Facebook mal wieder. Dann plötzlich ein Erbrechen. Und letztmalig die Essayfahnen. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 21. September 2012. (Kleine Theorie des Literarischen Bloggens, Nr. 142). Dazu die Zuppa Aldo Moro und ein bißchen was zur Typografie.

4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Wenn ich morgens meine verschiedenen Websites öffne, um einen ersten Überblick zu bekommen, und dann bei Facebook von jemandem, den ich nicht kenne, folgende Nachricht finde:Hi, sei doch so lieb und klicke “gefällt mir” bei dem Posting zu den “Baden-Württembergischen Literaturtagen”. Danke und Grüßli MatthiasDann macht mir nicht nur das mir gegenüber unangemessene „Grüßli“ schlechte Laune; vor allem werde ich nicht gerne von Unbekannten geduzt; mir geht dieses Vorgeben von Freundschaft, ja Familiarität ziemlich auf den Geist, manchmal, nicht immer, aber heute. Allerdings lehne ich das Geduze prinzipiell ab und um so mehr, als ich zu einem Gefallen aufgefordert werde, wo ich den Gegenstand, der mir – wie ich damit anderen mitteilen soll – gefalle, nicht einmal kenne. Gefallen wird zu Gefällnis. Das macht jedes Urteil beliebig. Ich selbst bitte nicht einmal Freunde um so etwas, sondern setze voraus, daß sie‘s, vor allem aber die Leser, schon von selbst äußern werden. Was allerdings selten geschieht. Bei Amazon ist‘s ähnlich. Von daher haben Leute wie dieser Herr Matthias offenbar recht, wenn sie handeln, wie sie es tun. Um so mehr ärgert es mich. Die Umstände, die solchen schlechten Stil erfordern, werden zu Nötigung. Doch keiner merkt‘s, oder nur wenige merken es. So geht uns Sensibilität verloren. Else Buschheuer, die ich ja mag, hat sogar für eines ihrer letzten Bücher, wenn man da unter den ersten war, die „Gefällt mir“ klickten, Prämien ausgesetzt. Was wir Menschen „wirklich“ meinen, verkommt; es kommt allein darauf an, daß man „meint“ – und nicht einmal darauf, sondern daß man so tut, als hätte man eine –

oh je… in diesem Moment höre ich meinen Jungen sich, der sich auf dem Vulkanlager schon die ganze Zeit stöhnend hin- und hergeworfen hat, in einem undurchbrochenen Schwall erbrechen… direkt neben das Lager auf die Dielen… Es stand gar nichts mehr bereit, weil er gestern schon wieder gesund zu sein schien, morgens bereits aß, mittags aufstand, nachmittags sogar hinaus an die Luft ging, abends wie ein Scheunendrescher futterte; wir sahen die erste Lara Croft zusammen, prima für ihn, für mich na jà, dann schlief er schnell und tief ein… Und heute früh, also, hat sich der Virus noch einmal, scheint‘s, aufgebäumt.
Gut, daß es Rollen Küchenpapiers gibt, gut, daß es aufsprühbare Reinigungsmittel gibt, und wiederum gut, daß es Rollen Küchenpapiers gibt und Plastiktüten gibt, in die man alles hineintun und verschließen kann, was jetzt verklätscht, und scharf verklätscht, ist. Blaß das Gesicht meines Sohnes, der dann wieder Kind wird wie, beinahe, wir alle, wenn wir krank sind. Leicht erhöhte Temperatur, wenn ich meiner Hand vertraue; so war das gestern, selbst vorgestern nicht, als das Übelsein losging.
Noch mal ans Lager getreten.
„Geht es dir jetzt besser?“
„Ein bißchen.“
„Den Lichtwurf höher stellen oder die Lampe ausschalten?“
„Höherstellen.“
Ich tu es.
„Das hast du gut gemacht, dich neben das Lager zu übergeben, sehr gut gemacht.“
„Ich war darauf vorbereitet, Papa. Ich habe das nämlich geträumt.“
„Was hast du geträumt?“ Ich streiche mit der rechten über sein heißes Ohr, seinen heißen Hals.
„Daß ich mich übergebe. Das habe ich die ganze Zeit geträumt. Habe geträumt, daß es mir richtig wieder gut geht und daß ich zur Mama rübergeradelt bin. ‚Ah!‘ hat sie ausgerufen. ‚Dir geht es wieder gut, mein Liebling.‘ ‚Aber ich habe‘, hab ich gesagt. ‚solch einen Durst.‘ Da hat sie mir Geld gegeben, damit ich mir eine Cola kaufen kann. Das habe ich getan. Dann habe ich getrunken. Dann bin ich umgekippt.“
Nun steht ein flacher Eimer neben dem Lager, unter dessen rechtes Kopfteil ich, weil ein wenig Übergebnes dann doch das Bettzeug getroffen, ein altes Handtuch geschoben habe; im Eimer Wasser mit einem Schuß Menthol, um die Gerüche zu binden, die für den Kranken selbst nicht angenehm sind, weil Erbrochnes allein über sie, die Gerüche, immer weitres Erbrechen provoziert.
Hoffentlich schläft der Junge jetzt wieder ein. Was wir gestern dachten, wovon wie beide überzeugt gewesen, daß er heute wieder zur Schule könne, war offensichtlich falsch.
Ich bin beruhigt, weil der Junge bei mir ist, auch wenn die Berührung der Mama, die aber verreist ist, ihm sicher guttun würde.

