INFEKTION! (3): Spiel der Bilder in den Klängen. Falk Richters Collage für modernes Sprechtheater, zeitgenössische Oper, Videoprojektionen und Ausdruckstanz an der Schaubühne Berlin, sowie an der Staatsoper Berlin „ H a n j o “: Ein kurzes, aber großes Musikdrama Toshio Hosokawas.

[Fotografien (©): Arno Declair (To the Unconnected Child)
Hermann und Clärchen Baus (Hanjo).]




Ich habe mich geirrt. Meine in dem Pressegespräch nach der Probe >>>> geäußerte Skepsis hat sich nicht bestätigt. Vielmehr ist Falk Richters Szenen-Arrangement „To the Disconnected Child“, wiewohl sicherlich weniger wirklich ein Musiktheater als ein wirkliches Theater mit Musik, von geradezu unmittelbarem Zugriff; in seiner sehr klar und oft ins Absurde schießenden, witzigen Realität ist es gewissermaßen das völlige Gegenstück zu >>>> Oehrings Opernbrei. Dabei gehen beide Stücke von einer ähnlichen Idee aus. Beide beziehen sie sich auf Musik der Vergangenheit – Oehring auf Purcells The Fairy Queen, Richter auf Tschaikowskis Eugen Onegin – und beide versuchen sie, ihre, sagen wir, Vorlagen auf die Gegenwart zu beziehen: Oehring auf eine ihrerseits schon vergangene der etwa 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts, Richter aber auf unsere unmittelbar zeitgenössische. Allein schon daraus resultiert eine Modernität, die mit schnellen Bildern, quasi Schnitten, arbeitet, indes Oehring seinen Stoff unentwegt langzieht. Außerdem beharrt Richter auf Tschaikowskis, bzw. Puschkins Erzählung, derweil Oehring Purcell, bzw. Shakespeare beliebig nach Gefühlswollen beugt, und was Oehring deshalb mißlingt und mißlungen muß, wird bei Richter sofort plausibel, indem er Onegins Unwillen, sich zu binden oder sonstwie einzulassen, zum Kennzeichen heutiger Paarbeziehungen macht – ganz entsprechend dem Bedarf der westlichen Ökonomie nach sogenannter Flexibilität, zu deren Folgen bekanntermaßen nicht nur die schon historische Auflösung der Groß-, sondern auch der Kernfamilien gehört. Partnerschaften sind unterdessen als Beziehungen-auf-Zeit fast schon definiert. Die Scheidungsregister wissen davon Bände zu erzählen.
Gleichwohl ist, insbesondere bei jungen Menschen, das Bedürfnis nach bleibender Einheit nach wie vor virulent; nach wie vor schwört man sich ewige Treue, ja die traditionellen Liebes-Vorstellung, wiewohl sie geschichtlich sehr jung ist, nämlich aus dem 19. Jahrhundert stammt, scheint in einer Art Retro-Bewegung eine neue HochZeit zu erfahren. Also stoßen die Begehren, Bedürfnisse, Träume der einzelnen und die schließliche Realität fast unentwegt aneinander. Genau dies zeigt Richters Stück.

Richter erweist sich als ein Texter, Arrangeur und Regisseur, den ich geradezu elegant nennen muß; indem er die verschiedenen Sparten zusammendenkt und zusammen fühlt, indem er zudem jeglichen Kitsch vermeidet, bzw. ihn zwar einsetzt, aber sofort wieder – mit wirklich bewundernswertem Gespür – wegzubrechen weiß, bekommt Puschkins Erzählung auch in der Sicht Tschaikowskis eine perfekt auch auf junge Menschen zugeschnittene Form – mitunter vielleicht ein wenig zu glatt und nicht immer dem offenbar Intendierten adäquat, andererseits gerade dadurch für quasi jederman rezipierbar. Das ist in der Tat eine Kunst. Andererseits hat das Stück – als Musiktheater – ein Problem, daß aber seine ganz besondere Stärke ist: Was wir hören, ist tatsächlich nur im Zusammenspiel mit den hervorragenden Sprechern und Darstellern, der Schauspielern also, und mit den Tänzern, wirksam – nämlich allein im Moment auf der Bühne. Hört man die Klänge und Musiken für sich, bleibt nichts außer einem bißchen Arvo Pärt, einem Bißchen synkretistisch verspielter, arios behandelter Miniaturen, für das zum Beispiel Puccini La-Bohème-Thema bei Jörg Mainka steht und außer den für sich genommen reichlich sentimentalen, halb dem Folk, halb dem Schlager zuzurechnenden Songs des Pop-Barden Helgi Hran Jónsson:

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zu dessen, leider, Gunsten die zweite Hälfte des Stücks ein bißchen zerfasert – der gegenüber die erste, längere, deutlich besser durchgearbeitet zu sein wirkt. Ich habe mich später gefragt, weshalb überhaupt zwischen Teil I und Teil II eine Pause eingeschoben wurde und habe unterdessen den Verdacht: eben deshalb. Die Zerfaserung gegen Ende wäre ohne die Pause sehr viel stärker, nämlich als Länge, spürbar geworden. So aber saß man – mit dem Willen, sich amüsieren zu lassen, und deshalb auch dem gewünschten Effekt – gern auch noch die letzte halbe Stunde dort.
Richter hat sieben Komponisten gebeten, zum Thema und zu seinen Texten Musiken zu schreiben, keines länger je als sieben, vielleicht zehn Minuten. Durch sein geschicktes Zeit-Arrangement heben sich diese Stücke gegenseitig in ihrer Wirkung ausgesprochen an, zumal sie durch das eingeschobene originale, allerdings auf ein Kammerensemble transponierte Onegin-Vorspiel zusätzlich kontrastiert werden; schon so wird eine „Langweiligkeit“ ausgeschlossen. Mit tiefstem Theaterinstinkt weiß Richter Wirkungen einzuschätzen und zu konstellieren; das betrifft ganz besonders seinen Umgang mit dem teils atemberaubend starken Ausdruckstanz – besonders in dem von mir schon in meiner >>>> Besprechung der Presse-Probe vom 7. Juni hervorgehobenen Pas de Deux, der auf Franz Schuberts durch eine zunehmend lauter werdende Geräuschmusik „Gute Nacht“ getanzt wird und in wenigen Minuten vor unseren Augen eine Paarbeziehung ablaufen läßt, vom ersten Kuß über den ersten, schnell gewaltsam werdenden Streit bis zum schließlichen, erschöpften AneinanderEinschlafen:

Allerdings war auch diesmal mein sogar noch verstärkter Eindruck, daß die „Störungen“ des Gesangs das Schubert-Lied nicht etwa, wie Falk Richter meinte, beschädigte, sondern im Gegenteil erst wirklich stark machte, auch schon einfach deshalb, weil sie die Konzertkonvention unterliefen. Diese Stärkung entspricht aber genau der Sehnsucht der Protagonisten nach Heilheit, Harmonie, AngekommenSein im anderen – nur eben, gerade bei Schubert, als einem sich niemals erfüllenden. Man kann sagen, daß die Geräuschmusik Schubert eigentlich zu sich bringt und damit auch den romantischen Impuls, der bei Schubert nahezu immer mit einem Vergeblichen verbunden ist. Wobei ich nicht verabsäumen will, noch einmal die innige Gesangskunst >>>> Gyulay Orendt ganz besonders hervorzuheben.
Ähnlich, und ebenfalls „anders anders“, als ich nach der Probe gedacht und geäußert hatte, „funktioniert“ das Puccini-Motiv: es wird durch die vorhergehende Erzählung völlig organisch in den Gesamtfluß eingefügt; mein vermutender Vorwurf von Beliebigkeit ging hier tatsächlich fehl.
Großartig aber bereits der Anfang des Stücks. Erst denkt man, wenn Jónsson singt, meine Güte, was ‘ne Schnulze, aber dann wird das sofort durch einen Dialog gebrochen, den die beeindruckende Ursina Landi mit „ihrem“ Onegin am Telefon führt – schon sind wir mittendrin im Thema, und die Schnulze ist tatsächlich Ausdruck der Sehnsucht dieser Frau – wobei später das Motiv ein bißchen überdehnt wird, daß es in Partnerforen schwierig sei, alleinstehende vierzigjährige Akademikerinnen mit zwei Kindern an den, im Wortsinn, Mann zu bringen. Da bedient Richter dann doch mal tüchtig ein Klischee. Auf den gesamten Abend hin erlebt, nimmt man das aber gerne hin, sozusagen als einen running gag.
Sehr schön die höchst variable, auch sie an Oehrings Stück erinnerndes Bühne; auch hier ein perfekter Umgang mit Videoprojetionen, bzw. Rückprojektionen, geschickt arrangierte Einspielungen von Ton und Klang aus dem Off, bewegend die auf ein tatsächliches Erlebnis Richters zurückgehenden Kommunikationsversuche einer alten Sängerin der achten Reihe, worin sie auf dem Notsitz sitzt und hofft, endlich einmal auf die Bühne zu dürfen, mit ihrer ihr nachvereinsamenden Tochter. Hinreißend aber schon die Hereinnahme der modernen Kommunikationstechnologie, Facebook, SMS, Singleforen im Netz usw. Falk Richters Einfallsreichtum sprüht hier geradezu, und man merkt allen Beteiligten an, mit welchem Spaß sie ihre abstrusen, leider eben realistischen Parts gestalten – ein Spaß, der unmittelbar ins Publikum hinüberspringt. Auch wenn er letztlich bitter ist.



Falk Richter
TO THE DISCONNECTED CHILD

Text, Regie und Choreographie: Falk Richter
Mit Kompositionen von Malte Beckenbach, Achim Bornhoeft,
Oliver Frick, Helgi Hrafn Jónsson, Jan Kopp, Jörg Mainka
und Oliver Prechtl

Franz Hartwig – Ursina Lardi – Stefan Stern – Tilman Strauß 
Luise Wolfram
Steven Michel – Franz Rogowski  – Jorijn Vriesendorp
Helgi Hrafn Jónsson – Borjana Mateewa  Gyula Orendt 
Maraike Schröter

Staatskapelle Berlin, Orchesterakademie bei der Staatskapelle Berlin.
Wolfram-Maria Märtig

Die weiteren Vorstellungen:
Heute, am 25.6., sowie am 29. und 30.6.2013,
jeweils um 20.00 Uhr.
>>>> Karten.



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Von einem allerdings noch einmal ganz anderen Kaliber, das die bereits erwähnte „Glätte“ bei Richter fast ein bißchen schmerzhaft spüren läßt, ist nun aber >>>> Toshio Hosokawas auf der No-Tradition gegründetes, gleichwohl mit westlichen Opernkonzepten vermitteltes Musiktheater „Hanjo“ – eine wenn auch relativ kurze, so doch um so konzentriertere Oper auch in musikabsolutem Sinn, die ihre Berliner Premiere am Sonnabend abend, dem 22., hatte, bzw. hatten wir sie, die wir im Publikum dabeisein durften. Nicht „nur“ der Musik wegen war es ein Ereignis, sondern frappierend, wie ausgerechnet der für Skandale – je nach Perspektive: – berühmte oder berüchtigte Calixto Bieito auf jegliche Regietheater-Einfälle verzichtete. So sehr offenbar ließ er sich auf das konzentrierte, halb surreale, halb geradezu griechisch-tragische Geschehen dieses Stückes ein („Du hast deinen Ort“, sagt es: „sinnlos, ihn verlassen zu wollen“). Auch des Mannes häufige Kritiker – erinnern Sie sich bitte an >>>> die in Der Dschungel geführte Auseinandersetzung um seine Freischütz-Inszenierung an der Komischen Oper Berlins – werden seine Regiearbeiten von hieraus noch einmal ganz anders betrachten müssen; ich selbst habe ernsthaft mit einiger Nacktheit gerechnet, schon insofern die Protagonistin eine Geisha ist, bzw. war, die aus ihrer Profession von einer lesbischen Malerin ausgelöst wird. Bieito hätte hier satt zuschlagen können. Aber nein. Er behält Hanaos entrückte Ver/rückung im Auge, ohne sich auch nur irgendwie regietheatralisch vorzudrängen und ohne den sich schließlich in ein Glück des beiderseitig gewollten Verzichts ausbalanzierenden ferneren Alltags mit gewaltsamen Mitteln zu illustrieren, auf den das Stück – anders als in >>>> Mishimas Vorlage – schließlich hinausläuft.

Bereits, wenn wir den Saal betreten, empfängt uns eine Bühneninstallation, deren Kraft an Yannis Kounellis’ Objekte, bzw. Environments erinnert: Schräg von der Hinterbühne bis ganz nach vorn ist ein Gleispaar verlegt, das wie in der Wirklichkeit auf einem Schotterdamm ruht; quer dazu sehen wir einen umgestürzten mageren Baum; dann gibt es rechts noch ein paar Kisten, die von ungefähr an Gräber erinnern und von geknäulten, dicken Plastikfolien bedeckt sind. Dahinter, aber fast direkt in Berührung mit dem Bild, ist das zweigeteilte Orchester gruppiert, dessen Musiker teils selbst, wie Personen eines No-Stücks, maskiert sind: die Masken aufgemalt, teils angedeutet, man merkt es anfangs erst gar nicht. Interessanterweise betont dies den „griechischen“ Aspekt der Oper: als wären die Musiker der chorische Kommentator des Geschehens. Nimmt man diese Auslegung an, ist eigentlich die Instrumentalmusik seine letzte Erzählinstanz. Hosokawas Komposition scheint das zu bestätigen, die in „freier“, teils flächiger Aura und besonders zu Anfang an der Grenze der Wahrnehmbarkeit erklingt – wobei einmal mehr, und nicht nur in diesem Haus, die Klimaanlage ausgesprochen stört. Andererseits erhebt sich der Klang so aus einer Art Hintergrundrauschen und formiert sich gegen es zugleich wie mit ihm, das die Glöckchen- und Schellenklänge geradezu in sich integriert, so daß sie besonders ungefähr klingen. Insofern entspricht das Rauschen der traditionellen japanischen Musik, die schon sehr früh, anders als die westliche, Geräusche als einen wesentlichen Teil ihres Charakters ausgebildet hat. „Naturnähe“, in der Moderne, kommt zudem um technische Klänge, also um Zweite, bzw. Dritte Natur nicht herum. Nicht grundlos haben sich zeitgenössische Komponisten der westlichen Welt immer wieder auf fernöstliche Musiken bezogen, nachdem der Kreis des Quintenzirkels, aber auch das serielle Konzept abgeschritten war, indes die in ihrer Entwicklung zum Stillstand gekommene japanische Musik die westliche Kunstmusik seit etwa den Fünfzigern/Sechzigern nicht nur adaptiert, sondern noch zu übersteigern versucht hat.
Die erzählte Geschichte ist einfach.
Hanako, noch als Geisha, verliebt sich in Yoshio und er sich in sie. Als er sie verlassen muß, tauschen sie die Fächer; er trägt fortan den ihren bei sich, sie den seinen. Nachdem die Liebende ihre Tätigkeit schließlich aufgegegeben hat, begibt sie sich jeden Tag zum Bahnhof, um dort, seinen Fächer immer bei sich, die Rückkehr des lange, immer länger ausbleibenden Geliebten zu erwarten. Finanziert wird ihr das von der japanischen >>>> Geschwitz Jitusko, der sie, quasi als Gegenleistung, Modell steht. Wobei Bieito aus den Fächern Tattoos macht, die am Bauch, bzw. auf der Brust getragen werden. Da es in Japan aber nur >>>> Yakuza sind, die sich tätowieren lassen

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spielt Bieito höchst geschickt auf einen Gewaltzusammenhang an, der in dem Moment auch für die Zuschauer real wird, als die Malerin Yoshio nicht zu Hanako vorlassen will. Nach einer heftigen Auseinandersetzung schlägt er ihr ins Gesicht; hernach erscheint sie mit blutender Nasen/Wangen/Mundpartie. Und als er bei ihrer endlichen Wiederbegegnung Hanoko das Fächer-Tattoo präsentiert, ist es nicht wie bei ihr ein einziges Zeichen, sondern sein ganzer Vorderleib starrt von Tätowierungen – als hätte er nicht nur diesen einen Fächer getauscht:

Schon deshalb, dieser Inszenierungs-Idee folgend, kann Hanako in ihm den erwarteten Geliebten nicht wiedererkennen – ein insofern höchst raffinierter Regietrick, als er die japanische Versagungsmentalität mit dem westlichen Konzept quasi-ehelicher Treue ineins führt.
Zunehmend aber schon vorher entrückte sich Hanako in ihre Vorstellungswelt, in der sich der reale Geliebte in einen imaginären „wahren“ verwandelte, der für sie schließlich mehr Gegenwart hat als die wirkliche Erscheinung des Zurückgekehrten. Ja, die Menschen aus Fleisch und Blut werden ihr insgesamt zu Gespenstern, indes das Reich der Geister sich ins Reale schiebt. Eben dies garantiert zugleich die Beziehungs-Stabilität der entsagenden Lesbe und der ihre Erfüllung allein im hoffenden (Er)Warten findenden Liebenden. In diese Ausbalanziertheit, die schon die erste Szene charakterisierte, führt die Musik in der letzten zurück: Man kann von einer magisch stabilierten Negativen Harmonie sprechen. Genau der gibt Hosokawas oft flirrende, gleitend schwebende und immer wieder im Wind des Lebens klingelnde Musik den Ton.
Dies alles heißt nun aber nicht, daß das Stück undramatisch wäre; sogar das Gegenteil ist der Fall. Die hier gerade zwischen der Malerin und ihrem, sagen wir einmal, Nebenbuhler aufwallenden Emotionen stehen der europäischen Hysterie-Tradition in keiner Weise nach, nur daß es den gewohnten Schmelz nicht gibt, mit dem sie aufgeedelt wird

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vielmehr ist ihnen entweder eine massiv ausbrechende Rohheit eigen, verkörpert vom „männlichen“ Prinzip Yushios, oder aber sie filtert sich in distanzierte Haltung – etwas, das insgesamt auch der Neuen Musik Europas eigen ist, zumindest war, und ihr nicht selten den nicht durchweg grundlosen Vorwurf der Intellektualisierung eingetragen hat. Die Entwicklung der populären Musik, die es dem Rezipienten einfach macht, indem es ihn auf dem Status entweder melodisch-tonalen Tonerlebens und/oder rhythmischen Mitravenkönnens festhält, ist bis heute zu totalitär, um tatsächlich ein neues Hörempfinden zu erlauben, auf das es eigentlich ankäme – und zwar nicht nur für Eliten. Daß Markt hier eine ganz besondere Rolle spielt, muß ich nicht schreiben; favorisiert wird immer das „Bekannte“, das mit schnellem Genuß zahlt und die Gegenleistung als Quote garantiert: eine von vornherein präformierte Dynamik, derethalben ich eben als von einem Totalitären spreche. Um so wichtiger – vor allem bei dem Erfolg, den Hosokawas Oper am Sonnabend abend feiern konnte -, daß Stücke wie dieses auch weiterhin an großen Bühnen eine Heimat finden: sie machen uns das Fremde als ein Eigenes vertraut – eine seit über einhundert Jahren vollständig uneingelöste Utopie.
Fasszinierend zugleich puppenhaft wie traumwandelnd Ingela Bohlins Hanako. „unschuldig“, würde ich sagen, wäre nicht die Stimme derart präsent; und Ursula Hesse von den Steinen gestaltet ihre Frau Honda beinah wie eine Lady Macbeth, der es um die Macht des Beherrschens ebenso geht wie dem Yakuza Yoshio, den Georg Nigl mit angemessener Würde erst, dann zunehmend wütender Forderung, schließlich – all dies auch in der Stimme – in einer Niedergeschlagenheit präsentiert, die dem Gesichtsverlust entspricht, derart abgewiesen zu werden. Daß er auf allen Vieren davonkriecht schließlich, ist kein bieitosches Bühnenmätzchen, sondern entspricht der japanischen Mentalität, die, wenn die Ehre verlorenging, sich selbst noch ganz besonders kleinmacht. In meiner obwohl nur sehr kurzen Tokyozeit habe ich das zweidreimal erleben müssen.
Dennoch eine winzige Einschränkung: nach Ankunft des Zuges – enorm filmisch, wie die Scheinwerfer ins Publikum gleißen – hätte Bieito mit dem Rauch etwas weniger verschwenderisch umgehen können, einfach, weil das Mittel schon so ausgelutscht ist und es völlig gereicht hätte, Hosokawas Klängen zu vertrauen.



Toshio Hosokawa
HANJO
Oper in einem Akt.
Inszenierung Calixto Bieito – Bühnenbild Susanne Gschwender
Kostüme Anna Eiermann – Licht Reinhard Traub – Dramaturgie Xavier Zuber.

Ingela Bohlin – Ursula Hesse von den Steinen – Georg Nigl

Staatskapelle Berlin, Günther Albers.

Noch eine Vorstellung:
30. Juni 2013, 19.30 Uhr.
>>>> Karten.

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