Zur Pornographie, besonders in den Kommentaren. Sowie: Löschungen & Zensur. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. November 2012. Auch aber, nach einer Bemerkung zu John Thompson: Schreiben für Eliten ODER Die Abhängigkeiten.

4.46 Uhr:
[Arbeitswohnung. Penderecki, Fonogrammi.]
Aus gegebenem Anlaß noch einmal:
In Der Dschungel werden persönliche Attacken gelöscht, es sei denn, sie werden begründet in einem Ton vorgetragen, der es mir möglicht macht, so auf sie zu reagieren, wie das allgemein bei, z.B., sportlichen Zweikämpfen, bzw. Wettkämpfen-allgemein üblich und nötig ist. Das heißt, es gelten Regeln mindestens der zivilisierten Umgangsformen – was wiederum nicht bedeutet, daß nicht doch im Temperament der Auseinandersetzungen hin und wieder – das ist nur menschlich – ein emotionales Wort rausrutschen darf, aber eben erst dann und nicht gleich beim Einstieg. Doch wer sich sofort abschätzig, gar hämisch einläßt, zumal ohne zu begründen, dessen Kommentare sind es de facto nicht wert, unter den Beiträgen stehenzubleiben. Dabei bin oft nicht ich selbst es, der löscht, sondern ich habe Administratorinnen bestimmt, die das ganz aus eigenem Ermessen tun können, und zwar eben nach der genannten Vorgabe. Es gibt also Löschungen, die ich gar nicht mitbekomme, weil die Adminstratorinnen die entsprechenden Kommentare noch vor mir gesehen haben. Gerade in intensiven Arbeitsphasen jenseits des Netzes schaue ich nicht alle fünf Minuten nach.
Zum leidigen Vorwurf der Zensur: Es ist keine. Eine solche wird, wenn, dann allein von staatlichen, bzw. öffentlichen Organen ausgeübt. Selbst privatrechtlich geführte große Zeitungen, ob nun FAZ, ob SZ, ob Die Zeit, können entscheiden, welche Beiträge sie publizieren und welche nicht; dasselbe gilt für Leserbriefe, als die man Kommentare in Weblogs durchaus auffassen kann. Ist jemand in ein, wie gastfrei es auch immer sei, privates Haus geladen und benimmt sich daneben, kann man ihn dieses Hauses verweisen, das gilt sogar für Kneipen. Besucht jemand ein Konzert und läßt im Foyer die Hosen herunter, um mitten auf den Boden zu scheißen, haben die Ordner jedes Recht, ja, sogar die Klugheitspflicht, ihn hochkant rauszuwerfen – schon, weil sonst der Gestank die übrigen Besucher vertreibt – was mir bisweilen eben der Sinn solcher hämischen Kommentare zu sein scheint, neben dem Umstand, daß sie selbstverständlich verletzen s o l l e n. Dies ist für eine Diskussion, die Positionen setzt, über die dann – argumentativ – gestritten wird, keine Grundlage.
Insofern ist es eine – sehr bewußt behauptete – rein diffamierende Unterstellung, ich ließe anderer Leute Meinung nicht zu, bzw. löschte sie „prinzipiell“ aus Der Dschungel heraus. Viele der hier geführten Diskussionen belegen etwas anderes, zuletzt etwa >>>> dort. Auch da wurde ich angegriffen, sogar hart, aber zugrunde lag und wurde kenntlich gemacht eine andere Einschätzung der Situation wie, allgemeiner, ein anderer Nexus von Werten. Dies ließ und gab mir die Möglichkeit, mit meinen eigenen Werten zu argumentieren, so daß wiederum Leser:innen die Möglichkeit haben, an beiden Positionen ihre eigenen zu sehen und/oder auszubilden. Jeder und jedem steht es frei, sie ebenfalls ins Feld zu führen. Dabei ist es gerade eine entschiedene Stärke Der Dschungel, daß das nicht nur zugelassen, sondern daß dafür ein Forum bereitgestellt wird und bleibt. Wird hingegen nur mit Unrat geschmissen, möchten viele Leser:innen einfach nicht in der Wurflinie stehen, allein schon, um sich die – in häufigen Fällen seelischen – Reinigungskosten zu ersparen. Aber auch sowieso haben einige Menschen schlichtweg keine Lust auf Streit, schon, weil ihnen ihre Zeit zu viel wert ist, um sie an Kommentar-Vandalen zu verlieren. Wir haben davon, von unserer Zeit, nicht sehr viel, weil einer wie eines jeden Lebensspanne sehr begrenzt ist.

(Es ist auffällig, daß Serien von Trollereien immer dann beginnen, wenn ich etwas geschrieben habe, das möglicherweise ein Reizthema berührt – also etwa, wie gestern, zu meiner Freude – falsch! Lust, sogar Wollust – an der Pornographie. Nun stehe ich mit ihr offenbar nicht allein, weder unter Männern, noch eben auch unter Frauen, sonst wäre der Markt nicht so einträglich, also hierbei liege ich einmal voll im Mainstream – aber nach wie vor gilt, man dürfe das nicht zugeben, sondern müsse es verstecken. Zusammengedacht etwa mit dem hierüber schon verlinkten Thema der Vaterschaft, scheint es besonders heikel zu wirken, daß alle es lesen können, mithin auch Kinder. Genau hier unterscheidet sich meine Position vom Mainstream: Ja, ich gebe mich zu, was gleichzeitig bedeutet, daß ich bereit bin, darüber zu sprechen, öffentlich gleichermaßen wie privat. Daß wir alle Süchte haben, Gier haben, Vergessenheiten haben, vor allem auch: Inkorrektheiten haben und leben. Und daß wir darauf pochen müssen, daß man sie uns nicht nimmt. In diesem speziellen Themenfall ist ein Andres ebenfalls mitzudenken und zu wissen: daß durchaus nicht alle, wahrscheinlich sogar die wenigsten Porno-Darsteller ihren Beruf gezwungenermaßen ausüben (man sehe sich etwa die Darsteller-Interviews bei >>>>> John Thompson an), jedenfalls nicht „gezwungener“ und entfremdeter als irgend ein/e Fabrikarbeiter:in; bisweilen denke ich sogar, daß die, sagen wir, Berufung der Körper jedem, aber auch jedem Job als zum Beispiel Supermarkt-Kassierer und -Kassiererin entschieden vorzuziehen ist, und zwar nicht nur, weil man besser bezahlt wird.)

Guten Morgen.

7.05 Uhr:
Die heutige Frühmusik hat mir Freund UF geschickt; >>>> die Dropbox ist eine feine Erfindung. Selbstverständlich habe ich Pendereckis Fonogrammi auch vorher schon hiergehabt; das gehört zur musikalischen Gegenwartsbildung, jedenfalls dann, wenn man an einer Ästhetik der Moderne interessiert ist. Aber ich habe die Aufnahme auf Vinyl: eigens eine Schallplatte aufzulegen, begründet ein anderes Verhältnis zur Musik, als wenn sie mit zweidrei Klicks eingespielt werden kann. Ein spannendes Phänomen, übrigens, das vielleicht direkt zur Wirk- und also Produktivitätsästhetik gehört.

Gestern mehr als die Hälfte von BuenosAires gelesen, heute werde ich mit dem Buch fertig werden: Es läßt sich also an zwei Tagen locker lesen, sagen wir – wenn man nicht Berufsleser ist, wie ich einer bin – an einem einzigen Wochenende. Genau hier liegt ein Problem „anspruchsvoller“ Literaturen wie insgesamt der anspruchsvollen Künste, wobei in der Dichtung, im Gegensatz zu etwa Musik und Bildender Kunst, der Zeitfaktor ganz besonders schwer gewichtet ist, und zwar schon fürs erste Anschaun, also ebenfalls: Wirken. Um mich mit einem Stück Neuer Musik zu konfrontieren, genügt es, zwei, allenfalls drei Stunden aufzuwenden, ähnlich im Spielfilm und Theater; danach kann ich immer noch entscheiden, ob ich meine, es sei eine weitere Beschäftigung wert. Nicht selten treten Erinnerungseffekte und der Wunsch, noch einmal rückzuschauen, erst viel später auf als unmittelbar, weil das Gehörte und Gelesene sich erst „setzen“ mußte. Bei Literatur hingegen, besonders bei epischer, braucht der Erstkontakt oft Tage, wenn nicht Wochen, bevor ich, rein für mich selbst, eine dem Werk angemessene Aussage treffen kann. Dichtungen ziehen enorm viel Zeit von mir ab, die ich, allein aus beruflichen und familiären Gründen, oft gar nicht zur Verfügung habe. Hinzu kommt das gerade in entfremdeten Berufen drängende Bedürfnis nach Erholung: ich werde da allezeit so fremdbestimmt, daß ich einfach das Gefühl brauche, „mal etwas Gutes“ – nämlich nicht schon wieder Anstrengendes – „für mich selbst“ zu tun. Daß die meisten Befriedigungen aber industriell so gefertigt sind, daß sie die Abhängigkeiten heimlich zementieren, steht auf einem anderen Blatt und ist hier grad mal nicht das Thema; ich schreibe oft genug darüber. Hier geht es mir darum, die Bedürfnislage der meisten Rezipienten zu verstehen, die ihre ökonomische Sicherung mit Unfreiheit bezahlen, auch damit, daß sie manches tun, über das ihre innere Moral besser hinwegsehen möchte. Tatsächlich Kunst läßt nicht hinwegsehen, sondern, wie ich anderswo schrieb, gräbt aus, gräbt um – und gräbt dabei tief. Wer sich dem aussetzt, macht sich verwundbar und muß t a t s ä c h l i c h damit rechnen, verwundet zu werden. Sensibilität ist in den meisten Berufen alles andre als ein Wert, oft wirklich – aus Sicht der Unternehmen – produktionshemmend. Jede Billigkette vertreibt Waren, deren Produktionsbedingungen nach unseren Maßstäben unmenschlich sind, ob nun des Kaffees oder der Textilien; jede Verkäuferin, jeder Verkäufer trägt daran mitschuld. Es sind dies aber Menschen, die sich für ebenso gut und menschlich verstehen und sehen möchten, wie irgend jemand andres. Also muß man wegdenken von den Zwängen, in denen man da steckt.

