Bücher müssen duften dürfen. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, den 14. Februar 2018. Mit, vor allem, Kazantzakis.

[Arbeitswohnung, 6.36 Uhr
Weit geöffnetes Oberlicht, aus der Dunkelheit (noch ist es Winter)
das hohle Rauschen einer nahenden SBahn.]

Sie fragen mich,
Freundin,
weshalb ich nicht schreibe („schriebe”),

und meinen ausdrücklich mein Arbeitsjournal. Es fehle Ihnen, manchmal sogar sehr. Mit melancholischem Anflug dächten sie bisweilen an die Zeiten zurück, da es zu Ihren Frühstückslektüren gehört – was Ihnen doch eigentlich eine Antwort bereits gibt. Um Die Dschungel derart auf, sagen wir, Draht zu halten, bedurfte es – seinerzeit, eben, (ihrerzeit also) –, daß ich bereits um fünf, zu Argozeiten sogar halb fünf aufstand, sofort loslegte, um dann, war der Beitrag eingestellt, mich heiß genug geschrieben zu haben, daß ich mit dem Roman sofort weitermachen konnte. Jetzt aber, gegenwärtig und seit schon langem, hält mich kein solches Projekt. Meine anstehenden Arbeiten sind entweder korrigierende, neu durchsehende oder „fremde”, also solche, die aus Aufträgen resultieren, allem voran der Contessa Familienroman. Da ist meine Fantasie nicht zu beflügen, vielmehr zu stutzen, die Tagesarbeit also eines Angestellten, der für sie gut bezahlt wird, ohne daß es aber seine poetische Leidenschaft wäre, der er die gute Einkunft verdankt. Er hat, ich möchte es so ausdrücken, gewissenhaft zu sein, während doch die Kunst einer zumindest gewissen Gewissenlosigkeit bedarf, einer geradezu Asozialität auch dann, wenn ihr tiefster Grund das Verlangen nach Gerechtigkeit ist, ja Liebe und nicht zuletzt eine Anerkennung durch die Gemeinschaft. Nur wird es eben von Leser:inne:n als schmerzhaft empfunden, legt jemand seinen Finger auf die wunde Stelle; sie soll gestreichelt, nicht aufgebohrt werden, auch wenn ohne Bohrung der Karies ein Einhalt kaum geboten werden kann. Ich gebiete dir zu verschwinden – ach, das funktioniert halt so schlecht. Schon beim Contessaroman hatte ich dieses Problem; ich allein für mich wär die Angelegenheit radikaler angegangen. Alleine muß man, ecco, verfügen – verfügen dürfen. Kunst nimmt Rücksicht nicht auf sich, wie sollte sie‛s auf andere können? – Wie ich es meinen Seminarist:inn:en erklärte: Was tut ihr, wenn ihr Liebeskummer habt? Ihr werft euch aufs Bett und weint und weint. Bis ihr einschlaft vor Erschöpfung. Jetzt denkt einmal nach. Welch eine Kraft muß das sein, euch so in den Schlaf hineinzupressen! Diese Kraft fängt der Künstler auf, die Künstlerin, und statt sie im Heilschlaf zu verträumen, gestaltet sie und er aus ihr. Die einen wollen den Schmerz nicht mehr leiden, und also schlafen sie. Die anderen verstehen ihn als Material, von dem man nicht wegsehen darf, dem frau sich aussetzen muß.

Dieser Konflikt zwischen den einen und den anderen haben die Arbeitsjournale immer wieder ausgetragen, weil das Problem darin bestand und besteht, daß der eigene Schmerz immer auch der eines, einer anderen ist und seine Gestaltung in dessen und deren Leben eingreift – es sei denn, die Gestaltung wird derart abstrakt („allgemein”), daß es ihrerseits einer Verdrängung gleichkommt. Kunst gräbt aus, heißt es in Meere.

Nun haben die letzten Jahre ergeben, daß ich in den Arbeitsjournalen über so vieles nicht mehr schreiben darf; verschärft hat sich dies zum einen der Contessa wegen, deren Anonymität ich zu wahren habe, zum andren wegen der Sídhe, über die zu schreiben permanent bedeutete, meiner Löwin wehzutun (es tat ihr weh schon genug); drittens wegen der Trennung von ihr, nämlich ihres eigentlichen Grundes, und viertens kam La Mâconière noch hinzu, ein hochheikler Erfahrungsraum, der mich nach wie vor beschäftigt, ohne daß ich dem hier Ausdruck verleihen dürfte: Mein Wort steht dagegen. Die bösen Briefe, die sie mir später schrieb, werden es nicht brechen; allerdings las ich von den letzten nur noch erste Wörter: Ich habe nicht Lust noch Kraft, eine Auseinandersetzung weiterzuführen, die noch die letztre aussaugt – vor allem dann nicht, wenn ich hier nicht drüber schreiben darf. Was ich geschrieben, scheint, entnahm ich der letztüberflogenen Nachricht von ihr, mich als Unhold bestätigt zu haben: Derartiges öffentlich auszutragen, habe ihr ein Mentor gesagt, sei unter aller Sau. Nur daß ich ja nicht sie austrug, sondern eine Fiktion; wie nahezu immer aus Personen, mit denen ich umgeh, habe ich aus ihr eine Romanfigur gemacht – was ihr zu Anfang auch gefiel. Sie hatte sogar ausdrücklich drum gebeten, daß ich über Fuerteventura schriebe, nur wie ich es schließlich tat, wie angedeutet tat, fand ihr Mißfallen.

