Jede Sucht will ihre Katastrophe ODER Das irdische Leben. Gerd-Peter Eigner. Aus dem Entwurf (2).

Wobei das so überaus Erstaunliche ist, daß dieser Romancier a l s Romancier mit seinem ersten Roman schon ganz fertig gewesen ist. Er war schon deshalb keiner, den man hätte entdecken oder gar „machen” können, sondern da bereits vollständig ausgebildet, so, als würde sich an ihm nichts mehr verändern – ob das auch für den Menschen Eigner so war, wage ich sicherheitshalber nicht zu fragen. Doch ist er darin grundsätzlich anders als viele seiner Kollegen, die sich, wie’s Portomonaeie und der Zeitgeist so wollten, in dessen Läufte fügten, und zwar nicht, weil sich ihre Ästhetik, sich verändernd, entwickelte, also aus Gründen der, sagen wir, literarischen Evolution, sondern aus ökonomischer „raison”. Die wenigsten blieben ihren gesellschaftlichen Überzeugungen treu – zu nennen wäre allerdings noch der große Stilist Hermann Peter Piwitt (auch er ein Apostat schon zu Beginn: er ließ sich auch kommunistisch den sogesagten Faschisten D’Annunzio nicht nehmen) -, jedenfalls hat Eigners Romanwerk seine frühe politische Einlassung Punkt für Punkt realisiert, zu der auch und gerade und immer wieder Erde gehört: gegen alle abstrahierende Feinsinnigkeit beharrt Eigner auf dem Geschlechtlichen. „(…) Habe ich gesagt, daß sie ein Höschen anhat unter dem Kleid? Eines, das so weiß leuchtet wie keines sonst auf schwarzer Haut?” Diese spezielle Weise, die Erscheinungen, sinnliche, irdische Erscheinungen, zu bew u ndern, gehört zu den innigsten Momenten eignerscher Erzählkunst. „‚Genau genommen lecke ich ihr erst das Meersalz weg und versinke dann in ihrem Eigengeschmack und Eigengeruch, ich schmecke, rieche und lecke sie und höre nicht auf unter ihren Händen, die meinen Kopf umklammert halten, bevor sie nicht -: ich habe einen solchen Schrei,’ sagte er, ‚in meinem Leben noch nicht vernommen, ein Schrei wie ein Vogelruf, ein einziger zum Himmel gerichteter Schrei, Schmerz und Jubel zugleich, als stieße’, sagte Brandig, ‚die gefiederte Seele im Sturzflug (…) vor zum Kern des irdischen Planeten. (…) Der Körper aber dazwischen,’ fuhr er fort, ‚reglos. Oder besser: aus der reglos mir entgegengestemmten Straffung niedersinkend in reglos weiche Ermattung. Und sie sagt, so habe es bei ihr noch keiner geschafft. Sie umschlingt mich. Sie reibt ihre Wange über meine von ihrer Mondmilch geglättete Haut.’” Es hat ja seinen Grund, wenn Eigner in dem drei Jahre nach diesem, nach „Brandig”, erschienenen Roman „Mitten entzwei” – er sollte eigentlich „Stroff” heißen und eine imaginäre Personal-Trilogie komplettieren -, den frischen Geruch nach weiblichem Geschlecht mit dem Duft des Watts vergleicht, in welchem der Held, ein Kunstspringer, Kopf über Hals steckenbleibt, wonach er querschnittgelähmt, das heißt a u c h: impotent ist. „Ich habe, soweit ich weiß, nicht das Bewußtsein verloren. Ich habe die Trennung gespürt. Man wird durchschnitten, zerhackt, guillotiniert. Und wundert sich nur, wenn man die Augen aufmacht, daß die abgetrennte Hälfte noch an einem dranhängt. Daß sie, überflüssig, nicht weggedriftet und davongeschwemmt worden ist in der Strömung. Hinausgetragen mit dem Ebbstrom aufs offene Meer. Zu Vögeln und Fischen”, Mitten entzwei, 1988. Die Erde treibt uns, sie bindet uns aber auch fest. Der Verführung, sich dies billig mit Abstraktionen wegzulügen, widerstehen Eigners Außenseiter alle: es g i b t kein Entkommen. Genau deshalb ist Kunst auch nicht „ein willkommenes Hilfsmittel (…), das als begleitendes Ingredienz einer zuvor festgelegten gesamtgesellschaftlichen Planngsentwicklung revoltionäre Politik kämpferisch verkörpern müsse”, wie Eigner es in Richtung KPD und DDR ausgesprochen scharf formuliert hatte. Nein, wir bleiben in den tragischen Verhängnissen, sie, eigentlich, machen unser Leben aus – zumindest so lange nicht tatsächliche Gleichheit der Lebensverhältnisse, also Befreiung, erreicht ist. Schon deshalb, so Eigner weiter, werde „Kunst (…) nicht gemacht für jene, die Muße haben und ein Vergnügen am Kunstwerk”, obwohl allein sie es sind, die sie ökonomisch ermöglichen, sondern „Kunst wird gemacht für jene, die k e i n e Muße haben und k e i n Vergnügen am Kunstwerk.”


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