6.12 Uhr:
[Arbeitsjournal.]
Imgrunde lassen mir meine Gedanken momentan gar keine Zeit, Musik zu hören. Aber eine Mitarbeiterin der Komischen Oper lud mich gestern >>>> zum „Weißen Rössl” ein; sie meide Operetten zwar wie ich, aber Baumgarten inszeniere prächtig. Aßerdem will ich am kommenden Mittwoch unbedingt noch einmal >>>> Bieitos Gluck-Inszenierung der Armida sehen. Ich meine ja aber auch nicht Opernbesuche, sondern Musiken hier, während der Arbeit. Mein Kopf schwirrt vor Innengesprächen zu den Projekten; zur „Romantik” zwar schwirrt es noch nicht. Das muß beginnen.
Seit halb sechs auf. Latte macchiato. Eigentlich muß ich alles andere jetzt beiseitelegen und mit dem Entwurf des neuen Hörstücks beginnen. Aber ich ging eben dann doch noch mal an die Kleine Litblog-Theorie und fügte ein weiteres Segment aus Der Dschungel ein, das nicht direkt hineingehört, sondern ich fand’s zufällig. Aber es paßt. Gut, dann eben, damit die Kontinuität nicht völlig abreißt: jeden Tag eine weitere Seite überarbeiten.
Aber dann.
Zuerst heute früh die Rezension für Volltext schreiben, damit der Termin eingehalten ist. Das wird die jetzige Früharbeit. Dann den Scheibtisch wieder aufräumen, „klären”. Und mit der Arbeit am Hörstück beginnen. – Die „Grundtexte” heraussuchen: Friedrich Schlegel, gesammelt; Novalis, alles; Walter Benjamin (da stell ich mir aber nicht die Gesamtausgabe auf den Tisch, sondern ziehe nur die Bände, in denen ich auf entsprechende Aufsätze stoße); meine eigenen Sachen hab ich im Laptop (Wolpertinger z.B.; ich spiele mit der Idee, Teile draus für das Hörstück zu dramatisieren); Jack Kerouac; Paulus Böhmer; anderes mehr. Sodann im Netz stöbern. Ab heute nachmittag werden schon Notate/Zitate in eine eigene Notate-Datei für den Entwurf des Stücks kopiert. Dazu, selbstverständlich, eigene Überlegungen. – Am Ende der morgen beginnenden Woche will ich das Typoskript fertig haben. Dann müssen die Originalton-Aufnahmen entstehen, vor allem der Spaziergang durchs nächtliche Berlin, den ich zur akustischen Grundlage des Stücks machen und mit Naturaufnahmen kontrastieren will, die in meinem O-Ton-Archiv auf endliche Verwendung warten. In der Zeit, übernächste Woche also, müssen die Sprecher bestimmt und engagiert werden, und sie müssen dann sehr schnell das Typoskript bekommen. N a c h dem 25.11., wenn alle Aufnahmen hier vorliegen, beginne ich mit der Montage. Da hinein fällt noch das Lektorat der Fenster von Sainte Chapelle.
Ich leg mal los.
(Übrigens bin ich geneigt, >>>> dieses Geschehen als Literatur zu betrachten; es gehört ins >>>> Melusine-Walser-Projekt. Heikel ist das insofern, als eine wirkliche Person betroffen ist, die in Der Dschungel, schrieb sie mir, allerdings mitliest. Sie weiß, daß sie benutzt wird; das eben will sie auch, aber als Körper und konkret sexuell, nicht als Figur im symbolischen Raum der Literatur. Der ihr übrigens völlig fremd ist, anders als der Löwin, die mit ihm ganz ebenso wie ich zu „spielen” weiß. Technokratisch ausgedrückt: Josefine ist ein Element in meiner Datenerhebung, indes die Löwin solche Daten mutwillig (mit)schafft. Feldforschung: Josefine wurzelt, und kann da nicht weg, im Acker; die Löwin springt mit weitem Satz auf ihn drauf. Ihr „Sammel mich!” ist Drohung. Wieder anders, und irgendwie dazwischen, die Samarkandin, die zudem >>>> mit dem Gräfin Kontakt hat. Aber um alldas kann ich mich jetzt nicht kümmern. Dennoch, schlag-, nein stichartig eben, als ich den zweiten Latte macchiato bereitete, das Bild eines Gestüts vor Augen, dessen Geschöpfe mit einer gestanzten Auszeichnung im Ohr in die Welt entlassen werden, mit so einem Wimpelchen wie Steiff-Tiere oder einem >>>> farbkodierten Metall- oder Plastikring. Aber das ist jetzt wirklich ein anderes Thema, anderes Projekt:
Landra. Landra hatte ich ganz vergessen. Und hinter alledem steht immer die bedrohliche Frau, die eigentlich Starke… wobei „stark” nicht richtig ist, vielmehr: die Mächtige, gegen deren mythische Grausamkeit sich der Mann erhob. Selbstverständlich ist das seinerseits mythisch gesprochen. Aber, so gesehen, handelt es sich um Bändigungsrituale, deren Patriarchales dann dumm wird, wenn man sich dessen nicht mehr bewußt ist, etwa: weil man’s vergaß. Meist ist’s nicht nur vergessen, sondern verdrängt worden. Dann wird es tumb. Hiergegen sehr klar Cato: „Den Augenblick, sowie sie anfangen, euch gleich zu sein, werden sie eure Herren sein.” Es ist mir völlig bewußt, daß dieses Thema in meinem Leben auch nicht von ungefähr eine solche Rolle spielte, hätte ich nicht diese übermächtige, auf ökonomischen und sozialen Rang fokussierte, restlos antisentimentale Mutter gehabt und so ziemlich das Gegenteil als – zudem durchweg abwesenden – Vater, der, letztlich, eine gleichermaßen tragische wie lächerliche Figur war.
