14. Februar 2025
Karlsruhe
“Briefe nach Tiest”
ANH erzählt und liest
Circus 3000, Alter Schlachthof 13a, 19 Uhr
18. Februar 2024
Berlin
In der Reihe “Das Werk” des Literarischen Colloquiums (LCB)
Eine ANH-Werkschau. Mit ANH und (Moderation noch nicht klar).
LCB, Am Sandwerder 5,
Berlin-Wannsee, 19 Uhr
Operiert. Joyce-Version ANHs.
bezieht sich hier auf Richard Wagners Parsifal, für den Wunde ein Schlüs-
selmotiv wegen nicht beherrschter Fleischesgier ist. Amfortas klagt, der sich von
Kundry hat verführen lassen. Dafür hat er sich eigenhändig mit Kastration bestraft,
liegt nun darbend darnieder, kann nicht sterben, nicht leben. Joyce, als Sänger, der
er eben a u c h war, hat das Musikdrama ganz sicher gekannt.
Mein Übersetzungsvorschlag zitiert Parsifal, Aufzug II. Die vorherigen Passagen
haben schon klargemacht, daß Giacomos Begehren mit seiner eigenen inneren,
katholischen, Moral im Kampf steht: Selbstverurteilung, Fluchtversuch,
Kleinmachung des Liebesobjekts usw. – Fleischesgieriger
Gott wiederum wähle ich, statt eines „nur“ lüsternen, weil die Fleisches-
gier sich auf das schneidende Messer des Chirurgen gleich miterstreckt.]
Unterm Messer – HS-Version
Operiert. Das Messer des Chirurgen hatte in ihren Eingeweiden herumgestochert und im Herausziehen eine grob klaffende Scharte als Spur auf ihrem Bauch hinterlassen. Ich sehe sie vor mir, wie sie leiden, ihre vollen dunklen Augen, schön wie die Augen einer Antilope. O, grause Wunde! O, lustvoller Gott!
Zackigkeiten. An ein “wühlendes”, bzw. herumstocherndes Messer glaube ich nicht. Imgrunde ist bei Joyce schon selbst was falsch, etwas der “zackige” Schnitt. Das hast Du mit der offenklaffenden Scharte offenbar ähnlich gesehen. Das “Zackige” bei Joyce dürfte die Wundnähung sein, d i e meint er.
abgesehen davon, daß wühlen und stochern doch zwei verschiedene dinge sind und ein schlichtes “nicht glauben” zwar eine skepsis ausdrückt, aber sie nicht näher sondiert. ich habe ein bißchen gebraucht, um darauf antworten zu können, was wegen der arbeit sowieso nicht gleich möglich war. einmal geht es um ein operieren, weil sie dringend ins krankenhaus mußte, sie habe sich, Deine worte, vor schmerzen gekrümmt. operiert heißt, es ist ein chirurgischer eingriff vorgenommen worden, vielleicht wurde der wurmfortsatz herausgeschnitten. das messer hat das “herausgeschnippelt”, denn unter “sondieren” kann ich mir wiederum nichts vorstellen. augenfällig bleibt aber dennoch auf einer abstrakteren ebene, daß es um körperöffnungen geht. daß joyce sich da verhaspelt im satz mit der grob gezackten spur des messers, dem “gash”, der spalte, der klaffenden wunde, und was dieses “gash” alles noch bedeutet. und ganz nebenbei plötzlich ihre “dunklen” augen, auch so öffnungen, antilope : until I hope. insofern wäre ein stochern in spalten doch nicht so abwegig. woher kommt sonst das “libidinous”? also das wäre jetzt ein bißchen in die Freudsche richtung hingebogen, die mir aber plausibler vorkommt, da er, Giacomo, sich wohl kaum erlauben darf, mit ihr ins bett zu gehen, um eine ganz andere spalte ihres körpers zu sondieren. neid auf den chirurgen! gespieltes mitleid Giacomos, wenngleich unbewußt. also es geht nicht um wissenschaftliche beschreibung des wie (ich dachte tatsächlich auch, mit den zacken könnten höchstens die nähte gemeint sein (klassischer fall von vagina dentata)).
