A u f r u f! (Quasi un manifesto ODER Wieder „Neger“ schreiben müssen). Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 17. Januar 2013. Mit aber milde einleitenden Sätzen zu, wieder einmal, Allan Pettersson. Dagegen abends bord na mona: – mit Marcus Braun im Dunckerclub.

5.15 Uhr:
[Arbeitswohnung. Pettersson, >>>> Erste.]


Schon gestern wieder der starke Impuls, zu >>>> Allan Pettersson zu greifen. Ihr auch nachgegeben und, wie abermals jetzt, die lebenslang von ihm zurückgehaltene erste seiner Sinfonien gehört, die unvollendet geblieben ist; vor anderthalb Jahren hat Christian Lindberg sie nach den Fragmenten aufgeführt und eingespielt – für Schweden ein Ereignis, aber bei uns unter – allenfalls – Fernerliefen verbucht. Ich habe auf die Einspielung über dem Coverbild verlinkt. Was ihn, den queren Komponisten, bewogen haben mag, dieses Stück zurückzuhalten, ist nicht ganz zu hören; vielleicht hat er „einfach“ nicht weitergewußt, wofür die bis wenigstens 1954/55 fortgeführten Wiederaufnahmen und Revisionen ganzer Syntaxen sprechen. Michael Kube, der für die CD den Einführungstext geschrieben hat, findet ein sehr bildliches Wort: „Petterssons Revision geriet allerdings zusehends ins Stocken – wie schon der eigentliche Kompositionsprozeß: Am Ende laufen die Linien mehr und mehr aus.“ – Aus dieser Ersten gleichsam heraus, eben das macht das sehr Organische dieser Platte aus, wird die nun schon vollendete Zweite aufgeführt, meine, übrigens, erste Berührung mit diesem Komponisten, der da leider schon gestorben war, in den frühen Achtzigern. Für meine Hörbildung wuchs Allan Pettersson direkt aus Gustav Mahler heraus.