[Elliott Carter, First Symphony.]
Wer sich durch Kunst sensibilisieren läßt, der hat imgrunde verloren – mindestens nämlich den Job. Deshalb muß sich jeder, der, wie ich, nicht für den Eskapismus schreibt, klar darüber sein, daß ihn der Mainstream meiden wird. Man schreibt dann schlichtweg für Eliten.
Das ist ein objektives Problem.
Zu dem addiert sich, daß diese aus, meistens, anderen Berufslesern und nur selten aus Literatur-Aficionadcos bestehen, die ihrerseits einiges Glück haben müssen, um von der Existenz bestimmter Werke überhaupt zu hören. Nämlich, weil die meisten Berufsleser, wenn sie zum Beispiel diejenigen Literaturvermittler sind, die Werke öffentlich bekannt machen können, ihrerseits Interessen haben – nicht zuletzt eines auf möglichst weit reichendes Gehör. Unter anderem deswegen, und eben nicht aus bösem Willen, werden zuerst die großen Verlage angeschaut – nicht, weil deren Bücher besser seien, sondern weil sie die am weitesten reichende mögliche Wirkung haben, etwa ins Ausland. Literatur ist ja längst internationalisiert, und da will man als Kritiker, das ist absolut nachvollziehbar, auch international gehört sein. Hier verschränkt sich der Markt der internationalen Lizenzen mit der Deutungshoheit im eigenen Land. Wenn zum Beispiel ein US-amerikanischer Verlag an einen deutschen eine Lizenz verkauft (so etwas geschieht durch Gebote, bei denen kleine Verlag natürlicherweise nicht mithalten können), dann ist umgekehrt die Wahrscheinlichkeit hoch, daß dieser US-amerikanische Verlag auch etwas von dem deutschen kauft. Es geht hier um Geschäft. Äußert sich nun ein Kritiker nicht zu den entsprechenden Büchern, verliert er an Deutungs-Valenz, damit auch an Bedeutung im eigenen Land.
Das ist ebenfalls ein objektives Problem.
Von diesen Zwickmühlen apart steht ein wenig die Lyrik, aber nur deshalb, weil sie ein benennbarer Umsatzfaktor nirgends ist oder allenfalls dann, wenn ihre Bedeutung an politische Bewegungen gekoppelt ist, etwa bei Neruda oder Paz. Ist sie das nicht, bilden sich spezialisierte, oft auch ästhetik-ideologische Lobbies, von denen Außenseiter fast unmittelbar geblockt oder aber sehr schnell, werden sie als solche erkannt, ausgeschieden werden. Auch das ist ein objektives Problem, weil auch hier Faktoren der Existenzsicherung eine Rolle spielen und wiederum der Deutungshoheiten.
Genau aus diesem Grund, nicht etwa, ich wiederhole es, bösen Willens halber, wird allein im Netz erscheinende Literatur niedriggewertet: aus ihr ist keine Hoheit zu beziehen und schon gar kein Einkommen, das eine so intensive, wie es nötig wäre, überhaupt erst einmal Betrachtung erlauben könnte; für kalkulierende Menschen, wie literaturaffin auch immer, kann und darf sie keine Rolle spielen, andernfalls man sich selbst direkt schädigen würde.
Jetzt, Leserin, muß ich aber wirklich an meine Lektüre.

14.50 Uhr:
Sehr >>>> spannende Diskussion hierunter, die mich leider aber von meiner Lektüre abhält. Außerdem sind mein Sohn und seine Freundin C. hier, die beide – eigentlich – Hausaufgaben machen wollen. Aber natürlich gickern und blödeln sie die halbe Zeit. Da ist es schwierig, sich auf ein Buch, hingegen nicht, sich auf Gedankengänge zu konzentrieren. Seltsam, daß ich beim Lesen ablenkbar bin, nicht aber beim Denken und auch nicht beim Schreiben. Selbst ein eigenes Buch ist so, als müße ich mich in das eines anderen hineinversetzen. Das ist ein ziemlich interessantes Erkenntnis-Phänomen.
Jetzt wird erst mal Cello geprobt, aber auch das unterbricht er plaudernd. Hm.

18.30 Uhr:
Durch mit >>>> BuenosAires.Anderswelt; so kann ich quasi gleich schon anfangen, die immerhin fünf Seiten einzubauen, die ich aus den Lektüren beider Romane zusammengetippt habe; teils nur, um Angaben zu überprüfen, teils, um sein zu modifizieren, teils, um bestimmte Motive noch etwas konturierter zu fassen. Insgesamt gibt es allerdings zwei Probleme, für die ich eine Lösung finden muß; wären nicht die ersten beiden Bücher bereits erschienen, wär es im Handumdrehen erledigt, so aber muß ich zwei Unmöglichkeiten so aufheben, daß sie plausibel, also Möglichkeiten, werden – und zwar auch dann, wenn die Belange, um die es geht, vielleicht allein von mir selbst bemerkbar sind. – Freilich bin ich gut in der Zeit; abgeben will ich ja erst Anfang Dezember.
Ich geh jetzt mal raus, brauch was Luft umme Nase und kauf auch gleich was ein.
Ha!

66 thoughts on “Zur Pornographie, besonders in den Kommentaren. Sowie: Löschungen & Zensur. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. November 2012. Auch aber, nach einer Bemerkung zu John Thompson: Schreiben für Eliten ODER Die Abhängigkeiten.

  1. …auch wenn sich jedwelche Ähnlichkeiten an exakt dieser einsam dümpelnden Eisscholle begrenzen, aber eine Gemeinsamkeit weisen wir auf: der frühe Zeitpunkt, der das Tagwerk markiert.

    Diese in gänze überflüssige Bemerkung kribbelt mir schon länger unter den Fingerkuppen. Heute ist “es” stärker.

    1. Gemeinsamkeiten@Falkin. Es wird sicherlich noch die eine und/oder andere mehr geben, etwa, daß man/frau gerne Wein trinkt oder die Musik von, sagen wir, >>>> Joni Mitchell, liebt; es muß ja nicht immer Bach und Dallapiccola sein, nicht einmal bei mir. Außerdem scheinen wir es beide zu mögen, wenn etwas kribbelt – das ist, bei Männchen hier und Weibchen da, doch auch schon ganz hübsch. Des weiteren werden wir beide Ungerechtigkeiten nicht mögen; was sich unterscheiden kann, ist wohl allein, wo man sie bereits oder noch nicht sieht.
      Was das frühe Tagwerk anbelangt: jede/r, die und der sich ein wenig darauf einläßt, wird die Vorzüge sehr schnell erleben. Ein entschiedener Nachteil ist, daß man dann am Nachtleben nicht wirklich mehr teilnehmen kann, so daß einem manches, das es wert wäre, entgeht. Ich verstehe die, meist jungen, Leute s c h o n, die nach, sagen wir, durchtanzter Nacht in den frühen Morgen treten und erstaunt und seltsam glücklich in sein noch ungefähres Licht sehn, Und haben vielleicht noch die fernen Improvisationen >>>> Bob Rutmans im inneren Ohr, wozu die Schritte erster Eilender, und die Müllwagen vielleicht, deren Motoren raunen, den Rhythmus einer Verläßlichkeit geben, die in der Welt-selbst liegt.

  2. …..und zwar nicht nur, weil man besser bezahlt wird…
    Dazu gibt es zu viele Dokumentationen, Interviews, die durchaus und eindringlich eine andere Sprache sprechen, und zwar von Frauen.
    Aus Männersicht mag das anders aussehen.
    Aber genau diese sollten ab und zu, wenn sie dazu im Stande sind, sich in die Rolle des/der “Benutzten” hineinversetzen.

    1. Nicht nur@Gästin. Benutzt ist jede Fabrikarbeiterin schlimmer, jede Verkäuferin bei Penny, jede Sachbearbeiterin in den meisten Büros. Ja, es gibt die von Ihnen genannten Dokumentationen, es gibt das verbrecherische Einschleuse-Unwesen aus armen Ländern; es gibt den objektiven Mißbrauch. Es gibt aber auch Darsteller, die, was sie tun, gerne tun, und auch darüber Dokumentationen. In keinem Fall läßt sich etwas Allgemeines über die in dieser Industrie arbeitenden Akteure sagen. Ihre Geschichten sind so verschieden wie die Geschichten von Soldaten; bei Dokumentationen muß man auch immer schauen, welches Interesse sie geleitet hat. Zum Beispiel gibt es auch ein reguliertes System, wie in der Literatur, von >>>> zum Beispiel Erotic Award genannten Preisvergaben und in Berlin sogar ein eigenes, sowohl von Frauen als auch Männern überaus besuchtes >>>> Festival. Ich bin außerdem, deswegen kenne ich mich etwas aus, mit Frauen befreundet, die in diesem Bereich arbeiten oder gearbeitet haben, mit zweien von ihnen, nein, sogar dreien, hatte ich ein erotisches Verhältnis, und selbstverständlich haben wir über das Thema immer und immer wieder gesprochen.
      Abgesehen davon arbeiten ja nicht nur Frauen in dem Beruf, sondern mindestens ebenso viele Männer., ja ohne die – als ihrerseits Darsteller – wäre er gar nicht denkbar. Auch die, wenn Sie so wollen, “prostituieren” sich. (Ich hätte selbst gern mal mitgespielt, aber hatte schlichtweg Angst zu versagen, so mit den Kameras zwischen den Beinen. Prinzipiell aber lockt es mich nach wie vor. Vielleicht trau ich mich mal, eines Tages. Schon, weil ich immer genau kennen will, was mich auch künstlerisch inspiriert.)

      P.S.: Auf jede Form von Mißbrauch, da sind wir vollkommen einig, muß strafrechtlich reagiert werden – nicht aber, da sind wir vielleicht uneins – ideologisch, also weder in vorgeblich feministischen noch nach überheblichen machistischen Kategorien.

    2. Akteure Weil die Akteure bei aller Ausbeutung noch im Besitze der sozusagen entscheidenden Produktionsmittel sind (ausgenommen Studio, Kamera usw.), sind sie mehr als andere Unterprivilegierte im Range selbständiger Unternehmer. Als solche machen sie ihre Aussagen. Interessierte Aussagen, unternehmerisch orientierte Aussagen, schöngefärbt und – selbstgefällig-schlitzohrig. Die Pornoindustrie ist mithin nicht der bessere Kapitalismus.
      Aber wer hätte nicht schon den einen oder anderen zur Nachahmung geeigneten Dreh mit Gewinn reproduziert?

    3. “Die Pornoindustrie ist mithin nicht der bessere Kapitalismus.” @tom. Ganz sicher nicht. Aber auch nicht der “schlechtere”. Die Grundfragen hier sind allerdings andere und viel enger, in unseren Gefühlen, mit meist als Kontinuität empfundenden anthropologischen Paradigmen verbunden als etwa in einem “normalen” Anstellungsverhältnis oder, um ein Extrembeispiel von Ausbeutung nämlich des eigenen Willens herzunehmen, bei Soldaten, die zumindest im Kampffall auf absoluten Gehorsam verpflichtet werden; wo theoretisch nicht, bleibt bei ihnen eine Beweislast, die man in aller Regel nicht heben kann.
      Der Begriff der Prostitution wäre hier also viel angemessener. Unternehmerisch orientierte Aussagen trifft man in jedem anderen Beruf auch; ich kann davon manches Lied singen, da ich in meiner Börsen- und Finanzberaterzeit ganz genau solch ein de jure Halbselbständiger war – doch selbst das war jedem anderen Angestelltenverhältnis vorzuziehen, das ich bis dato, namentlich in Büros, erlebt hatte. Die eigene Entscheidungsfreiheit ist erheblich größer.
      Man kann sich als Pornostar übrigens auch sehr ehrenvoll zurückziehen; eine der schönsten Frauen, die es für meinen Geschmack (besser: für meine Träume) unter denen jemals gegeben hat, war die, von deutlich indischer Herkunft, Engländerin Nadia Nyce (ich verlinke hier bewußt nicht), deren ausgesprochene Spezialität etwas war, das die halbe Männerwelt rein um den Verstand bringt, weil er davon vollkommen berauscht wird. Bis heute hänge ich an ihr und schaue immer mal wieder, was sie jetzt wohl so macht – ein fast freundschaftliches, tief sympathisierendes Interesse.


      Bildquelle: >>>> Wikimedia.
    4. Zu dieser Frage – ob nämlich “Sex-Arbeit” nicht anders entfremdet sei, als jede andere Arbeit gegen Bezahlung – bin ich vollkommen anderer Meinung als Sie, ANH.

