Das Höllental des Paradieses ODER Ein Samois im Libanon: Jamesville (1). Das Reise- und Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 25. Juli, auf den Donnerstag, den 26. Juli 2012.


Lounge der Zedern, Beirut-Rafic Hariri Int Airport
7.26 Uhr:
[Maison Cattechnian, 3.]
Ich kann Ihnen keine Bilder einstellen, werde gleich erzählen, weshalb. Denn selbstverständlich habe ich welche gemacht, doch werde, wahrscheinlich bis zu meiner Rückkehr nach Berlin, nicht darauf zugreifen können. Das Bild hierüber, die berühmte Zedernlounge, fand ich im Netz. Auf das ich, unter Aufsicht aber, Zugriff habe. Auch dieser Text hier wird durch die Hand eines Zensors gehen, unter dessen oder der Aufsicht eines seiner Adjutanten ich ihn später einstellen darf. So wurde mir bedeutet.
Man spricht hier nur Arabisch und ein Französisch, das ich aber meist nicht verstehe. Nur der Mann, der mich in der Zedernlounge empfing, konnte Englisch. Der Gräfin ließ sich nicht sehen, es gibt auch keine weitere Botschaft von ihm. Eine letzte, wenn man so will, erreichte mich in einem der für ihn typischen kleinen Billet-Umschläge direkt am Counter von Tegel, wo es erst eine gelinge Unsicherheit gab, weil man meine Buchung nicht fand. Das System liest das abgekürzte „von“ mit dem Punkt nicht, so daß ich immer als Vribbentrop eingespeichert werde; das klärte sich dann schnell, weil ich diesen Umstand schon gewohnt bin, aber mich weigere, den Prädikatszusatz auszuschreiben. Sowas tut nur, und muß es, der Kaufadel. Ich meine, w e n n man mich schon unter meinem Herkunftsnamen einbucht und nicht dem, unter dem ich für gewöhnlich lebe und arbeite. Doch vielleicht, vermute ich, will Le Duchesse auf diese Weise wenigstens abstammungstechnisch Verbundenheit herstellen; irgend einen Narren scheint er an mir ja gefressen zu haben.
Na gut, nebensächlich.
Ich war überpünktlich am Flughafen, schon um acht, obwohl ich diesmal nicht viel Gepäck dabeihab; der Rucksack ist leicht. Sind ja nur fünf Tage, und meine Surfs hatten ergeben, daß es im Libanon, wie auch zu erwarten, warm sein würde. Gegen 14 Uhr stand ich dann auch in den Gängen des Rafic Hariri Airports, dessen wenn auch nicht ganz so riesige Anlage sich durchaus mit Frankfurtmains vergleichen läßt; was ich so ebenfalls erwartet hatte. Es galt nur noch, die Zedernlounge zu finden. Ich mußte meinen Reisepaß vorzeigen, um eingelassen zu werden, dann aber war das problemlos. Etwa eine halbe Stunde saß ich herum, knipste, was das Zeug hielt, notierte banale Auffälligkeiten.
Dann wurde ich angesprochen.
Ein sehr arabisch gefärbtes Englisch von einem Araber, Libanesen wahrscheinlich, im Business-Anzug, ein weltlicher, nach Geld wirkender, durchaus hochgewachsener Mann, glattrasiert, Brille, das kurzgehaltene dunkle Haar wich schon von der Stirn zurück. Immerhin sprach er mich als „Mister Herbst“ an, nannte mich zwischendurch aber immer mal wieder „Monsieur“. Er bitte dafür um Entschuldigung, daß er sich verspätet habe, „all the traffic“, „tra:fik“ sprach er das aus, ich möge ihm bitte folgen. Ich bemerkte sie sehr wohl, die beiden Gorilla, die uns – also, zu seinem Schutz, wohl ihm – folgten. Sie verstellten sich auch nicht sehr. Mein Eindruck ist, daß hier vieles ganz offen gehandhabt wird, aus dem man in Deutschland Gewese machte. Die Gegenwart von Gewalt, Bereitschaft zu Gewalt, und nicht nur aus jüngsthistorischen Gründen, ist direkt unter der Haut spürbar; im arabischen Raum begegnet mir das immer wieder. Ich bin darauf gefaßt. Nicht gefaßt war ich darauf, mitten im Libanon in ein Stück vergangenen Europas zurückgebracht zu werden. Das hat für mein Empfinden einiges von einer Zeitreise.
Man erklärt mir nichts, wenn ich frage, wird geschwiegen, doch immerhin gelächelt.