Latte machiato, erste Morgenpfeife und –

QUASI UN MANIFESTO


Um Viertel nach fünf nach wüstem Träumen, das aber, erinner ich mich, alleine aus Bildern bestand, hochgekommen. Eiseskalt das Zimmer. Schnell, noch nackt, das weit klaffende Oberlicht geschlossen, dann, die Muskulatur hart anspannend, eben die Computer eingeschaltet und zum Bett zurück und in die Klamotten, die überm Stuhl bereit; darauf in die Küche, die Pavoni sich anheizen lassen, mich umdrehn und zurück und zum Ofen, die glühenden Restkohlen von vorn nach hinten schieben, neue Kohlen auflegen, die Klappe schließen und ins Bad. Schließlich die Espressobohnen malen, denn nun ist die Pavoni heiß; ihr Silber leuchtet vor Verlangen.
Im Kopf bereits die Diskussion, die mit >>>> Broßmann n i c h t zu führen, weil die Zeit zu kurz war, uns beiden kaum gelang. Er hatte zum Lammbraten gerufen, der bei ihm seit fünfzehn Stunden bei anfangs 80, dies nur kurz, dann 60 Grad gegart; ich brachte die Ratatouille mit, die ich hier bereitet. Die Diskussion war >>>> dort bei Facebook begonnen worden, ich hatte ärgerlich reagiert und werde ärgerlich noch immer, ja immer mehr, je länger ich über die Ungeheuerlichkeit nachdenke, die jetzt als, sowieso furchtbar, political correctness durch die Gegenwart läuft. Nicht wirklich vorausgegangen – da wirken ältere Bewegungen, die, heißt es, aus dem Feminismus stammen -, vorausgegangen aber unmittelbar war die Ankündigung des Kinderbuchverlages Thienemann, Bücher von Ottfried Preußler von ihrer rassistischen Sprache zu befreien – für einen Eingriff in ein Werk seinerseits ein Begriff, ich meine „Befreiung“, dessen Mßbrauch wir politisch sehr gut, was „entsetzlich“ heißt, kennen. Mit „rassistischer Sprache“ sind Wörter wie „Neger“ gemeint – ähnliche Reinheits-Unternehmen sind derzeit in den USA mit Mark Twain im Gang. Auch die Bibel steht auf dem Prüfstand solch selbsternannter Moraler, die sich zugleich, selbstverständlich, scheuen, etwa die Thora von rassistischer Sprache „zu befreien“ – d a s gäb ein Aufschrein! uneindenklich, daß sie, die Thora, eben die fünf ersten Bücher des Alten Testamentes umfaßt und also ganz ebenfalls, aber als anders benannte, „bereinigt“ werden soll. Hinter solcher Bereinigunsideologie – die abgeschlagenen Nasen antiker Statuen >>>> zeugen von der Zähigkeit der, in Heinrich Heines Sinn, Philister – steht letzten Endes der Glaube, was man anders nenne, sei deshalb auch anders, vor allem, es sei dann auch anders gewesen. Auf gleicher Linie liegt in Deutschland die Umbenennung von Straßen nach Fall der Mauer, der Abriß des Palasts der Republik und der Neubau eines architektonisch geschmacklosen Schlosses, kurz: Klitterung und Verleugnung von Geschichte. Ästhetisch gesprochen, soll schöngefärbt werden, weil daraus Harmonisierung werde; ich halte entschieden dagegen, daß es sich um einen Verdrängungsprozeß handelt und verdrängte Traumata an anderer, oft nicht mehr oder nur schwer analysierbarer Stelle in Form von Fehlhandlungen wi(e)derkehren, die in der politischen Dimension furchtbar werden können. Nicht, daß man heute noch von „Neger“n schreiben sollte, bewahre! – aber es i s t so geschrieben worden, auch von des Rassismus ganz unverdächtigen, ja für Menschenrechte nicht selten mit ihrem nackten Leben einstehenden Autor:innen, ganz ebenso, wie, ob die Philister das wollen oder nicht, Jean-Paul Satre selbstverständlich geraucht hat, ebenso wie Ernst Bloch und Gustav Mahler; es mag den Krankenkassen nicht passen, weil das Vorbild doch so schlecht ist; von Sartre las ich sogar, daß man anläßlich einer Ausstellung die Zigarette vom Plakat retuschierte, die der große Mann drauf hielt, dafür seinerzeit noch undiskriminiert. Alles, selbstverständlich, pädagogische Schritte, alles ehrenwerter Leute. Wenn Jonathan Swifts – eines galligen, um Fortschritt schreibenden Satirikers – großer Gulliver dann nicht nur n o c h mehr zum Kinderbuch verstümmelt, sondern auch um „gefährliche“ Begriffe, weil sie heutige Leser kränken könnten, hygienisiert sein wird, wird seine Dichtung endgültig genau die Harmlosigkeit haben, von der die Philister so träumen. Ah, und welch eine Schnüffelei dann losgehen wird quer durch die Literaturen! – erstmal die für Kinder, dann aber bald schon auch die für Erwachsene, und schließlich wird man Bücher insgesamt verbrennen oder Adäquates mit ihnen tun, weil doch irgendwo noch subversiv ein Begriff stecken könnte, der dem Gebot der Nächstenliebe, und daß wir alle gleich seien (was wir de facto nicht sind), Stöcke in die Speichen steckt. Wobei selbstverständlich andere kulturelle Codierungen in anderen Völkern gar nicht mitbedacht werden, sondern man geht ganz offenbar davon aus, den hiesigen „Standard“ qua Überstülpung denen schon noch beizubringen, was zugleich mit einer Kritik am Kolonialismus verbunden wird, von dem man ja so frei ist, wie man – eben: s a g t. „Ich sage, also bin ich“ – so der populäre, auf den Mainstream des Guten Meinens heruntergebrochene Descartes unserer Zeit. Wie schlimm dies Gute Meinen wirken kann, spielt dabei keine Rolle.