      Ich will mich dabei nicht auf die persönlichen Gespräche mit Frauen, die in diesem Geschäft “freiwillig” tätig sind oder waren, berufen, die jedoch ausnahmslos ein anderes Bild zeichnen, als jenes, das Sie hier entwerfen, (denn das führte nur zu jenem PingPong-Spiel: “Ich kenne da aber eine, die..), sondern -ausnahmsweise und sogar widerwillig 😉 – auf den alten Mann aus Königsberg. Ihre These, Sex sei eine Arbeit wie andere Arbeiten auch, stimmte nur dann, wenn unsere Sexualität nicht Teil unserer Selbst (des “Wesens”) wäre. Das bestreite ich. Sexualität ist damit verbunden, das Menschliche (“den freien Willen”) willentlich aufzugeben – ein Paradox in sich. Wenn das so ist, dann braucht diese freiwillige Entmenschlichung/Verdinglichung einen Schutzraum, der keineswegs dadurch entstehen kann, dass man sich noch auf einer weiteren Ebene verdinglicht, nämlich verkauft. Im Gegenteil. Sexualität ist dann einer jener Bereich, die vor der Vermarktung unbedingt zu schützen sind.
      Ich habe dazu vor längere Zeit mal einen ausführlicheren Text geschrieben: Kannibalischer Sex. Über Kants Thesen zur Sexualität in der “Metaphysik der Sitten”: http://gleisbauarbeiten.blogspot.de/2010/11/kannibalischer-sex-verdinglichung-und.html

    5. @Melusine zur Sexualität und zum menschlichen Wesen. Ihre These ist interessant, hat aber höchst problematische Enthymeme:

      1)
      Sexualität ist damit verbunden, das Menschliche (“den freien Willen”) willentlich aufzugeben.Inwiefern wird der freie Wille aufgegeben? (Dessen Existenz ich übrigens bestreite; aber das ist ein anderes, ein vorgängiges Thema; für mich ist er – was dann zu anderen Schlüssen für unsere Handlungen führt – eine allerdings notwendige Illusion.) Selbst wenn in das Sexualspiel Dominanz und Unterwerfung gehören, wäre auch letztere durchaus als eine aus Freiwilligkeit zu fassen; andernfalls wäre jeder Sexualakt ein Mißbrauch. Diese Form der freiwilligen Selbstbeugung kennt – in einer tatsächlich menschlichen Leistung – jede Nonne und jeder Mönch. (Der Begriff “devot” kommt eben daher: in Gott ergeben).
      2)
      Inwieweit ist der freie Wille als ein Menschliches stärker zu werten als das Menschliche der Nahrungs- und – vor allem der vorsorgenden – Sicherungssuche? Tatsächlich zeigen Forschungen, daß Nahrung usw. dem Sexuellen sogar vorgängig ist; das kann man auch rein logisch so begreifen. Und insgesamt zeichnet sich Sexualität durch freien Willen sowieso nicht aus, sonst sprächen wir nicht von “Trieb”.
      3)
      Anthropologisch kann man davon ausgehen, daß der homo erectus durch den homo faber abgelöst wurde. Produktion ist diejenige menschliche Konstante, die mir weit menschlicher, nämlich für unsere Art typischer zu sein scheint als die Sexualität; diese teilen wir nämlich mit den Tieren. Insofern ist sie keine irgend ein speziell Menschliches bezeugende Kategorie; das ist vielmehr die Produktion, der wiederum eine willentliche Veränderung des eigenen Lebensraums entspricht: auch dies ist alleine unserer Art eigen. Was wir Kultur nennen, ist seit dem Ursprung in seinem Wesen agrarisch und auf Produktion gerichtet. In diesem Sinn scheint mir die Produktion der Pornoindustrie genau ein Menschliches zu sein: auch das Sexuelle wird hier dem menschlichen Bemühen und Gestaltungswillen unterworfen: auch sie, als ein treibender Motor der Welt, wird gestaltet.
      4)
      Zu trennen vom Sexuellen ist hier die Liebe, die wiederum mit dem Sexuellen, aber nicht einmal notwendigerweise assoziiert ist und ihre ganz eigene Genese hat – bis hin zu den „Zweckbündnissen“ der Ehe und einer Form von ebenfalls, wenn man so will, Prostitution, in welcher man, vor allem Frauen, den Körper gegen gewährte Sicherheit tauscht. Frauen (und Männer, aber aus historisch-patriarchalen Gründen viel weniger), die reiche und/oder mächtige Partner eben wegen des Reichtums und der Macht wählen, die wiederum dem Nachwuchs Schutz garantieren, sind, so gesehen, sehr viel mehr Prostituierte als Frauen, die in der Pornoindustrie arbeiten.

      Grundsätzlich bestreite ich aber erst einmal Ihre anthropologische These, dernach im Sexuellen ein speziell menschlicher freier Wille über ein Maß hinaus aufgegeben werde, das wir von quasi jeder Religion kennen. Das speziell Menschliche sehe statt dessen ich in den verschiedenen Formen von Arbeit, nämlich Aneignung und, daraus folgend, in der aktiven Verwandlung des Gegebenen in ein Eigenes (dazu gehören auch, im Geistigen, sämtliche Sublimationsprozesse).

      Den freien Willen, wenn es ihn denn gibt, gibt jeder Soldat auf, ich schrieb das bereits, und zwar absolut. Ihrer These nach müßte jeder soldatisch Tätige in einem ganz besonderen Privatraum geschützt sein. In der Tat, das hätten sich die Folterer von Abu Ghuraib so gewünscht, die Menschenrechtsverletzer der Nazis, die Metzler von My Lai. Aber jeder auch, der sich an Dienstpläne halten muß, sich also – nämlich seine Arbeitskraft – “verkauft”, gibt seinen freien Willen dahin, ebenso, indem wir uns, sei’s auch aus Einsicht, unter Gesetze beugen. Für jede Sozialität ist die Aufgabe des freien Willens geradezu notwendig, nämlich freiwillige Beugung unter kulturelle Instanzen, Kein Pornodarsteller beugt sich de facto mehr; die Bewegung ist im Prinzip ganz die gleiche,

    6. Könnte, ja müßte man nicht aber. Gerade umgekehrt argumentieren? Gerade weil Sexualität einer der wenigen Bereiche ist, in denen wir noch mit den Trieben, also einer Erdkraft, verbunden sind, die noch nicht vom menschlichen Gestaltungswillen gänzlich erfaßt werden konnte, sei sie zu schützen? Also genau deshalb, weil sie den freien Willen, der immer ein gestaltender (sublimierender) wäre, weder kennt noch kennen sollte, und zwar auch nicht als Illusion? Dann wäre das Sexuelle gerade vor dem Menschlichen zu schützen.

      P.S.: Ich habe eben >>>> bei Ihnen kommentiert. Da der Kommentar dort erst freigeschaltet werden muß, bevor man ihn lesen kann, hier bereits der Wortlaut:

      Nur eben zweierlei nachgetragen, kurz, weil ein hiermit zusammenhängender Komplex gerade >>>> dort diskutiert wird:
      1) Das ekstatische Moment, das selbstverständlich die vernünftige Moral eines autonomen Ichs quasi durchstreicht, teilt das Sexuelle mit dem Religiösen. So gesehen ist jeder berauschende Sexualakt eine Gotteserfahrung. Wenn diese unter einem Normsystem steht, wie etwa der Markt es bereitstellt, kann man von einer Kirche und von Ritus sprechen. Genau das entspricht bestimmten Abläufen in der pornografischen Filmindustrie, bzw. Erwartungen seiner Konsumenten.
      2) Es ist höchst fraglich, ob überhaupt irgend ein Lebensbereich nicht von den Bedingungen des Marktes als der Schöpfung des Menschen denkbar ist (bestehend aus vorsorgender Produktion bis hin zur überhaupt erst schaffenden Bedürfniserzeugung, kurz der Veränderung von Welt).

    7. Ich kann grad nicht ausführlich drauf eingehen, weil ich schon wieder auf dem Sprung bin (ach, die entfremdete Arbeit 🙂 ).

      Zu 1) Ja, das stimmt wohl. Es ist vielleicht der Grund, warum ich mit der Pornographie in der Regel wenig anfangen kann. Mit der Kirche und den Riten eben so wenig. Ich bin da “unmusikalisch”, wenn man so will. Oder: Pur.

      Zu 2) Es mag fraglich sein. Ich habe diese Sehnsucht: nach dem Puren. Nach Bedürfnissen, die nicht “erzeugt” sind. Und danach, dass sich eine “fallen lassen kann”, aber nicht auf Vertragsbasis (mit Versicherungsschutz und so), sondern bloß durch Vertrauen. Das gibt´s. Ohne das ginge gar nichts. (Wir leben gar nicht lang genug, um all die Verträge auszuhandeln, die nötig wären, andernfalls.)

      (Die Moderationsfunktion im Blog musste ich einschalten, seit ich öfter zu feministischen Themen blogge. Das weckt Hass. Und ich habe keine Administratorinnen und bin oft den ganzen Tag über nicht im Netz. So was möchte ich aber nicht stundenlang auf meiner Seite stehen haben.)

    8. Telos des Besonderen Das stimmt schon, der Leib, und natürlich auch die menschliche Sexualität als eine dem Leibe eigene Qualität, ist in diese Mechanismen involviert. Das Besondere, als das Telos des Leibes, ist relativiert und somit zerstört. Übrig geblieben ist nur der Körper. In dieser Perspektive sind z. B. Sport und Sexualität ein und dasselbe. Dass Dreck sexy sei nähme heutzutage Freud niemand mehr ab. Man hat den Eindruck, als liefe überall das Wasser von den Wänden.
      Markt und Kirche sind, aus unterschiedlichen Gründen, dem Besonderen nicht eben förderlich.
      Der Markt mit seiner Tauschwertpriorität interessiert sich nicht, oder doch nur hinsichtlich der Konditio, fürs Besondere. Die Kirche ist ein hierarchisch gestaffelter Ort, an dem die besonderen Ansprüche etwa des Evangeliums zum Vorteile heruntergekommener Priester schon seit dem Auftritt des Paulus zu kurz kommen.
      Aber sind diese historischen Sackgassen das letzte Wort der Geschichte?

    9. Darauf habe ich auf den Gleisbauarbeiten (hier: http://gleisbauarbeiten.blogspot.de/2010/11/kannibalischer-sex-verdinglichung-und.html?showComment=1353101485542 ) noch mit dem Hinweis auf einen Aufsatz von Martha Nussbaum aus “Konstruktionen des Begehrens, der Liebe und der Fürsorge” geantwortet:

      ” in dem sie unterschiedliche Texte analysiert, die sexuelle Verdinglichung thematisieren. Interessant daran ist, dass aus ihrer Perspektive nicht der pornographische Text (“Geschichte der O.) die gefährlichste und totalitärste Form der Verdinglichung beschreibt, sondern Henry James in “Die goldene Schale”.

