Der erste Herbst und ein großes Fest. Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 11. August 2013. Sowie zur literarischen Ästhetik.

10.44 Uhr:
„Der Bauch ist fruchtbar noch“, kommentierte ich eben, Brecht zitierend, >>>> den Kommentarbaum unter dem gestrigen Arbeitsjournal. Es hat einen Vorteil, ein Haßträger zu sein, weil sich an einem solchen Energien reiben, von denen allzu oft gedacht wird, so etwas gebe es nicht mehr. Doch, so etwas gibt es, und es kann auch – geeignete gesellschaftliche Zustände vorausgesetzt – jederzeit wieder zu ihrem Ausbruch kommen; es muß sich nur jemand oder etwas finden, sie zu lenken.
An sich wollte ich mich heute in Der Dschungel überhaupt erst sehr spät äußern, weil wirklich der Nibelungentext fertigwerden muß, auch wenn mir gestern >>>> Nora Gomringer, eine der Herausgeber/innen der diesmaliegen >>>> Horen-Ausgabe, schrieb, ich dürfe mir, wenn es nötig sei, auch noch etwas Zeit lassen: aber bitte nur dann, wenn der Text es verlange. Meine übrigen Abläufe verlangen aber seine möglichst heutige Fertigstellung; andernfalls komme ich mit der Überarbeitung des Neapel-Hörstücks in die Bedrouille. Hinzu kommt, daß ich – wann gab es das zuletzt? – überhaupt erst um zehn Uhr aufgestanden bin. Als ich gestern nacht mit dem Rad vom Wannsee heimkeim, zwar erschöpft, aber noch ziemlich aufgekratzt noch vor allem hungrig, futterte ich noch einiges in mich hinein, kam dann erst gegen zwei ins Bett und dachte und setzte es um: keinen Wecker stellen, sondern mal schauen, wann du von selbst wachwirst. So ist es geschehen.Aber welch ein schönes Fest das war!

Und ich hatte recht, mich auf Treffen und Plaudereien zu freuen. Viele Leute sah ich wieder, die ich lange nicht gesehen, nicht wenige wußten bereits über >>>> Argo bescheid; daß das Ding wirklich kommt und geschafft ist, dafür flutete mich manche Welle der Anerkennung, vor allem auch der Mitfreude und, besonders wichtig, des Gespanntseins. Daß ich dies so offen schreibe, über meine Gefühle offen schreibe, über die Freude schreibe, wird nun manchen wieder in Harnisch bringen, weil man ja „für sich behalten“ soll, weil es für fast eine Art Sünde gilt, noch immer, sich selbst zu zeigen und, wie André Heller das mal nannte, zuzugeben. Wir sind immer noch, gesellschaftlich, von der Lustfeindlichkeit bestimmt, ja, von der Freudefeindlichkeit – aber ein Fest wie gestern steht sanft dagegen an, das Licht über dem See, das fallende, schließlich metallisch glänzende, dann sich eindämmernde Licht, der heftige Regenguß zwischendurch

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der auch ein Gewitter hätte werden können, nach den Böen zu schließen, die ihm vorhergingen, aber beim Regengießen blieb; das Feuerwerk, das just zu Gomringers – einer grandiosen Performerin – Vortrag losging und ihn begleitete und wie sie es in ihren Vortrag integrierte; die Wiederbegegnung mit dem vornehmen Urs Jaeggi und der über alle Faßlichkeit schönen >>>> Katja Petrowskaja, der ich endlich, was ich von Herzen gerne tat, zu ihrem Preis gratulieren konnte; wir stellten uns abseits und sprachen leise, bevor sie sich in ihrer feinen, eleganten slawischen Art wieder zurückzog, jede Bewegung auch nur eines Fingers eine seelische Choreographie sinnlichster und sensibelster Präsenz; manches Gespräch noch dazu. Seltsam, ich war kein Außenseiter mehr, nicht jedenfalls an diesem Nachmittag, und ich nahm das gerne an: ein gutes wärmendes Gefühl. Und manch ein schneller, sich nahender, gleichermaßen zärtlicher wie eindringender Blick, der schon wie unerlaubt an mir vorbeigestrichen war oder verwundert, ja mancher wie ertappt, aber so, daß man lächelt.