Was also tun? Fast müßte ich „Neger“ wieder schreiben, auch das Wort „Wilder“ wieder verwenden oder gar „Eingeborener“, allein, um die Wörter in der Existenz zu lassen, wenn sie denn bald aus den Büchern der Vorderen verschwunden gemacht sein werden. Um Geschichte zu halten – damit es etwas gibt, wovon wir uns tatsächlich befreien können. Späteren wird es so sein, als wären solche Wörter nie geschrieben, nie gedacht und auch nie gefühlt worden, sie kennen ihre Existenz nicht mehr, und begreifen darum Geschichte und also auch die Gegenwart nicht mehr, denn niemand wird noch verstehen, weshalb Angehörige bestimmter Gruppen überhaupt Traumata haben. Wobei man sie den einen, aus politischen Gründen, vorerst nicht bestreiten wird, anderen aber sehr wohl, die grad nicht auf dem Tablett der Begünstigungen und weltpolitischen oder sozialen Opportunitäten gereicht sind. Und auch das Spiel der Ironie wird verlorengehen, zumal der Selbstironie, mit der ein – jetzt tu ich‘s! – Neger dem anderen auf der Straße „Nigger!“ nachruft, und beide brechen in befreiendes Gelächter aus.
„„Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein“, heißt es zurecht in Walter Benjamins Geschichtsphilosophischen Thesen. Die Philister:innen, ja, auch die „des“ Feminismus, wollen das verschleiern. Damit stehen sie Schulter an Schulter mit dem siegreichen Armee-Unternehmen des Kapitalismus, die Dinge, Zustände und Prozesse der Welt so gleichzumachen, daß sie sich allesamt zur Ware eigen und ins Kaufhaus legen lassen: die Äquivalenzform hat Marx das genannt. Indem sie vermeinen, der Befreiung zu dienen, dienen sie dem exponentiell, und zwar allein nach westlichem Vorbild, sich globalisierenden Markt zu seinem besten Gewissen. Daß sie das nicht merken, ist tragisch. Kolonialismuskritik wird Kolonialismus, verbrämt über „gesäuberte“ Spache. „Säuberung“ ist ein Wort, vor dem ich mich in der Tat fürchte; dennoch würde ich es nicht verbieten, weil mir sonst der Begriff von dem verlorengeht, vor dem ich mich fürchte und wogegen ich anstehen will. Wir Dichter:innen haben schon, anstatt uns massiv gegen sie zu wehren, die Rechtschreib„reform“ verschlafen und schließlich, infertil und impotent jammernd, rein über uns ergehen lassen; es darf nicht angehn, daß wir das für noch viel Schlimmeres wiederholen. Wir mögen wenige und zusammen nicht größer sein als David. Doch es gibt >>>> das Tal von Elah.

ANH
17. Januar 2013.

Zurück.
15.59 Uhr:

[Pettersson, Vierte.]
In >>>> den neuen InEar-Phones, über die ich noch gesondert, sie besprechend, schreiben will (schauen Sie sich allein den Frequenzgang an!), – in denen

also Bachs Geigensoli, so radelte ich denn zum Fototermin für eine Serie, bei der mitzuwirken mich >>>> Gerald Zoerner gebeten hatte, danach zum ersten Interview des Gerichtsvollzieher-Hörstücks, hin und zurück an die, insgesamt, 30 Kilometer mit, schon bei der Abfahrt, gerissenem Baudenzug im höchsten Gang hin und her, was, ich kann Ihnen sagen, doch ziemlich auf die Beine ging. Sie sind ja nicht mehr wirklich hart trainiert. Es wird aber, spürte ich, Zeit, als ich mich, gegen 14.45 UhR wieder hier, zum Schlafen legte, erst unruhig war, mich schließlich aber doch verlor –
Jetzt werden die dreißig Minuten Aufnahme auf den Computer überspielt und schon mal durchgehört; morgen folgen die nächsten beiden Interviews, eines davon am Telefon, für das ich jetzt eine Vorrichtung habe, die den Klang direkt in den Laptop leitet. Daran werde ich dann, des geringen Tonumfangs halber, ein bißchen basteln müssen.
Verspäteter Mittags-Espresso, Cigarillo.
Abends noch einmal Broßmann, der mich zu >>>> Marcus Brauns,

des Schriftstellers, auf dessen Romane ich – zum Beispiel >>>> hier – schon mehrmals hingewiesen habe – Konzert begleiten wird; schaun Sie einmal >>>> dort. Ich habe Braun wirklich lange nicht mehr gesehen, und das Konzert findet, zumal, gleich ums Haus.statt. Mit etwas Glück aber komme ich heute auch noch an eines der beiden gestern und vorgestern angefangenen Gedichte, und ein drittes, abermals während des Radelns, fiel mir ein: ein Spottgedicht auf die neuen Philister:innen.

[Pettersson, Fünfte.]