      Mir scheint das zutreffend. Erinnern Sie sich, dass Sie mir einmal erzählten, nichts habe sie so wütend machen können, wie der Satz Ihrer Mutter: “Jeder hat seinen Preis.” ( ! )

    10. GoldenBowl@Melusine, sowie Die Fantasien. Pornografie ff. Leider habe ich James’ Roman nicht hier, hätte auch nicht die Zeit, dieses Buch gleich “zwischenzuschieben”, habe deshalb eine Inhaltsangabe im Netz gelesen und würde jetzt gern wissen, welche Personenkonstallation Nussbaums Aufsatz im Blick hat (und haben Sie vielleicht eine Kopie des Aufsatzes, bzw. wo finde ich ihn?) – aber prinzipiell meine auch ich, daß die traditionelle Form der Ehe sehr viel verdinglichender ist als der Beruf von Porno-Akteuren.
      Hinzu kommt etwas weiteres: Der Pornofilm erlaubt eine Umsetzung persönlichster Sexualfantasien, die in Ehen ausgeschlossen ist, und zwar g e r a d e dann, wenn es um die spielerische Realisierung von Erregungen geht, die mit Unter- und Überwerfungen zu tun haben; deswegen gibt es wahrscheinlich Spezialisierungen der Pornoakteure; manches, spätestens, wenn Kinder da sind, ist de facto zwischen Ehepartnern nicht mehr möglich. Sie wissen, wie heikel allein schon der “normale” Geschlechtsakt ist, von seiner – notwendigen – zeit- und räumlichen Einengung innerhalb der Familien einmal ganz abgesehen. Ich spiele hier auf das an, was Freud in der für ihn so typischen hohen Literarizität die Urszene nannte. In Blick auf sie ist die Realisierung eines z.B. sadomasochistischen Verlangenn k o m p l e t t unmöglich; die Bedürfnisse werden verschoben, wenn es gut geht: sublimiert, wenn schlecht: verdrängt. Und die Fehlleistungen folgen, zu deren Folgen u.a. die spätere, eine sehr tiefe, Bitterkeit gehört. Sie stammt nahezu immer, wenn nicht aus Krankheit oder z.B. Kriegserfahrung, aus der Versagung. Unterdessen lösen einige “Szenen” dieses Problem oder erleichtern doch seine Lösung.
      Kommt zur starken Sexualfantasie der Voyeurismus hinzu, kann sich – kann – der Pornofilm anbieten. Wäre dem so, höbe er Verdinglichungsprozesse für die Akteure geradezu auf. Ich sage nicht, daß es so ist, sondern nur, daß die Möglichkeit besteht. Selbstverständlich ist solch ein Beruf nichts, was für jede/n ohne weiteres oder überhaupt geeignet ist. Meine Einlassungen wollen nur, daß nicht prinzipiell geurteilt wird; sondern man muß sich die Einzelfälle anschauen. Wobei – fast möchte ich “natürlicherweise” schreiben, wär das nicht so falsch – der erfolgreiche Pornofilm unter dem Diktat der Publikumserwartung steht; das persönliche Wollen der Akteure ist industriell gesehen sicherlich eine Nebensache. Es gibt da strikte Direktiven: etwa, daß das Sperma, bevor die Frau es schluckt, immer zu sehen sein muß usw. Interessant sind aber die höchst ambivalenten Übertretungen, die sich beobachten lassen. In mehreren Filmen, die ich sah, haben die dafür meist jungen Frauen, nachdem sie alles Mögliche und besonders Unmögliche taten, mit dem bekannten pornografischen Blick (das ist ein – ha!: – stehendes Filmer-Idiom dafür, daß die Akteure durch die Kamera die Zuschauer anschauen; Illusionsbruch der Erzählung also, zugleich Erzeugung einer ganz anderen, nämlich intimen Illusion )… haben sie also sagen sollen und dabei in die Kamera winken, oft mit ziemlich trotzigem Gesichtsausdruck: “Hallo, Mama. Hallo, Papa” – wie um den Eltern zu bedeuten, wie sehr sie sich von ihnen gelöst hätten. Man kann das durchaus als einen – wie auch immer perversen – Emanzipationsakt verstehen, einen, der sich sehr bewußt und extrem scharf radikalisiert hat. Wahrscheinlich soll das zugleich, ein Regie-Interesse also, vermeintliche Väter-Fantasien befriedigen oder ihnen erst richtig einheizen.
      Ich könnte sehr viele soziologisch und vor allem anthropologisch hoch interessante Konstellationen aufführen, mit denen Pornofilme “arbeiten”, aber hier führte das erst einmal zu weit.
      (Was, übrigens, bei nahezu allen, vor allem aber extremen Pornos immer ausgespart bleibt, ist der Ekel, der sich besonders über Gerüche herstellen würde, wäre man denn tatsächlich dabei. Insofern ist jeder Porno eine tatsächlich allein auf Aistetike, also Oberfläche, abstellende mehr oder minder künstlerische Inszenierung. In unseren Sexualfantasien kennen wir genau das; hier werden sie durch den Augenschein bestätigt – ein nicht unwichtiges Moment der Erzeugung von Lust.)

    11. Der Aufsatz von Martha Nussbaum findet sich hier:
      http://www.reclam.de/detail/978-3-15-018189-8/Nussbaum__Martha_C_/Konstruktion_der_Liebe__des_Begehrens_und_der_Fuersorge
      Es ist Maggie, die Amerigo verdinglicht.

      (Nur ganz nebenbei – über die Pornos kann ich kaum “mitreden”, weil ich ja fast keine kenne -: Ich halte den Trotz gegen die Eltern nicht für ´Emanzipation´. Sondern für ein pubertäres Stadium; in ihm zu verharren ist das Gegenteil von Emanzipation. Eine “befreite” Beziehung zu den Eltern kann nur eine sein, in der man sich nicht mehr g e g e n sie behaupten muss. Dieser Gestus ist mir auch – seit ich die Pubertät hinter mir habe – ganz fremd. Vielleicht ist es eine Konstellation, die so vor allem in ´gut´-bürgerlichen Familien auftritt, wo Eltern – meiner Beobachtung nach – oft keine Sexualität mehr miteinander leben oder irgendwie verhuscht sind. Nur vor diesem ´gediegenen´ Hintergrund lässt sich eine solche Geste auch als ´Befreiungsschlag´ lesen. In anderen Kontexten wäre sic schlicht unmöglich oder lächerlich. – Wie sie eben mir erscheint. Aber das, vermute ich, hat eben mit der anderen Herkunft zu tun. Das wäre ja auch mal interessant: Ob und wie die Pornographisierung der Sexualität mit dem – US-amerikanischen ? -Siegeszug der ´sexuellen Verdruckstheit´ zu tun hat. (Meine Eltern lasen zusammen Kinskis “Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund”).

    12. Pubertät@Melusine. Pornografie fff. Erst einmal danke für den Nußbaum-Link, dem ich folgen werde. Danach dann, nachdem ich gelesen habe werde, eventuell mehr dazu.
      Aber zur “Pubertät”: Ich glaube, Sie idealisieren hier Entwicklungsgeschichten. Es gibt Schädigungen, an denen man sein ganzes Leben laboriert – spätestens bis zum Tod oder bis zur Senilisierung der Eltern, und zwar ohne, daß andere deshalb berechtigt wären, von dauernder Pubertät zu sprechen. Andernfalls führte jede Traumatisierung zu einer chronischen Pubertätslatenz; der Begriff Pubertät verlöre dann, weil zu allgemein zu vieles bezeichnend, an Aussagekraft. Abgesehen hiervon, ist aber dieses “Hallo, Papa, hallo, Mama” sehr wohl Ausdruck eines fortbestehenden Konflikt; indessen kann dieser einer der Eltern, vor allem aber einer der Gesellschaft-selbst sein – wofür übrigens die im letzten Jahrzehnt losgetretene Mißbrauchshysterie sehr spricht (ich kenne einen Fall, in dem sich in einem Kinderbuch ein älterer Herr nicht mit einem Jungen , im Café einer Bilbliothek!, verabreden durfte, weil das eine Mißbrauchsabsicht nahelege usw.; die Stelle wurde aus dem Buch gestrichen). Die von Ihnen angesprochene Puritanisierung, namentlich aus den USA, sehe auch ich; doch sollten wir nicht unter den Tisch fallen lassen, daß wir in unserer eigenen Tradition das entsetzliche Biedermeier haben, bis hin zu dem furchtbaren Schreber, und daß sich dies auf dem Weg über Hitler bis weit in die Fünfziger/Sechziger bei uns fortgesetzt hat, nur halt nicht, wie in den USA, sektisch, sondern säkularmoralisch – im Westen übrigens, meinem Eindruck nach, entschieden stärker als im in erotischer Hinsicht – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich freieren Osten.
      Der Eindruck, um das zu betonen, den ich aus einigen des genannten Filmszenen mitnahm, ist nicht der von Trotz, sondern eines – Triumphs. Die Szenerie geht, ja, mit Unreife um – aber mit der der Eltern. (Als These hier hingeschrieben).

      [Elliott Carter, Esprit Rude-Esprit Doux.]

      P.S.; Das Reclam-Bändchen ist bestellt. Leider gibt’s das nicht als eBook.

    13. Das Triumphgefühl der Traumarisierten bleibt mir tatsächlich fremd – und, leider?, auch in gewisser Weise abstoßend. Es offenbart sich in der Geste, wie Sie sie beschreiben, für mich ein endgültiges Scheitern der Beziehung zu den Eltern. Wie sich dieses Scheitern in ein Glückgefühl umwandeln lässt, erschließt sich mir emotional nicht. Ich kann es allenfalls – Ihrer Argumentation folgend – rational begreifen.
      Eine “Idealisierung” wäre das , wenn die Traumatisierung – wie Sie andeuten – eine allgemeine wäre. Ich bestreite das. Es ist aber sicherlich eine weit verbreitete: Die eigenen Eltern als Repräsentanten der ´rape culture´.
      Deshalb halte ich die “Hysterie” im Hinblick auf Missbrauch auch für die Reaktion darauf, dass tatsächlich massenhafter Missbrauch und Vergewaltigung stattgefunden haben/stattfinden: in den Ehen und Familien, den Institutionen und “Fürsorgeanstalten” (und eben nicht in der Dunkelheit draußen hinter dem Busch ein düsterer “Fremder”). Zu einem bestimmten (und lange dominierenden) Konzept von Männlichkeit gehört die Verfügbarkeit von Sexualobjekten (Kinder, Frauen) offenbar zwingend dazu.
      Vielleicht ist das der Grund, warum die Geste des Trotzes (oder des Triumphes), die ja ganz offensichtlich – auch in Ihrer Auslegung – die Geste eines Opfers ist, bei mir weniger Mitleid als Widerwillen auslöst: Ich wünschte mir, dass es möglich wäre – für die Traumatisierten – sich j e n s e i t s des Bezugssystem dieser rape culture zu konstituieren. Das indes mag Idealisierung sein. Ja.

    14. (Sexual)Triumphe@Melusine. Es ist das, was Kern jeder perversen Bewegung, also vor allem auch der Künste, ist. Ich denke, daß Ihr sehr nachvollziehbarer Wunsch, es möge jenseits der rape culture eine – eben freie – Selbstkonsitution möglich sein, an der Realität von Traumata vorbeigeht: Es gibt Schädigungen, die irreversibel sind. Eben deshalb muß man sie überführen; das genau ist der Sinn der perversen Bewegung: Wiederholung als Befreiung und >>>> Selbstermächtigung. – Was mich irritiert, ist der starke Ausdruck von Ekel, bzw. Widerwillen, den Sie formulieren. Die Verhältnisse sind doch in allererster Linie einmal Phänomene, die Ursachen haben, nach denen zu fragen wäre; ein Abscheu ist dem wenig dienlich, glaube ich. Analytisch könnte man sagen, daß Ihr Widerwille jetzt so reagiert, wie die von der jungen Frau so gegrüßten Eltern reagieren s o l l e n. Schon deshalb bin ich vorsichtig mit eineindeutigen Opfer-Zuschreibungen; schon sie sind ideologisch. Opfer wäre die junge Frau allerdings dann, wenn sie zu Handlung und Geste gezwungen worden wäre, nicht schon dann, wenn Handlung und Geste Folge sind.

      Die Umwandlung eines Traumas in ein Glücksgefühl ist eine klassische masochistische Bewegung, deren Spiegel – bzw. Entsprechung – die dominante ist; auch sie rührt aus einem Trauma.

