“Bäumungen”: Briefe nach Triest, 42. Wiederaufnahme, Überarbeitung 2.

[Aus dem neunten Brief]

(…)

Wir tun dem Leben nichts hinzu, wenn wir es repetieren, sondern verdoppelten es nur, egal, wie künstlerisch gestaltet. An ein Glas Wasser reicht sowieso kein Satz: Ceci n‘est pas une pipe. Wörter stillen niemandes Durst. Doch immerhin kann ich in diesen Briefen Lars Dich Frau nennen lassen und habe es eingangs oben getan: sogar die meine nannte ich Dich. Er wird darüber nicht erbaut sein. Doch indem ich es tue, bewahre ich einer weiteren Möglichkeit Recht. Und indem das ebenfalls eine Entfernung ist, die die Deine von Lars noch vergrößert, akzeptiere ich zugleich Deinen Willen.
Dafür verliert er Deinen Geschmack.
Willst Du wirklich sehen, wie jetzt die Blumen ausschaun? Man müßte, wie ein Bildhauer kann, Deinen Leib aus Sätzen nachformen können, aus Max-Klinger-Sätzen … Ach, vermöcht’ er, Lars, es doch!
Er kann‘s nicht, sei froh drum. Andernfalls wärst Du erkennbar. Schriebe e r den Roman und nicht ich, er legte es drauf an. Statt dessen erzähle ich Deine Brüste um. Um nur an die Leuchtkraft der Spitzen zu erinnern, die fast Rundheit ihrer Höfe … und dann, tiefer unser Blick, hinab auf den feinen Streifen Haars über dem Ursprung der Welt marmo di porfido …
Merkst Du‘s? Ich schau schon gar nicht mehr nahe, nur noch distanziert als Gestalter. Indessen sich Lars, wäre er momentan finanziell nicht so klamm, längst Dein Parfum besorgt hätte, um sich nämlich dieses Deines Entschwindens ins Abstrakte zu erwehren … sich meiner zu erwehren. Bitte, Herz, schick ihm eine Probe und halt ihn, Dich zu halten, a n!
                                                                      *
Kapellenblicken.
                                                                      *
„Mein Haar liegt falsch. Hast du denn keinen Fön?“
Dein Morgenlächeln geht ihm nicht aus dem Herzen. Dabei wußte die Lydierin selbst nicht, daß sie beim Erwachen derart lächeln kann; sie ward sich ihrer Fähigkeit erst in Lenzens Gegenwart bewußt, nicht aber schon in der lydischen Hauptstadt und auch noch nicht bei seinem ersten Besuch in Triest. Da allerdings schliefen sie zum ersten Mal miteinander.
Noch sprach die Lydierin es nicht aus. Anders als Lenz dachte, der sie immer als eine Wollende wahrnahm, der er nur folge, war sie alleine ihrem Körper ergeben, der gar nichts wollte … nichts über Haut an Haut hinaus. Erinnerst Dich, Sídhe? wie er in Dir geleuchtet hat? (Du hörtest nachher Donnergrollen).
Drum schreib ich gleich von Höhlen.
                                                                                     *
                                                                                                                                                         16 Uhr                                                                                                                                            Espresso                                                                                                                     Frank Martin, E la vie l’importa

Es ist so kalt geworden, Sidhe! Draußen ham wir jetzt Frost. Zweifach tritt er in Lars’ Zimmer, klettert durchs offene Fenster zu ihm herein, steigt aus Lars aber auch selbst. Sich zu entfernen, macht kalt.
Der Schmerz kommt in Wellen. Er kann ja selbstverständlich ‚kann‘ er! ohne Dich leben. Doch er will es nicht. Mein ihn Entfernen ist seine Bäumung. Um es zu schützen, krümmt sich der Leib um das Herz. Die Haut wird gedehnt und verhärtet. Manche Sätze sind Panzer, andere Stacheln. Betrachtet man sie, sticht man sich ins Auge. Außerdem haben sie Widerhaken.
„Ein Jahr nur“, hat die Moreau ihm geraten, „warte bloß ein Jahr, vielleicht auch nur einige Wochen…“, längst werde dann alles anders gefühlt. Doch ich kenne Lars. Er ist, auf seine Weise, furchtbar treu. Nach der schwersten seiner Trennungen brauchte er fünf Jahre, um die Frau überhaupt wiedersehen zu können; so lange verweigerte er jeden Kontakt. Und Κίρκη? Sie sah er ein einziges Mal nach einem davor ersten, bei dem er nur im Publikum saß und zu der Sängerin hochsah. Dennoch ist sie aus ihm nach wie vor nicht hinaus. Erst Du hast sie überblendet, hättest, ich hätt ihm das gewünscht, vor ihr die Rettung gewesen sein können. Vielleicht hat er’s auch selbst gehofft – und sich dann derart geirrt.

(…)

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