Ausmachen. Montag, der 19. Dezember 2011. Arbeitsjournal. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (137). Dummheit als Kalkül.

5.25 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Gestern nacht, kurz bevor ich einschlief, hatte ich den Gedanken, einmal ein iPhone-Gedicht schreiben zu müssen; weiß überhaupt nicht, ob‘s das schon gibt: Smartphonegedichte, die >>>> weder ironisch sind noch Werbung, sondern schlicht erzählen, und es poetisieren, was einen Teil unserer Wirklichkeit auszumachen längst begann… – übrigens: „Wirklichkeit a u smachen“, „das macht unsere Wirklichkeit aus“: was ist das für eine bizarre Formulierung, was wird da eigentlich gesagt? (Die kleinen Schrecken, wenn man über so etwas nachdenkt. Ähnlich schon, vor Jahren, André Heller: „Einen Brief aufgeben. Man gibt einen Brief a u f. So viel Resignation ist schon im Postwesen bei uns.“ Bei jemandem sein.)
Latte macchiato, erste Morgenpfeife. Der Junge schläft tief auf seinem Lager.
Wirklichkeit ausmachen: Ich bekam eine SMS, erfuhr es aber erst vorm Schlafengehen, weil ich das Ifönchen noch >>>> von dem Konzert auf Flugzeugmodeus gestellt, es umzustellen vergessen hatte. Dabei hatte ich das vormittags noch zu लक्ष्मी gesagt: „Immer vergeß ich später, das Dingerl wieder einzuschalten.“ Sie selbst versuchte später, mich anzurufen. Vielleicht sind das aber Strukturen, die einer unbewußt umsetzt, der ein Telefon nicht einfach, wie einige Frauen, die ich kenne, immer nur Frauen, klingen lassen kann, ohne sogleich geradezu dranzuspurten. Na gut, übers Festnetz ging‘s dann –
Der Bequemlichkeit der Erreichbarkeiten aller Informationen entspricht eine zunehmende, die wir selbst wählen, Beengung der Freiheitsräume, zu wählen vielleicht auch nur glauben; – es ist ein enorm engmaschiges Netz auch sozialer Über- oder sagen wir, Bewachung, und ökonomischer, wahrscheinlich sogar vor allem dieser und damit der Lebensführungen. Wir können nicht mehr verloren gehen, sind prinzipiell überall ortbar, wir können aber auch nicht mehr flüchten. So etwas wie Die Dschungel (ausgerechnet dieses Namens) tut dabei mit, aber läuft bewußt auch v o r a u s: zeigt, wo nicht mehr versteckt werden kann, gleich von sich aus und provokativ, dreht es um, >>>> pervertiert. Der Forderung nach Transparenz, der öffentlich nachzukommen sei – es ist eine demokratische Forderung (für Ämter usw., die aber überschlägt ins Allgemeine: Kontrollierbarkeit der Massen ist notwendigerweise Kontrollierbarkeit und tatsächlich auch die Kontrolle der Einzelnen, Kalkulierbarkeit, was wiederum werblich nutzbar ist (per Facebook, Googlemail usw.) -, wird dadurch begegnet, daß man sie formt, statt ihr entkommen zu wollen; das wäre nämlich vergeblich.

„Papa, weckst du mich morgen um sechs?“ Mach ich. Mal sehn, ob er auch wachwird; aber vielleicht genießt er den Halbschlaf: zu wissen, man habe noch eine halbe Stunde Zeit. Ich meinerseits schreibe am Jungenroman II weiter, gleich; allerdings sind vorher noch ein paar Kommentare zu beantworten.

6.47 Uhr:
Insgesamt ist mir >>>> diese Diskussion wichtig, weil sie etwas ins Auge nimmt, das mir seit jeher angelegen gewesen ist: Interpretation von Texten, namentlich Gedichten, als musikanaloger Interpretation. Dann fand ich >>>> dort eine „Kritik“, deren Dummheit nur noch von ihrer bodenlosen Ignoranz übertroffen wird. Das wäre an sich nicht weiter erwähnenswert, eröffnete das „demokratische“ Medium nicht weitgehend unkontrolliert solchen Menschen Tür und Haus, die ganz bewußt zerstören, jedenfalls schaden wollen. Private Meinungen und Abneigungen können sich hier zu Anti-Werbeträgern aufschwingen, die sehr wohl, und möglicherweise als objektive Urteile, wahrgenommen werden. Ich habe noch Glück, denn eine andere Kritik hat sich dagegengestellt; Ähnliches galt übrigens schon >>>> für MEERE; auch dort wurde mit unangemessenen, nämlich aufs Persönliche zielenden Kategorien ein Buch ins Mißkredit gebracht; ich meine die „Kritik“ von „Sprezzatura“. Auch dort fanden sich allerdings Gegensprecher:innen.
Das Problem demokratischer Urteils-Foren besteht in ihren Gefärbtheiten, die durchaus auch politischer Natur sein können, sehr viel öfter aber von rein persönlichen Motiven, auch eben unlauteren, geleitet werden. Die Situation verlangt nun, daß auf persönliche Häme immer jemand reagiert; passiert das nicht, haben die Hämer ihr Ziel erreicht; aber selbst, wenn es passiert, geht doch der Bewertungsdurchschnitt arg in die Tiefe, ein rein rechnerisches Phänomen, gegen das man nicht ankommt. Unterm Strich bedeutet das – und liegt damit auf der ökonomischen Linie eines auf Mainstream ausgerichteten Marktes -, daß Besondertes von vornherein ausgeschieden wird, was wiederum das Ende-von-Kunst-überhaupt bedeutet und an ihre Stelle das vermarktbare Design gesetzt wird oder gesetzt werden soll. Zwar formiert sich der Widerstand, den Kunst bedeutet, weiterhin, aber man bricht ihm den Stachel gleichsam schon ab, während er noch wächst.

[Tschaikowski b-moll (Richter mit Karajan).]
(Nun ist der Junge wach und schlürft seinen Kakao).

10.53 Uhr:


Krabbenfrühstück mit Trovatore.

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