Kein Platz für Götter ODER Die Welt als Ware und Normierung. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. Dezember 2011. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens 136, darin der Verfasser sich outet. Und abends dann: Das kleine Mädchen und der Daumen.

5.55 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Sitze schon seit einer Viertelstunde vorm Laptop und schaue ein wenig durch die Sites herum: abständig könnte ich das nennen, wäre das „b“ in dem Wort nicht zu hart gesprochen; das „g“ spricht sich sowieso wie ein weiches „ch“ aus: das also paßt. Auch „paßt“ ist ein zu hartes Wort. Erster Latte macchiato, Morgenpfeife. Ich muß an den Jungenroman II; fast will ich‘s auch schon, aber die Begeisterung für die I sprang gestern, als ich die Fahnen zuendekorrigierte, nicht mehr über, vor allem nicht mehr der Witz daran. „Begeisterung“ ist sowieso aber zur Zeit kein mich fassendes Wort. Wobei ich das innere Auf und Ab doch gut kenne, das war nie anders, immer gab es scharfe Täler, dafür innenbejubelte, sonnen-, die männlich ist,-bejubelte Gipfel und jederlei Gelenkschmerz beim Aufstieg, sowie einen ziemlichen Dreck, wenn ich wieder runterrutschte, oft auf dem Hosenboden: alles das, aber ziemlich wenig Gleichlauf und Gleich-Gültig-Läufe, kaum mal, auf längere Strecken, Moderates. Daß ich mir das aber so sage, jetzt, heute morgen, will ein Moderates sein. Ist indes Selbsttäuschung. Dazu kommt eine abermalige Rüge des WDRs wegen ungenauer GEMA-Angaben; rein zum Verrücktwerden, daß Quellennennung nicht mehr reicht, sondern jetzt so detailliert ausgewiesen werden muß, daß das ein ganz eigener und rein administrativer Arbeitsgang wird, den man teils auch gar nicht gehen kann, wenn man aus dem Netz, etwa, gearbeitet hat oder auf Radiomitschnitte zurückgreift; das ist geradezu verboten: obwohl das doch in der Welt ist. Man darf in der Welt nur noch verwenden, was auch katalogisiert ist, nämlich als Ware, und selbst da reicht die Katalognummer nicht, sondern die Ware soll in all ihren Eigenschaften erfaßt sein. Dabei wird das Eigentliche, das ihr alleine Eigene – das, was sie eben n i c h t Ware sein läßt, – weggesperrt. Das Urheberrecht, einmal für die Künstler gedacht, um sie zu schützen, subtrahiert von ihnen die Kunst. Die Werke, vor allem deren Wirkung, sollen berechenbar werden: Freiheit, wenn auch eh nur vorgestellt (ihr ὄν ist poetisch), kommt ins Gitter: Illusionen im Geschirr, im Pferdebiß, bis nichts mehr schäumt. Leistung als Kategorie, und modular, nicht als Leidenschaft. Und dennoch ist da Rettung, nämlich im Netz, das noch nicht im allgemeinen Verwaltungszugriff ist und auch noch lange Fluchtwege wissen wird, es sei denn, man „schaltet es ab“ wie im Iran oder observiert die Netzbürgerschaften, generell, per Programm. Heute morgen, als ich mir die Arbeitsklamotten überzog, dachte ich dran, wie nah wir längst am Robocop sind, am elektronischen, emotions„freien“ Polizisten und Kapo, und daß ich da mit Der Dschungel mitten hineinstoße, indem ich mich, statt mich in vorgeblichen Privatheitsräumen zu verschanzen, hinter ihnen zu verstecken, provokativ so öffentlich mache. >>>> Diadorims Vorwurf greift zu, auch wenn sie ihn lächelnd aussprach, kurz. So lange sich versteckt wird und das einigermaßen auch geht, wird nicht öffentlich