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Facebook also und die zur Mentalität gewordene Meinung, daß man Freunde habe allüberall; insgesamt Vorschein, dahinter was andres: Berührungslosigkeit, Gleichgültigkeit, aber mit freundlichem Lächeln. Das war bereits im Netz vor FB zu beobachten: Community als verpflichtungsloses So-tun.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (142)
>>>> Litblog 143 (um 7.50 Uhr im Link)
Litblog 141 <<<< (unter 9.18 Uhr im Link)


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Der erste Latte macchiato ist bereits zur Hälfte getrunken, die erste Morgenpfeife beinahe schon ausgeraucht. Gestern nacht kamen die letzten Fahnen: „Bitte keine Textänderungen mehr, nur noch die Typographie kontrollieren“, worin ich schlecht bin, weil mich, ob Satzzeichen eine einheitliche Form haben, nie sonderlich interessiert hat, ebenso wenig, wie ich auf die Größe der Drucktypen achte; ich m a g sehr kleingesetzte Bücher; wenn zu wenig auf einer Seite steht, verliere ich die Übersicht und, schlimmer, den Sinnzusammenhang von Texten. Ich muß sehr viel Geschehen mit einem Blick erfassen können; meist weiß ich dann später genau, auf welcher Seite und in welcher Position eine bestimmte Stelle dort steht, oft noch nach Jahren. Bei zu groß und zu locker gesetzten Seiten geht mir diese Fähigkeit verloren. Ich spotte deshalb gerne von der „Suhrkamp Halbblindenschrift“, die aus 30-Seiten-Manuskripten Romane von 200 Seiten macht.

Normalerweise brauche ich keine; der Waschsalon reicht mir völlig: – wenn aber ein Kind erkrankt ist, wäre eine eigene Waschmaschine nicht ganz ohne Vorteil. (Wo die Wäsche aber trocknen? Hm-.)

: 6.02 Uhr.

6.30 Uhr:
(Der Junge wälzt sich wieder und stöhnt im Schlaf. Die zweite Welle vielleicht. Um den Schlaf nicht zu stören, keine Musik – auch nicht mit Kopfhörern, um hell zu sein, gleichzeitig, mitten in der Arbeit, aufmerksam auf jedes Rühren vom Vulkanlager her. Eltern können das, von Anfang an, man muß das überhaupt nicht lernen. – Derweilen so:)

(Noch etwas, das mich immer fasziniert: daß man sich als Elternteil nie oder wirklich nur arg selten bei seinen Kindern ansteckt; daß der eigene Körper, um den anderen zu schützen, offenbar zu einer enormen Erregerabwehr fähig ist: Er ist nicht bereit, sich schwächen zu lassen, weil das bedeuten würde, dem Kind nicht mehr die volle Aufmerksamkeit geben zu können. Was immer mein Junge an Krankheiten heimbringt, ich bin stets gewiß, daß sie auf mich keinen Zugriff bekommen. Wiederum das schafft fürs Kind das Vertrauen, das es gerade in solchen Schwächephasen braucht.)

11.20 Uhr:
Noch gar nicht an Argo gekommen, aber des Giacomo Joyces 36. Text übersetzt und >>>> dort eingestellt; ebenso, davor noch, >>>> Parallalies. Und noch davor die Essayfahnen letztmalig durchgesehen und hinausgeschickt. Wiederum danach den Ankündigungstext für Delf Schmidts und meine Anderswelt- und Elegien-Veranstaltung am 17. Oktober entworfen; das ist nicht leicht, weil man nicht alles sagen darf, in diesem Fall, also ich, was ich weiß. Das Ding an Freunde um Draufsicht herumgeschickt. Seitdem kommt immer mal wieder eine Rückmeldung.
Der Junge ist matt, das Fieber aber zurückgegangen. Dafür ging‘s jetzt mit dem Durchfall los. Er hat ein Stimmchen, ungewöhnlich für den temperamentvollen Burschen. Pfefferminztee. Gegessen hat er noch nichts. Das ruft nach Haferschleim für den Abend. Ich muß drauf achten, daß er genug trinkt. Eine Freundin schrieb: „Vielleicht Salmonellen?“ Erst erschrak ich, dann dachte ich: Nu‘ mal langsam. Auskurieren lassen. Arzt, wenn überhaupt, erst am Montag.