Ich wünschte mir, daß unter >>>> diesen Kommentaren auch mal ein Frau ist, sonst wird es – wetten wir? – heißen, hier verteidigten doch bloß die Männer ihre patriarchalen Positionen der Unterdrückung Benachteiligter; so vorsichtig wie präventiv möchte ich dazu einwenden, daß auch unter Ne…, – nein, Schwarzen, was aber auch nicht stimmt: also unter Menschen, deren Haut anders als die unsere, ich meine uns Westler, pigmentiert ist, sich bisweilen Männer finden, die ihre frauenunterdrückenden Haltungen vielleicht noch sehr vel mehr verteidigen möchten, als ich vielleicht geziehen bin, eben dieses hiermit zu tun. Immerhin hat Phyllis Kiehl >>>> bei TT Bedenkliches geschrieben – womit ich etwas meine, das sich bedenkt.

21.04 Uhr:
[Pettersson, Sechste.]
Das Spottgedicht ist „in der Mache“: Lukas‘ Klage oder Die Philisterinnen. Das kriegen Sie Morgen um die Ohren. Vorher aber, eben, fiel mir noch >>>> das da ein, aus einem höchst berufenen Frauenmunde.

(Muß mich umziehen, gleich holt der Freund mich ab. Aber die Sinfonie, bitte, möchte ich noch zuendehören, zum zweiten Mal heute, diese Sechste. Unfaßbar schön.

24 thoughts on “A u f r u f! (Quasi un manifesto ODER Wieder „Neger“ schreiben müssen). Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 17. Januar 2013. Mit aber milde einleitenden Sätzen zu, wieder einmal, Allan Pettersson. Dagegen abends bord na mona: – mit Marcus Braun im Dunckerclub.

  1. Bravo, Herr Herbst! Nur weil diese Familienministerinnenpüppi ihrem Kind “gereinigte Versionen” vorliest, macht jetzt alles ne Welle. Sollte vielleicht mal ein Kinderbuch des Rassismus’ völlig unverdächtigen sozialistischen Autors Ludwig Renn (Achtung: alter Adel – die Nazis hätten ihn gern vor ihren Karren gespannt, war aber nix) wieder aufgelegt werden (in der DDR war es Schullektüre), dann wird es ganz albern. Der Titel: “Der Neger Nobi”. War “Neger” nicht einmal die unrassistische Alternative zu “Nigger”?

    Man sollte wirklich diese dümmlichen Geschichtsretuschen unterlassen, nur weil eine noch nicht ganz fertig erzogene Ministerdarstellerin diesen Unsinn vorbetet.

    1. Für Jubel@Leser. Besteht kein Grund. Es handelt sich auch nicht um die Auswirkungen der Handlungen oder als vorbildlich so erzählten Handlungen einer wenn auch mit gewisser Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Person des öffentlichen politischen Lebens, sondern, wie Sie durch meine Verlinkung nachvollziehen können, um eine B e w e g u n g. Der Furcht vor ihr habe ich, mit Tucholski, >>>> d o r t kurzen Ausdruck gegeben. Es läßt sich dem, der Bewegung, nicht mit leichtem Spott und schon gar nicht mit Herablassung begegnen, sondern die Gegenhaltung bedarf mindestens derselben emotionalen und praktischenKraft, wie sie sie, und aus nicht schlechten Gründen, aufbringt.

    2. @albannikolaiherbst Immerhin macht die “Zeit” heute ein ganzes Dossier unter dem Titel “Zensierte Kinderbücher”. Und jubeln wollt ich gar nicht, nur zum Ausdruck bringen, daß ich finde: Sie haben es auf den Punkt gebracht.

  2. Als ich vor einigen Tagen las, daß zensierend in Kinderbücher eingegriffen wird, bin ich erstmal wutschnaubend durch die Wohnung gerannt. Schon das Umschreiben von Büchern in die sogenannte neue Rechtschreibung (die dämlichste Reform aller Zeiten von Leuten, die abgrundtief dämlich sind, gelinde gesagt, aber was rege ich mich auf) ist ein Verbrechen gegen den Geist eines Werkes, der Ausstausch von Worten zur “Bereinigung” eines Werkes ist es erst recht. In der relativ zeitnahen Übersetzung von Roland Barthes’ “Mythen des Alltags” (französisches Original 1957, deutsche Übersetzung im goldenen Jahr 1964) finden sich auch Begriffe wie Neger, und zwar in einem zu begreifenden Kontext. Auch Kinder begreifen Kontexte, und wenn ihnen etwas von dem Vorgelesenen oder selbst Gelesenen unklar ist, dann fragen sie, so daß die Älteren die Möglichkeit und gewissermaßen die Pflicht haben, zu erläutern, wie sich in den Zeitläuften Sprache ändert. Wird aber die Sprache “bereinigt”, so werden Kinder nicht mehr fragen müssen und so am Lernen gehindert! Ich denke, man sollte den Zensierern das Handwerk legen, die ja selbstherrlich und machtbesessen überall eingreifen, wo sie nur können, etwa auch im Comic-Bereich http://www.zensur-archiv.de/index.php?title=Comics , man denke nur an die Lucky Luke wegretuschierte Zigarette, die nun durch einen Lutscher ersetzt ist.

