6.34 Uhr:
[Lleida, Hotel Conde de Urgel, Zimmer 627.]
>>>> Das war nun ein enormes Konzert! Trotz des akustisch erst so widrig wirkenden Raumes mit seinen stahlscharfen Violinen, dem Matsch aus den Bässen, dem knallenden, einem die Ohren zur Seite reißenden Blech – der vorher fast unaushaltbar aggressive Klang kippte völlig, als Publikum dawar, wurde nahezu ausgeglichen, statt des Stahls war da Seide, rund und voll war der Baß, und Durchsichtigkeit, überall Durchsichtigkeit und – Kraft. Ja, und das Publikum! Was für eines, das da herbeiströmte, als hätte es gewußt, was man zu hören bekäme, wie innig das Orchester, wie traumwandlerisch ausdrucksvoll, wie beisammen es war… mit sich selbst und mit dem Dirigenten und mit der Musik… mit allen d r e i Musiken, vor allem aber mit diesem Buckner, seiner Sechsten, die wenigstens beim ersten Hören eher sperrig, jedenfalls nicht süffig ist. Nun w a r sie es, und sie war es ohne einen Abstrich am Ausdruck, ohne etwas von der Melancholie wegzunehmen und ohne mit den Schwarten nach dem Publikum zu werfen und ohne die Blöcke zu leugnen, aus denen sie clusterartig zusammengesetzt ist. Schon während der ersten paar Takte sahen Ulf Werner und ich, die wir zusammensaßen (und zwar „lateral“, also in den Längsstühlen seitlich), uns mit geradezu benommenen Blicken an, und als der erste Satz vorüber, konnt ich nicht anders als die Backen zu blähen und von mir leise „Boaah!“ zu geben. „Ich hab doch gesagt“, sagte er, „- : Lleida.“ Das war dann unser Zauber- und Bestätigungswort. LLEIDA! Hier, wo kaum etwas für den Touristen gemacht ist, sondern die Stadt ist für die Städter, ist für ihr Leben gebaut und wird ausgebaut und mit immer weiterem Leben gefüllt, hier war man offen und neugierig und hörwillig und… – ach was, hier war man einfach da, und in dem Moment war das Orchester es gänzlich auch. Der kleine Mozart, den „wir“ (möchte ich schreiben und tu es drum auch… also:) den „wir“ gaben, schwebte, der klang nicht, zum Abschluß ironisch wie in den Batschen, unvermittelt, mit einem leisen Schauer ganz melancholisch in den Raum… Klug, sehr klug gewählt, das zeigte sich jetzt, war diese Zugabe von Zagrosek gewählt… nein, dem Brucknerpathos setzt man nicht noch eines drauf, sondern läßt es, wenn es sich legt, sich in vorsichtig schmerzende Abklärung legen.Jubel. Einer, der aufsteht, um Bravo zu rufen, ein nächster, selbst Severin v. Eckardstein, um zu klatschen, steht auf, weitere stehen auf, ein nächstes Bravo. Über dem ganzen Orchester liegt ein Lächeln, das sich beinahe selber nicht faßt. So auch, als wir, Ulf Werner und Intendant Schneider und ich, uns zu den engen Künstlerräumen drängen, um zu gratulieren, zu beklatschen, wer immer noch vom Podium kommt, um Zack zu gratulieren, der in seiner Garderobe noch in halben Hosen sitzt und selber rein nur lächelt… „Bitte, bitte… ich hab noch gar keine Hosen an.“ Wir wieder hinaus, da stehen junge Leute da, das Programheft in der Hand, „sind Sie Musiker? Was spielen Sie?“ und möchten ein Autogramm. Ich schüttle den Kopf, sie drängen sich an mir vorbei, ich dränge mich an ihnen vorbei und die Treppe hoch und aus der Tür ins Freie, da steht gleich noch wer um Autogramme an, „wo?“, „wohin?“, ich zeig nur die Treppe hinab.
Lleida. „Danke“, sag ich zu einem der Bratschisten, „ihr habt heute Menschen glücklich gemacht.“ Und bin sowas von froh, auch wieder dieses Konzert mitgeschnitten zu haben. Und bis nach zwei, wobei ich >>>> Navajas planchas aß, saßen wir alle dann zusammen, um dieses Musikfest zu feiern. Und zweie, sehr kurz vor mir gehend, feierten es dann auf ihre Art, nämlich die schönste. Dazu war die Diskretion der Versammelten von dezentester… hm… tja: „Enormität“.