    15. Der ist mir selbst verdächtig. der “Widerwille” (versuchte ich durch das Fragezeichen anzudeuten). Ich finde ihn nicht “richtig”. Sie selbst fordern aber immer, auszusprechen, was “ist”, statt vom jeweiligen Gegenüber wahrscheinlich erwartete Reaktionen zu “liefern”.
      Ich verbindet sich mit dieser Abwehr, das spüre ich, jene gegen die Wiederholung, die Endlosschleife: das Ritual. Die Geste, so fühle ich das, führt in diese Schleife hinein.

    16. ungeeignet Das sind sehr interessante Gedanken zu diesem Gegenstand und alles andere als einfach. Aber da es hier um Film geht, gibt doch gerade der Pornofilm hier weniger als irgend ein Film. In seiner Eindimensionalität, die die genitale Sexualität notwendig in den immergleichen Bildern vorführt, kommt er über das mehrdeutig Banale nicht hinaus. Die Darstellung des Sexuellen als Variante eines sportiven Körperkultes, worin der Pornofilm sich erschöpft und weswegen er auch nie Kunst ist, ist geradezu ein Preservativmittel für die sinnlich-ästhetische Erschließung des Perversen (als der Irrealisation des Sexuellen) im Film.
      In der Geschichte des Films haben Könner gezeigt, wie es besser geht. In einer vieldeutig polisemen Ikonographie haben sie es g e z e i g t.
      Dem Pornofilm kann man da nur nachrufen: „Aber er hat ja gar nichts an!“

    17. …bleibt mir tatsächlich fremd…
      …erschließt sich mir emotional nicht…,

      empfinde ich nicht anders als Melusine und das ist noch kein Widerwille, der ja nun doch in die Diskussion miteinfloss.

      Nun kann ich mir zumindest vorstellen wie Einer zu dieser Geste kommt oder es ihn dazu überkommt, affekthaft oder glücksgefühlig. Was mir aber nicht passt, und hier setzt dann mein Widerwille ein, ist, bezogen auf Ihre Aussage, Herr Herbst…daß Ihr Widerwille jetzt so reagiert, wie die von der jungen Frau so gegrüßten Eltern reagieren sollen, egal ob nun die Eltern selbst was mit dem jeweiligen Trauma zu tun haben oder einfach als Platzhalter herhalten müssen, dass die Reaktion ja vorausangenommen wird (im Sinne einer Regieanweisung). Und wenn diese Geste dann tatsächlich irgendeine Form von Widerwillen erzeugt, was ist daran falsch, außer dass ich vielleicht nicht darauf kommen werde was diesen Menschen dazu bringt diese zu tätigen. Das wirkt alles so, besonders dann wenn es ums Sollen geht, als wolle die Pornoindustrie zeigen: Siehst du, du bist das Trauma und hier ist das traumatisierte Kind oder besser: dein traumatisiertes Kind. Wieso? Wegen Widerwilligkeit? Was hab ich denn nun als Einzelner damit zu tun, der nur mal einen Porno gucken wollte? Ich will nur wissen was das SOLL soll. Anders sähe es aus wenn ich darüber eine Abhandlung schreiben würde. Klingt so als hätte die Pornoindustrie was vor. Glauben Sie wirklich das haben die sich vorher so überlegt, wie Sie es in Ihren Ausführungen tun?

      -Naja, wer weiß, vielleicht schon! Das wäre dann zeitzustandskritischer Porno oder sowas.

      Die Geste, so fühle ich das, führt in die Schleife hinein, finde ich ist ein sehr guter Gedanke.

    18. @read An. Glauben Sie wirklich das haben die sich vorher so überlegt, wie Sie es in Ihren Ausführungen tun?Das weiß ich nicht. Aber es kommt auch nicht auf Intentionen an, sondern auf wirkende Strukturen, und zwar sehr weitgehend wirkende. Sehr wohl kann dabei unbewußt gehandelt werden oder etwas ganz anderes vorgenommen worden sein, als schließlich zu sehen und zu analysieren ist.
      Was den Widerwillen angeht, so ist er in der Tat nicht schlimm, aber er ist keine gute Ausgangslage für Analysen. Ich etwa habe diesenWiderwillen, ja Ekel bei Fußball. Melusine geht es völlig anders, wir haben darüber bisweilen gesprochen. Insofern bin ich niemand, der wirklich gut das für mich widerliche Phänomen dieses Sports analysieren könnte. Nur darauf bezog sich mein Satz, und ich spiegelte ihn zurück ins erzählte Geschehen. Will sagen: jeder von uns hat teils heftige Idiosynkrasien und wiederum heftige Neigungen oder einfach ein Interesse an bestimmten Phänomenen. Jeder von uns kennt auch Erregungen; einige Pornos lösen sie bei mir aus, und ich kenne nicht wenige Menschen, denen das ähnlich geht. Ein Jammer ist nur, daß sich von denen selten mal jemand zu Wort meldet
      “Nur mal einen Porno gucken wollen”, das, glaube ich, geht nicht, weil Pornos an prinzipiell Tieferes rühren, nämlich damit umgehen, als irgend eine Vorabendserie es könnte.

    19. Es geht aber um Inszenierungen. Und als Inszenierung ist der Porno dem Fußball nicht unähnlich, verglichen etwa mit Bergmanns “Schweigen”.
      Die massenhaften Konsumenten des Porn wollen nicht behelligt werden und werden es auch nicht. Sie bekommen das zu sehen, was sie sehen wollen. Das Erfolgsprizip von Porn ist die Affirmation.

    20. @ANH Dann O.k.. Das kann ich nachvollziehen…

      Zum “nur”

      Wenn ich einen Porno schauen will dann bin ich auch auf eine spezielle Beute aus, gewissermaßen befinde ich mich auf Jagd. Anders beim Zappen, in der Hoffnung etwas Gutes zu finden, auf das ich mich dann einlasse wenn es mein Interesse weckt. Da bin ich eher angebotsbereit. Ich weiß, so war das “nur” nicht gemeint. Ich bin vor ein paar Jahren sogar extra in eine Videothek gestiefelt -als es die noch gab- und wollte mir welche ausleihen, d.h. ich habe Aufwandsvorfreude für Aussicht auf Lustbefriedigung (-auslebung wäre schöner) betrieben, fiel mir zumindest auf und ich fand das spannend, am Ende sogar lustvoller als das was ich schaute, ich fragte noch den Angestellten ob er nicht was empfehlen könne, da sämtliche Filme aufgrund ihres Titels, die ich mir vorher so durchlas, eher mit einem Lachanfall drohten als mit dem was ich mir versprach. Ich finde die könnten sich schon ernster nehmen, der Titel ist ja nicht unwichtig. Das war wohl auch mein Fehler. Ich glaube in Videotheken wird Mann (?) / Frau nicht wirklich fündig, zumindest nicht in jeder. Und der Angestellte war peinlich berührt weil ich / Frau ihn angesprochen hatte.

    21. Virtueller Quicky@tom. Sie bekommen das zu sehen, was sie sehen wollen. Das stimmt einfach nicht, jedenfall nicht generell. Deswegen sucht man ja, sogar innerhalb der Filme selbst. Zur Bestätigung des Bedürfnisses, affirmativ, ja, aber auch in der süchtigen Frage, ob es sich n o c h weiter gehen lasse. Interessant dabei ist, daß ich selbst, wie erregt auch immer, direkt beim Schauen nie onaniere, sondern immer erst wieder auf mich allein ins Innere meiner Augenlider zurückgekehrt, bzw. habe ich auch immer wieder gesehene Szenen an der Wirklichkeit “getestet”: wie weit sind die Fantasien “wechselseitig” vorhanden. Das Ergebnis war oft frappierend.
      Zu Ihrem Kommentar >>>> weiter oben: Nein, derr Pornofilm ist für erkenntnis- wie auch moraltheoretische Überlegungen n i c h t ungeeignet, im Gegenteil, und zwar schon deshalb, weil er an unsere tiefsten Regungen rührt. Daß man ihn für solche Überlegungen gerne ausspart, ist imgrunde ein Skandal, das heißt: eigentlich Symptom-selbst. Was aber die vorgebliche Banalität der permanenten Wiederholung anbelangt, so stimmt sie erstens nur bedingt, und zweitens, wo sie stimmt, da bildet sie genau das ab, was bei jedem körperlichen Liebesakt organisch mechanisch ist. Es ist an uns selbst, diese Organomechanik mit Bedeutung aufzuladen. Die Frage ist also nur, ob wir bereit sind – und wenn nicht, aus welchen Gründen eigentlich -, unsere Fähigkeit zur Aufladung auch beim Betrachten eines Pornos wirken zu lassen oder ob wir ihn schlichtweg zur Triebabfuhr nehmen, als einen, sagen wir, virtuellen Quicky..

    22. @Read An. In vielem gebe ich Ihnen da recht. Ich denke, daß es selbst Pornoproduzenten abseitig vorkommt, wenn über ihre Filme nachgedacht wird, anstatt daß man sie “nur” konsumiert oder, auf der Gegenseite, meistens ja diffamiert. Selbst in der Literatur sind Autoren wie Bataille, Desnos und andere in der ausgesprochenen Minderheit; neuerdings gibt es Autorinnen, die auf dem angeblich erotischen Feld reüssieren. etwa mit James’ Fifthy-Shades-Buch oder auch den Büchern der Roche. Sieht man sich die Texte dann an, kann man vor der geprallten Harmlosigkeit nur den Kopf schütteln. Aber das ist ein andere Thema.
      Wie wenig frei die Menschen selbst noch unseres Jahrhunderts sind, illustrieren Sie sehr schön am Beispiel des verlegenen Angestellten. Was ein dummer Mensch! Er hätte Sie ja auch einfach auf ein Glas Wein, nebenan in der Kneipe, einladen und dann zum Beispiel sagen können: “Das finde ich aber interessant, daß Sie mich auf Pornos angesprochen haben. Das wagen sich auch die meisten Männer nicht, so offen zu ihren Bedürfnissen zu stehen.” Und nun, wie beschämend, gehörte diese Angestellte selbst dazu.

    23. Natürlich können und werden vom Porn während des Betrachtens Reaktionen erzielt. Das kann ganz allgemein zugegeben werden und trifft auf alles unseren Thymos affizierende zu. Denken Sie nur an Freuds „Rattenmann“, bei dem die Schilderung der orientalischen Rattenstrafe zur Aktivierung einer bis dahin latent gebliebenen Zwangsneurose geführt hat. Das sind Überraschungen, vor denen niemand sicher sein kann. Weniger pathologische Reaktionen sind glücklicherweise die Regel. Dass einem intelligenten Menschen –wie hier geschehen- zu Porn intelligente Überlegungen kommen, ist auch nicht zu bestreiten. Das Phänomen Porn hier auszuschließen ist falsch bis zum Blödsinn.
      Aber die Frage, inwieweit Porn als signifikantes ikonographisches System selber intelligent, d. h. aufschlussreich im Sinne eines Denkens des Denkens (oder ästhetisch eines Zeigen des Zeigens) sei, ist eher negativ zu beantworten. Diese den Porn als einer zur Betrachtung hergestellten Kunstform bestimmende Primitivität ist auch der Grund für den durch die heutigen Medien ermöglichten massenhaften Konsum des Porn.