    1. lucky luke; @schlinkert wie bitte? der mann, der schneller zieht als sein schatten, – mit einem lutscher?!? diese bizzarerie hatte ich noch gar nicht mitbekommen. darf calamity jane denn da noch priemen? und wenn nicht, was kaut sie dann? halsbonbons zur gesunderhaltung im wilden westen? – ich werde mich erkundigen…

    2. @Aikmaier Wenn Sie sich erkundigen, der Leiter des Künstlerdorfes Schöppingen, Dr. Josef Spiegel, forscht seit Jahren zum Thema Zensur im Comic, wie es sich eben hier auf der, so weit ich weiß, von ihm ins Netz gestellten Seite nachlesen läßt http://www.zensur-archiv.de/index.php?title=Comics Der Fall Lucky Luke hat sich, wie ich eben erst las (man ist ja nie auf dem neusten Stand, wie es scheint), wieder gedreht http://www.welt.de/print-welt/article673288/Lucky-Luke-raucht-wieder.html Vielleicht ist ja doch noch Hoffnung.
      @ANH: hier speziell was für Sie, da geht Ihnen sicher der Hut hoch! http://www.zensur-archiv.de/index.php?title=Comics#Tom_und_Jerry:_Rauchverbot.2C_England_2006

  3. retuschierte zigarette. @anh, gerade gestern erfuhr ich, dass in meiner nachbarschaft ernsthaft erwogen wird, zur einstellung für eine bestimmte berufsgruppe 8im öffentlichen dienst) nur noch nichtraucher zuzulassen. nota bene: nicht, dass man das büro zum rauchfreien raum erklärt, – nein, generell nicht zu rauchen ist voraussetzung!
    da schlägt gesundheitsbevormundung in staatliche repression um. und das kleine detail aus Ihrem manifest zeigt, auf wievielen ebenen und wie lange schon diese repression konzertiert vorgeht.

    zur “pc-säuberung” von literatur und dichtung muss man Ihnen nichts mehr hinzufügen. ich würde auch nicht sagen, dass bei der mädchenmannschaft einleuchtend argumentiert wird. in der einschätzung der zeitungs- und medien-reaktionen haben sie einen punkt, nicht aber in der sache. denn: es steht eltern immer noch frei, welche kinderbücher sie vorlesen / zu lesen geben, welche nicht. gäbe es so etwas wie eine staatlich vorgeschriebene kinderlektüre (was ja vielleicht noch kommt, zwecks “hochwertiger” erziehung und dgl.), sähe die sache anders aus. übrigens waren die ausgaben von huckleberry finn, moby dick und robinson crusoe, um nur drei aus meiner kindheit erinnerte zu nennen, schon seit dem späten neunzehnten jahrhundert “kindgerecht” aufbereitet.
    die kinderbücher sind hier, denke ich, nur der medienaufhänger. denn längst hat es die ausgaben “für erwachsene” erreicht, die usa-ausgabe von twains gesamtwerk ist da der traurige vorreiter. wenn auch heir staatliche bevormundung und vorauseilender gehorsam der “fortschrittlichen” hand in hand gehen, würde eines tages, sagen wir: das werk von léon bloy als einziger schwarzer balken mit ein paar, wenigen, weißen einsprengseln erscheinen, wenn denn überhaupt noch.
    was will man denn mit “gereinigtem” (pfui dem sprachgebrauch!) mark twain, aber auch mit schiller in jugendsprache, grimmelshausen in “deutscher übersetzung” und dgl.? antwort: man will, da gebe ich Ihnen recht, geschichtlichkeit nivellieren. und damit eben auch jede fremdheit eines – 100, 200, 500 – jahre alten gegenstandes. die folgen: 1) als gemeinverständlicher einheitsbrei hört dichtung auf, solche zu sein; 2) die möglichen leser / zuschauer lassen jene geistesschärfe verkümmern, die sich nur am umgang mit dem fremd(artig)en ausprägt. — und solche kulturpolitik, mag sie noch schleichend agieren, wird “zum wohl des einzelnen und der gesellschaft” betrieben. wie, da schließt sich der c.v., auch die repressive gesundheitspropaganda.

    tja, das ist mir jetzt zum quasi un sub-manifesto geraten.

    pardon.