Wühlen und stochern. Gewiß ist das Verschiedenes, aber weder das eine noch das andere paßt zu einer Operation (mit einem Messer im Bauch “wühlen” täte ein perverser Mörder, darin stochern ein unentschiedener, vielleicht noch sehr junger, in jedem Fall höchst feiger Arzt). Wiederum, wenn wir als Arbeitshypothese >>>> brsmas Auslegung dieser Stelle als einer pervertiert-metaphorischen Defloration (was zu Giacomos Selbstvorwürfen paßte) einmal akzeptieren, dann passen “wühlen” und “stochern” ebenfalls nicht: Kein Schwanz wühlt in der Frau; das täte man allenfalls bei einem Fisting; doch ebenso wenig “stochert” ein Phallus, “stochern” würde vielleicht – sehr vielleicht – bei einem Fingern passen. Aus diesen Gründen ist mir “sondieren” hier noch am liebsten, auch deshalb, weil das Wort etwas abstrakt-Aseptisches hat, das zum Skalpell paßt.
Das “Zackige” übrigens, anatomisch gesprochen, spräche für die Penetrationsfantasie, auch wenn die Zacken eher Kräusel sind: also ich denke an die feine kräuslige Form der inneren Schamlippenränder.
das geht wieder ausgiebig auf das “wühlen” ein, von dem bei mir partout nichts steht. außerdem schrieb ich noch anderes, es ging wie im weiteren kommentarbaum unten um körperöffnungen. was macht der finger bzw. das beischlafgerät: sondieren? ich glaube, hier gehen dinge durcheinander, die auf eigenen projektionen beruhen, zumal die erwähnung des “fisting” überhaupt nichts mehr mit meinem text zu tun hat. das ist dann keine argumentation mehr. wobei es mir gleichgültig erscheint, ob es um deflorieren oder um penetration geht, es kommt aufs selbe hinaus, und spalte ist spalte. es geht lediglich um Joyce’s projektion. für mich gilt die gleichung: volle braune augen anstelle der unterhalb des bauches liegenden spalte. das eine für das andere. – außerdem ging es mir beim “stochern” darum, mich in die ungefähren vorstellungen eines laien hineinzuversetzen, nämlich darüber, was da ein chirurg überhaupt anstellt. da soll sicher kein genaues abwägen stattfinden, sondern eher ein “er hat da an ihr rumgemacht”.
@parallalie. Ich habe mich auf brsmas Auslegung des Textes bezogen, deshalb so ausführlich zu “wühlen” und “stochern”. Letzteres war aber Dein Wort, das ich bei einem chirurgischen Messer im Rahmen einer OP einfach nicht angemessen finde, egal, ob man die Auslegung einer (höchst gewaltsamen) Penetration mitvertreten will oder nicht. Chirurgische Bestecke zeichnet Präzision der Handhabung aus, “stochern” meint das Gegenteil. Wobei Giacomos Ausruf auf die Grausamkeit des Gottes allerdings abstellt. Und zugleich auf die eigene Lüsternheit – was ein, denke ich, diesen Text dauernd durchziehendes katholisches Schuldmotiv ist.
dann hätte es nicht unter meinem kommentar stehen sollen. das “stochern” allein kann das nicht rechtfertigen.
Operiert. Das Messer des Chirurgen drang in ihre Eingeweide und hinterließ, herausgezogen, einen klaffenden Spalt in ihrem Bauch. Ich sehe es vor mir, wie es leidet, ihr volles dunkles Auge, schön wie das Auge einer Antilope. O, grause Wunde! O, lausiger, Du einäugiger Gott!
@Parallalie: Übertragungen. Das lag schlicht daran, daß beide Auslegungsketten sich überlagert haben und ich direkt auf Deine Replik reagierte.