    24. @tom zur Aussagevalenz. Diese den Porn als einer zur Betrachtung hergestellten Kunstform bestimmende Primitivität ist auch der Grund für den durch die heutigen Medien ermöglichten massenhaften Konsum des Porn. Das gilt für jedes Mainstream-Produkt, von Fußball bis Michael Jackson oder Lady Di. Für mich nach wie vor interessant und deshalb eben besonderer wert ist der Umstand, daß es sich bei Pornographie, vor allem im seiner Film-Spielart, um ein dennoch unzugegebenes, ja befeindetes Phänomen handelt – Abscheu und Langeweile werden vorgegeben, wo tatsächlich Sucht ist, mindestens Aufmerksamkeit. Obwohl man sich, wenn man Michael Jackson oder Madonna hört oder ins Stadion geht, mindestens ebenso schämen müßte, scheint die Lust am pornographischen Film etwas zu sein, das sich nicht einfach zugeben läßt – eine Lust, die, wie schon mehrfach geschrieben, nicht nur Männer kennen.

    25. ich hab nicht den ganzen kommentarbaum gelesen, nur fällt mir zu madonna und jackson ein, dass pornos wahrscheinlich nicht cool sein können, und deshalb bei madonna und jackson sich keiner schämt, weil die trotz wenig guter musik aber coolness vermarkten können und libidinöse bedürfnisse irgendwie noch nicht wirklich auf cool getrimmt wurden, geht vielleicht auch nicht. mir selbst kommt es völlig abstrus vor, bei pornos überhaupt von film zu sprechen, weil ich eh alles, was länger als 10 minuten ist, nicht ertrage und ständig vorspule, die geschichten kann man sich für mich auf jeden voll sparen, interessiert mich nicht, reicht, wenn die darsteller irgendwie halbwegs machen, was ich machen wollen würde, aber das tun die meisten ja eh nicht und hecheln sozusagen ein medley aller möglichen varianten durch, damit auch für jeden was dabei ist und 99 von 100 enden ja eh mit nem cumshot, kommt mir so vor, und das ist wirklich eher öde, zumindest für mich. sucht man nach female orgasm oder real orgasm zb, liefert zumindest das internet meist nur masturbierende frauen oder zwei frauen, finde ich bedenklich. einige seiten haben inzwischen female choices eingebaut, offenbar hat die pornoindustrie wirklich eher für männer produziert bislang, ich weiß es nicht.

    26. @diadorim. Spöttisch könnte man sagen: mit Cumshot und mit weiblichem Orgasmus – also mit einem Ideal auch unserer “wirklichen” Liebesakte. – Tatsächlich sind die Varianten viel größer; nicht selten kommt es nur bei der Frau, nicht aber dem Mann zum Höhepunkt – so etwa in dem größten Teil aller härteren SM-Streifen, in denen eben auch – im eigentlichen und im Subtext – etwas ganz anderes als eigentliche der Geschlechtsakt “verhandelt” wird.
      Daß die sexuelle Klimax mit im Mittelpunkt steht, ist aber schon deshalb nicht verwunderlich, weil auch in jedem Krimi ein Verbrechen vorkommen muß und einer, in dem es nicht aufgeklärt wird, ist nach wie vor ungewöhnlich. Was nun die Coolness anbelangt… na, Diadorim, wenn ich mir so das Gerufe, Geschreie und Blusenzerreissen bei Leuten wie Bohlen und Jackson ansehe, kann von Coolness die Rede eigentlich nicht sein. Aber, das hatten wir schon, auf die einen wirkt Fußball oder Tennis, auf die anderen wirkt die Fernsehübertragung der olympischen Spiele, auf wieder andere sogar, zweien beim Schachspielen zuzusehen, und auf Leute wie mich halt die Pornographie. Bei mir setzt sie sogar Inspirationskraft für Dichtung frei. Von einem verehrten Kollegen, ich möchte seinen Namen nicht nennen, um nicht übergriffig zu sein, weiß ich, daß er, wenn er Schreibblockladen hatte, ins Pornokino ging. – Liegt also ein paar Jährchen zurück, kein Mensch mehr, glaub ich, geht heut noch ins Pornokino; wir haben ja das Netz. (Bis zur Milleniums-Säuberung in Rom waren Pornokinos dort allerdings spannend, wie so eine Art zeitgenössischer Therme: in den Gängen wandelte man und las Zeitung und diskutierte, dann ging man wieder rein, und Prostituierte flanierten im Dunklen an den Wänden. Leider vorbei, das alles, mit Jesu Zweitausendgeburt).

    27. ja, schon klar, dass man irgendwie den beweis des höhepunkts durch ejakulat braucht, endoskopische pornos gibts ja noch nicht, oder doch? vielleicht bei spektrum der wissenschaft, aber, wird ja eh nicht alles resorbiert und nimmt spätestens den weg mit der schwerkraft am bein entlang wieder raus, also, man kann vielfältige spuren der tat zeigen, wenn man denn wollte, aber am effektivsten, warum auch immer, muss wohl das gesicht der frau sein, gibts bei gaypornos auch so viele cumshots? muss ich mal googlen. ja, ich schäm mich auch fremd, wenn sich madonna inszeniert, so ist es nicht, und es ist natürlich auch vollkommen albern, wenn man sich familienfilme anschaut, die den ganz normalen alltag abbilden wollen, und da irgendwie frauen mit bhs sex haben, wenn überhaupt. sexualität ist auf jeden dem bereich des ‘normalen’, ob im porno oder irgendeinem hollywoodstreifen, total entzogen inzwischen, man hat nicht einfach mal eben so sex, so zwischendurch, nicht in ehen, nicht als single, nicht sonstwo, das ist alles eine geheimwissenschaft geworden, so gesehen, wäre das alte rom gar nicht mal so verkehrt, allein, man knüpft ja schon auch die persönliche individuierung dran, sprich, man will mit ganz bestimmten leuten sex und lehnt andere wiederum kategorial ab, da liegt vielleicht der bereich der coolness begründet dabei.

    28. Sie werden jetzt lachen@diadorim. Aberendoskopische pornos gibts ja noch nichtselbstverständlich gibt es die, schauen Sie mal unter “Kliniksex” nach – ist eine eigene Gattung. Religionsästhetisch – sagen wir “Sais’misch” – läßt sich möglicherweise sagen, daß es darum geht, den Vorhang zu heben. Irgend etwas sei zu erkennen, mag die nach wie vor wirkende Hoffnung sein, daß sich eben nicht “nur” natürlichen Gesetzen, sprich dem Organischen, ergibt. Wissen wollen, was das sei, Seele, nämlich gerade dort, wo sie am unmittelbarsten sich zeigt: in der Ekstase.

    29. ja, halte ich auch für wahrscheinlich, dass man nach einem heilsversprechen in der sexualität sucht, halte ich für sehr wahrscheinlich.

    30. Womit wir wieder. Beim Kultischen wären, das ich bereits oben erwähnt habe und das vielleicht das Auffälligste ist, das ich in meinen vielen Jahren passiver wie aktiver Beobachtung sowohl im pornografischen Film als auch in den realen Scenes immer wieder bemerkt habe und was es eigentlich gewesen ist, mein Interesse als eines weit über die pure Triebabwehr hinaus nicht nur glosen zu lassen.
      Sexualität als ein – und eben n i c h t säkularer – Gottes-, bzw. Göttinnendienst. Mir ist das sehr nahe.

    31. so lange sex erreichbar ist, auf jeden fall. aber, na ja, erreichbar ist er ja sowieso, weil käuflich, aber damit verknüpft, zumindest im austausch mit anderen, ist ja auch der wunsch nach begehrt werden und begehren, gemeint sein und meinen, das geht ja über die reine ekstase alles hinaus, bzw befeuert sie noch mal ganz anders.

    32. “gemeint sein”@diadorim. Eine der größten Sublimations- und Illusionsleistungen des Menschen ü b e r h a u p t: gemeint sein z u  m e i n e n. Das ist in der, sagen wir, bürgerlichen Ehe nicht anders, nicht in den Zuständen erfühlter gegenseitiger Verliebtheit. Was aber wirklich gemeint ist, je, darüber gibt es ganze Schriftenreihen unterdessen. Es stimmt schon: >>>> Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Es ist nicht nur sinnvoller, sondern vor allem menschlicher, kein Realist zu sein – etwas, das dem. wenn einsam, Pornobetrachter sehr zugute kommt.

    33. hm, ja, dass untergründig einfach der erhalt der art film abläuft, whatsoever, kann ja sein, das ist mir aber doch wurscht, so rein phänomenologisch, denn an mir tobt sich die illusion des meinens und gemeint seins ja so aus, dass ich verliebtheit spüre und das ganz messbar, endorphine, pulsfrequenz etc pp, und das ja nun mal nicht bei hinz und kunz, mag sein, das ist bei anderen anders und lässt sich sicher auch anders ‘programmieren’, sonst kann ja auch nicht nahezu alles zum fetisch werden, alles zugestanden, aber hilft ja auch nix, sich zu sagen, was alles illusion ist, illusion ist auch, dass man denkt, das leben mache sinn, somehow, aber man selbst hat meistens tage, die einem nicht sinnlos erscheinen. ob mit oder ohne pornos, latte. ich halte am meinen fest, bzw, das meinen hält noch an mir fest, weil, sonst würdsch nicht andauernd um die halbe welt reisen zb…

    34. @ANH Ja, ich hätte mich auch eingeladen. Wer weiß wieviele nicht getrunkene Gläser Wein sich im Laufe eines Lebens so ansammeln. Schade auch.

  3. … the rest of us. Ich gönne den Damen natürlich das Glück. Sowie ich jedem Menschen jedes Glück gönne. Aber ich muss gestehen, dass ich diese Einteilung der Welt in Pornodarstellerinnen und den Rest von uns doch reichlich schräg finde. Als statistische Grundlage scheint mir das schon gar nicht tragfähig.

    1. @PHG. So würde auch ich das nicht sehen wollen, abgesehen davon, daß es Übergänge jeglicher Nunancen gibt. Es geht vor allem um eine Befreiung der moralischen Vorstellungswelten, denke ich; Sie können hier ja gut mitlesen, wie aggressiv es einige macht, wenn ich frei über Pornographie spreche, um von BDSM ganz zu schweigen, wie sofort moralische Urteile bei der Hand sind. Denen andere moralische Urteile entgegenzustellen, vor allem emanzipative, läßt sie Urteile tanzen. Darum geht es erst einmal. Daß es Menschen gibt, die Pornographie nicht mögen, sei dabei gänzlich unbestritten, so, wie es Menschen gibt, die keine Torte mögen und keine Autorennen. Das Problem ist, daß sofort mit dem moralischen Hammer zugeschlagen wird – was immer ein Zeichen dafür ist, daß etwas beim Schläger nicht stimmt; meist handelt es sich um internalisierte Tabus, also um eine Unfreiheit, auf die man kein Licht fallen lassen will.

  4. Die gängigen … … Invektive zu diesem Thema sind mir natürlich schon aufgefallen. Und ich teile sie sicherlich nicht.

    Was mir in dieser – nennen wir es mal – Diskussion allerdings fehlt, das ist etwas, was ich immer für absolut vorrangig gehalten habe. Es ist die Frage der “Würde”. Würde/Menschenwürde ist für mich ein ganz zentraler Punkt. Und ich habe stets den Eindruck gehabt, dass es zu meiner Würde und der des anderen zwingend gehört, weder meinen Körper aus ökonomischen Gründen benutzen zu lassen noch den der anderen in dieser Weise zu benutzen. Aber sei es, ich bin nun mal ein höchst altmodischer Charakter.

    1. Sensus communis Es ist tatsächlich etwas anderes, ob jemand an einer Registrierkasse sitzend einen Kaugummi kassiert oder ob jemand jemanden in sich eindringen lässt bzw. in jemanden eindringt.