    1. Was geschieht. Strukturen. Unter anderen @Aikmaier&Schlinkert. So ärgerlich die Rauchverbote usw. sind, ich möchte hier eigentlich speziell darauf gar nicht weiter eingehen, weil sie sich erstens unterlaufen lassen, weil aber zweitens das, worum es jetzt eigentlich geht, sehr viel gravierender ist, nämlich das nachträgliche Umschreiben von Geschichte. Es soll nicht mehr gewußt werden, daß das und das gewesen. Strukturell ist das nicht weit von dem Vorhaben entfernt, ein ganzes Volk so auszulöschen, daß nichts, auch keine Erinnerung, mehr von ihm bleibt. Wohlgemerkt: strukturell. Und in den Niederungen tobt sich hier der gleiche Kleinbürgergeist aus, der sich auch in schlimmeren und in den allerschlimmsten Zeiten moralisch höherstehend dünkte: ihm werden die Türen – es sind Hangarpforten, an die schon die aufgepeitschte See schlägt – geöffnet, damit er auf den Straßen die Schmutzarbeit verrichtet, im heutigen Fall des Erschnüffelns von vermeintlich nicht-mehr-Korrektem; derselbe Ungeist, übrigens, schnüffelt in den Dissertationen bekannter Leute nach Plagiaten und sonstigen Inkorrektheiten, um diese Leute dann, da man ja immer fündig wird, irgendwo, an den öffentlichen Pranger zu stellen, vor dem man sich erhoben fühlt. Da einen sonst eben gar nichts erhebt.

      Wir dürfen, keine Seite darf es, nie vergessen, daß der Faschismus moralisch angetrieben war. Seine Moral hatte “nur” andere Werte als heute wir – eine Debatte, übrigens, um die wir nicht herumkommen werden: die Relativität von Werten.

    2. @ANH Ja, so ist es, denn nicht umsonst wird den Besiegten und Besetzten als erstes oft die eigene Sprache genommen, den nordamerikanischen oder australischen Ureinwohnern von den europäischen Einwanderern, den Iren von den sie kolonisierenden Engländern, den Kurden von den Türken und so weiter, damit so die Geschichte der Völker vernichtet wird, auch weil sie keine eigene Sprache mehr hat, keinen eigenen Klang. Wenn auf der einen Seite die Sieger also die Geschichte in ihrer Sprache schreiben, so ist die Sprache selbst und auch die in ihr und mit ihr entstehende Literatur, ohne daß sie allein diese Aufgabe hätte, Träger von Spuren, von Riten und von Mikrogeschichte. Wer Literatur nachträglich glättet, löscht aus und schreibt um. So wird auf der einen Seite allenthalben Transparenz gefordert, doch wenn man hinsieht, soll alles immer schön gefällig und gegenwartskompatibel, also gut verkaufbar sein und dem Markt dienen.

  4. In anderen Sprachen anders Vor Weihnachten schrieb ich einen Text im brasilianischen Portugiesisch, worin ich den Satz “Die Nacht war schwarz” hatte. Für schwarz benutzte ich das übliche “preto”. Meine Lehrerin korrigierte mich daraufhin und meinte, das sei zwar richtig, aber ich solle doch besser “negro” schreiben, denn “negro” sei poetischer.

    Grüße aus der Nacht, PHG

  5. astefanowitsch: Weitere Gegenposition.

    >>>> Hierüber wäre eigens, auch unter anderen Perspektiven, sehr zu diskutieren. Es geht dabei vor allem um Fragen der Unterschiede, unterschiedlicher Herkünfte, sichtbar unterschiedlicher Hautfarbe usw. Darf das nicht benannt sein? Ja, geht es überhaupt, es nicht zu benennen. Und vor allem: Bedeutet Benennung notwendigerweise Diskriminierung, bzw,. als so empfundenen Mangel? Wo hat Aufklärung und Gleichberechtigung tatsächlich überhaupt erst einzusetzen? Usw.
    NACHTRAG, 19.1.:
    >>>> Dort ist die Diskussion jetzt geführt.