(In acht Minuten wird der Frühstücksraum öffnen, dann hol ich mir erst mal einen Kaffee. War eben schon unten, da war noch alles zu, um sieben Uhr erst wird geöffnet. Nun gut, dann hab ich meiner Freude längst den Ausdruck verliehen, und Sie können schon l e s e n (und es sehen, in den Gesichtern), was gestern abend geschah. Aus gegebenem Anlaß allerdings noch eine Bemerkung, die ich sehr ernst meine. Ich hatte mich ja wegen der Templer geirrt, also >>>> am Mittwoch oben auf dem Castello, hatte ja auch soeben erst grade gelesen, „hier“ seien die Templer wichtig gewesen und präsent, aber von einer zweiten Burg, >>>> der ihren, noch nichts gewußt… ja überhaupt nichts über Lleida gewußt… und Schneider hatte mich weggespottet: „Templer? Hier? Nie! Von den Templern weiß ich alles, die Templer hab ich vor Jahren schon durch…“ Wie auch immer, hatten wir uns unterm Strich eben beide geirrt… nun kam er, noch v o r dem Konzert, auf mich zu: „Da lagen Sie falsch, da oben war keine Spur von den Templern. Das sollten Sie a u c h einmal schreiben, daß Sie einen Fehler machen… und nicht immer nur gegens Orchester schreiben.“ Das machte mich einen Moment lang baff. Aus Berlin war ja die künstlerische Leiterin des Konzerthauses angereist und hatte offenbar entsprechende Nachricht mitgebracht aus der Heimat; schon Ulf Werner hatte mir eine halbe Stunde vorher gesagt, daß mein Reisejournal im Haus ziemlich kontrovers diskutiert werde. „Der kann doch nicht einfach die Leute zitieren…“ – Doch, kann er. Und macht er. Er ist ja nicht als Agent für öffentliches Styling bestellt, um Profile zu schönen, sondern, so Ulf Werners Wort vor dem Orchester, als Chronist. Und wenn man sich so einen holt, einen wie mich, muß man sich klarsein darüber, wer das denn ist, der ich bin. Mal abgesehen davon, daß noch keiner der Musiker bislang – und einige haben nun schon in Der Dschungel meine Notizen gelesen – auf diesen mir so vorgehaltenen Gedanken verfallen wäre, im Gegenteil eher… und tatsächlich bin ich, so gut es einer versteht, der nicht eigentlich dazugehört, bei den Musikern, atme und esse mit ihnen, ziehe mit ihnen umher, höre mir an, was sie sagen, was sie beklagen, was ihnen gefällt, wofür sie selber dankbar sind und, teils, wovon sie träumen. Das möcht ich hier klargestellt wissen. Ich nehme sie ernst. Das täte ich gerade nicht, verpaßte ich ihnen eine Coiffur, die sie rein auf PR zurechtschneiden will. Nein. Eben das werd ich nicht. Ich bin nicht >>>> J. Walter Thompson und werde Niederlagen nicht Triumphe, aber auch Triumphe nicht Niederlagen nennen. Wenn jemand etwas anderes will, darf er das gern als Kritik kommentieren; ich würde, gewiß, nichts davon löschen. Sondern, wie jetzt auch hier auf ein Gerücht, entsprechend reagieren.)
Jetzt hol ich mir meinen ersten Kaffee. Und in Lleida w a r e n die Templer.)
7.19 Uhr:
Nun steht der Kaffee da. Im Frühstücksraum saßen erst ein Musiker und der spanische Agent der Tournee. Ich zapfte mehrere Espressi nacheinander in ein Kännchen, gab heiße Leche (katalanisch: Lau) dazu und schob wieder ab.8.22 Uhr:
Eine lange Reise haben wir jetzt vor uns nach Madrid; für die Busfahrt sind sechs Stunden angesetzt, aber sie kann durchaus auch länger dauern. Dabei sind die Umstände dann noch verzwickt: drei erste Violinen fielen aus, ein Musiker kollabierte im Supermarkt, eine Musikerin wurde so krank, daß sie ebenfalls ausfällt, und eine hat einen Trauerfall in der Familie, so daß sie gestern heimreisen wollte und das herzensgemäß dann auch tat. Das Posaunenproblem muß nun auch für Madrid wieder neu gelöst werden, zwei Ausflüglern nach Barcelona wurde die Kamera geklaut („plötzlich riß jemand am Schulterhalfter, riß die Kamera weg, wir waren völlig überrascht, nur einer von uns sprintete hinter den Dieben her, aber da war keine Chance in den Gassen“)… und und und. Hier liegt mein Rucksack völlig entpackt, das muß gleich alles wieder zusammen, bevor ich ruhig ans Frühstück kann, und die Fotos für >>>> die Konzerthaus-Site sind noch zu formatieren. Und dann ist Abschied zu nehmen. Von Lleida. Lleida ‚ollah! Vor dem späten Nachmittag lesen Sie nun nichts mehr von uns.