gemerkt und gefühlt, wie eng diese Räume geworden sind und daß sie zunehmend enger werden. Hier paradox zu reagieren, indem man seine eigene Privatheit veröffentlicht, zeigt das Private und ringt es der Einengung damit ab, allein weil es als Sichtbares auf sich beharrt. Dann liegt es in der Strömung wie ein Felsen, um den die Strömung herummuß und der die Strömung wenigstens hemmt. Das ist wie mein-Leben-ohne-eigenes-Konto: was die Buchhaltungen, Kassen, Finanzämter, je offener ich damit umgehe, um so mehr wurmt, weil es Stöcke in die Speichen des gewohnten Vollzugs steckt. Führt immer wieder zu Ärger, kann ich Ihnen sagen, zu meinem, zu deren, wobei deren einer der Angestellten ist, die ihn ausführen sollen, dererseits Menschen ohne böse Absicht, doch von der bösen Absicht instruiert, die nicht eine böse, sondern die kalte Absicht, nämlich des Instrumentierens, ist, die „rein“-rechnende eben, pragmatische, normierende und – schon nahezu totale wie dann totalitäre. Der wird, wer sich nicht einfügt, zum >>>> Paria, auch den „Guten“ selbstverständlich, den Aufgeklärten und Progressiven, die sich aber arrangieren; allein die Einfügung macht sie zu Mitläufern, so verständlich, lebenspraktisch, ihre Einfügung immer auch sein mag. Wir haben kaum noch Raum mehr für Götter, geschweige für Halbgötter. Was das Bedürfnis nach „Fantasy“ höchst begreifbar macht und den Erfolg der Vampire ganz ebenso, fast marxistisch, erklärt wie die Begeisterung auch Intellektueller für Harry Potter.
Ja, ich habe über den Begriff nachgedacht, den des „literaturbetrieblichen Paria-Status“. Es ist schon bizarr, daß der Literaturbetrieb mir meinen Widerstand viel weniger verzeiht als die Gerichtsvollzieher:innen und Finanzamtsmenschen. Für die, kann sein, ist ein Leben wie meines eine vielleicht nicht bequeme, aber immerhin Hoffnung: alleine deshalb, weil es möglich ist, daß jemand ohne Vorsorge lebt und doch nicht aussieht wie einer, den es vom Tisch der Gesellschaft gefegt hat, sondern hat nicht mal Zipperlein mit beginnendem Alter, in dem sie selbst schon nach Rente schauen – und schauen müssen, wenn sie einen Beruf gehabt haben, mit dem sie nicht wirklich einig sind, so daß es zu der, mir immer absurden, Trennung von Arbeits- und Freizeit kam, einzig der Ergebung halber ins Fremdbestimmtsein, gegen das selbst ich in meiner relativen, doch vergleichsweisen Freiheit nach wie vor mich stemme. Ein wenig, auch wenn das nicht mein Focus ist, stemm ich mich für sie mit – und jeder andere tut‘s, der sich nicht beugt, ohne wiederum zur Wohlfahrt zu gehen, um zu betteln. Aber selbst die, allein als Erscheinung und solange es noch Caritas gibt, hemmen. Die Löwin, in ihrer Kuratorenfunktion, spricht bisweilen von Künstlern, höchst bekannten, die Manager seien, längst, geschmeidigste Verkäufer ihrer Kunst. Die laufen mit und treiben’s oft noch an. Oder sie sind, wie sehr wahrscheinlich Beuys war, Eulenspiegel, von denen es aber so wenige gibt wie echte Scharlatane. Ertappt man jene, wird geschwiegen, weil man ja selbst die neuen Kaiserskleider beklatscht hat; indes, ertappt man diese, die Scharlatane, gehen die Wellen so hoch wie bei Hitlers Tagebüchern, und man sperrt sie, wenn möglich, ein. Die Ulen aber und Apen hat man im zugeschlossenen, gesicherten Safe und handelt sie an den Börsen –