Jetzt aber an die Rezension. Nein, erst mag ich die Löwin wecken.
7.45 Uhr:
Wiederum paßt das Thema Matriarchat/Patriarchat recht gut zur Romantik, siehe >>>> Bachofen.
11.40 Uhr:
Soeben mit dem Entwurf der Rezension fertiggeworden. Ein ganz leichtfüßiger Satz beendet sie:Und ein so feiner Lebensekel, daß er zur Bitternis nicht taugt, gibt den Erzählungen die Süße.
Jetzt den Schreibtisch „klären”, dann Mittagsschlaf, dann noch einmal über die Rezension drüberschauen. Danach lasse ich sie bis übermorgen „abhängen”, damit ihr Fleisch mürb genug ist, um publiziert zu werden.
Nach dem Mittagsschlaf beginne ich mit der Romantik-Arbeit.
18.39 Uhr:
Sò. Bis eben zur Romantik gelesen und quer durchs Netz meine Bookmarks gesetzt, einiges als pdf’s gedruckt; die Sammlung vervollständigt sich. Wichtig ist die Assoziationskette Romantik nach unendlich, wobei letzteres sowohl „digressiv” als auch „fragmentarisch” bedeuten kann. Da der Begriff Romantik direkt auf „le roman” bezogen ist, womit eine nicht (etwa qua Vers) gebundene Erzählung gemeint war, die auf einen Protagonisten fokussiert ist, ist ihm das Literarische per se eingeschrieben. Vollendet wird das Romantische aber, das ist mit Schopenhauer sicher unstrittig, in der Musik.
Zum Konzept habe ich >>>> einen offenen Kommentarwechsel begonnen, dessen erste Zusammenfassung sich aufgrund eines Email-Wechsels an >>>> Schlinkert richtet. Der sei nun dort als jener Roman-Protagonist verstanden, der uns ins selbe Plenum führt. Daß nämlich auch Sie mitdiskutieren mögen möchten, erhoff ich mir davon.
Ich darf nicht vergessen, daß ich morgen vormittag >>>> eine Lesung im Berliner Ensemble habe. Da das eine Art Mengenveranstaltung ist, hab ich sie nicht in einem eigenen Beitrag annonciert. Um elf wird’s da losgehen; ich werde ein Stückerl einer Bamberger Elegie vortragen.
Meine Augen werden sehr müde grad. Ich ziehe Lider und die obere Wangenmuskulatur gegen eine Art trockenes Tränen zusammen.
Müttermythologie Was die Mütter angeht: Ihre Texte, glaube ich, sind dabei klüger als Sie, namentlich die Aeolia und die Bamberger Elegien. (Das ist kein Vorwurf. So muss es sein, wenn ein Text gelingt.)
@Melusine. Für den Text (präziser: für die Dichtung) bin ich selbst, als ihr Autor, nichts als – Position. Und selbst darin vage, weil in ihr schwankend von Text zu Text. Wegen der Mütter habe ich lediglich Erfahrung; und die ist persönlich, nicht abstrakt, was ein anderes Wort für allgemeingültig ist.
Darüber wäre zu schreiben: daß das Allgemeingütige immer ein letztlich Unkonkretes ist. Nehmen wir, um im Themenbereich zu bleiben, den Schmerz: daß wir ihn nicht haben wollen, stimmt lediglich abstrakt; konkret gibt es nicht wenige (erwachsene!) Menschen, die Lust aus ihm ziehen, und zwar auf beiden Seiten.
In meinem Beitrag oben deute ich einmal mehr die Spuren an, denen ich nachgehe, um einer Erzählung Fundament abzuschreiten. Mehr nicht.