17.45 Uhr:
[>>>> Hotel Praga, Madrid.]
Man darf unsere Fahrt eine ruhige nennen, und ruhig hat sie auch erwartungsgemäß länger dauern dürfen, als geschätzt war; zwei Pausen gab es darin, eine von 20 Minuten, eine von einer dreiviertel Stunde, bei der ich mich, anstatt mir rechtzeitig mein Essen zu holen, mit Ulf Werner verplauderte, mitten auf dem Parkplatz, das war wahrscheinlich ein absurdes Bild, so aus den deutschen Verhältnissen heraus betrachtet und bemeditiert. Plötzlich hatte ich dann wieder nur zwanzig Minuten, stürmte in die sehr sehr alte Imbißhalle hinein, überall standen Automaten für Süßigkeiten herum und für Cola und Spielzeug und für Gewinne, die man nicht macht; es gab extrem guten Caffe, der extremistisch preiswert war usw. usw. – aufregend wurde das Land selbst schließlich nur da, wo Gebirge sich auftat; sonst alles Agrarland, wenn man Glück hat als Bauer… in der Ferne sichtbar, immer näher herankommend dann und schließlich riesig ein einsamer schwarzer Stier im Zeichen von >>>> Osborne… mit Helge v. Niswandt gesprochen, geschlafen etwas, versucht zu lesen… hatte mir endlich meines Freundes Wolfgang Schlüters >>>> Anmut und Gnade vorgenommen, nicht ahnend, daß des Dichters Roman mit dem Aufbruch eines Kammerensembles zu einer Tournee beginnt, eine Liebesgeschichte auf der ersten Seite begonnen und schon auf der zweiten beendet wird, weil das Flugzeug – abstürzt. Großartig gemacht, mit Grandezza und Mut, wie ich das von Schlüter kenne… aber eben zur falschen Minute aufgeschlagen, weil mich aus Berlin ein Anruf erreichte: „Sagen Sie mal, schlafen Sie nie? Wieviel Zeit brauchen Sie, um zu ruhen?“ Ich hatte den Eindruck, er wolle mir den Rücken stärken wegen dieser ulkigen Berliner Kritik, ich stärkte zurück, indem ich fast „diese“ gesagt hätte und die Busfahrt gemeint, das aber eben unterließ, um meinerseits rückenstärkend und in anderer Namen die Umprogrammierung der Konzerthaus-Site zu versprechen, frames in dynamisch… aber wissen Sie, Leser, so richtig Ahnung hab ich selbst davon nicht. Ich bin allein Experte bei Templern. Doch gibt es Katanga, der wird hier in letzter Zeit viel zu oft vergessen, verzeih mir, Freund.
Gut, Einfahrt nach Madrid. „Die Fahrer haben alle ein elektronisches Leitsystem vorne an der Armatur, aber keiner richtet sich danach. Wie gestern abend. Statt dessen diskutieren sie untereinander nach einer mehrfachen Fehlfahrt >>>> wie gestern (im Link um 19.22 Uhr) die Sache untereinander heftig aus…“ Diesmal kann ich nicht entscheiden, ob’s eine Fehlfahrt/Einfahrt war. Doch unsern Spaß hatten wir dennoch. Wissen Sie, wenn das Hotelmanagement sowas um 120 elektronische Schlüssel vergibt, auf denen aus Sicherheitsgründen auch die Zimmernummer nicht steht, und wenn sie dann all diese Schlüssel, also Kärtchen, vor der Ausgabe mischt und einfach aufeinanderlegt wie einen Stoß Karten ohne Bild, dann kann man was erleben.Ein riesiges >>>> Tohubawohu an der Rezeption nämlich, das normale Genöle der Dauernöler draußen vor der Tür („gegens Orchester“, meinethalben, aber wenn so ein Nöler dann sein Instrument nimmt und anfängt zu spielen… ich s a g Ihnen, da vergeben Sie alles! und sag Ihnen alleine deshalb nicht, welches, das ist doch nun mal klar… wenn einer so wunderbar spielt, darf er auch gern in Kaffeekannen pinkeln, wenn ihn etwas fuchst, ob der Fuchs recht hat oder ob nicht. Meine Meinung.)