6.55 Uhr:
Es wird Zeit für die andere Arbeit. Zweiter Latte macchiato. Wie ich bis zum kommenden Herbst, also zur nächsten Frankfurter Buchmesse, mit >>>> ARGO fertigwerden kann, ist mir rein finanziell ein Rätsel. Ich werde wieder anfangen müssen, neue Schulden zu machen, die ich niemals zurückzahlen kann, nehme das gerade ins Auge. Bei meiner Schufa-Auskunft wird das ein Kunststück werden für sich – ein Stückchen Lebenskunst. Auch das mag >>>> Krausser gemeint haben, als er >>>> Kurthes sagen ließ, Scharlatanerie gehöre zum Genie.

Nach wie vor bin ich >>>> darauf stolz.

„Frauen“, hat लक्ष्मी gesagt, >>>> daß meine Schwäche seien; auch darüber denke ich unentwegt, doch schweifend nach: ein ungefähres Nachdenken: wie wenn man meditiert.

Heute nachmittag Weihnachtsfeier in Barenboims Kita der Zwillingskindlein. Da geh ich, und will es, hin. Hätte man mir, als ich jung war, gesagt, welchen Stellenwert eines Tages „Familie“ für mich einnehmen würde, ich hätt den ausgelacht. Interessant auch, was ich der Löwin gestand; das war wie ein Outing: Ich wolle dem beschmutzten Namen der Ribbentrops etwas entgegensetzen, wolle ihn, sozusagen, heilen – die Schande aus der Welt bekommen. „Für meinen Jungen“, sagte ich, aber bin mir gar nicht mehr sicher, ob das nicht von allem schreibenden Anfang an Intention war, wenn auch damals noch unbewußt; auch als ein solcher, als Ribbentrop, bin ich immer Paria gewesen. Bereits als ein Kind. In einer Zeit, die Straßen umbenennt, damit Geschichte weg ist, und die Schlösser wiederaufbaut, damit ein falscher Vorschein sei, stör ich deshalb zusätzlich. Das ist mir sehr bewußt.

12.04 Uhr:
Drei Seiten des Jungenromans, den ganzen Anfang, neu geschrieben – und alles andere, was schon vorliegt, zwar nicht verworfen, aber unbeachtet gelassen. Keine Verwurschtelungen, sondern den Jungen klar und gezielt erzählen lassen. So, wie das jetzt anfängt, kann es weitergehen, denke ich.
Mittagsschlaf. Nötig. Dann mich zivilisieren, rasieren usw., duschen, kleiden. Gegen drei werd ich zur Kita losziehen. Wie später der Tag dann weiterläuft, das weiß ich schlicht noch nicht.

21.50 Uhr:
Vorm Mittagsschlafen wollte ich etwas übers Schlafheile der Onanie – oder des, wenn man nicht alleine liegt, Liebesaktes – schreiben, aber jetzt verschieb ich das auf morgen. Es klappte nämlich nicht, sondern ich schlief tatsächlich so ein, schlicht und schnell. Dann zivilisierte ich mich und brachte noch alle nachgeforderten GEMA- und VG-Wort-Angaben zu ihrem Ende: GESCHAFFT mailte mir die nach einem offenen Telefonat wieder freundliche Dame vom WDR, die unter meinen ästhetischen Capricen immer leiden muß, administrativ. Danach ging‘s schon zur Kita, und wiederum danach Ans Terrarium, wo ich bis vor kurzem blieb.
Das Zwillingsmädlein hat eine neue… tja, „Macke“ kann man das nicht nennen: sie nimmt meinen Daumen, steckt ihn sich in den Mund und saugt daran; nicht nebenhin, sondern mit Nachdruck und fordernd, geht auch mit dem Köpfchen vor dabei und zurück. Das ist rührend, das ist voller Liebe, und es ist deutlich pikant. Vor allem ist es nicht ohne Provokation, was immer die Natur hier ausprobieren will. Die Fünfjährige genießt es sichtlich, wenn man sie darüber ermahnt. Der Akt ist sicher nicht sexuell, wohl aber auf kindliche Weise erotisch. Ein enger Freund hat von seiner Tochter bisweilen Ähnliches erzählt und in welche Situationen einen so etwas bringt, wenn es öffentlich passiert. Ich hielte es aber für falsch, der Kleinen diese Lust zu verbieten, und zwar auch dann, wenn der Daumen etwas deutlich Symbolisches hat – was sie irgendwie spürt, weil wir Erwachsenen es spiegeln, nicht mal in Worten, sondern gestisch oder dadurch, daß wir Irritationen zeigen. Ich bin jedenfalls sehr dankbar dafür, daß mir pädophile Neigungen fehlen. Die sehr jungen Frauen, die sich mir gaben, mir schenkten oder mich verführten, wirkten alle stets sehr viel älter als sie waren: d a r a u f springe ich an, auf solche Unverhältnismäßigkeiten, aber nicht auf Lolitas, die mein Geschlecht völlig kalt lassen, und auf Kinder sowieso nicht. Dennoch beschäftigt mich das Geschehen.