Ein Beispiel „Den Augenblick, sowie sie anfangen, euch gleich zu sein, werden sie eure Herren sein.” Dieser “klare” Satz von Cato ist – zumindest in dieser Übersetzung – deshalb Unsinn, weil er die männliche Perspektive nicht “verflüssigt” (oder – wie Sie schreiben “schwanken” lässt.) Mütter, so sie Müttet sind, wollten und würden nie “Herren” sein, selbst wenn sie die Macht hätten/haben. Das ist keine Wortklauberei. Weil: Macht und HERRschaft n i c h t identisch sind.
(Zur Klarstellung: Damit will ich nicht andeuten, weibliche Machtausübung sei “besser”. Innerhalb eines patriarchalischen System können selbstverständlich auch Frauen nur “herrschen”. Ein Matriarchat aber wäre eben so wenig gewaltfrei, insbesondere mit Blick auf das männliche Kind. Ja, der “Aufstand” hatte/hat Gründe.)
@Melusine zu Cato. Die logische Herleitung ist mir nicht nachvollziehbar. Ich schrieb nicht, daß Catos Satz die männliche Perspektive verflüssige. Das Gegenteil tut er, aber er benennt zugleich den Grund. Wiederum ist Ihr Satz “Mütter, so sie Mütter sind, wollten und würden nie “Herren” sein”, reine Ideologie. Denn sie s i n d Herren -“Herren” jetzt auch hier im Sinn eines, das Herrschaft ausübt. Das tut eine Mutter in jedem Fall, indem sie nähren oder nicht nähren und sehr wohl sanktionieren kann. Sie kommt um Herrschaft sogar gar nicht herum, will sie sich nicht strafbar oder wenigstens schuldig machen. Das Verhältnis ist auf jeden Fall eines von schwach zu stark.
Wohlgemerkt, das ist kein moralisches Urteil, bewahre, sondern einfach die Beschreibung eines sogar notwendigen Zustands. Übrigens s i n d Macht und Herrschaft identisch, allerdings in verschiedenen Hinsichten: jene ist der Zustand, diese seine Realisierung. Selbst, wenn Macht nicht ausgeübt würde, aber da ist, kann sie von Nicht-Mächtigen als Bedrohung erlebt werden. Bedrohung “mütterlich” in Aufgehobensein zu verkehren, ist, so gesehen, Perversion, nämlich dann, wenn der Schwächere sich freiwillig in dieses Aufgehobensein hineinbegibt.
Entscheidend ist aber Ihre Einschränkung “so sie Mütter sind”: da wäre die Definiton von “Mutter” zu klären. Statt dessen unterschieben Sie eine Ontologie. Das meine ich mit “ideologisch”.
“Die logische Herleitung ist mir nicht nachvollziehbar. Ich schrieb nicht, daß Catos Satz die männliche Perspektive verflüssige. ” – Und ich schrieb nicht, dass Sie das geschrieben hätten, sondern dass der Satz Unsinn sei, weil er (der Satz) es nicht tue. Egal.
Den Ideologie-Vorwurf finde ich unberechtigt. Es geht doch, mir zumindest, um die Müttermythologie, nicht um reale Mütter (selbstverständlich “herrschen” die). Die mütterliche Macht (mythologisch gesehen) ist von anderer Art: als eine Seins-Weise. Das meinte ich mit “so sie Mütter sind”, nämlich: insofern es um das “Mutter-Sein” geht und nicht um ein konkretes Leben a l s Mutter (in dem das allenfalls “anklingt”). Es ist wahr, dass diese “mütterliche” Macht “gebrochen” werden muss, anders kann das Kind (symbolisch) die Nabelschnur nicht durchtrennen. Glauben Sie ernsthaft, das bestritte ich?
@Melusine. Aber nein, das glaube ich nicht. Sondern der Satz ‘dass diese “mütterliche” Macht “gebrochen” werden muss, anders kann das Kind (symbolisch) die Nabelschnur nicht durchtrennen’ ist auch symbolisch lesbar, wenn man ein vorgängiges Matriachat annimmt und “das Kind” durch “der Mann” ersetzt; es geht da um allegorische Bezüge. Auch den Muttergottheiten wurden Blutopfer gebracht. Und wenn Sie sich SM-Pornografie aus der lesbischen Szene anschauen, werden Sie erstaunt darüber sein, um wieviel oft härter und grausamer sie ist als vergleichbare von Männern. Ich ziehe daraus keinen normativen Schluß, sondern einen assoziativen, ungefähren. Jedem Cato stelle ich mindestens einen D.H.Lawrence gegenüber und jeder Camille Paglia wenigstens eine Judith Butler. Und mich. Sowieso. Die Matrix lebt nur insgesamt, sie kann nicht ausschließen. Bei “Systemen” ist das anders. Womit ich dann abermals >>>> bei der Romantik gelandet wäre.