Draußen wartete eine Limousine; ich kenn mich mit Fahrzeugtypen nicht aus, aber es war ein BMW, in dessen Fonds ich gebeten wurde. Ich stieg ein, der Fahrer fuhr los, neben ihm Mr. Jamila, doch ich bekam von der Fahrt überhaupt keinen Eindruck, weil die Scheiben so abgedunkelt waren, hatte allerdings, als ich einstieg, im Augenwinkel den Eindruck, daß die beiden Gorillas in einen Wagen hinter uns stiegen, der uns wahrscheinlich folgte. Zu fotografieren wäre jedenfalls sinnlos gewesen. Auf völlig unspektakuläre Weise ließ man mich im Wortsinn im Dunklen darüber, wohin es eigentlich ging. Allerdings, wir hatten die Stadt längst verlassen, ja waren meinem Gefühl nach gar nicht erst in sie eingefahren, sondern auf einer, wahrscheinlich, Umgehungsautobahn um sie herum, – indessen, nach ziemlich genau anderthalb Stunden, machten wir eine Kaffee-, bzw, Teepause an einem Komplex aus Tankstelle und Rasthaus. Die Gorillas waren durch die offenen Scheiben des durchaus gut besuchten Restaurants nicht mehr zu sehen, aber es standen einige Wagen auf dem Parkplatz herum, in einem von denen sie gut und unauffällig hätten sitzen können. Jedenfalls bat mich Mr. Jamila, weiters in seinem arabisch prononzierten Englisch, um mein Ifönchen. Ich möchte bitte Verständnis haben… der Chip… Man werde mir das Gerät bei meiner Rückreise unangetastet zurückgeben.
Mehr erklärte er nicht. Ich hatte sofort das Bild aus Ramallah wieder vor Augen, als wir, eine Gruppe von Journalisten, Kulturanthropologen, Soziologen und ich, bei unserem Besuch Arafats ebenfalls die Handies abgeben mußten… da lagen sie dann, alle ausgeschaltet, in einem abgesperrten Vorraum in Reihe, zehn oder zwölf. So protestierte ich nicht, sondern reichte ihm das Telefonchen. Er steckte es, wobei er Dankesehr sagte, in die rechte Tasche seines dunkelanthrazitnen Jacketts.
Dann ging es weiter, ungefähr noch einmal anderthalb Stunden.
So daß ich am späten Nachmittag im Paradies war.
Ich stelle mir das so vor: Der Libanon war bis 1941 französisches Mandatsgebiet, das Französische hat nach wie vor, las ich, großen Einfluß, Beirut galt einmal als Paris des Ostens – warum sollte nicht in diesem – gemessen an den nur rund vier Millionen Einwohnern (Berlin allein hat dreieinhalb!) – riesigen Terrain, zumal hier in den Bergen, ein französischer Privatbesitz geblieben sein, eine Art persönliche Miniaturkolonie des Gräfins mit, wie ich fantasiere, ganz eigener Gesetzgebung, die feudale, nämlich monotheistische Grundzüge trägt, vielleicht nicht nur Gundzüge… – oh ja, wenn er das liest – und er wird es lesen, bevor ich es einstellen darf -, wird ihn das vergnügen! Aber man läßt mich auch wirklich mit meinen Spekulationen allein. Zu deren Eigenschaft gehört, daß ich nicht einmal sagen kann, wo genau dieses Besitztum liegt. (Zum Beispiel darf ich nicht googlen… ich solle es gar nicht erst versuchen, bedeutete mir Monsieur Jamil; Google maps, zum Beispiel, wär mir äußerst hilfreich. Nein, es solle, so Jamil, die geographische Lage Jamesvilles nicht bekannt werden, Monsieur Le Duchesse lege äußersten Wert darauf. Doch wenn ich mich an die Spielregeln hielte, wäre das ganz gewiß nicht von Nachteil für mich. Wobei er süffisant lächelte.)
Beschreiben darf ich die Liegenschaft aber.
Das Areal besteht aus viel Fels, die fünfsechs, deutlich europäisch wirkenden Gebäude, darunter eine Art Hazienda, liegen im Tal, das offenbar künstlich bewässert wird, denn es gibt einen höchstgepflegten Golfplatz. Es gibt sogar ein Wäldchen – sind das die berühmten Libanonzedern? Ich werde fragen. Eine agrarische Sektion, also eine Art Hof mit kleinen Traktoren, Stallungen vielleicht (Pferde? aber ich sah noch keines), doch nur wenige Menschen waren bisher zu sehen; hin und wieder ging ein Araber den Weg entlang, das sah aber nicht wirklich so aus, als hätte er etwas arbeiten wollen oder gar müssen. Den rechten Hang hinan noch ein paar flache Würfelhäuser, eines hat ein niedriges Minarett – rechts, das ist, dem Sonnenstand nach zu schätzen, Westen. Gesindeewohnungen also?
Doch stimmt nicht, was ich eben schrieb. Ich sah andere Menschen, einige, aber eben erst abends, hier. Denn – es gibt das Frauenhaus. Nur will ich nichts vorwegnehmen, sondern in der Chronologie meiner Wahrnehmung bleiben, der meiner Reise und Ankunft.

