„Die Lust, aus dem Nichts etwas zu erschaffen.” Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 24. September 2011, aus Bonn. Kreative Denkspiele.

6.30 Uhr:
[>>>> GSI. Auf dem Zimmer.]
Aufgestanden um kurz vor sechs, nachdem wir Trainer (ich bin jetzt sowas: ein „Trainer”), also >>>> wir Traininnen, noch einige Zeit in der Bar zusammensaßen, trinkend, rauchend, plaudernd. Ich bekam soeben meinen ersten Kaffee, einen Pott voll, den ich mir an der Rezeption abholen durfte, wo weiterer Kaffee auf mich wartet, so ich mag. Dazu freier Wlan-Zugang ins Netz und rauchen auf dem Zimmer („Dann müssen wir Sie aber zwischen den Stidendiaten einquartieren, da kann es nachts sehr laut sein” – nun, besser geht’s ja gar nicht für einen wie mich). Ab sieben gibt’s Frühstück, um neun geht es weiter.
>>>> Die Coachin hat mich gut gecoacht, meine Nervosität verflog spontan, kaum, daß wir in unserem Raum waren, die zehn jungen Leute aus quer durch die Welt und ihre Kontinente, nach Herkunft und Aussehn betrachtet; zwei oder drei von ihnen erst seit drei Jahren in Deutschland und von erstaunlichem, beneidenswertem Sprachvermögen, gut aufgelegt alle: auf die Frage, was sie denn erwarteten von solche einem Seminar kamen ziemlich exakte Antworten, etwa: „ausdrucksvoll beschreiben können”. Und als wir dann das „Flow”spiel spielten („Was ist der Flow?” Jemand wußte es, also: „Was ist der Flowww?”), war von der Tasche von Chanel über einen vergessenen österreichischen Komponisten einiges dabei, aus dem sich kurzerhand eine Geschichte ließe bauen; und toll war die Antwort: „Der Flowww ist die Lust, aus dem Nichts etwas zu erschaffen.”
Die Zeit verhüpfte im Nu. Zwei Stunden abendliches Aufwärmen von Hirn, völlig gelöst, ich sagte: „Jonglieren mit den Wörtern”, was ein Jonglieren mit Worten mit einschließt.
Derweil meldeten sich hier zwei meiner unverdrossensten Narren wieder, die dem Triumphator, also mir, vorhergehn, aber rückwärts, um ihn zu beschimpfen nämlich – was >>>> zu komischen Verwechslungen Anlaß gab; Edith ist allhier und schäumt wie blöd, was sie ist. Ich mag sie nicht mal mehr löschen. Zu befürchten steht allerdings, daß sie mit „muus”, dem Zweiten, schlafen geht und eben doch nicht schlafen. Sondern die beiden machen dann an sich rum. Bei einigem Pech, das sie für Glück halten würden, würd ein Ableger draus, oder würden es drei oder vier, ja bis ein ganzer Schwarm von Muusiths88s Die Dschungel durchschwemmte. Sumpfgebiete entstünden dann, in die man besser nicht tritt.
However.
Ich will noch eine halbe Stunde an meinem Opernaufsatz werkeln, dann geh ich mal gucken, ob mein Allan-Pettersson-Aufsatz schon heute in der FAZ steht, wenn, dann auf der Schallplattenseite, oder erst morgen in der Frankfurter Sonntagszeitung, was mir, Hand aufs Geschlecht , denn da schlägt mein Herz, doch lieber wäre: er wär dann nicht funktional. Wiederum: „Ich rauche nicht vor meinen Schülern”, sagte eine Trainin (Tränin?) in einem Päuselein, wir standen draußen auf unsren Terrasschen, die auf die Wiese hinausgehn. Ich rauchte um so entschiedener. So viel Zensur schon in unseren Köpfen. Würde eine entsprechende Losung ausgegeben und gesetzlich auch noch durchgedrückt, >>>>> fingen wir uns zu schämen an, vor unseren Schülern etwas zu essen. Da hatte Buñuel schon recht: bei genügend öffentlichem Konsens fänden es alle in Ordnung, Roben und Schmuck sich auf dem Donnerbalken vorzuführen, die Ärsche frei im Rund.

11.31 Uhr:
[Seminarraum.]
Alle, bis auf den jungen Mann aus dem Kossovo, sind jetzt ausgeschwärmt: in ihre Zimmer, in die Weite des Parks, auf die Wiese, ins Café, um zu schreiben. Eine grandiose Idee der Coachin: Wir fluten die kleinen Seminarräume mit Bildern von allem, was die Welt ist, darunter auch manch heikles, gemessen an den verschiedenen Kulturen. Nicht selten, als wir die Bilder aufhingen, mit Tesakrepp, quer durch den Raum, auf die Türen, Fenster, den Boden, an die Tische und Wände, die Flipcharts und Laptops… alles, alles ruft auf uns ein. Und jede Stipendiatin, jeder Stipendiat wählt ein eigens Bild für sich aus, mit dem man wirklich etwas zu tun hat, sei’s, daß man ablehnt, was man sieht, sei’s, daß man’s ersehnt, in jedem Fall eine Art Trauma, ob vom Nachtmahr, ob von der Anima. „Denken Sie an die Formen, die wir heute morgen bespielten: soll es eine Reportage sein, ein Brief, eine Erzählung, ein Gedicht, und denken Sie an die Sprachniveaus, mit denen wir operieren können, ob elaborierte Hochsprache, ob Jargon, ob poetisch, feinsinnig, ordinär, alles, wirklich alles ist erlaubt. – Nur sage bitte jeder den andren zuvor, weshalb Sie Ihr bestimmtes Bild ausgewählt haben.” Und dann gibt es – Zeit, viel Zeit, gemessen an den Fünfminutensprüngen zuvor, in denen das Hirn über Hürden mußte.
Und alle schreiben jetzt.

2 thoughts on “„Die Lust, aus dem Nichts etwas zu erschaffen.” Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 24. September 2011, aus Bonn. Kreative Denkspiele.

  1. Es war sehr vergnüglich zu beobachten, wie schnell und brennend Sie in die Situation fanden; genau so hatte ich es mir vorgestellt. Meiner Erfahrung nach wissen Heranwachsende Profil zu schätzen: Sie mögen an Trainer:innen, wenn diese auch T y p e n sind.

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