Broßmann rief eben an; er wird gleich noch auf einen Absacker herüberkommen. Fein. Ich werde mit ihm drüber sprechen. Er hat ein Töchterlein. Vielleicht wird so etwas auch auf ihn zukommen. Da ist es sinnvoll, vorbereitet zu sein.
Ein gemeinsamer Urlaub ist geplant, alle Kinder, die Mama und ich. Ich habe gesagt, was ich fühle: Was immer geschieht, für diese Familie bin ich, unverbrüchlich, da, für die Kinder wie für die Frau. Was immer geschieht. Es ist genug geschehen, um das mit solcher Sicherheit sagen zu können.

10 thoughts on “Kein Platz für Götter ODER Die Welt als Ware und Normierung. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 16. Dezember 2011. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens 136, darin der Verfasser sich outet. Und abends dann: Das kleine Mädchen und der Daumen.

  1. Nun, ich lese hier, nicht alles mit gleich großem Interesse, aber das ‘Herzeigenmüssen’ ist eine Schwäche, die wohl jeder Künstler hat und haben muss, nur haben sehr unterschiedliche Künstler sehr unterschiedliche Meinungen dazu, was da hergezeigt werden sollte und was da nichts weiter als Eitelkeit oder Idiosynkrasie sei. Für mich ist diese Grenze fließend und manchmal ist es mir nicht Mal wichtig, was entsteht. Ich merke, das irritiert Kollegen, die auch so etwas wie Freunde werden können, weil man leider, ja, durchaus leider meistens die befreundet, deren Werke man überaus schätzt. Ich komme erst allmählich dahinter, dass ich Menschen ganz unabhängig von der Qualität ihrer Leistungen mag, ich verteile Sympathien kindlich, vielleicht nach Geruch und einem freundlichen Lächeln, und bei Leuten meiner Zunft ist es da nicht anders. Ich weiß, dass viele ein Problem damit haben, sie würden dann die Menschen, deren Arbeit sie nur so mittelprächtig finden, am liebsten auch nur so mittelprächtig finden, ich habe mich nur auch schon ein lebenlang selbst beobachtet und auch die meiste Zeit versucht, es so zu halten, gelingt mir aber nicht, wichtiger ist mir vermutlich eine Arbeitshaltung zum Gegenstand, als der Gegenstand selbst, ein gewisser Furor, eine Art Freigeist, ein romantisches Ideal. Und wenn mich dann auch leicht gruselt, wenn mir jemand von seiner Leidenschaft zu Fantasyromanen erzählt und vollbusigen von Aliens entführten Airbrushkünsten anhängt, so fasziniert mich dennoch die Leidenschaft daran und ich fang mich an zu fragen, was gibt ihm das und was gibt jemand anderem Deleuze oder ein neu entworfenes Logo seiner Marke. Das Wie ist für mich oft entscheidender als das Was, zumindest was mein Interesse für die Person angeht.

    1. @Diadorim zu Werk & Person. Mir geht es ähnlich; aber immer, wenn ich das Werk eines Freundes nicht sehr schätze, bleibt da ein Vorbehalt, der letzte Tiefe nicht zuläßt – weil der Vorbehalt schon aus Menschlichkeit nicht zur Sprache kommt; aus Menschlichkeit nicht, weil eines Künstlers Werk, meiner Auffassung nach, sein Eigentliches ist: allein durch das Werk hat er – oder sie – ein Ich; alles andere sind mehr oder minder Affekte. Er – oder sie – erschafft sich über das Werk überhaupt erst; wäre dem anders, ersie könnte genau so gut oder schlecht einen anderen Beruf ergreifen. Das gilt übrigens, in meiner Empfindung, für alle, die nicht-entfremdete Berufe ergreifen und durchkämpfen: Berufe als Leidenschaften; deshalb ist meine Achtung vor Handwerksberufen, die es geblieben sind, so hoch, ebenso wie vor Juristen und Wissenschaftlern, die sich nicht anderen Zwecken als ihren eigenen Wissensinteressen und Überzeugungen unterstellen lassen, vor Ärzten, namentlich denen Ohne Grenzen, usw. Wer das anders hält, ist für mich, irgendwie, nie wirklich eine Person, der ich vertraue; Vertrauen aber ist für wirkliche Freundschaft unabdingbar.
      Was nun die öffentliche Privatheit anbelangt, so ist sie für mich gar nicht problematisch, weil ich schlichtweg nichts verbergen muß und auch nicht will. Problematisch wird es – und das war in Der Dschungel sehr oft schon Gegenstand -, wo meine Privatheit zugleich die anderer Menschen ist, deren Verhältnis zur Öffentlichkeit von meinem differiert; das ist aber nahezu immer der Fall, weil ich ein soziales Geschöpf bin. Ich muß also Wege finden, zugleich privat und aber auch verstellt zu sein – der Königsweg des Literarischen. Aber selbst er, für sehr nahe Menschen, ist durchschaubar; je näher sie sind, desto schneller. Auf sie aber kommt es mir eigentlich an. Wie damit dann umgehen?
      Wobei, andererseits, wenn jemand eine Erfindung macht, sagen wir: die Elektrizität entdeckt, und sie nutzbar zu machen weiß, dann greift das extrem tief sogar in die Intimissima aller anderen Menschen ein, auch solcher, die solche Nutzbarmachung scharf ablehnen; da gilt dann dennoch kein Privatrecht, auch dann nicht, wenn die Eingriffe härter und nachdrücklicher sind, als jede private Verlautbarung nur sein kann. Wobei gerade für das Privateste immer auch gilt, daß es per se allgemein sei – nur soll das unter der Decke bleiben, und zumeist in letztlich einer Weise, die ganz anderes als den Schutz partikularer Privatheiten will.

    2. “weil eines Künstlers Werk, meiner Auffassung nach, sein Eigentliches ist: allein durch das Werk hat er – oder sie – ein Ich; alles andere sind mehr oder minder Affekte. Er – oder sie – erschafft sich über das Werk überhaupt erst” – ja, das ist die Crux. Nur ich bin da irgendwie auch leicht anders gestrickt, ich möchte einfach um meiner selbst willen lieb gehabt werden, vielleicht, weil ich erst neulich die Schlappe wegstecken musste, dass ich merkte, ich werde ‘nur’ wegen meiner Gedichte geschätzt und wenn ich nicht so bin wie meine Texte, dann ist es auch Essig mit dem schätzen. Ich bin aber nicht meine Texte, tatsächlich nicht, meine Texte sind stark, ich bin bedürftig, und trotzdem kann man mir und meinen Texten vertrauen, denke ich, auch wenn wir uneins sind. Ja, mir war man ja auch schon Gram, als ich verriet, ich schriebe hier, wurde gleich geschäumt: doch etwa nicht über mich? Nein, nie über wen, alles kommt aus meinem Kopf und was da wie hinein findet und wieder hinaus, hat mit allem außer ihm ja auch nur noch bedingt etwas zu tun, dass man das selbst Autoren erklären muss, fand ich auch etwas kurios.

    3. Moment. Die Gleichsetzung von Künstler und Werk klang mir auch zu apodiktisch, aber dann scheint mir da doch ein möglicher Widerspruch zu schlummern: Sie behaupten nicht so zu sein wie ihre Texte. Warum auch. Gleichzeitig sagen Sie aber auch alles käme aus ihrem Kopf und und was da wie hinein findet und wieder hinaus, hat mit allem außer ihm ja auch nur noch bedingt etwas zu tun. Also hat es doch wohl mit ihrem Kopf und dessen Beschaffen- oder Verfasstheit zu tun, oder nicht? (Außer Sie transzendieren diese: Was weiß ich schon, was mein Kopf da tut.)

    4. Und so ist es ja auch, who watches the watchmen, ich weiß nicht, was mein Kopft tut, wie auch, die Instanz über ihm kenne ich nicht.

  2. Paria-Status Ihr Dilemma: Sie möchten einerseits den Paria-Status pflegen, weil er Sie aus der Masse der Abnicker heraushebt (das meine ich nicht ironisch). Andererseits beklagen Sie ihn dann. Einerseits kann das Rebellentum ja durchaus fruchtbare Züge haben (Sie beweisen das ja), andererseits ist es anstrengend und undankbar, weil Sie praktisch im Feuilleton nicht vorkommen. Sie haben oft genug geschrieben, dass Sie mit Ihrem “Status” zufrieden sind – dennoch hört man eine gewisse Sehnsucht heraus. Sie mag darin bestehen, mitagieren zu können, als satisfaktionsfähig zu gelten, auf Ihre Art und Weise (ästhetischen) Einfluss ausüben zu können. Aber sie liegt auch in so etwas scheinbar Banalem wie der Achtung vor dem Geschaffenen, was Ihnen nicht ausreichend zuteil wird.

    Ich vermute (auch ich bin ja ein Paria; noch viel mehr als Sie), Sie werden die Gunst oder auch nur die Duldung des Feuilletons nicht mehr erringen können. Die Zeit für den Kotau (den Sie sicherlich niemals beabsichtigten) ist längst verstrichen. Jeder Creative-Writing-Lümmel aus den USA bekommt im Zweifel mehr Aufmerksamkeit, sofern sein Agent einen Großverlag gewinnen konnte. Zu durchbrechen wäre dies nur mit einem Subkultur-Feuilleton. Das ist nicht in Sicht (aus vielen Gründen).

    1. Lieber Gregor Keuschnig, Sie beschreiben das Dilemma exakt. Ich habe in der Tat die Sehnsucht nach auch öffentlicher Anerkennung durch eben die Art Nest, aus der ich komme, oder in das ich hineinwollte: das “bürgerliche” Feuilleton, die öffentliche Anerkennung. Ja. Es wäre klein, das zu leugnen. Aber ich bin nie bereit gewesen und bin es nach wie vor nicht, mich – das ist immer: meine Arbeit – dafür zu korrumpieren. Diesen Preis zahle ich nicht, was vielleicht ich selbst gar nicht so sehr zu vertreten habe, wie es ein Ergebnis der sehr großen Geschichtsschuld ist, die auf meiner Familie liegt. Ich bin moralisch verpflichtet, und spüre das, mich anders zu verhalten als ein Mitläufer oder gar Mittäter. Das fängt bereits bei Zugeständnissen an, die andere Menschen mit einer anderen Geschichte noch gar nicht als korrumpiert verstehen würden; ich bin in der Hinsicht extrem empfindlich. Schon deshalb käme ein Kotau nicht infrage, und kam es nie. Was nicht bedeutet, daß ich meinen Kopf nicht vor wirklichen Autoritäten beugte. Einige habe ich persönlich kennengelernt, und sie wirken bis heute in mir nach: Karl-Otto Apel zum Beispiel an der Frankfurter Universität, doch schon vorher mein Gesellschaftskundelehrer am Abendgymnasium, Gruber, der für Brot für die Welt tätig war in allen seinen Ferien, ein Mann mit jesuitischen Hintergrund, übrigens. Mein Deutschlehrer Martin Korol, der in den Kreis um Bloch gehörte, dann einige Große aus den Künsten, von Carlos Kleiber über Hans-Jürgen Syberberg, vor allem auch Wolf Vostell, sowie später mein Lektor Delf Schmidt. Dann die großen Frauen meiner Projektionen: Romy Schneider denen allen voran, aber die Bovenschen auch, und Camille Paglia; die unerbittliche Marianne Fritz, die zum Weinen, in ihren Sonetten, große Christa Reinig, der auf unfaßbar elegante Weise konservative Borges, das heiße Blut Alfred Döblins, das ihn in den Katholizismus brachte, Pound auch – immer alles jenseits dessen, was Erlaubnis hatte, weil es nicht darauf ankommt, ob einer paßt oder sich passend macht.
      Tatsächlich ist mein Schmerz beim vermißten und von Ihnen zu recht so bezeichneten Banalen viel größer, als was die Satisfaktionsfähigkeit angeht, die ich unterdessen (manchmal staune ich darüber selbst) sehr viel weitergehend habe, als mir eigentlich fühlbar klar ist; ich muß aber nur, um mich ihrer zu versichern, in die derzeitigen Literaturlexika schauen. Und mir kommt von einigen Jungen, die nachwachsen in diesen Betrieb, eine Achtung entgegen, die ich so nicht für möglich gehalten hätte – ebenso wie von manchen längst durchgesetzten Kollegen, die nur offiziell sich von mir fernhalten – aus Klugheit, wie ich zugestehen muß. Aber sie wissen wie ich, daß Literaturgeschichte sich soeben schreibt, und wer schließlich “übrigbleiben” wird, das ist noch gar nicht heraus. Ich stehe zudem weitergehend im Neuen Medium als die meisten von denen, blicke manchmal wehmütig auf den “klassischen” Erfolg, da ich einfach am Buch noch so hänge, weiß aber zugleich, daß ich mit an der Zukunft drehe. Außerdem ist mein Rat ja gefragt, nur eben nicht in der Literatur: die in der Musik sind, sehen mich ganz anders. Wäre ich Komponist, wär es wahrscheinlich umgekehrt.
      Alles wäre freilich weniger schwierig, wäre die ökonomische Enge nicht. Wahrscheinlich wäre mir viel dann egal. Außerdem, wissen Sie, wenn ich jetzt stürbe, wüßte ich: da ist schon ein Werk ganz jenseits der Moden; es käme auch ARGO dann heraus, mit Macken, okay, aber die Trilogie ist zuende geschrieben, sie braucht nur noch eine letzte Hand, die nicht unbedingt meine eigene sein muß. Das geht weit über Mahlers nachgelassene Zehnte hinaus, jeder gute Lektor kann das leisten. Ich habe noch Ideen und eine Aufgabe, Friedrich II, den Staufer, nämlich, dem ein letzter Tausender, den ich schreiben will, gelten soll; aber prinzipiell ginge es auch ohne ihn. Melusine Walser ist noch zu schreiben, viele Skizzen für Erzählungen liegen hier, doch das Hauptwerk, imgrunde, das “traditionelle”, ist getan.
      Im übrigen bin ich mir sicher, daß ich nur sterben muß, und man wird mich auch im Feuilleton entdecken: weil ich dann nicht mehr querschießen, also keinen Vollzug mehr stören kann. (Ich habe das aber noch lange nicht vor, schon, weil ich gerne noch ein Kind hätte – wer in meinem Alter so etwas will, macht sich noch nicht bereit, sondern packt den Planwagen voll, um nach Westen – in meinem Fall wohl nach Osten – zu ziehen).
      Ganz herzlich,
      Ihr
      ANH