Es ist also heikel g e b l i e b e n mit meinen Arbeitsjournalen, und ich habe den Willen nicht mehr, gegen das Diktat der „Privatheit” anzurennen, vielleicht auch nicht mehr die Energie. (Ach, seit ich vor meinen Geburtstagen flüchten will! Und kein Wecken mehr der Löwin um acht. Dazu die Sídhe sehr sanft reserviert. Auch Sublimation kostet Kraft. Außerdem macht mir, an der peinlichen Stelle, weiterhin eine Infektion zu schaffen, die mich von Menschen – ich meine Frauen – eh distanziert.)

Aber nicht nur dieses Persönliche hielt mich ab. Sondern neben dem Familienbuch bin ich weiterhin mit den Fahnen der Ausgabe Zweiter Hand von Thetis beschäftigt, sowie mit der Zusammenstellung meiner noch nicht als Buch erschienenen Gedichte. Da es, weil das Geld für solch ein Mammut fehlt, mit dem Sammelband meiner Arbeiten zu anderen Autor:inn:en erst einmal nicht kommen wird, will Arco zum kommenden Herbst sie herausbringen, jedenfalls eine Auswahl. Schon Benjamin Stein hatte angemerkt, daß die Stücke nicht alle zueinander paßten; besonders die Langgedichte müßten separiert und getrennt veröffentlicht werden. Woran etwas ist, einiges sogar, auch wenn meinerseits ich die Disparatheit gerade geschätzt hätte. Leser:innen zerstört sie freilich die Aura. Diesem Eindruck füge ich mich. Bücher müssen duften dürfen.

Lektorieren wird wieder Elvira M. Gross, ohne deren innige Klugheit ich eigentlich keinen poetischen Schritt mehr tun will.

Freilich ganz vermeiden läßt es sich nicht; mit der Thetis-Durchsicht wäre sie allein des Zeitaufwandes wegen überfordert worden und weil ihr solch einen Aufwand niemand wirklich bezahlen kann. Ich bin ihr eh schon sehr vieles schuldig.

 

Und dann… Ich lese immer wieder Ulrich Becher, dessen Prosaeleganz ich zu bewundern lerne; bereits Das Herz des Hais hatte mich im November ja furchtbar becirct; danach kam >>>> Williams Casino, hinreißend „causiert” (Causeur: auch ein Wort, das kaum jemand noch kennt – wohl weil in Zeiten des, ecco!, „Chattens”), und nun:

 

 

 

 

 

 

… doch ward ich drin unterbrochen, unterbrochen von einem Koloß, unterbrochen von dem Feuer selbst der allerepischsten Poesie: hart männlich (was nicht mehr erlaubt ist) und heikel in seiner Gewalttätigkeit, zugleich von rasender Energie, von wütendem Willen & Wollen – und von F o r m:

Allabendlich nehme ich den knappen Zweitausendseiter mir vor (allerdings nur „einseitig”, da ich des Griechischen nicht mächtig) und lese laut einen Gesang, möglichst einen kompletten pro Tag… – …

Doch war das nun nicht durchzuhalten. Der „Umzug”  Der Dschungel von dort nach hier kam dazwischen; es ist immer noch einiges feinzujustieren; gestern ein längeres Skypegespräch mit Stein, der mir einzelne Funktionen erklärte… ich lerne, ich lerne… usw. usw. …

… aber will wieder da h i n ! – :

Ihr ruheloser Geist durchstreifte weit entfernte, fremde Länder,
die Ohren sind berauscht von Klängen, und die Augen fließen über –
und wenn die Drachen auch, die vier, am heimatlichen Strande sitzen,
so seufzen sie und ächzen doch wie Segelschiffe, welche träumen.

Diese Gesänge müssen wirklich laut gelesen werden, am besten im Stehen. Ich schrieb an Elfenbein, wie gerne ich dieses Buch öffentlich vortragen würde; allein schon, diese Odysseia zu wählen, wäre der purste geschlechtspolitische Akt – vor der rhythmischen und der Schönheit der Bilder ganz einmal abgesehen. Segelschiffe, ächzend im Traum: wie hier das Knarren der Planken und Wanten zum Ausdruck wird des Seufzens (und in der Takelung trauert der Wind). Denn in der Tat, auf des Turmseglers (quasi) Frage ist noch eine Antwort zu geben.

Aber heute nicht mehr. Nicht mehr heute. Mein zweiter Latte macchiato ist getrunken, wir haben‛s nun Viertel vor neun. Ich muß und will an den Familienroman, bis mittags, dann werden die Fahnen weiter korrigiert; zwischendurch wird mich Madame LaPutz vertreiben.

Abends bei der Familie.

Haben Sie, Freundin, einen guten Tag.

Ihr ANH

P.S.: Ah jà: Gestern, in einem nächtlichen Briefwechsel, schoß mir ein neues Paralipomenon aus dem rasenden Hirn in die Finger. Ich hab es hier schon eingestellt.

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