Ich ließ ihn, Zenke, hören, was bislang schon stand. Er warf meinen Anfang um, mit einer blendenden Idee, auf die ich dann heute, am folgenden Tag, sehr früh morgens noch eine weitere draufsetzte, die jetzt zum strukturierenden Moment des ganzen Stückes geworden ist: ein Gestus, quasi, mit dem ich mir bei – zum jetzigen Stand – 35′ 36” ein wundervolles Spiel erlaube, das allerdings nur Musiker verstehen werden: sofort verstehen, heißt das – nämlich die Zerlegung des >>>> Neapolitaners, welches ein erstmals in Neapel komponierter Sextakkord ist. Er stand lange für den Ausdruck von Trauer und Schmerz. Das wiederum bindet sich in dem Hörstück vor allem an die Erzählungen >>>> Roberto Savianos, die ich zwar nur kurz, aber in ziemlicher Schärfe zitiere. Dazu paßt Carissimi fast unheimlich, dessen >>>> Jephte-Auszüge im Stück immer wieder in den Neapolitaner münden. Auf diese Weise ergibt sich über das gesamte Lärmen, das Neapel eben auch ist, immer wieder eine Geschlossenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Offenheit bei dennoch formal strenger Bindung.
Von Anfang an haben wir so zusammengearbeitet; Zenke schaut überhaupt nicht auf meine Technik, sitzt auch nicht mit am Schreibtisch, sondern am großen Mitteltisch, das Typoskript auf dem Schoß, bisweilen eine Pfeife stopfend und rauchend, etwas Tee trinkend, zuhörend, vor allem auf den Klang reagierend. Immer wieder, ist eine Sentenz abgeschlossen, hören wir das Stück dann durch, korrigieren Übergänge, kürzen Einsätze, auch mal ein bißchen Text. Und ich spüre, wie er meine Nähe zu meinen – ja, onoch hnoch nnoch e Anführungszeichen – Sprecher:inne:n spürt, namentlich zu Kavita Chohans selten schöner Sprechkultur, auch zu ihrem Timbre, und die Nähe meiner Sprecher:inne:n zu meiner Auffassung von Sprache als Klangmedium. Mich interessiert ja der funktionale Anteil von Sprache, der der Begriffe, sehr viel weniger als das, was Benjamin den Namen nannte. Interessanterweise fragte mich Zenke gestern nach dem Mittagessen, ob ich katholisch sei. Heute antwortete ich mit meinem Leistungsbegriff: „So viel zum Protestantismus“, sagte ich. Wovon – kapitalistische Arbeits„moral“ – ja einiges in mir ist, witzigerweise als Muttererbe. Mein Vater wäre ganz gut als – aber leider nicht dabei fröhlich – sündigender Mönch durchgegangen.
Wir arbeiteten gemeinsam bis etwa 19 Uhr, dann brach Zenke auf, und ich machte bis gegen 21.30 Uhr weiter, war aber zu erschöpft, um da noch in Die Dschungel zu schreiben. Und, weil verschlafen, fing ich heute morgen erst wieder um halb neun an; eine Stunde später kam Zenke, wir hörten noch einmal das bisherige Ergebnis ab, verbesserten hier, verbesserten da. Und sind jetzt bereits bei Minute 36 angekommen, so daß nun schon mehr als zwei Drittel des 49’40” währenden Stückes stehen. „Gut im Zeitplan“, sagte Zenke, als er ging; er sei erstaunt. Ich selber bin es nicht, aber verkniff mir, mit meinem alten Verkaufsleiter, aus Börsenzeiten, M***** zu antworten: „Na normal!“ Doch zufrieden bin ich und bei einigen Stellen sogar – glücklich: