Reisejournal, Fünfter Tag. Konzerthausorchester Berlin. Nach und in Pamplona. Dienstag, der 12. Februar 2008. Abermals Haydn, Strawinski, Franck, Schumann.

Nachts noch, 2.23 Uhr:
Zweites Lehrstück: Bindung und Auflösung. Was mir zu begreifen so schwerfällt. Man muß es aber wohl können. Und höre meinen Mitschnitt von >>>> eben, heute abend, was jetzt längst der vergangene Tag ist.

8.59 Uhr:
[Zaragoza, Hotel Goya. Haydn, Sinfonie Nr. 88.]
Drei Euro pro Viertelstunde verlangt man hier seit heute morgen für den Netzzugang; man scheint gewittert zu haben, mit uns ließe sich noch ein feines Geschäft machen, und hat quasi über Nacht ein extra Tischchen mit zwei Computern aufgestellt; ich habe einen zu dicken Kopf, um wirklich irritiert, aber auch, um drüber amüsiert zu sein. Der dicke Kopf hängt mit meiner hierüberstehenden, dann abgebrochenen Bemerkung zusammen. Wir waren nach dem sehr sehr schönen Konzert noch in einem recht edlen Restaurante essen, dann zog es ein paar, mich mit, in einen Pub, wo andere Musiker einen Geburtstag, glaube ich, feierten. Da stand ich dann aber nur noch anschlußlos herum; es war einfach z u privat. So nahm ich meine Jacke und schritt, es war gegen zwei Uhr, in die hellgelb erleuchtete Zaragozer Nacht. Bindung und Auflösung. Es ist mir einfach unklar… je nun, wie immer, krieg ich die Lust am Pop, der ja doch eine Art Schlager ist, nicht auf die Reihe; ich versteh’s einfach nicht, gerade bei Musikern. Wiederum verstehe ich nicht, weshalb nicht der Dirigent zum Essen mit seinen Musikern mitgeht; ein Feldherr gehört zu seiner Truppe, nicht permanent, sicher nicht, aber nach Aufführungen wie nach Schlachten, und wenn es nur für eine halbe Stunde auf ein Glas Wein ist – wenn etwas schiefgelaufen ist, sowieso, um zu stützen, aber auch nach so geglückten Abenden wie gestern. Danach dann läßt man sie allein, damit die Leute nicht nur feiern, sondern auch, wenn sie mögen, nach Herzenslust ablästern können; man hat sie schließlich auch getriezt. Jedenfalls hielte i c h das so, Introvertiertheit nun hin und Fremdheit nun her.

<Stravinski, Capriccio.]

Bin spät aufgewacht, irgendwie hör ich jetzt morgens den Wecker nicht mehr. Aber kann ja eh noch nicht ins Netz. So müssen Sie warten wie >>>> die Konzerthaus-Page, deren Webmaster ich eigentlich abends oder sehr frühmorgens je ein paar Auswahlfotos schicken soll und bisher auch geschickt habe. Doch gestern, Sie werden’s nicht glauben… ich hatte ja alle Zeit einen freien Netzzugang im Auditorio gehabt, und als nun die Aufführung vorüber war, spurtete ich los, um draußen >>>> das schöne Schlußbild (im Link ganz unten) zum Konzert in Die Dschungel zu stellen. Noch zeigt mein Wlan eine bestehenden Verbindung an, ich lade das Foto hoch, will’s einstellen… in dem Moment schaltet jemand das Netz a b. Ich war vielleicht was von perplex. Wahrscheinlich hat die Technik des Hauses nach Schluß des Konzerts alles runtergefahren. Und weil es sehr spät war (wir kamen erst kurz nach 23 Uhr in den Transferbus zum Hotel), waren die Internet Points bereits geschlossen.
Dieser Stravinski, übrigens, ist ein tolles Stück!
Ich höre meinen Mitschnitt von gestern abend durch, während ich dies tippe und bis ich zum Internetcafé losschieße, damit Sie noch was von der Spanientournee zu lesen bekommen, bevor wir nach Pamplona weiterfahren. Es wird heute ein etwas härterer Tag; um 12 Uhr geht der Bus ab, für die 180 km Fahrt sind zwei Stunden veranschlagt, was mir ein wenig kurz vorkommt. Jedenfalls wird es dann gleich am Abend das nächste Konzert geben; erst morgen ist wieder ein Ruhetag, der aber auch wieder einer längeren Fahrt dient, nämlich nach Lleida. In Pamplona sind wir also nur heute, was ein wenig schade ist, weil die Stadt ausgesprochen schön sein soll. Gespielt wird heute dasselbe wie gestern, insofern ist man entspannt.

Selten habe ich Schumann so schön gehört wie gestern abend, die Sinfonie eigentlich da erst zu verstehen begonnen; der Schlüssel war Zagroseks Äußerung, es handle sich bei ihr um eine poetische Prosa. Was allerdings >>>> Herrn v. Eckardstein anbelangt, meine ich in meiner kunstdarwinistischen Art, da müsse noch ein gehöriges Maß an Leid in die Seele, bevor sein Klavierspiel richtig gut werden wird. Technisch spielt er perfekt, aber irgend etwas fehlt, irgend eine lebendige Obsession, die ihn beutelt oder gebeutelt haben wird. Ich erinner mich an „Für Elise“, ich war ein ganz junger Mann, ein Junge eigentlich noch, als eine mütterliche Freundin ihrem mir gleichaltrigen Sohn, der am Klavier herumspielte, ironisch riet, gerade dieses Stück doch besser n i c h t zu proben. „Das versteht erst, wer einmal wirklich geliebt hat.“ Es war eine Musikerfamilie, und Renate Wucher hieß die Frau. Sie hatte zwei hochmusikalische Söhne, deren einer mit zwanzig Dvoraks Cellokonzert aufführte; das mit dem Klavier war der andere, Andreas, der später Atomphysiker wurde und in die USA ging; seither habe ich diese Freunde, der andere Junge wurde Arzt, aus den Augen verloren, aber nie den Satz aus dem Herzen: von einer solchen Evidenz ist er gewesen.

So. Ich werde jetzt zum Internet Point spazieren und schauen, ob da schon geöffnet ist. Dann mag ich noch Zagroseks Ratschlag folgen, einmal zum Ebro-Ufer zu flanieren. Nachdem ich gepackt haben werde. Das Frühstück mußte heute dieses Textes halber entfallen. Ich nehm mir auf dem Weg dann ein Stückchen. Wir lesen uns aus Pamplona wieder.

(A u c h hübsch: Einer der jungen Musiker gestern, als ich mit den anderen in den Pub hinzustoße, kommt zu mir und sagt: „Meine Eltern lesen das… also keine Namen bitte.“ Das beschreibt ganz trefflich eine Form des Mißtrauens, die unter Aufgaben wie der meinen immer mitschwingt, auch wenn man sonst mittlerweile angenommen ist.)

Ach ja, e i n Bild fuer heute frueh mag ich Ihnen nicht vorenthalten, ich nahm es gestern in einer Kirche auf:Und denken Sie es mit d e m hier zusammen:… und d a m i t:… und (>>>> Formklammer) damit:

15.22 Uhr:
[Pamplona, >>>> Hotel Tres Reyes.]
Angekommen, auch die Internetverbindung steht bereits; ich schreibe dies aus dem Hotelzimmer. Wieder 12 Euro für 24 Stunden; insgesamt liege ich jetzt bei etwa 40 Euro bislang; ein annehmbarer Schnitt, da ich ja insgesamt unter 100/120 Euro bleiben soll. Das Internetcafé hat meine mittleren Internetkosten angenehm hinuntergedrückt. Nun darf es mal wieder kommod werden.