Jedenfalls verging eine nette BeineinbauchstandsZeit; außerdem mögen die drei Fahrstühle immer nur auf e i n e Ruftaste reagieren, und man darf auf keinen Fall dadraufdrücken, während ein Fahrstuhl unten ist. Der fährt nämlich sonst nicht hoch. Außerdem darf man sich vorm Türenschließen um Göttinswillen nicht bewegen, weil er sich dann auch nicht bewegt. Sowas lernt man hier alles. Hübsch auch: „Große Stadt, schlechtes Hotel“, was mir *** bereits zehn Minuten vor der Ankunft zugeraunt hat. Schlecht ist es nun nicht, aber groß. Und die Zimmer sind schlicht, was okay ist, solange es eine Toilettenbürste gibt. Selbstverständlich gibt es keine, aber ich habe diesbezüglich während unserer Reise einiges Geschick erlernt und schau ja sowieso immer dankbar gen Bidet, wenn ich sitze. Ein Virtuose-selber, wenigstens diesbehufes, bin ich auf der Reise geworden.
Wenn Sie die Website des Hotels öffnen, muß ich Ihnen über die Lage nichts mehr schildern. Das ist in solch einer Riesenstadt auch okay, wir nehmen die Metro um halb sieben. Dann ist ein Trupp von uns verabredet nämlich. Silvia will Schuhe kaufen, das find ich für Frauen ein unabdingbares Engagement, für das ich Templerritter würde, zumal Nerina vortags in Sachen Blusen unfündig blieb. Immerhin gibt’s hier vom Vortag ein Bild.Die Liebe war ein Thema während der Fahrt. Dazu mag ich später etwas erzählen, diskret, aber ernst, weil es nicht falsch ist, wenn Musikliebhaber verstehen, was dieser Beruf ebenfalls kostet. „Er soll meine Sprache sprechen, wie können wir sonst reden?“ Ja und dann sei dort mal im Ausland und lebe und arbeite dort… Es flossen sogar Tränen… und dann, wie sich diese Menschen gegenseitig auffangen, sich halten, welche Zärtlichkeit mitunter alleine in den Sätzen ist… Meine Leser kennen meinen Kunstdarwinismus, der mich leise hineinsagen ließ: „Weißt du, weil du so fühlen kannst und weil du weinen kannst – darum hast du diesen Ton.“ Wir, immer, bezahlen für das, was wir tun, nur daß das keine Rechnung ist, die gestellt wird, sondern das, was Saint-Exépury „sich austauschen gegen etwas“ genannt hat. Künstler zahlen mit Seele, und was sie bekommen, Leser, bekommen nicht sie, sondern Sie.
So vergeht über die Causerie die Zeit… Ich stell das eben ein, stelle die Bilder hinzu, und dann mach ich mich auf. Bis später. (Ich habe das hier eben alles eilig in meinen Laptop getippt; es wird Fehler im Text geben, die ich mir nachzusehen Sie bitte. Will mich nicht verspäten, will aber auch Sie auf dem laufenden halten. Ich korrigiere den Text später noch durch. Versprochen. Und zu >>>> Amalia erzähl ich nachher auch noch etwas, das eben a u c h zu diesem Beruf gehört..)
Weiter so! Bisher eine hervorragende Berichterstattung über ein reisendes Orchester! Interessant, dass es bei solchen Vorhaben i m m e r Bedenkenträger seitens der Protagonisten gibt. Die Sicht eines Beteiligten aus dem Thema heraus ist immer stark subjektiv verzerrt, im Vergleich zum Blick auf ein Thema drauf von einem Aussenstehenden. Dieser Blick mag zwar auch subjektiv geprägt sein, liegt jedoch meist näher an der Realität. Dieses Phänomen begegnet mir alltäglich bei meiner Arbeit fürs Fernsehen. Schade, dass wir nicht mit der (Fernseh-)Kamera dabei sind. Was leider fehlt, sind Musikbeispiele, Töne überhaupt. Alles in allem: Bitte weiter so!
dito kann mich Stromberg nur anschließen. tatsächlich wende ich momentan alle zeit, die ich mich mittagspausend in der dschungel aufhalten kann, darauf, das reisejournal zu verfolgen, wo man eben ganz andere einblicke bekommt als oftmals in fernsehreportagen, geschweige denn als afficionado im konzertsaal.
merkwürdig, dieser vorwurf gegen das orchester zu schreiben. haben die bedenkenträger nicht die attribute bemerkt, mit denen ANH die jeweiligen konzerte versehen hat? da sollten die damen und herren aus dem musik-feuilleton, bzw. aus der berliner szene doch andere töne kennen, nein? – aber es scheint immer eine frage von nähe und distanz zu sein: der parasit (bitte wörtlich zu nehmen: derjenige, der direkt daneben sitzt) ist prinzipiell verdächtiger als der kritiker im entfernten parkettsitz.