16.36 Uhr:
Typografie, Typografie, Typografie… hin- und hertelefoniert mit Lektorin und >>>> Verlag, aber nun ist alles unter Dach und Fach, und es sieht so aus, als würde das wirklich ein schönes Buch werden, sogar der Umschlag gefällt mir jetzt. Bißchen wenig Abstand vielleicht noch immer hinten auf der U4 zwischen Autorenfoto und Klappentext, und sicher sind auch im Text selbst noch ein paar Macken – was aber auch daher kommen wird, daß ich mit meinen Lektoren nie über Typograhie spreche, weil mich das prinzipiell nicht interessiert, sondern der Text-selbst interessiert mich. Dann aber eben doch wieder: daß ich „Character“ so entschieden gerne mit „c“ statt „k“ schreibe und „projezieren“ anstatt „projizieren“ und „böcklinsch“ statt „Böcklinsch“ hat ja Gründe, nämlich politische, nicht aber solche des Designs. Ebenso meine Neigung zu Sperrungen, wo betont wird, im Unterschied zu Kursivierungen, die Wörter besonders hervorheben oder Wörtern, die ironisch gemeint sind, in Anführungszeichen – alles ist bei mir Semantik, nichts ist das, was man den schönen Schein nennt. Mich interessieren Verpackungen nicht, sondern immer das, was sich in ihnen befindet. Deshalb bin ich auch ein solch schlechter Geschenke-Einwickler. Am liebsten überreiche ich Geschenke „roh“, einfach das Buch, die Platte, Punkt.

Nebenan kocht – Dank >>>> an brsma – die Zuppa Aldo Moro. Für mich selbst gibt‘s noch mal Muscheln, von gestern übriggeblieben.

Weiter mit Argo.

5 thoughts on “Facebook mal wieder. Dann plötzlich ein Erbrechen. Und letztmalig die Essayfahnen. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 21. September 2012. (Kleine Theorie des Literarischen Bloggens, Nr. 142). Dazu die Zuppa Aldo Moro und ein bißchen was zur Typografie.

  1. @Sie ich kann es wohl verstehen (mithassen auch) das distanzlos Du, das überall gelinkt wird. indes, wir war’n per du (und auch vielleicht perdu) an kieler fördens stränden. so frag’ ich zart, wes Du ich nennen dürfte und doch per Sie doch lieber bliebe. ich hab’ im lesend herzen Sie als Sie, als Du wär’s auch, was mich und UNS (zwei beide innig) doch bekränzte.

    ögyr

    1. perdu@ögyr waren wir und sind es nicht
      am zarten strand der förde
      noch an den ufern des netzes

      Als Regel: Im Netz das “Sie”, auch unter Freunden (Ausnahmen gibt es, etwa >>>> dort mit Parallalie; wie diese Ausnahmen zustandekommen, ist freilich nicht zu sagen; selbst sehr geliebte Menschen sieze ich hier; das bisweilige “du” scheint eine ganz bestimmte Form von Nähe auszudrücken), in der “Realität” entweder “Sie” oder “Du”, je nach den Begebenheiten, auch spontanen. In Zusammenhängen des Sports, etwa, ist das “Sie” fast absurd; zuletzt erlebt beim Open Water-Tauchen; da duzt sich alles. Da ist man aber auch zusammen auf Expedition.
      Und es geht g u t: sich in der ersten Realität zu duzen, in der zweiten, der des Netzes, aber zu siezen. Es ist das Gegenteil eines Widerspruchs, sondern gibt vielmehr dem Verhältnis noch etwas hinzu. (Tatsächlich hatte ich immer wieder mal eine Geliebte, mit der ich noch im Bett “Sie” sagte – diese erotische Spielart hat einen enormen Reiz, weil sie Nähe mit Distanz kombiniert und sich so immer die nötige Fremdheit erhält.)

    2. @per Du so wär’s nicht Fremdheit, die das “Sie”-Sein dekretierte, vielmehr Freundschaft, die ein Du nicht braucht. Das gefällt mir, und so will ER ‘s nun fortan halten 😉

  2. zum würtenbergischen Das wohl sollte Matthias Kehle gewesen sein, aus Karlsruhe. Er stellt ab und an ein Gedicht des Tages (kein eigenes) ins Netz, und wandert gern, auf Bergen. Ich kenne ihn nicht. Weiter. Und: nichts weiter.

  3. Für den Jungen… Karottensuppe nach Moro (→ Suchmaschine) kochen! Absolut simpel und befördert schnurstracks alle Keime raus (wirkt sogar gegen EHEC). Schmeckt höchstes etwas fade wenn ganz klassisch zubereitet, geschmacklich ist insofern zumindest eine großzügige Prise Cumin empfehlenswert, der für die Eingeweide eh nicht schlecht ist. Unbedingt für 1-2 Tage meiden: Milchprodukte aller Art und alles Zuckerzeug

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