Die sexuelle Konnotation des Joyce-Textes ist doch ganz offenbar und so auch völlig menschlich. Ich schaue mir die Wörter an und bringe sie in einen sexuellen Zusammenhang. Nicht mehr, nicht weniger. Giacomo ist in eine sehr junge Frau verliebt und begehrt sie zudem sexuell; die katholische Schuldproblematik kommt mit hinein. Er verbrämt es in Anspielungen an Dantes Beatrice, die ebenfalls noch ein Mädchen war, wahrscheinlich noch viel jünger als Amelia. Was ich meine, ist: es geht nicht darum, seine Abwehr mitzumachen, sondern in dieses Begehren mit hineinzukommen, wobei ich bewußt keine Historisierung will, weil sie wieder Distanz setzen würde, wo der Impuls des Textes keine hat. Das Skandalon muß also ein “modernes” sein, um im Text klarzumachen, wie es in Giacomo getobt hat. Um in den Zehnern/Zwanzigern des 20. Jahrghunderts einen Mann zu erregen, genügte es, bloße Wade zu zeigen. Das genügt in den Zehnern des 21. nicht mehr. Deshalb sind Begrifflichkeiten (nein, viel mehr die Inhalte) wie Fisting für eine zeitgenössische Übersetzung sehr angemessen. Damit man eben die Distanz nicht hat zu sagen: oh, wie hübsch damals, wie “einfach” diese Menschen waren. Das waren sie nicht, sondern ähnlich von Tabus zu derangieren wie heute wir; nur sind die Tabus andere.
Es kommt mir darauf an, daß eine Übersetzung des Giacomo Joyce ein ähnliches Rasen in uns verursacht, wie es in Joyce getobt haben wird. Das geht auch auf die Übersetzer über, und zwar, je mehr sie “Nachdichter” sind. Wir müssen durchmachen, was Joyce durchgemacht hat, Alles andere wäre akademisch und damit wohlfeil.
Übertragung und Gegenübertragung würde man den Prozeß in der Psychoanalyse nennen.
Toll, sehr toll, übrigens, dieses “lausiger Gott!” Ja.
«Sondiert»… …scheint mir für «probed» recht gelungen. Vor allem meint «probed» kein Gestocher, sondern ein auf Reaktion abzielendes Erkunden. Die Passage hat allemal einiges von einer Entjungferung, forschende Neugier auf beiden Seiten, mitsamt der angedeuteten Parallelsetzung von Messer und Schwanz. Dafür sprich auch das im Argotgebrauch sexuelle «gash», das, nicht zuletzt um die offensive Doppeldeutigkeit zu erhalten, mir daher momentan am ehesten noch mit «Spalte» (sic!) übersetzbar scheint; bei «Paß» und «Scharte» geht mir das Sexuelle zu sehr verloren.
«has… withdrawn» ist *aktiv*, das sollte man m. E. beibehalten.
Also:
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Operiert. Nun hat das Chirurgenskalpell ihre Innereien sondiert und sich zurückgezogen, [1: hinterließ auf ihrem Bauch rohzackig die Spalte seines Durchgangs] [2: rohzackig auf ihrem Bauch als Hinterlassenschaft die Spalte seines Durchgangs]. Ich blicke in die dunkle Leidensfülle ihrer Augen, wie Antilopenaugen so schön. O grausame Wunde! Fleischeslüsterner Gott!
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Das ergänzte «nun»: im Englischen kennzeichnet der Perfekt, stärker als im Deutschen (bei uns sind Imperfekt und Perfekt insofern wesentlich austauschbarer), eine Handlung, deren Auswirkungen in die Gegenwart hineinreichen. Da sich das im Deutschen aber nicht rein grammatikalisch ausdrücken lässt, muss man’s ggf. anders machen.
Alternativ zu «Bauch» könnte man ggf. auch «Leibesmitte» nehmen, das zwar einen Anflug von Antiquariat mit sich schleppt, vllcht. aber die erotische Konnotation offener lässt, rein positionshalber (die «Mitte» könnte sich an sich problemlos auch nabelabwärts zwischen den Schenkeln befinden).