    2. Das Problem der Würde. Stellt sich dann nicht, wenn freiwillig, gar mit Lust, gezeigt wird. Auch, wollüstigen Menschen zuzusehen, nimmt ihnen dann nicht die Würde, wenn sie sich zeigen wollen, zumal dann nicht, wenn sie genau daraus einen Teil ihrer Wollüstigkeit beziehen.
      Das hat mit Altmodischkeit gar nichts zu tun. Vielmehr vieles damit, daß Menschen die Würde ganz woanders wahrscheinlich sehr viel mehr genommen wird: nämlich in sämtlichen erniedrigenden, weil entfremdeten und entfremdenden Arbeits- und sonstigen Lebenszusammenhängen. Einen erniedrigten und befehlsausgelieferten Soldaten, der wider Willen angeherrscht wird, durch Schlamm zu kriechen, kann ich zum Beispiel als von Würde nicht mehr empfinden; allein die Vorstellung läßt mich aufbegehren. Ebenso wie bei vielen Verkäuferinnen und Verkäufern von Supermärkten. Der Beispiele gibt es Hunderttausende. Aber nur bei Pornographie wird die Frage gestellt. Mir kommt das vollkommen unverhältnismäßig, aber eben auch bezeichnend vor.

    3. @tom. Es ist immer etwas anderes, egal, was wir tun, bzw. tun müssen. >>>> Wie ich eben Gogolin schrieb, geht es um Freiwilligkeit. Nun mag es sein, daß sich viele Menschen nicht vorstellen können, daß es anderen Menschen Wollust bereitet, sich sexuell zu zeigen; aber ich zum Beispiel kann mir nicht vorstellen, wie es jemandem Freude mache, hinter einem Ball öffentlich herzurennen – auch da – übrigens – bleibt nunmehr mir als einzige Erklärungsmöglichkeit, daß es sowas des Geldes wegen geschieht, das sich mit so Bizarrem verdienen läßt, und wegen des Ruhmes usw. Mir wäre es abgrundtief peinlich. Ich nehme aber längst Abstand davon, moralisch darüber zu urteilen.

    4. @Alle Wo bitte gibt’s keine Ökonomie? Ehrenamtlich? Und fragen Sie doch mal einen Darsteller oder einen Darstellerin wann das mit der Würde schmerzlich für einen zum Thema wird. Wenn man sowas liest oder Reaktionen von Einzelnen einfängt, die für sich keinen Umgang damit finden oder ausschließlich nur den eigenen. Wäre ich Pornodarstellerin möchte ich manchen hier von Ihnen nicht begegnen, denk ich mir gerade… na, eigentlich doch! So langsam verstehe ich das immer wieder auftauchende Bsp. mit der Kassiererin / dem Kassierer. Nur die sind eben nicht nackt bei dem was sie tun. Würde lässt sich nicht weggucken, imgrunde nicht mal wegökonomiesieren, es sei denn sie schauen kritisch von außerhalb oder innen darauf oder allgemein auf etwas, einen Zustand oder eine Entwicklung und dann stimmt es auch. Aber jeder Einzelne, ganz gleich was er ausübt oder arbeitet hat sie dennoch und sie ist die Grundvoraussetzung für Begegnung. Und ich weiß auch, dass das für Sie alle gilt. Aber das ist eine Lebenslaufangabe, die macht Mann / Frau nicht ohne weiteres. Is auch kein Zustand.

      Herzlich,

      An

    5. @read An: Gute. Gegenfrage!

      (Zumal, das haben wir jetzt wahrscheinlich alle gelesen, Jesu “Rühr mich nicht an” zu Maria Magdalena auch, der Situation halber, mit “Halt mich nicht fest” übersetzt werden kann. Das wäre dann, nicht nur in seinem Moment kurz vor der Abfahrt in den Himmel, etwas anderes.)

    6. Für mich… ist da ein kräftiges potenzielles -denn du könntest es- darin. Ein massiver Gegenpol. Eher Bitte als Ansage. Hier wird viel mehr etwas zwischen den beiden fokussiert. Irgendwie leibgebundener. Es nimmt die Möglichkeit an, setzt sie voraus. Ich sehe das eher auf Augenhöhe. Mann und Frau. Man könnte sogar sagen, es ist in diesem Moment Maria Magdalenas Entscheidung. Denn tut sie es dennoch, er könnte nicht auffahren. Und zu einem seiner männlichen Apostel hätte er das in diesem Moment bestimmt nicht gesagt.

      Aber vielleicht lesen Sie es anders… und ich habe mich mit meiner Maria Magdalena vs. Gott Überlegung verrannt.

      @tom
      Schade, Ihre Antwort hätte mich noch interessiert!

    7. @read An: Nicht auffahren. er könnte nicht auffahren.Weshalb aber eigentlich nicht? Weil ihn die Berührung eines Weibes wieder irdisch machte? Wenn, dann wäre das zu ersehnen.
      Andererseits wäre die eigentliche – mystische – Leistung Jesu dann nicht möglich bzw. zurückgenommen worden: die Erbschuld aus der Welt zu nehmen. Nicht, weil (weibliche) Berührung schuldig machte, sondern weil auf die Erbschuld der Tod stand.
      Interessante theologische Überlegung.

    8. Aber wieso? Die Schuld hat er doch schon durch seinen Tod am Kreuz auf sich genommen. Und nach der Auferstehung ist er ist weder ganz im Totenreich noch im Himmel oder bei Gott. Er ist irgendwo dazwischen, in was für einer Daseinsform auch immer. Es bleibt von der Erbschuld also nur noch das Erb-, das eigentlich auch schon aufgelöst ist, denn er ist ja auferstanden, hat den Tod überwunden. Eigentlich ließe ihn allein diese Tatsache auf ewig im Irdischen zurück. Ewiges Leben(!), das ist doch versprochen. Und Gott müsste zu ihm kommen, mal ganz einfach ausgedrückt. Auf die Ursünde stand der Tod, der Erbsünde geht er voraus. Die Überwindung des Todes hat dem Himmelsreich Platz gemacht. Der Tod ist also nicht mehr die Pforte. Wie stirbt man ein zweites Mal, wenn man schon tot war / ist? Die Menschwerdung Gottes stimmt dann gewissermaßen auch auf sone perfide Weise. Dann hätte Maria Magdalena ihn lieber durch Berührung wieder ins Menschsein zurückgebunden. Da sind wir schon einmal gelandet, weiße Vögel fallen. Mir wird Gott immer mehr zum Teufel und ich weiß wirklich nicht mehr was da am Tisch sitzt. Das sind alles interessante Überlegungen aber ich will mich dem auch anders nähern. Könnten Sie aber jetzt noch mal den Bogen zur Pornographie spannen.

    9. @ readAn; me mou haptou… … kann man in der tat so lesen, daß die entscheidung nun bei magdalena liegt. sehr spannend! dies kommt übrigens in der lat. version noch deutlicher heraus, weil “noli me tangere” über das nolle das velle, also magdalenas (freien?) willen voraussetzt.

      Eigentlich ließe ihn allein diese Tatsache doch auf ewig im Irdischen zurück. Ewiges Leben(!), das ist doch versprochen. Und Gott müsste zu ihm kommen, mal ganz einfach ausgedrückt.

      wenn man den gedanken einmal weiterspinnt, könnte man sagen: indem jesus den tod überwindet, bleibt er im irdischen. das heißt: er wird zum (unsterblichen) herrn der welt. die menschwerdung gottes würde also auf ewig verlängert. “herr der welt” ist aber in der christlichen tradition eben – lucifer. so fallen tatsächlich gott(es sohn) und der teufel ineins. womöglich will jesus gerade deshalb nicht im irdischen verbleiben: verwechslungen ausschließen! dass er sich nach der (ja nur vorausgesetzten “auffahrt”) gerade vom ungläubigen(!) thomas berühren lässt – mit allen sexuellen implikationen, die in den “wunden” mitspielen -, zeigt dann nur, dass diesem biblischen gott offenbar ungläubige lieber sind als sünderinnen, so bekehrt sie auch sein mögen.

      von der pornographie sind wir übrigens gar nicht weggekommen: magdalenas offenes haar, in der öffentlichen moral der vorderen orients um die zeitenwende das stigma für sexuelle promiskuität. und doch wurde eben dieses haar, über mehr oder minder nacktem frauenkörper, kunstgeschichtlich zu einem der begehrtesten(!) ansichtsobjekte eines meist männlichen publikums. und da sind wir eben dabei: zurschaustellung von etwas, das eine körperliche reaktion im rezipienten hervorrufen soll. nebenbei: diese reaktion wäre dann die sicherste “literaturkritik”, die man sich vorstellen kann.

      raptim,

      A.

    10. @Aik Nicht wollen. „Sollst“ nicht wollen. Will nicht dass du es willst! Wolle nicht! Ja, dieser Wille ist mir bekannt. Nur funktioniert das so nicht. Gott sei dank! Wenn ich immer so wollte, wie andere wollen, dass ich es will, nun ja… oder umgekehrt. Me mou haptou, me mou haptou. Ich brabbel das schon die letzten Tage vor mich hin, mir gefällt der Klang viel besser als: Noli me tangere. Freier Wille, da kommen wir nicht auf nen Nenner. Erinnerst du dich? Ich weiß aber um die Notwendigkeit ihn vorauszusetzen. Mir gefällt einfach der Gedanke so sehr, dass es auch an ihr ist zu entscheiden. Ist überhaupt schon mal jemand auf den Gedanken gekommen?

      Das mit der Verwechselung ist gut! Ausschluss. Auch hinsichtlich dem Antichristen, Lucifer’s Sohn, der da kommen und sich als Heiland ausgeben wird? Oder wie war das? Aber sag doch an der Stelle lieber Teufel, der Durcheinanderwerfer.

      Ah ja, Thomas, der Finger in der Wunde. Allerdings würde ich hier nicht sagen, er als Ungläubiger ist ihm, im Gegensatz zur Bekehrten, die längst Verkünderin ist, lieber. Ist eigentlich nur logisch, dass er sich von ihm anfassen lässt. Wer nicht von sich aus glaubt, darf(!) fühlen! Darüber hinaus ist er auch keine Frau, und speziell nicht diese. Deswegen ist die Art der Berührung nicht die gleiche. Ganz ehrlich, ich wäre Jesus gerne mal begegnet.

      Ich weiß, wir sind nicht weit weg gekommen.

      und da sind wir eben dabei: zurschaustellung von etwas, das eine körperliche reaktion im rezipienten hervorrufen soll. nebenbei: diese reaktion wäre dann die sicherste “literaturkritik”, die man sich vorstellen kann.

      Mmh, ein Mörderargument. Außer ich frage dich inwiefern ist auch solch eine unmittelbare Reaktion schon kulturell eingefärbt. Das es so ist, davon können wir ausgehen.

      @ANH

      …in unseren tropischen… Schön!

    11. @read An Mir gefällt einfach der Gedanke so sehr, dass es auch an ihr ist
      zu entscheiden. Ist überhaupt schon mal jemand auf den Gedanken
      gekommen?

      vielleicht. ich habe ihn zumindest noch nirgends (auch nicht in
      feministischer bibelexegese) gelesen.

      Aber sag doch an der Stelle lieber Teufel, der Durcheinanderwerfer.

      stimmt, ist vielleicht besser. eben so will sich der frisch erstandene
      jesus nicht „durcheinanderwerfen“ lassen. also hütet er sich („wie der
      teufel das weihwasser“) vor der berührung einer frau wie magdalena.
      wenn dagegen ein mann den finger in die wunde legt, macht das gar
      nichts. und damit sind wir schon beim thomas.