  3. @ANH “In einer Zeit, die Straßen umbenennt, damit Geschichte weg ist”

    Nun gut, wo wir schon beim Stigma des Namens sind, möchte ich doch gern einmal eine Hypothese wagen: Mit Ihrem richtigen Namen (A. v. R.) wären Sie als Künstler schon jetzt viel erfolgreicher.

    1. @ABC: Sie irren. Sie müssen sich die Zeit vor Augen halten, in denen ich das literarische Parkett betrat. Ich habe es viel mit der Ignoranz und dem bodenlosen Ressentiment der Linken zu tun gehabt, zeitlebens. Der Namenswechsel kam ja nicht zustande, weil ich eine Wahl gehabt hätte. Damals hatten einerseits die 68er die Deutungsmacht übernommen, andererseits wurde sie noch von Leuten wie Jens und Reich-Ranicki bestimmt, der durchaus stalinistisch gelernt war; diese Fraktion betrieb die SPDisierung der Bundesrepublik gerade auch für die Dichtung. Der katholisch gewordene Döblin wurde kaltlächelnd kaltgestellt, Leute wie Gaiser wurden in konzertierten Aktionen aus dem Bewußtsein radiert und nicht der realistischen Doktrin sowie der Ideologie des Kahlschlags anhängende Dichter wie Celan öffentlich ausgelacht, so daß sie die Gruppe 47 weinend verließen. Da hatte ein junger phantastischer Autor, der ästhetizistisch beeinflußt war und obendrein Ribbentrop hieß, gar keine Chance.
      Das änderte sich, in der Tat, im Lauf der späten Achtzigerjahre. Dem entsprach eine zunehmend affirmative Gesinnung, die nicht besser war als die vorherige scheinkritische. In Sachen Ignoranz und Ideologie nehmen sich rechts und links nichts, man kann sie für Geschwister halten. Ich bekam die Wende erstmals selbst zu spüren, als mich Sigrid Löffler einlud, an einem Themenheft teilzunehmen, das etwa s o heißen sollte: “Ich trage einen großen Namen.” – Menschen mit Stil lehnen so etwas ab. Weshalb ich ihr noch im Moment der Anfrage einen deutlichen Korb gab.
      Daß ich den Ribbentrop-Namen nun wieder mittrage, ist insofern berechtigt, als ich, was ich vorgelegt und durchgesetzt habe, es da schon getan hatte. Ich hätte es sowieso abgelehnt, mit etwas anderem als mit meinen Arbeiten bekannt zu werden. Ein Name kann Last sein und Verpflichung, nie aber darf er Privileg werden. Damit nicht das Eigentliche verstellt ist: nämlich das Werk.

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