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Noch ein Wort zu den Bildern meines Sohnes, die ich hier bisweilen mit einstelle und die mir nun abermals >>>> den Vorwurf eingetragen haben: Ich habe das soeben vom Arbeitsjournal getrennt und >>>> d o r t ausformuliert, schon um mal wieder die Rubriken Der Dschungel zu stützen; jeweils die Links führen in die Überlappungen und Vermischungen zurück.

Ob ich heute zum Sport kommen werde, ist, nachdem ich nun doch einige Zeit für Die Dschungel aufgewendet habe, anstatt mich auf den Nibelungentext zu konzentrieren, ungewiß. Vielleicht gegen abend; Krafttraining wär heute wieder dran. Andererseits würde ich gerne „durchschreiben“, „durcharbeiten“, ohne weitere Unterbrechung. Ich bin durch Vorgänge wie >>>> die von gestern ablenkbar, manchmal denke ich: leider; dann wieder denke ich: genau das, diese vielleicht nur scheinbare Ablenkbarkeit entspricht meiner digressiven Erzählweise, die wiederum viel mehr der Welt entspricht als ein „realistisches“, auf sein jeweiliges bestimmtes Erzählvorhaben begrenztes und sich von allem anderen isolierendes Vorgehen: Regelkreise, wie der für mein Denken wichtige >>>> Bateson das nannte, werden zum Motor der Ästhetik, Nexūs also, und von der einen Synapse eines Werkes führen zahllose Axone in die andere, und zurück, und auch die Synapsen sind zahllos. Das künstlerische Werk als Zusammenhang. Daß zahllose Axone, bzw. Dendriten, auch in die Werke ganz anderer Autoren – überhaupt anderer Menschen und in viele weitere Erscheinungen – führen, kommt selbstverständlich noch hinzu.

Erster Herbst: Wir merken es an den Abenden, die frisch geworden sind, und an den kühlen Morgen: Der Sommer ist vorbei. Aber schon seit Tagen liegt wadenhoch, ich sah es, wenn ich lief, gefallenes Laub auf den Wiesen. Ein Gefühl des Abschieds ist damit verbunden, das allerdings, so sehr ich den nahenden Herbst bedaure, zum Sterbebuch gut paßt: zu seiner Melancholie, wie sie mir vorschwebt: zu seinem Klang. Und doch, wie wollte ich, daß mir der Sommer noch bliebe! Der Winter war zu lang dieses Jahr. Süden! Bitte! Ich möchte noch mal in den Süden –

[P.S.:
Jeder auch noch so billige, noch so persönliche, noch so unlautere Angriff kann mir zum Anlaß einer ausgedehnten Reflektion werden; auch deshalb, möglicherweise, habe ich die – vielen Leser:inne:n nicht ganz begreifliche – Tendenz, alles, wirklich alles ernstzunehmen, auch wenn’s mich weit unter der Gürtellinie trifft und genau das eben auch soll. Ich drehe es herum in einen literarischen Anlaß.]

20.11 Uhr:
Durchgeschrieben: Der Entwurf – aber er ist quasi schon die Erste Fassung – des Nibelungentextes steht; für einen „Rohling“ ist das Ding bereits zu ausgefeilt. Jetzt was essen, dann noch ein paar Feinheiten bearbeiten. Vielleicht nutze ich auch noch morgen die Früharbeit.
Einigermaßen erleichtert, daß es mir jetzt doch so gut von der Hand ging. Es war klug, den Sport heute ausfallen zu lassen. Morgen dann wieder.

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