Leibesmitte@brsma. Das geht nicht mit der Leibesmitte, nimmt die Sinnlichkeit aus der Erzählung, zumal “belly” und “Bauch” auch phonetisch nahsind; außerdem steht Bauch auch für, darunter, die Gebärmutter; insofern ist der sexuelle Kontext auch bei Verwendung von “Bauch” gewahrt.
Der Bemerkung zum Perfekt im Englischen und Deutschen hat meine Übersetzung entsprochen: “jetzt ist es wieder rausgezogen und scharf markiert der zackige Paß durch ihren Bauch.” Wobei mich das Zackige nach wie vor stört. Oben, in >>>> meiner Erwiderung auf Parallalie, bin ich schon darauf eingegangen. Was aber vielleicht ginge: daß man den “Paß des Skalpells”, also den Schnitt, s e l b s t als einen Zacken sieht. Dafür brauchten wir dann eine Formulierung, bzw. ein Wort, das als Bild funktioniert. Denn “der Zacken des Passes” ist zu grob häßlich. Aber “Spalte” zu verwenden, dafür spricht wirklich einiges. Womit ich dann wieder bei den “Kräuseln” wäre.
sondiert für probed ist nicht gelungen, sondern entspricht einfach einem technischen jargon. … o, unverhofft hilft ein “vordringen”.
“vordringen”: Ja! Dafür aber noch ein Wort, das sinnlicher ist und nicht so neutral.
Vielleicht so. ANHs zweite Version der Nr. 35, freier.
«ist… rausgezogen» … empfinde ich, wie oben gesagt, nicht als ganz stimmig: das Skalpell wird dadurch passives Objekt, das Aktive geht verloren (bei Joyce handelt das Messer *selbst*). Setzt man außerdem das «jetzt» zwischen Eindringen und Zurückziehen unterbricht es die Kontinuität dieses Vorgangs. Mir fehlt bei Deiner letzten Version auch die «Passage», die ebenfalls die sexuelle Anspielung verstärkt.
Ansonsten: «des Chirurgen Skalpell» empfinde ich als Doppelung («Skalpell» impliziert «Chirurg»), wenn der Chirurg belassen werden soll, fände ich «des Chirurgen Messer [oder ggf. Klinge]» daher besser.
Was den Bauch angeht: d’accord.
@brsma, okay, dann. So:
@ANH, noch ‘ne Iteration Dummerweise ist, was ich vorhin nicht bedachte, Klinge im Deutschen ja weiblich, das passt nicht zur maskulin-eindringlichen Besetzung und verwischt außerdem die Bezüge (ihr/sein). Dann vielleicht *doch* Messer:
Operiert. Das Chirurgenmesser[^1] hat ihre innren Organe sondiert und sich zurückgezogen, auf ihrem Bauch verbleibt, seine Pforte, scharf der Zacken der Spalte[^2]. Ich sehe ihre vollen dunklen peingefüllten Augen vor mir, schön wie die Augen einer Antilope. Die Wunde! Klage! Fleischesgieriger Gott!
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[1] Gewähren Sie – äquivalent zum Englischen – Komposita, Sire! 😉
[2] «*der* (sic!) Spalt» klingt mir weniger nach Möse. Obwohl: vielleicht alternativ etwas in der Art wie «der krausgeränderte Schlitz»…?
Vorsicht!@brsma. Nicht zu direkt plattinterpretieren, sondern zusätzlichen Raum lassen. Deshalb Spalt. Ich habe sogar kurz “Spaltung” überlegt.
Was die Komposita anbelangt: nein, gerade die will ich vermeiden, weil ich den Text im Deutschen stehen haben möchte, so, daß eben gar nichts dem Englischen nachgestellt ist, sondern es muß klingen wie ein poetischer deutscher Text, also einer, der in meiner Sprache ursprünglich ist. Sonst wird immer die Differenz zum Englischen gespürt, also ein als-ob.
Komposita @ANH … aber doch gerade *weil* sie dem Deutschen so zu eigen sind! Das Englische als auf der Strukturebene analytischere Sprache besitzt sie ja nicht (mehr) in dieser Form und «behilft» sich deshalb mit Konstruktionen wie «surgeon’s knife», «flock of birds» etc.