    1. Wenn jemand aus Nigeria kommt, welche Hautfarbe mag er da wohl haben und bitte, was ist daran wichtig, es interessiert mich auch nicht ob einer ne Glatze hat

    2. @FrTZ: Mich schon. Weil mich immer auch interessiert, wie jemand aussieht. Im übrigen interessieren mich Kulturen, und die sind, ob der Kapitalismus es nun will oder nicht, nicht gleich, sondern es gibt völlig andere Codierungen. Ich möchte die nicht vereinheitlichen, sondern so sehr bereichern, wie es nur geht. Staatsbürgerschaft spielt dabei gar keine Rolle. Kunst ist ein Schwamm und entsteht aus dem Zusammenwirken des Verschiedenen und eben nicht des Gleichen. Auch hierum geht es in dieser Diskussion. Ich muß los, hab jetzt nicht die Zeit, es weiter auszuführen, aber werde das sicher noch tun.

    3. Und deswegen müssen Menschen aus Nigeria Neger heißen, sehr interessant. Die haben auch Namen, richtige Namen, wissen Sie, so könnte man sie nennen, mit ihren Namen, zum beispiel, Guten Tag Herr Soyinka, so kann man es sagen

    4. Duerme duerme negrito Der Text dieses alten südamerikanischen Schlaflieds läßt sich sicher nicht mehr “säubern”:
      http://www.youtube.com/watch?v=brI6TFM0TrQ
      Duerme duerme, negrito- Schlaf kleiner Negerjunge…. y se el negro no se duerme viene el diablo blanco- und wenn der Neger (sorry!) nicht schläft, kommt der weiße Teufel…
      Und was ist mit dem auch rückwärts zu lesenden Satz: Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie- oder mit den 10 kleinen Negerlein? Weder das eine noch das andere habe ich je als pejorativ empfunden.

    5. Herr Soyinka. Klar kann man es so sagen und wird man auch, jedenfalls halte i c h das so. Aber darum geht es in dieser Diskussion nicht. Sondern es geht um Unterschiede, Unterschiede von Gruppen, Gruppierungen, Ethnien, auch Kulturen. Es geht, mit einem Wort, um Geschichte.
      Ich will die Unterschiede auch benennen können. Ich will weiterhin schreiben können: ein blonder Mann betrat den Raum, eine Frau von lohfarbnem Haar saß an der Scheibe und konnte ihren Blick nicht von der dunklen, samten schimmernden Haut ihres Gegenübers lösen, die sich von ihrem Blaß so unterschied, und nicht von seinem lackleuchtenden schwarzen Haar, und wenn er lachte mit diesen leuchtenden Zähnen, blendete es sie. Welcher Erdteil, dachte sie, hat ihm diese Kraft gegeben? Welch eine Sonne muß das gewesen sein, die noch nach Generationen in ihm die Wärme bewahrt hat! In Hamburg hatte sie nicht für einen einzigen Menschen je so geschienen.

      Ich spreche von Herkünften, nicht von Staatsangehörigkeit, die eine rein administrative Bestimmung ist. Das Wort “Neger” kommt übrigens nicht von “Niger”; auch, daß man dieses weiß, gehört in den Komplex der – hier sprachlichen – Herkünfte:Die Bezeichnung “Niger” geht aus der Europäisierung des Tuareg-Begriffes für den Fluß Niger “Egereou n-igereouen” hervor. Die sprachliche Nähe zum lateinischen Wort “niger” (=> schwarz) war zwar Zufall, aber durchaus willkommen.
      >>>> Quelle.

    6. Schatten Damit ein Wort den guten oder bösen Geist des wertenden Urteils evoziere, gehört es füglich in den sinngebenden Zusammenhang eines Kontextes gestellt. Bei vielen Wörtern wird ein solcher gewohnheitsmäßig vorausgesetzt. Diese Wörter, und Neger ist ein solches, sind derart einseitig von einer bestimmten kontextuellen Umgebung gleichsam okkupiert, dass bei ihnen der konnotative Charakter den unvoreingenommen denotativen, der es Verfügbar machte, überspielt. Natürlich haben alle Wörter ihre Geschichte(n), die beim bewussten Schreiben, Hin-schreiben nicht unbeachtet bleibt. Wörter, wie sie hier in Rede stehen, wurden aber selber zum Synonym einer Geschichte und sind insofern gar keine Wörter mehr – sondern unheilvolle Schatten. Viele verzichten auf ein solches Wort und geben es für verloren.

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