weste, die graue Basecap auf dem kantigen Kopf; olivgraue, beidseits knöpfbare OutdoorJacke aus Polyester und Nylon. Die Wangen, besonders die rechte, narbig wie verdorbene, kräuslig gewordene Erdbeermilch. In seinem Wagen gab es keine Papiere Unterlagen nicht mal das Versicherungszeug. Es gab Tisch zwei Stühle Pritsche. Keine Bilder Bücher nur Wäsche auf einem Bord, kantenscharf zusammengelegt. Den Kühlschrank Herd paar Töpfe Geschirr. Auf der Arbeitsplatte immer ein Brot, darunter zwei Opinel parallel nebeneinander. Ein Salzfaß. So lebte er in einer Zelle, mönchisch, kann man sagen. Der einzige Luxus waren sechs Parfumflacons, die teuersten Duftwässer der Welt: HOMME DE PATOUT, KAVITA von LA RENTA, KUSIA (Malz), QUAAS’AN und QUELQUES FLEURS von HOUBIGANT, LAGERFELD. Und im Unterboden des Wohnwagens knappe 50 cm MP-5N nebst einer Kiste voller Munitionmagazine. Brem hatte sie selten verwendet, war ein Schleicher gewesen, der von hinten an seinen Gegner herankriecht, selbst mitten in feindlichen Fronten war er wie ein Gespenst aufgetaucht. Es fing wundervoll zu duften an, schon hatte, daher Brems nom de guerre, sein Messer geerntet. Schon war er weg, es wurde nicht ein einziges Mal auf ihn geschossen, derart schnell war er immer gewesen. Gut zu riechen hatte er mit Schändern gemeinsam, die dufteten nach Astern, er nach herber, holziger Parfumerie.
Brem neigt Brem neigt zu der Ansicht, dass wirkliche Wirklichkeit erst in der Fiktion entsteht, wenn sie denn gut gemacht ist. Das ist hier der Fall. Unwesentlicher Hinweis: Bei den beiden Opinels handelt es sich “in Wirklichkeit” um drei Frosts oder Freyas unterschiedlicher Größe, wie sie in Skandinavien in Gebrauch sind. Einmal fand er ein solches Messer in kleiner Ausführung allerdings auch auf der Schwäbischen Alb, wo es auf der Innenseite eines Scheunentors hinter ein Querbrett gesteckt war. Der Bauer wusste über seine Herkunft nichts zu sagen. Diese Messer sind aus Mehrschichtstahl gefertigt und lassen sich zur Schärfe eines Skalpells schleifen. Diese Arbeit besorgt Brem selbst, wobei er hört, wann die nötige Schärfe erreicht ist.
Vorzüglicher Hinweis, vorzügliche Ergänzung. Danke. Die Opinels stammen von mir selbst, meinem teils ja eremitierend lebenden Freund Eigner sowie meinem Vater; ich zog also, wie so oft, eigene Erfahrung zur Anschauung bei. Nun ist Ihre Ergänzung so sinnlich dargestellt, daß ich auf s i e zurückgreifen, den Text entsprechend ändern werde, der übrigens noch nicht ganz so gut ist, wie Sie freundlicherweise unterstellen: Brems (finanzielles) Vermögen ist redundant erzählt, also unnötigerweise über eine Andeutung zweifach. Das kommt später ganz sicher weg. Außerdem hatte ich mir schon in einem der früheren ARGO-Partien, die sich unter dieser hier ebenfalls in Den Dschungeln befinden, erlaubt, Ihren “realen” nom de plume in den hier verwendeten nom de guerre “Gelbes M e s s e r” umzuwandeln, den nun wiederum Sie auf das, wie geschrieben, allerbeste ausfüllen.
(Brem ist insgesamt jetzt sehr viel weiter gediehen; ich kann und mag nur Die Dschungel nicht ausschließlich mit ARGO-Passagen füllen.)
@Brem: Ein Problemchen. Frost-Messer hab ich genügend im Netz gefunden, Freya aber nicht; nun ist “Freya” ein vorzüglicher Name im Anderswelt-Umfeld, und ich verzichtete nicht gerne darauf – oder müßte halt “erfinden”. Haben Sie noch einmal ein Bild für mich?
In das Messer, das ich gerade zur Hand genommen habe, ist der Schriftzug eingeschlagen
“Frosts” Made in Sweden
mora Laminated Steel
Wie ich auf “Freya” komme, kann ich im Moment nicht mehr rekonstruieren. Das längere Messer ist gerade im Keller, das längste in einer Werkzeugkiste am anderen Ort. Vor meinen Augen war jedenfalls jahrelang der Schriftzug “Freya”. Daraus etwas zu machen, sind Sie frei und ist Ihnen überlassen. Ich behalte das Recht lediglich auf den möglichen Irrtum und melde mich wieder, wenn die beiden übrigen Seiten jener anderen Klingen abgelesen sind. – Ein Bild von was? Messer? Könnte ich liefern (nach “Ablesung”). Schönes Sortiment. Sie wären dann wieder mal zusammen, sozusagen Familientreffen. – Aber nein! Habe nicht genau genug gelesen. Natürlich ein Bild von Brem. Morgen.
Nein. Ein Bild der Messer. “Brem” hab ich genügend beisammen. Alles andere ist Sache der poetischen Eigenbewegung.
Tatsächlich wird Freya, die Göttin, sehr oft mit Messern in Zusammenhang gebracht, das paßt also und hat etwas vom ambivalenten Geschmack einer lockenden Bedrohung, was ich in diesem Fall auch politisch meine. Genau diese ungute Schwingung muß bei Brem, der Figur, ständig gegenwärtig sein, – wie überhaupt gilt, daß keine Person in Anderswelt gut genug sein kann, um nicht auch “böse” zu sein. Mitunter verschiebt sich die Wertung sogar völlig. Brem wird – wie im übrigen Goltz, der tatsächlich sein westliches Pendant ist (deshalb erkennen sich beide sofort, als der Achäer in Točná zu sprechen beginnt) – ganz besonders für dieses Flirren stehen.
Sorry Musste Ihren Text so verstehen, dass Brem gemeint war (“nochmal”), und habe gerade die nicht benötigten Bilder auf den Weg gebracht. Also die wieder weg. Das Messer-Bild folgt später, das von allen dreien dann auch noch, wenn sie wieder beisammen sind.
“nochmal” bezog sich. Auf “Bild”. So ambivalent sind mitunter sogar unsere Präpositionen.
Die Sache selbst hat Zeit; ich werde die Stelle sorgsam überhaupt erst ausarbeiten können, wenn der gesamte ARGO-Text, zumindest die “Skamander”-Abteilung steht.