Kurz vor Pamplona hatten wie eine… man könnte sagen: Gütepause, weil einer Geigerin schlechtgeworden war.Hätte grad für einen Caffe solo gereicht, aber ich kam mit Schneider ins Gespräch und blieb vor dem Autobahnimbiß draußen in der Sonne stehen. Erst Kommentare zu dem, was ich hier tue, krieg ich jetzt rein: “Wir haben viel von Barenboim gelesen, aber bekommen das nicht mit u n s zusammen.”Oder Schneider: “Das ist eine nette Schwindelei mit den 16000 Abonnenten… tatsächlich sind es jetzt um die 13/14000… und Abonnements, nicht Abonnenten.” Die Tendenz sei aber rückläufig, “imgrunde ist das Abonnement ein Auslaufmodell; statt dessen steigen bei uns die Verkaufzahlen an den Abendkassen an.”
Diesmal war die Fahrt insgesamt ernster; v.N. und ich sprachen über Politik und Kunstpolitik und darüber, daß gestern, als Zagrosek einmal so scharf geworden war, eigentlich eine Woge der Erleichterung durch die Reihen gegangen sei. “Das war Führung.” Und: “Angst klingt gut, hat mir ein älterer Kollege einmal gesagt… man möchte nicht der nächste sein, den’s trifft, da wird man ganz konzentriert…” Vom selben Kollegen stamme der Satz, es brauche einen einzigen Ton, damit sich ein Musiker restlos blamiere.
Ich möchte Ihnen gern noch weiteres, auch für mich Neues erzählen, aber das Wetter ist grad so schön, ich mag einzwei Tapas nehmen in der nahen Altstadt, kenne Pamplona ja nicht. Und um 18 Uhr steht die Anspielprobe an, das nächste Konzert gibt’s um acht. Ungewiß, ob ich mich vorher noch melde, eher unwahrscheinlich. Danach aber, weil ich vom Zimmer aus einstellen kann, gewiß. Ich werd auch ein paar Bilder für sie knipsen, die ich dann später auch hier in den Text mit einstreuen werde. Haben Sie also einen so schönen Nachmittag, wie ich selbst ihn mir jetzt machen möchte.

17.12 Uhr:
Einmal abgesehen davon, daß wegen der hiesigen langen Siesta fast alles noch geschlossen hatte (Tapas gibt’s erst am Abend, und noch einer vollen warmen Mahlzeit war mir noch nicht), fällt in Pamplona zweierlei sofort in den Blick: der oft indioartige Gesichtsschnitt der Menschen und daß die auffällige Kleidereleganz der Leute von Vallaloid und Zaragoza hier einer eher nachlassigen Erscheinungsform gewichen ist; nun mag das aber auch daran noch liegen, daß die Leute grad erst aus den Mittagsbetten kamen, w e n n man denn welche sah. Die Altstadt mit den Lädchen an Lädchen, engen hohen Gassen, die Häuser oft seltsam bauchig – seltsam, weil auch hier, wie in Nordspanien nahezu überall, eine architektische Liebe zu schroffen glatten Kanten vorherrscht, teil in den Repräsentanzgebäuden , die immer ein wenig nach Mussolini wirken, ob in der historisch steinernen Form, ob in ihrer postmodernen Reinlichkeitsvariante. Dazwischen dann immer wieder verträumte, bisweilen bizarre Häuser, die an englische Mittelmeervillen des 19. Jahrhunderts denken lassen: Castellchen oft. Die Kirchen waren leider sämtlichst verschlossen, bei >>>> San Ignazio hätt ich s c h o n gerne hineingeschaut. Dafür trat ich dann vor der städtischen Schule auf einen Platz voller schreiender, jubelnder, rennender Kinder; ein Lebensmittel-Emmachen-Laden schmierte Baguettes, also: belegte sie mit enormen Schichten Schinkens. So kam mein Magen zu seinem Recht. Es war g u t e r Jamón – und derart preiswert, daß ich mich beinahe schämte. Jedenfalls geh ich morgen da noch einmal hin und verproviantier mich für die Reise. Jetzt allerdings werde ich mal mein DAT-Gerät scharfmachen, auch den Laptop einpacken, falls es wieder ein freien Netz im Konzertsaal gibt und pünktlich um sechs Uhr, sind hier die Bilder eingestellt, losmarschieren. Man gehe, heißt es, zwei Minuten zu Fuß.

Meine Frau hat sich über Skype gemeldet, und ich war nicht da. Sehn Sie’s mir deshalb bitte nach: Ich winke mal eben nachhause::
So, Schuhe an und los.

18.05 Uhr:
Vom Hotel zum Konzertsaal.

18.34 Uhr:
[Pamplona, Auditorio Baluarte.]Mit Stravinski hat die Probe pünktlich begonnen und läuft gerade. Ich sitz in der ersten Reihe, hab für Sie nach einem Netzzugang gesucht, und zwar gibt es einen, aber man braucht ein Passwort.Das zu bekommen, sich darum zu bemühen, brächte heute nicht viel, weil nur eine halbe Stunde lang geprobt werden soll; „wir hatten ja gestern unsere Generalprobe“, sagt Zagrosek bei der Begrüßung der Musiker. Er will vor allem noch einmal an den Haydn heran, den er möglicherwiese als bereits zu routiniert erlebt haben wird (nicht das Cellokonzert, sondern die Sinfonie, die das Orchester bereits mehrmals aufgeführt hatte).
Wechsel zu Schumann. „Was hat man in einem Orchester für Aufstiegsmöglichkeiten? Wenige. Wer sich für einen vorderen Platz in seinem eigenen Orchester bewirbt, muß es immer wieder mit allen anderen Bewerbern im Rahmen des Vorspielens aufnehmen, das können schon mal 200 sein.. Ob man schon lange in diesem Orchester spielt, spielt keine Rolle… nein, sich ‘hinaufsitzen’ durch Zeit, das gibt es für uns nicht.“Zagrosek: „Was? Bitte? Nein, keine Privatgespräche jetzt.“ Schweigt, sieht ruhig ins Orchester, legt die Hände an die Seite des Pults, schweigt immer noch; es sind Sekunden, aber kommt einem wie eine Minute vor. Dann, scharf und leise: „Ich habe dafür nämlich keine Zeit.“ Schon geht’s. Präsent. Signifikant präsenter noch als gestern abend.. „Spielen wir noch einmal den Fünften Satz an, den Anfang?“ Tun sie. Zack dirigiert ein paar Takte, dann bricht er ab: „Ich wünsche Ihnen ein gutes Konzert. – Jetzt noch etwas den Haydn.“ Das Orchester schrumpft zur kleineren Besetzung, die anderen gehen durch die je seitlichen Bühnentüren ab. Badamm-damm…badamm.damm…„Das funktioniert jetzt sehr schön. – Zweiter Satz, das ist jetzt wichtig, weil’s…“ [Vernuschelt sich, denn die Hände dirigieren bereits, sind dem Gedanken vorausgeeilt.]s„Dritter Satz. Und bitte vorisichtig, immer auf dem Schlag, nie vorher… ist das angekommen? Manchmal vergißt man das nämlich…“„Letzter Satz. Übrigens: Wunderbar getickt gestern!“ Und jetzt geht ein Lachen durchs Orchester, auch Zagrosek lächelt. Es nähert sich dem, was es sein soll. Musik.„Frau ***, ist alles in Ordnung, oder brauchen Sie noch etwas?“ Eine Musikerin war kurz vor der Reise krankgeworden und hält sich über die Reise nun mit Medikamenten an ihrem Instrument. „So, bitteschön, die letzten sechs Takte vor der Neun.“

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D A S K O N Z E R T V O N P A M P L O N A

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