In einem zweistöckigen Haus bin ich untergebracht, das man eine Villa nennen könnte, wäre es nicht aus grauen, fast groben Steinen errichtet und machte ebenfalls einen bäurischen, aber europäischen, nordeuropäischen Eindruck. Das aber nur außen. Die Innenausstattung ist geradezu liebevoll und sehr durchdacht, zugleich auf bestem technologischen, will sagen: auch hygienischen Stand, wobei die untere Etage aus einem einzigen Raum besteht, einer Wohnlandschaft, würde Schöner Wohnen das nennen; Küche integriert (nur woher nimmt man die Ingredenzien, um zu kochen? sieht alles komplett unbenutzt aus), die sogar zwei Herde hat: einer wird mit Elektrizität, der andere mit Gas betrieben; acht (!) Flammenstellen insgesamt. Der Wohnbereich selbst tatsächlich pseudokolonial: dunkel gebeizter Bambus: Tische, Stühle, sogar die Schränke. Teppiche auf den Böden: ich mag gar nicht mehr anders, als barfuß zu gehen… seit ich‘s gestern abend zum ersten Mal tat. Man macht sich keine Vorstellung von dieser Weichheit unter den Sohlen. Man könnte auf diesen Teppichen schlafen. Vielleicht werde ich das in einer der kommenden Nächte auch tun: mir einen Teppich auf die Terrasse ziehen, dort mich legen unter das Sternenzelt. – Es war eine spektakuläre Nacht, gestern, als ich hinauf ins All geschaut habe und „Schöpfung“ denken mußte –

Doch, wie geschrieben, der Reihe nach –

Das Abendessen war, ohne daß ich jemanden sah außer Jamil, in der Hazienda aufgetragen worden, es stand alles schon bereit, und ich blieb, nachdem Jamil wieder gegangen war, ganz für mich allein. Aß, trank, sann erneut darüber nach, was mit der Prüfung gemeint sein könne, der ich mich zu unterziehen hätte – darüber hob sich der Vorhang aber erst spät, fast schon zu Mitternacht, nachdem ich noch einen kleinen Gang über das Gelände unternommen hatte, dessen teils Kies-, teils Sandwege von Laternen erleuchtet sind, sowie die Dämmerung einsetzt. Es war da fast völlig Stille, von Schreien von, wahrscheinlich, Tieren abgesehen, die aus der Ferne kamen, in der Ferne auch blieben, aber sich im Echo der Berge verstärkten.
So kehrte ich denn in meine Bleibe zurück. Die Häuser sind nicht verschlossen, die Türen haben gar keine, auch nicht der Hazienda, Schlösser. Insgesamt ist das Gelände ungesichert, sofern es nicht, was ich vermute, bewaffnete Wachen gibt, in Unterständen. Aber, sozusagen, „nach außen“ wirkt es vollendet friedlich.
Ich setzte mich an den großen Bambustisch, hatte schon, als ich mich einquartierte, die mitgenommenen Argo-Seiten herausgelegt, dazu den Bleistiftstummel, Radierer, Highliner, Lineal, und weil es hier absolut keine Unterhaltungsgerätschaft gibt, weder ein Radio noch einen Fernseher, wirklich gar nichts, auch keinen CD-Player, keine Boxen – ich habe auch nirgendwo, auch nicht in der Hazienda, eine Zeitung gesehen, – weil dem so war, dachte ich, vielleicht noch eine Seite durchzukorrigieren, konnte mich aber nicht konzentrieren und ging ins obere Stockwerk, um mich zu duschen und dann schlafenzulegen.
Als es klopfte.
„Ja bitte?“
In der Tür stand eine höchstens sechzehnjährige Frau mit einem so anrührenden Lächeln, daß ich sie wie eine Erscheinung ansah, und bat mich mit ihrer hohen, aber in keiner Weise flachen Stimme, ihr zu folgen – zumal in völlig akzentfreiem Deutsch.
„Jetzt?“
„Jetzt.“ Das war sehr entschieden.

(Oh, ich soll unterbrechen. – Jamil.
Netzzeit sei nur von von halb elf bis elf. – Ich melde mich später wieder. Libanonzeit ist der unseren eine Stunde voraus. Hatte ich ganz vergessen.)

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