      Vor allem aber ist die Art der Berührung nicht die gleiche.

      eben! das ist einer der clous bei johannes. der text sagt gar nichts
      über eine berührung magdalenas und welcher art die denn gewesen sein
      sollte. maria sagt nur „meister“, worauf er direkt „me mou haptou“
      erwidert. berührung durch sprache? vermeidung des namens; der
      be-nennung, die ja auch ein akt der gewalt sein kann? die
      kunstgeschichte der letzten 2tausend jahre hat diese leerstelle mit
      allen ihre großartigen mitteln zu schließen getrachtet…

      Ganz ehrlich ich wäre Jesus gerne mal begegnet.

      da kannst du dich mit dostoevskij zusammentun. mach’s doch wie er:
      imaginier’ es Dir schreibend!

      Außer ich frage dich inwiefern ist auch solch eine Reaktion schon
      kulturell eingefärbt. Das es so ist, davon können wir ausgehen.

      frag’ ruhig, denn davon würde ich auch ausgehen. da muss man nur
      einmal japanische pornographie neben englische legen. ja, nicht
      einmal: schon die kursorische lektüre der praktiken, welche die
      verschiedenen stämme(!) innerhalb europas erregen sollen, weisen den
      kulturellen unterschied auf.

      nur de sade als “ungewaschen”-waschechter aufklärer und sammler hat
      alles zusammengetragen, was ihm – pardon – vor die flinte kam. daher
      auch die (nicht nur spermatozoisch erklärliche) ermüdung des
      rezensenten!

      ein „mordsargument“ – nur, wenn es sich um einen lustmord handelt…

    12. also hütet er sich („wie der teufel das weihwasser“) vor der berührung einer frau wie magdalena.

      Einer Frau wie… oder der Frau, die sie für ihn ist. Vielleicht war sie gar nicht so femme fatale oder besonders schön wie sie so mancher Rezipient im Laufe der Kunstgeschichte schon zu sehen bekam. Aber eine Frau wie…, das rührt natürlich mächtig an der Phantasie beider Geschlechter.

      Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.
      Nach Luther

      Das soll der Nazarener gesagt haben. Ich lese diesen Satz so (ist natürlich immer alles Interpretation): Wer sein Leben wahrlich liebt, -und darauf kam es ihm ja an, dass wir es leben, richtig leben, also sich in jeden Augenblick fallen zu lassen (gar nicht so leicht)- der wird auch verstehen bzw. annehmen dass es endlich ist: Ein Werden und Vergehen. Und das Werden kann ohne Vergehen nicht sein. Vielleicht hatte einfach nur Jesus den guten Plan und nicht Gott, vielleicht hat er auch gar nicht an Gott geglaubt, könnte ja sein, sondern nur gewusst dass die Menschen einen Gottglauben brauchen, erst recht um zu verstehen was er ihnen mit auf den Weg geben wollte. Gottes Menschwerdung ist für mich: Welt/Wahrnehmung, Psyche und die Beziehung zu einem anderen Menschen.

      Dann hätte er mit Me mou haptou dem ewigen Leben auf Erden entsagt, gesagt: Binde mich nicht zurück mit deiner…, Liebe vielleicht. Dabei hat er sie gepredigt, in allen Formen. Ja, irgendwie scheut er es wie der Teufel das Weihwasser aber aus einem anderen Grund.

      Meister? So wie Guru. Für mich gibt’s nur Meister ihres FachsPUNKT Jesus wie ich ihn mir imaginiere (Hey Fjodor, ich versuche schon den zweiten Winter deinen Idioten durchzubekommen), hätte es schlichtweg abgelehnt sich so nennen zu lassen, auch wenn ihm nicht wenige, gleich wie in einer Sekte nachgefolgt sind.

      Be:nennung. Sage meinen Namen nicht. Berühre mich nicht durch Sprache. Wolle es nicht. Da sind wir jetzt aber wieder bei Noli me tangere. Generell ist dieser Ausspruch gar nicht so entkörperlicht, sagt aber nichts über eine zumindest angedeutete Konsequenz aus. Es geht nur noch um die Kunde, das Wort, das Maria nun überbringen soll. Me mou haptou trägt zumindest die Möglichkeit der leiblichen Rückbindung in sich. So als wäre noch ein Rest da. Wie Niegaertenmol. Mol=Stoffmenge. Niegaerten und doch Mol.

      Müde Spermatozoen? Spiegel titelte.

      Der Ungewaschene mochte auch ungewaschene Frauen, sie in Wein zu baden, um ihn dann zu trinken.

      Am Tisch: Jesus, Dostojewski, De Sade und An.
      Thema: Lustmord. Könnte ein Weilchen dauern bis ich das ausspucke.

    13. @read An …, das rührt natürlich mächtig an der Phantasie beider Geschlechter.

      das soll es ja auch. siehe: das leben lieben etc. etc.

      Wer sein Leben liebt…
      Ich lese diesen Satz so (ist natürlich immer alles Interpretation):
      Wer sein Leben wahrlich liebt, -und darauf kam es ihm ja an, dass wir
      es leben, richtig leben, also sich in jeden Augenblick fallen zu
      lassen (gar nicht so leicht)- der wird auch verstehen bzw. annehmen
      dass es endlich ist…

      holla, da setzt Du Deine reihe unorthodoxer deutungen eben mal fort.
      orthodox nämlich wird eben diese stelle immer wieder als kronzeugin
      für jedwede form von weltverachtung, ehelosigkeit und märtyrertod
      herangezogen. tatsächlich ist (oder war, vor dem zweiten vaticanum)
      das martyrologium romanum voll von jungs und mädels, die sich ihren
      frühen gewaltsamen tod direkt aus diesen worten abgeleitet haben. was
      aber, wenn er gemeint haben sollte, dass leben in größter fülle
      zugleich die stete präsenz seiner (des lebens) endlichkeit bedeuten
      müsse…? … hm, spannende frage.

      Dann hätte er mit Me mou haptou dem ewigen Leben auf Erden entsagt, gesagt: Binde mich nicht zurück mit deiner…, Liebe vielleicht. Dabei hat er sie gepredigt, in allen Formen.

      wie man’s nimmt: er hat ja gelebt bis zur bitteren neige (des hauptes,
      essiggetränkt), einschließlich der größte damals vorstellbaren martern
      und dem äußersten punkt der (gott)verlassenheit. – und ist
      wiedergekommen. wie aber etwas entsagen, was man schon durchgemacht hat? ist leben nach dem tod (trotz dem tod) wirklich ein ewiges leben im sinne des lebens, das ja durch seine endlichkeit bestimmt ist? (s.o.) vielleicht mal wieder pasolini schauen, l’evangelo secondo matteo, würde mich nicht wundern, wenn der antworten hätte, die uns nicht einfallen.

      Meister? Jesus […] hätte es schlichtweg abgelehnt sich so nennen zu
      lassen.

      tja, und wenn genau das me mou haptou sagen wollte? wenn er sich jeder sprachlichen berührung, „meister“ oder „scharlatan“ oder „betrüger“ (de tribus impostoribus) von vornherein – und im nachhinein seiner vortödlichen existenz – entziehen wollte?

      Me mou haptou trägt zumindest die Möglichkeit der leiblichen
      Rückbindung in sich. So als wäre noch ein Rest da.

      weiß nicht. vielleicht ist der rest sogar im „tangere“ noch stärker
      präsent. griech. háptein heißt ja auch „sich binden an“: „binde dich
      nicht an mich“, wäre auch eine möglichkeit, oder stärker medial:
      „binde dich nicht in unserem(!) interesse an mich“. jesus der erste
      bindungsscheue mann! was ist aber die alternative? wohl wirklich ‚nur‘
      das wort, das auszustreuen er sie schickt. was sie, wiederum
      (feministische exegese frohlockt) zur ersten apostelin macht. griech.
      apostéllein aber, „aussenden“ muss immer mit trennung vom
      ausgangspunkt einhergehen: entweder bindung und gemeinsamkeit oder
      trennung und aposteltum. vielleicht will sie anders, will ihn mit
      ihrem wort „meister“ an sich binden, muss nun aber, umgekehrt, sein
      wort hinaustragen. so werden aus aposteln dienstleister…

      was wäre denn die konstante menge eines niemalsgartens? etwa der
      garten irem, dessen spuren abdallah, der schüler des propheten sah,
      die aber niemand je gefunden hat?

      Am Tisch: Jesus, Dostojewski, De Sade und An.

      in d e r runde schenkte ich gern wein aus, notfalls aus wasser
      verwandelt, notfalls gar aus badewannen…

  5. Das es endlos andere … … Beispiele für der Würde beraubte Lebenssituationen gibt, das ist ja gänzlich unbestritten und eignet sich deshalb als Argument meiner Ansicht nach nicht.

    Für mich ist nebst dem Geist mein Körper mein im genauesten Sinn EIGENES, auf das ich jeden Zugriff als Verletzung erlebe.

    Ich muss alledings ergänzen, dass meine Einstellung ursprünglich gar nichts mit Pornografie zu tun hatte und auch heute nicht eigentlich hat, da ich mich eigentlich nicht damit befasse. Meine Haltung ist ursprünglich ausschließlich eine Haltung gegen die Prostituation gewesen und stammt aus meiner Jugend, in der es so etwas wie die Pornografie in dem Mass noch gar nicht gab.

    1. @PHG: Pornographie und Prostitution. Beides ist, in der Tat, etwas Verschiedenes. Aber es ist auch eine gewählte Prostitution denkbar – etwas, übrigens, das für die meisten Ehen gilt, zumindest gegolten hat, die aus Gründen, die Jenseits des Begehrens liegen, geschlossen worden sind, soweit sie monogam gefaßt werden.
      Die Lust entsteht gerade daraus, das von Ihnen so genannte Eigene verfügbar zu machen; jeder BDSMler kennt das – und die dazugehörenden Rituale, die bei diesem alle, Hingebende und Nehmende, tatsächlich berauschenden Akt Schutz gewähren.
      Ich spreche, wohlgemerkt, nicht von Zwangsprostitution und auch nicht von Zwangs-Pornographie. Ich selbst übrigens, das schrieb ich schon ein paarmal, würde wahnsinnig gerne mal bei so einem Film mitmachen; meine Sorge ist nur, daß ich mich blamiere, weil ich schlichtweg nicht könnte. D a s wäre entwürdigend, nicht, vor meinetwegen dreizigtausend Augen zu vögeln, die dennoch vielleicht meine Bücher läsen. Im Gegenteil, ich fände gerade diese Differenz luststeigernd,

    2. Ich beharre … ja nicht auf meiner Position als RICHTIGER. Ich sage nur, dass ich das so empfinde.

      Deshalb kämen Ihre Filmauftritte auch für mich nicht in Frage. 😉 Aber ich würd Sie Ihnn gönnen.

    3. @PHG. Empfindungen. Sind ebenfalls rein unsres; wir können sie de facto nicht teilen, nur die Illusion ihres Teilens,

      Das mit dem Filmauftritt, ja eben, gönnte ich mir auch. Und wie! Ist übrigens leicht; es gibt Produzenten, bei denen man – nach negativ ausgefallenem AIDS-Test, selbstverständlich – als Mann einfach so mitmachen kann, ohne Honorar, klar. Nur was tu ich dann, fahr da hin, München, glaub ich, begeb mich vor die Kamera, und nix will stehen. Dummdas. Will sagen: Ich habe ziemliche Achtung, sportliche, vor den männlichen Darstellern, die überhaupt nichts kaschieren können. Denen hilft auch, anders als Frauen, keine Gleitcreme. Ich würd in Grund und Boden versinken. Und eine Maske trüg ich nicht, dazu bin ich zu stolz.

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